Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Zehntes Kapitel

Es ereignet sich etwas, woran die Kommission gar nichts wirkt

Der Senn hatte nun auch noch einen Aufseher erhalten, welcher ihm viel mehr im Wege war als der Hüttenmeister. Es war Felix, des Hüttenmeisters Sohn; der schien ihm wie an die Ferse gewachsen. Ehe die erste Bränte kam, war Felix da; bald ging er früher, bald später weg, und den Tag über schoß er manchmal herbei und war da, man wußte nicht warum. Der Senn meinte, es sei alles des Aufpassens wegen. Nebenbei leistete ihm Felix aber auch gute Dienste, hielt die Buben in Zucht, und gar mancher trug rote Ohren heim, über des Ammanns Unflat heulend, der meine, er sei König und habe allein zu regieren auf der Welt. Doch kneipte er nicht allen Leuten die Ohren rot, der Nägelibäuerin Änneli zum Beispiel war sicher davor. Es war kurios, er war immer da, wo es seine Bränte abstellte, sagte ihm sogar Artigkeiten: »Meitschi, kommst aber zu spät; wirst versucht haben und mit Wasser zugefüllt? Hast Käsmilch darin? Es ist ja nichts, was du bringst, wirst zu faul sein, mehr zu tragen? Tust doch so dumm und kannst die Bränte noch nicht abstellen, wart, ich will dir helfen.«

Das ungefähr waren die Redensarten, welche Felix brauchte, waren nicht besonders geziemend, ja anzüglich. Aber Änneli nahm sie nie übel, seine blauen Augen färbten sich allemal dunkler, wenn es dieselben gegen Felix aufschlug, und für die kleinste Handbietung hatte es den freundlichsten Dank. Man sah, es hatte seine Errettung aus den Händen der Philister, die ihns auch seitdem in Ruhe ließen, nicht vergessen. Gewöhnlich sah es unter der Türe noch zurück, wenn es fortging, wahrscheinlich, ob es nichts vergessen, aber meist sah es nichts als Felix' Augen, welche ihm nachsahen. Und wenn es Käsmilch oder Ankenmilch mit heimzunehmen hatte, so griff Felix manchmal dem Senn ins Amt, maß ihm seine Portion zu und nicht schlecht, sagte ihm aber dann wohl dazu, bis heim werde es wohl um den halben Teil gekommen sein; zu tragen, daß es sich still hätte in der Bränte, dazu hätte es die Gaben nicht, wie der Schulmeister sage, er habe ihm oft schon zugesehen. Das Letztere mochte wohl wahr sein, das Erstere aber nicht, denn niemand trug seine Bränte sittiger als Änneli.

Es ärgerte den Senn, daß Felix immer da war, die Hände in allem hatte und Schritt und Tritt ihm aufzupassen schien, aber er fing an zu begreifen, was ein Ammann und sein Sohn in der Vehfreude zu bedeuten hätten. Einmal fluchte Felix mit Buben, sie seien einem allenthalben unter den Füßen, und musterte sie weg; da sagte Benz im Dürluft: »Wenn wir der Nägelibodenhex ihr Änni wären, so könnten wir stehen, wo wir wollten, wir wären dir nicht im Wege!« Potz Himmel, wie rot ward da Felix, verbarg aber seine Verlegenheit prächtig hinter einer ungeheuern Ohrfeige, daß der Junge samt Bränte und Käsmilch über und über purzelte. Der Junge ward dazu noch tapfer ausgelacht, sintemal er von der Rasse war, mit welcher man wenig Mitleid hat, es mag ihr begegnen, was da will; aber seine Rede hatte eben auch Widerhaken. So ein erstes Vorhalten ist ein gar wunderliches Ding, bald gleicht es einem Wespenstich, bald einem Stich in eine Eiterbeule, manchmal einem Schnitt in einen Umhang, kurz noch gar mancherlei Dingen.

