Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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So wurde allenthalben greiset, bloß im Nägeliboden nicht. Es war fast, als ob die guten Leutchen verhexet, von einem bösen Geiste zur Plage auserkoren wären. Wie es auf streitbaren Wegen und ganz besonders, wenn es bergauf geht, Engpässe gibt und gefährliche Punkte, über die man nur mit großer Anstrengung kommt und den Kopf nicht verlieren, nicht schwindlich werden darf, wenn man nicht verloren sein will, so geht es auch in den Haushaltungen und namentlich in den jungen, welche mit aller Anstrengung vorwärts zu kommen trachten.

Es harzete bei Sepp und Bethi sehr, trotz allem Fleiße. Allerdings verbesserte sich ihre Lage, aber noch nicht sichtbar und fühlbar, sondern bloß für die Zukunft. Die Ausfüllung des Sumpfes fiel nicht in die Augen, aber er hatte doch an Tiefe abgenommen, und noch einiges Ausharren, so trat fester Boden über das Gewässer. Der Hof hatte sich beträchtlich gebessert, die Zinsen waren so ziemlich nachgezahlet, vieles war angeschafft, anderes ausgebessert, die Extraausgaben mußten für die Zukunft sich mindern; aber noch war der Geldklamm da. Sepp konnte sich nicht gehörig helfen, mußte oft verkaufen, wo er es lieber nicht getan, oder konnte nicht kaufen, wann es gut war. Hatte er Geld, so war er in Verlegenheit, was damit machen, wem es geben; drei, vier Hände warteten darauf, dies und jenes sollte notwendig berichtigt oder angeschafft werden. Es ist so ein banges Dabeisein, wenn man, je mehr man arbeitet, immer desto weniger zu haben scheint. Doch Sepp und Bethi behielten den Kopf beisammen, blieben besonnen, verloren den Mut nicht. Nun aber schien auf einmal alles sich gegen sie verschworen zu haben, um sie wieder so recht in den Boden hinein zu drücken. Sie hatten also den Platz für die Käserei nicht geben können, hatten bei diesem Anlaß mit Schmerz erfahren müssen, wie übel es Viele mit ihnen meinten, und Bethi weinte mehr als einmal aus Zorn über das, was die Weiber ihm andichteten. Denn es gab in der Vehfreude auch Weiber, welche von dem Vergnügen zu leben schienen, alles Böse, was über einen Menschen gesagt wird, ihm zuzutragen, eine gute Portion dazuzulügen und dann an Zorn und Schmerz, welche entstehen, herzlich wohl zu leben und allen Leuten mit großem Behagen zu erzählen, wie der arme Mensch sich gebärdet habe, sie hätten fast geglaubt, er ersticke vor Zorn.

Sepp und Bethi überwanden dies alles, brachten auch die Kosten auf, welche ihnen an Bau und Einrichtung der Käserei zufielen und nicht unbeträchtlich waren. Während sie noch daran berzeten und seufzten, wurde ihnen unerwartet ein kleines Kapital aufgekündet. Sie schämten sich, Geld zu suchen, hätten auch nicht gewußt wo finden bei dem allgemeinen Kühfieber in der Vehfreude, und zu Wucherern oder Geschäftsleuten wie Eglihannes wollte Sepp seine Zuflucht nicht nehmen. Er hatte in den Papieren seines Vaters gesehen, wie diese Spitzbuben es trieben und wie einer, den sie einmal angehalftert, zuschanden geritten wird; sie mußten es also selbst machen, wenn sie nicht auf die Gant wollten. Nun, sie hatten längst sich auf die Zeit gefreut, wo sie mit Abzahlen anfangen könnten, aber ungelegener hätte es ihnen nie kommen können als gerade jetzt. Sie kratzten aus allen Ecken ihr Geld zusammen, sogar die Sparbüchsen der Kinder (ihnen sonst ein Heiligtum) mußten herhalten, verkauften allerlei an Flachs, Hanf, Tuch und dürrem Zeug, was sie sonst wohl behalten hätten, brachten endlich die Summe auf, zahlten ab, und einen Augenblick war es ihnen, als hätte die Schuldenlast, welche auf ihrem Rücken lag, sich bereits um ein Beträchtliches erleichtert.

