Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Darauf sagte Felix nicht viel, aber am Abend strich er auf dem Wege herum, der zum Schuhmacher auf dem »hohen Roß« führte. Der eine Felix hatte über den andern den Sieg davongetragen, doch so, daß er zwar gehen, aber kurz sein wolle mit dem Meitschi, daß es wisse, wer er sei und wer es sei. Der Abend war eben nicht für Liebesabenteuer eingerichtet, wie man sie sonst zu beschreiben pflegt. Es flöteten keine Nachtigallen im Busche, es murmelten die Bächlein nicht, es zirpten die Grillen nicht, der Mond goß sein silbernes Licht nicht auf die Erde, die himmlische Sichel schiffte nicht im Blau der Lüfte, es säuselten keine lauen Abendwinde. Es ging eine handfeste Bise und trieb das abgefallene Laub herum; grau war der Himmel, die Erde hatte ihr Hochzeitskleid, das Blumengewand, abgelegt und machte ein Gesicht wie ein neunundneunzigjähriges, runzelhaftes Mütterchen. Einzelne melancholische Krähen hüpften bedächtig von Furche zu Furche oder steckten trübselig den Kopf zwischen die Schultern, als ob sie an den kommenden Schnee dächten und eine Predigt darüber studierten. Struppichte Spatzen bewegten sich im Busche, und hungrige Gilbrichte flatterten über den Weg, sahen sich nach etwas Eßbarem um, welches Roß oder Kuh fallen gelassen.

Durch die Zäune strich ein Wesen, man hätte fast glauben sollen, es sei ein Reh, welches ein warmes Plätzlein suche in dichterm Walde, oder sonst ein schlankes, leichtfüßiges Geschöpfe welches nicht Hütten bauen wolle da, wo es war, sondern etwas Besseres suche. Es war Änneli, welches so flüchtig durch die Zäune glitt, welches hätte fliegen mögen und doch ein so schweres Herz hatte. Ach, es war so reuig, dem Felix von diesem Gang was gesagt zu haben; seine Habe hätte es gegeben, es wäre nicht geschehen, und doch wäre es um alle Schätze der Welt, um sein Leben nicht ausgeblieben, hätte ja doch Felix glauben müssen, es wolle ihn zum Besten halten, es treibe Flausen mit ihm, es sei die wüsteste, undankbarste Täsche auf Gottes Erdboden. Es zitterte vor dem Augenblicke, wo er ihm begegne; es hatte den ganzen Tag darauf gesonnen, was es sagen wolle, und hatte nichts gefunden, das es sagen durfte, und doch zog ihm die Angst, Felix zürne, komme nicht, das Herz zusammen. Ja, Änneli hatte noch so ein rechtes Mädchenherz, aus Eis und Glut, aus Angst und Liebe, aus Jauchzen und Weinen, aus Sehnen und Bangen, aus Suchen und Fliehen gewoben. Sie ist selten auf Erden, diese echte Sorte; man findet die einfache Sorte am häufigsten, welche gern recht bald einen hätte und je reicher, desto lieber ihn haben würde. Je reifer diese Sorte wird, desto besonnener und kaltblütiger wird sie auch, wie bekanntlich alte Katzen auch mehr Mäuse fangen als junge, welche zu früh meinen, sie hätten das Mäuschen schon, daher zu rasch zuspringen. Die Sorten sind aber ziemlich schwer zu unterscheiden; denn je älter die letztere Sorte wird, desto mehr nimmt sie Manieren und Farbe der ersten, echten, guten Sorte an.