Diesmal achtete das Publikum auf solche Rede gar nicht; Ammanns Felix und ds Nägelibodenänneli standen so weit auseinander, daß das Publikum sie in keiner Beziehung zu einander denken konnte. Bloß das Dürlufteisi brüllte wie eine angeschossene Büffelkuh, als Benzli ihm vorheulte, was er wieder wegen dem Mensch ertragen, wollte auf irgend eine Weise seinen Zorn auslassen. Indessen, als es an den Teufel dachte und wie das ein verfluchtes Hexenpack sei, wo man sich nicht genug in acht nehmen könne, wenn man nicht eine Fläre (Ohrfeige) erwischen wolle, an der man sein Lebtag genug hätte, sagte es: Warten werde am besten sein; je ärger sie es trieben, desto eher habe es die Freude, daß sie der Teufel hole. Wenn es das erlebe, wolle es acht Tage hinter einander kücheln, und sollte es den Anken dazu auf den Knien zusammenbetteln müssen. Aber vorher werde man noch etwas anderes erleben, es werde nicht lange mehr gehen. Wie die Nägelibodenbäuerin eine sei, wüßten alle Leute. Sie werde merken, daß sie nicht ewig jung bleibe; da ziehe sie etwas Junges nach und locke die Buben, da es mit den Männern nicht mehr recht gehe. Es sei himmelschreiend, daß man so etwas dulde, aber der Pfarrer sei auch nichts wert, und was die Regierung sei, davon redeten die Kinder in der Schule. Solches sagte Eisi jedem Menschen in die Ohren, der auf hundert Schritte in seine Nähe kam.

Felix achtete dessen, was der Bube gesagt, sich durchaus nicht, für solches Geschwätz war seine Haut nicht empfänglich; er war des Ammanns Sohn und tat, was er wollte. Änneli aber fühlte diese Worte und zwar tief. Ein Herz der rechten Art, welches viel Weh erduldet, fühlt den Wert der Liebe am innigsten. Jedermann hat auf Erden etwas, auf welches er, unbeschadet dem Vertrauen auf Gott, sich stützt, an welches er so gleichsam den Rücken lehnt, Schirm und Schutz davon erwartet. Der Eine baut sein Dasein auf Geld, auf Erb oder Erwerb ist sein Sinn gerichtet; kommt er dazu, glaubt er sich sicher vor Sturm und Wind. Andere lieben sogenannte gesicherte Existenzen mit viel Ehre, viel Einkommen, Anstellungen auf Lebenszeit, und haben sie dieselben, lassen sie den Kamm wachsen und klirren mit den Sporen oder was sie sonst an den Füßen haben. Andere setzen ihr Vertrauen auf das Fleisch, und haben sie einmal eine Schüssel voll Blut- und Leberwürste vor sich, wie ein dicker Bärenwirt sie aufstellt, wenn er glänzen will, meinen sie, der Himmel hänge voll Geigen in alle Ewigkeit, strecken die Füße von sich, pflanzen die Ellbogen auf den Tisch, als ob sie da Wurzel schlagen, grünen und blühen und dem Besitzer Schatten geben sollten für ewige Zeiten. Es gibt aber Herzen, welchen die Liebe ihr Hort und Fels und starker Schirm ist, das sind die Herzen zunächst bei Gott. Die meisten Herzen haben Stunden, aber nur flüchtige, wo dieser Trost in der Liebe bei ihnen anklingt, aber wir reden von Herzen, bei denen dieser Trost ein bleibender und starker ist. Sehen sie irgendwo ein Zeichen der Liebe, so ist ihr Herz voll Freude; haben sie das Bewußtsein, es sei ihnen ein Mensch gewogen, meine es gut mit ihnen, dann ist ihr Herz voll Seligkeit. Es ist aber dieses Gefühl durchaus nicht zu verwechseln mit dem selbstsüchtigen, berechnenden, Fleisch für seinen Arm haltenden, wie der Prophet sich ausdrückt, wo die Gewogenheit der Menschen entweder unsern Haferkasten vorstellt oder die Himmelsleiter von Stern zu Stern, das heißt von Pöstlein zu Pöstlein bis ins Allerheiligste, nämlich bis dahin, wo man den Halunken machen kann, ohne daß man dem Halunken mehr Halunk sagen darf. Es ist das reine, freudige Gefühl, daß jemand es gut mit einem meine, daß man jemanden lieb sei. Dieses Gefühl ist nicht ein Bewußtsein, es ist eine unmittelbare Zuversicht, man sei nicht ganz nichts, man sei noch etwas, weil jemand der Liebe und Teilnahme einen wert finde, man sei nicht nichts in der Welt, sei nicht verlassen, habe ein offenes Herz, eine hülfreiche Hand, habe jemanden in der Welt, durch den uns Gott seine Liebe offenbare. Wir wollen nicht untersuchen, wie bald in einem jungen weiblichen Herzen männliche Teilnahme sich anders gestaltet und Zusätze erhält, sondern bloß darauf aufmerksam machen, daß alle wahre Freundschaft auf diesem Gefühl beruht und am besten das Gesagte begreifen wird, wer der Wonne sich erinnert, als er den ersten Freund sich gewonnen wußte, die um so größer war, je länger man keinen hatte.

Bei Änneli war nun wirklich diese Wonne rein und schön wie selten. Wir wollen nicht verhehlen, daß, seit Felix die Buben so ritterlich zusammengehauen, Änneli nicht aufhören konnte, daran zu denken, was Felix getan an ihm, wie mächtig er dreingefahren und wie sicher es seither vor der Buben Spott und Plage gewesen. Die einfache Begebenheit war Änneli mehr als einer einsamen Tochter ein sechsbändiger Ritterroman (die »Löwenritter« zum Beispiel), deren einziges Buch er ist. Es fing ihn alle Tage von vornen an, las ihn nie aus und fand alle Tage größere Erbauung daran, innigern Stoff zur Rührung. Änneli dachte nicht von weitem daran, daß es verliebt sei. Der Abstand zwischen ihm, dem armen Kinde, welches auf der Gemeinde gewesen, und Ammanns Felix war so groß, die Kluft wenigstens so weit als von der Sonne bis zu einer ganz gemeinen Kegelkugel, so daß ihm durchaus nicht einfiel, Ammanns Felix und es seien Kreaturen gleicher Art, geschweige denn, daß sie näher zusammenkommen könnten. Änneli hatte nie von einem gedruckten Roman gehört, geschweige einen gelesen, es wußte daher nichts von den vielen tausend Brücken, die in den Romanen beschrieben sind, welche die Liebe von einem Menschen zum andern zu schlagen weiß, wieviel tausend und abermal tausend Meilen weit die Welt sie geschieden zu haben scheint. Das ist indessen wahr, daß Änneli nie auf sich warten ließ, um die Milch in Empfang zu nehmen, sondern immer auf die Milch wartete. Daß es sich immer wusch und ein reines Fürtuch umband, fiel nicht auf; es war Sitte im Nägeliboden, daß niemand wie eine halbe Sau vom Hause ging. Daß es alle Tage hübscher und lieblicher ward, dessen achtete man sich eben auch nicht. Ging es, so guckten seine Augen aus, es wußte aber kaum selbst, nach was oder nach wem. Sah es von weitem etwas von Ammanns Felix, so kam es ihm warm ins Herz und rot ins Gesicht, es war ihm, als hätte es etwas Schönes gefunden. Fand es ihn unerwartet in der Käshütte, bekam es das Herz plötzlich voll Freude, den ganzen Tag behielt es dasselbe voll Freude; es war ihm, als müßte es immer tanzen und springen, und wenn es regnete als wie mit Zübern, sah es doch die Sonne und wunderherrlich kam die Welt ihm vor. War Felix aber einmal nicht in der Käshütte, so ward es traurig, es glaubte, es werde krank. Trübe kam ihm alles vor, es kam ihns an wie Heimweh, wo man auch ein namenloses Weh in allen Gliedern fühlt und im Herzen, in der Seele und im Gemüte und doch nicht weiß, wo es einem eigentlich fehlt.