Das Mädchen kam zu dem Schuhmacher auf dem »hohen Roß«, ohne daß es den Felix gesehen. »Zum hohen Roß« oder »auf dem hohen Roß« hieß das Häuschen, in welchem der Schuhmacher wohnte. Es war sein Eigentum, aber die Schulden, welche darauf hafteten, waren es ebenfalls. Sehr merkwürdig paßte der Schuhmacher zu dem Namen seines Häuschens. Er gab sich große Mühe, einen gnädigen Herrn vorzustellen. Der Mann gehörte unter die, welche mit dem Schicksal grollen, daß es sie nicht als gnädige Herren geboren werden ließ, sondern sie zu Handwerkern erniedrigte. Er fand sich berechtigt, das Unrecht gutzumachen: er erhöhte sich selbst, gebärdete sich gnädig, ließ jeden geflickten Schuh verabfolgen als wie eine erwiesene Gnade und forderte mörderlich. Es war wirklich schön, das großartige Benehmen dieses Mannes seinen Kunden gegenüber zu beobachten, wenn diese zu ihm kamen oder er ihnen auf der Straße begegnete. Im erstern Falle glich er einem Fürsten, der Untertanen zum Handkuß zuließ, im letztern Falle einem Brahminen, dem ein Paria in die Nähe kommt, von dessen Hauch er berührt zu werden fürchtet. Man hätte glauben sollen, der Mann hätte keinen einzigen Kunden gehabt, man würde sich aber getäuscht haben. Die Menge läßt sich gern imponieren, ja sie will imponiert sein und hat großen Glauben zu allen, welche zu imponieren wissen, das heißt den Glauben beizubringen, man sei mehr als alle seinesgleichen, ein Himmelssappermenter, man höre das Gras wachsen, sehe die Flöhe husten, rieche den Braten in der Hölle, den die Großmutter ihrem Großsöhnchen spickt und salbet. Nun gibt es ein gemachtes Imponieren und ein natürliches; das letztere hält Farbe, das erstere verliert sie früher oder später, ist bloß ein vorübergehendes, ein Feuer aus Stroh, das rasch zusammenbrennt und nicht mehr gesehen wird. Für wandernde Helden, Schauspieler, Quacksalber, Bauch- und Volksredner, reisende Künstler und Literaten, hausierende Juden mit Universalmitteln oder Tuchwaren genügt das erstere vollkommen: sie kommen und schwinden, und glänzen sie nur auf Augenblicke, wie Sternschnuppen ungefähr, so machen sie derweilen doch ihren Schnitt und gute Geschäfte. Aber anders ists mit denen, welche bleiben: Professoren, Ratsherren, Vaterlandsfreunden, Kameltreibern, Bärenführern und eben Schuhmachern; diesen geht es fatal, wenn ihr Imponieren nur ein gemachtes ist, ein vorübergehendes, erst ein Staatslicht und handkehrum nichts als ein schmutziges Ampeli oder gar bloß ein hölzerner Ampelistock, der zwar immer noch glänzen möchte und doch nichts mehr kann als stinken. So ein Schneider oder Schuhmacher, der aus der Fremde kommt und »Himmelsackerment« sagt und »merci bien«, gradauf steht wie ein Storch, wenn er studiert, und davon spricht, wie man in Scheneff die Schuhe fürfüßet, imponiert mächtiglich, kriegt großen Zulauf, verdient viel Geld, wird Modeschuhmacher oder Modeschneider, und wenn er ledig ist, lassen alle Mägde bei ihm schneidern und schustern, setzen ihren Lohn, ja fast Leib und Seele an das Wohlwollen des göttlichen Jünglings. Nun kommt es darauf an, was für ein Meister im göttlichen Jüngling steckt. In den Meisten gar keiner, daher vergeht ihr Glanz alsbald, mit dem Imponieren ists fertig, er wird nicht mehr ästimiert als eine hohle Rübe, mit dem Verdienst ist es aus; je gstabeliger er sich macht, desto mehr wird er ausgelacht, denn vom Imponieren zum Lächerlichwerden ist nur ein ganz kleiner Schritt. Ist aber etwas Tüchtiges in ihm, sind seine Schuhe währschaft und bleibt er im Fortschritt, macht er die Schuhe im Jahre 1850 nicht akkurat gleich, wie er sie im Jahr 1830 in Scheneff gemacht, sondern wie es im Jahr 1850 für elegant gilt, so kann er gstabelig sein und imponieren wollen, es schadet ihm gar nichts, er bleibt geachtet, gesucht und verdient schweres Geld. So ists mit dieser Sache.

Nun war unser Schuhmacher auf dem »hohen Roß« noch nicht ganz im finstern Mond, aber im abnehmenden; das merkte er, gehörte daher unter die Zerrissenen, war voll Weltzorn, betrachtete die von ihm Abgefallenen nicht bloß als Atheisten, sondern als Reaktionäre und sprach viel von Amerika. Änneli, welches auch etwas von der Eva an sich trug, ließ, seit es geerbt hatte, auch bei ihm schustern und hatte die Gnade, daß er ihm schusterte. »Nun, wenn es dir ein Gefallen ist«, hatte er gesagt, »so will ich dir wohl ein Paar Schuhe machen; daneben frage ich nicht viel darnach, und wenn es nur ist, um sie einem Andern zeigen zu können, damit er mir den Schnitt ablerne, so wäre mir lieber, du wärest gar nicht gekommen. Wahrscheinlich bleibe ich auch nicht lange mehr hier, die Leute hier haben gar keinen Verstand, ich traf es noch nirgends so, sie wissen gar nicht, was schustern heißt, es gibt kein dümmeres Veh auf Gottes Erdboden als so einen Bauer« usw.