Als nun der wüste Benz so roh und grob es aussprach, daß Felix Änneli bevorzuge, und Felix so scharfes Gericht hielt, da siedete und brauste es in Ännelis Herzen gar wunderlich. Es schickt sich nicht wohl, so ein liebes, sanftes Meitschiherz dem schauerlichen Bauche eines feuerspeienden Berges zu vergleichen, in welchem es zu kochen beginnt und gebraut wird die schwarzgraue Lava, um als todbringender Glutstrom gegossen zu werden über fruchtbares Gelände; ebenso wenig dürfen wir es vergleichen einem Pulverfaß, in welches ein Funken fällt, oder einer gestopften Tabakspfeife, auf welche man brennenden Schwamm tut, oder gar einem geschwollenen Finger, in welchem das sogenannte Ungenannte zuckt und brennt. Wir wollen es aber auch nicht einer Rosenknospe vergleichen, nicht dem Morgenrote, nicht dem vom himmlischen Tau getränkten Frühlingsmorgen, das alles hat man schon zu oft verglichen und paßte hier auch nicht. Da wir also keine schickliche und keine passende Vergleichung finden, was eben zeigt, daß dies kein Dichter – welche nie um Vergleichungen verlegen sind, sondern solche Zustände immer sehr mühsam bildlich, auch handgreiflich darzustellen wissen – schreibt, so wollen wir die Sache ganz einfach und natürlich darzustellen suchen.

Änneli freute sich und schämte sich, dachte: Er ist doch immer der Beste, aber, o Gott, was werden die Leute sagen! Wie wird Dürluft Eisi aber tun?! Diese Freude und dieses Bangen wechselten in Ännelis Herzen wie Wind und Wetter im April, bis es zuletzt ganz düster und finster wurde, denn über alles kam die Angst: wie ungern wird er es haben, daß man mich ihm vorgehalten hat vor der ganzen Welt! Ich werde es entgelten müssen, ich muß schuld daran sein; kein gutes Wort wird er mir mehr geben, die Leute werden mich auslachen, die Buben mich verfolgen, und vermag ich mich ja doch dessen allem nichts! Dieses Bangen blieb stehend, es gab ein steifes Wetter, wie die Schiffsleute sagen; trübselig und düster und lang, ach, wie lang war der Tag, wie langsam kam der Abend her, gleich einem schläfrigen Stallknecht, der noch Dreiviertel Schlaf in den Augen und Dreiviertel Rausch in den Beinen hat. Und als derselbe endlich dahergeschlichen kam, kam er Änneli doch zu früh; das Herz schlug ihm wie eine Ölstampfe, die Beine wurden ihm so schwer, als wären sie von Buchenholz, der Atem kam ihm so mühselig, als müsse es ihn durch die Tabakspfeife eines Schweinehändlers ziehen, welcher sieben Jahre lang kein Atem gemacht wurde. Es hätte so gern gesagt, es solle diesmal doch wer anders gehen, es sei nicht wohl, und doch durfte es dies nicht sagen. Was würden sie doch denken, dachte es. Dann nahm es ihns doch wunder, ob er da sei, ob er ihns sauer ansehe, ihns sonst entgelten lasse. Das mußte es doch wissen, darum hatte es ja den Abend so sehnlichst herbeigewünscht.

Seiner Schwester durfte es davon nichts sagen, es wußte nicht warum. Es hatte Himmelangst, sie vernähmen etwas. Allen Leuten, dünkte es Änneli, dürfte es eher davon reden als Bethi, was würde das doch sagen! Jetzt zum ersten Male mußte man es rufen, suchen, mustern, und als es endlich kam, mußte ihm Bethi sagen: »So wirst du doch nicht gehen wollen?« Als es endlich ging, war es ihm fast kraus vor den Augen und so eng ums Herz; einem, der zu Spießruten geht, konnte es nicht viel anders sein. Wie werden mich die Leute ansehen, werden die Buben sticheln, und Felix? dachte es.


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