Änneli hatte schon lange bei diesem Schuhmacher Schuhe bestellt gehabt, diese wollte es holen. Je weniger er zu tun hatte, desto länger ließ er die Leute warten, damit man glauben möchte, wie viel er zu tun hätte, wodurch er die Kunden vollends versprengte. Es gibt halt immer Leute, welche verstockt werden wie Pharao, und wenn sie schon nicht alle im Roten Meer ertrinken, so bereiten sie auf andere Weise ihren Untergang. Die Schuhe waren wieder nicht gemacht. Ob es meine, es sei die einzige Person, welcher er arbeite, hatte er gesagt. Wenn sie ihn alle so plagen würden mit Kähren, so wollte er das Schustern heute noch aufgeben. Ein andermal solle es zu rechter Zeit anmessen lassen und nicht warten, bis es keinen ganzen Schuh mehr habe. Man solle doch nicht meinen, er stehe unter der Haustüre und warte da müßig, bis es einem Narren gefalle, herzulaufen und sich auf der Stelle bedienen zu lassen! So ward Änneli abgefertigt und nahm es an; es konnte daher auch sicher sein, daß das nächstemal der Herr Schuhmacher auf gleiche Weise mit ihm verfuhr. Es hatte aber das Herz sonst voll und fühlte wenig, was der Schuhmacher sagte.

Es war dunkler geworden, weit konnte man nicht mehr sehen; es war die Zeit der Fledermäuse, wenn sie noch geflogen wären, nun aber lagen sie längst an ihrer langen Ruh. Änneli hatte sich ergeben. Er ist höhn, dachte es. In Gottes Namen, so wird es am besten sein; sehen kann ich ihn von weitem ja immer noch, und was will ich mehr? Und wie es das dachte, stand Felix plötzlich vor ihm. Wie das Meitschi erschrak! Der böse Bursche lachte laut. »Das geschieht dir recht«, sagte er, »wolltest es so haben. Hättest gestern nicht so getan, wärst heute nicht so erschrocken. Wirst einen Andern im Gaden gehabt haben?« »Solches halte mir nicht vor«, sagte Änneli; »du weißt ja, daß es nicht ist und was Bethi gesagt hat! Aber was habe ich dir zuleide getan, daß du mich also plagest? Ich weiß wahrhaftig nichts, und sonst meintest du es so gut mit mir; so viel habe ich dir zu danken, und jetzt, warum so auf einmal?« »Dumm; wer sagt, daß ich es bös meine, dich plagen wolle?« sagte Felix. »Es darf doch ein Bub zu einem Meitschi reden, und vor sein Fenster zu kommen, ist nirgends verboten.« »Ach, wegem Reden sagt ja niemand was«, entgegnete Änneli, »und im Herzen täts mir weh, wenn du es nicht tätest, wenn du bei mir vorbeigingest; aber nachts laß mich ruhig, vergiß nicht, was Bethi gesagt; es hält Wort, zähl darauf, und unten hört es alles, das Ofenloch ist immer offen, Verdruß möchte ich ihm nicht machen, um alles in der Welt nicht!«

Es gab ein langes Gespräch, in welchem aber gar nichts von Liebe vorkam. Felix bestand auf seinem Recht als Kiltbub: Er könne vor welches Fenster er wolle, und Bethi habe nichts dareinzureden, es werde mit Sepp auch nicht halb so exakt gewesen sein. Nebenbei gab er zu verstehen, er sei es nicht gewohnt, auf diese Weise abgefertigt zu werden; es sei nicht mancher Riegel, welcher nicht weggeschoben werde, wenn er klopfe. Änneli bat und flehte und gab zu verstehen, warum er doch absolut zu ihm wolle und hier so ansetze, wo er doch allenthalben so willkommen wäre. Felix sagte nicht, er komme wegen der Liebe zu ihm statt anderswohin, sondern er sagte: Es nehme ihn wunder, warum er nicht zu ihm sollte kommen dürfen so gut als zu einer Andern; wer das Recht hätte, es ihm zu verbieten? Es sei denn, Änneli habe einen Andern, dem wolle er nicht im Wege sein! Nur wolle er wissen, wer es sei, ob in der Tat so einer, dem er Platz zu machen schuldig sei. Begreiflich verwahrte sich Änneli gegen diese Zumutung, stellte ihm nochmals Bethis Gebot vor, deutete leise an, was doch die Leute sagen würden, wenn es auskäme, daß er ihns besuche, es dürfte sich nirgends mehr zeigen. Felix sagte, Bethi solle ihns nur fortschicken; er wisse ihm einen Platz, wo es nicht Hund sein müsse. Dabei möchte er doch wissen, ob er so einer sei, der einem Mädchen einen schlechten Namen anhänge, selb nehme ihn doch wunder. Änneli fand die Worte zur Antwort nicht, welche so lautete: Denk, was sie sagen würden, weswegen du kämest!

Da gab es einen Ton in ihrer Nähe, sie wußten nicht, was für einen und ob von rechts oder links her. Es war dunkel geworden, und rechts und links waren Zäune und gleich vor ihnen ein Wäldchen. Änneli erschrak wie ein junges Reh beim Anschlagen eines Hundes, wäre wie ein Reh in weiten Sprüngen davongesetzt, wenn Felix es nicht gehalten. »Dr tusig Gottswille, laß mich gehen, denke, wenn uns jemand gehört, ich müßte mich ja schämen mein Leben lang!« sagte Änneli. Aber Felix war unerbittlich und wollte erst das Versprechen, daß Änneli unters Fenster kommen müsse, wenn er daran döppele, er hätte noch viel mit ihm zu reden, und wissen wolle er, warum er einem Meitschi einen schlechten Namen anhängen sollte. Bisher hätte er doch gemeint, es habe sich keines seiner zu schämen. In seiner Seelenangst gab Änneli dieses Versprechen, um loszukommen, und flog davon. Darauf untersuchte Felix beide Zäune, das daranstoßende Wäldchen, aber er fand nichts.

Einige Tage nachher, als der Ammännin Mägde allein spannen in der Stube, sagte eine derselben: »Es nimmt mich doch wunder, was die Dürluftbäuerin hat? Seit einigen Tagen läuft sie immer da herum und sieht das Haus an, als sei es erst vom Himmel gefallen. Ich will nichts nutz sein, wenn sie gestern nicht zum Kuchifenster hereingeguckt hat. Ein Gesicht war am Fenster und gerade eins wie ihres, und deren, die dem gleichen, gibt es nicht viele. Es nimmt mich nur wunder, was die hat, nichts Gutes allweg. Die will zur Frau, und es soll es niemand merken. Sie will gegen jemanden aufreisen, ihr etwas zutragen. Unsere Frau ist daneben nicht dumm, aber in denen Stücken doch das ärgste Babi, sie würde sonst nicht der ärgsten Klapperfrau Glauben geben und wir es dann zu entgelten haben. Es nimmt mich nur wunder, wen es trifft.« Nun werweiseten die Damen, wem es gelten möchte. Begreiflich hatte keine ein reines Gewissen; je böser eine eins hatte, desto eifriger war sie bemüht, einer Andern angst zu machen, es gelte ihr. Als sie sich so recht in Angst gebracht gegenseitig, da rächten sie sich an der Urheberin ihrer Angst und setzten sich zu Gericht. Himmeltürk, wie das nun losging über Eisi! Einen Batzen wert wäre es gewesen, wenn Eisi hätte hören können, wie die Menscher es auszüpften, bis kein guter Faden mehr an ihm war. Die Teufelsgeschichte blieb auch nicht vergessen. Sie meinten, der Teufel habe ihm nur derhalben das Leben geschenkt, damit es alle Leute, absonderlich seine Hausgenossen, so kujoniere, daß sie ihre Seufzer in den Wunsch zusammenpreßten: Ach, ih wett, dr Tüfel nähm mih! Wenn das einer eine gewisse Zahl von Malen sage, könne ihn der Teufel nehmen ungsinnet u lebig. Es syg ume lätz, daß me dZahl nit wüß, aber man wolle davon sagen, scho vo es paar Knechtli u vo re Magd wüß me nit, wo si hicho syge. Das Eisi werds aber o einist erfahre, was es vrdient heyg, un öppis müesse usstah. Das möchte si gseh, aber ume vo wytem, dem wette si Gäbeli mache! Schließlich wurden sie rätig, sämtlich aufzupassen, und wenn Eisi zur Frau kommen könne, womöglich zu horchen.


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