Es ist wirklich ein schöner Tag, an welchem man die erste Schuld bezahlt, leicht kann es einem vorkommen, als sei man bereits an der letzten. Aber so wie man Schmerzen kriegt, wenn man an einer Zehe einen Nagel zu kurz abhaut, so gibt es Nachwehen, wenn man zu früh eine Schuld bezahlen muß. Die Erleichterung im Zins wird nicht fühlbar, dagegen überall und stündlich der Mangel an Geld. Es will nichts eingehen; geht was ein, ist es wieder raus, der Geldsäckel scheint keinen Boden zu haben, und scheint etwas bleiben, sich anstauchen zu wollen, so fährt es drein wie ein Wirbelwind, und leer ist er wieder. Man scheint offenbar viel ärmer geworden zu sein, fühlt alle Augenblicke sich in Versuchung, wieder Schulden zu machen, um einigermaßen sich flott zu erhalten. Doch nur das nicht getan, nie rückwärts gegangen, mit Geduld überwindet man Sauerkraut, sagt der Pariser! Das hielten Sepp und Bethi auch fest, sie hatten sich vorgenommen, keine Schulden zu machen, sondern sich zu leiden bis zum Äußersten. In diesen Nöten kam noch das Fieber, die Kühe zu reisen, auf die Vehfreude, strich auch, wie natürlich, durch den Nägeliboden. Nun hatte Sepp, der sich auf die Vehware sehr wohl verstand, einen Stall voll versorgete Kühe, aber manche leider nicht greiset.

Dieser Unterschied wird mancher lieben Leserin nicht klar sein. Wir denken, es werde weder zarter Haut noch glatten Haaren schaden, wenn wir ihn einigermaßen zu erläutern trachten. Versorgete Kühe sind solche, welche man erprobt hat und erfunden als gesund im Fressen, zahm im Melken, gut bestellt im Euter, fett und reich in der Milch, bereit, alle Jahre zu kalben, wenn die Zeit um ist, aber je nachdem es sich eben trifft, ins Grüne oder ins Dürre. Die Kühe, mit welchen man in der Regel am besten versorgst ist, sind die, welche man selbst erzogen hat, welche dadurch so recht eigentlich zu Haustieren werden und wodurch eine Art von Freundschaft und Anhänglichkeit entsteht, die so weit geht, daß man so eine Kuh zur Familie rechnet, wie einst eine gutmütige Frau Pfarrerin sagte. Wirklich hatten die meisten größeren Bauern eine eigene Rasse, manchmal durch mehrere Geschlechter, selten war eine gekaufte Kuh im Stalle. Es war fast ein patriarchalisches Verhältnis zwischen Mensch und Tier, und es war wirklich, als ob so eine alte, im Hause geborene und erzogene Kuh ein gesetzteres Wesen hätte, ein Gefühl, sie sei da daheim, daher ein größeres Selbstbewußtsein, etwas Aristokratisches, wenn man will. Aus einem solchen Stalle eine versorgete Kuh mit schwerem Gelde kaufen zu können, war fast einer Gnade gleich zu rechnen. Wo man nun aber lauter greisete Kühe haben will, da ändert sich das ganze Verhältnis, das Bleibende muß einem beständigen Wechsel weichen, denn der Kühe Natur, Liebe und Fruchtbarkeit lassen sich so wenig nach den Käsereien regeln als das Gras. Man kann es so wenig erzwingen, daß die Kühe alleweil ins Grüne kalben, als man es erzwingen kann, das ganze Jahr hindurch die Kühe mit Grünem füttern zu können. Wer nun so recht den Kästeufel im Leibe oder das Käsfieber hat, muß also alle Kühe, wie versorgst sie sonst auch sein mögen, abstoßen, wenn sie nicht greiset sind. So verschwinden aus diesen Ställen die Stämme, die alte gute Zucht hört auf, Fremdes zieht aus und ein, Gutes und Schlechtes, wie der Markt es bringt, was man erst hinterher merkt, wenn die Nutzung kommen soll. Mancher brachte es vor lauter Reisen so weit, daß er jahrelang nicht mehr ins Greis kam.

Es ist sehr merkwürdig, wie der Zeitgeist, gleich wie ein schneidender Nordwind durch alle Fenster und Fugen, in alle Verhältnisse dringt, wie er nicht bloß die Familienbande bis auf die innigsten löset, sondern auch die Bande zwischen Menschen und Vieh, alles Freundliche, alle Anhänglichkeit frißt und herzlos nur das scheinbar Nützliche gelten und stehen läßt. Es ist aber sehr sonderbar mit diesem Nützlichen und besonders mit der daherigen Theorie; später stellt es sich nur zu oft heraus, daß letztere den größten Schaden brachte, daß das, was sie am lautesten pries, der Grundstein des Verderbens war. Wer das Praktische über das Herzliche setzt, wird vielleicht reich, vielleicht auch nicht, aber jedenfalls kennt er weder herzliche Freude noch herzliche Liebe.

Als nun also das Fieber kam, kehrte es im Nägeliboden auch ein und schüttelte Beide, Mann und Frau. Sepp meinte, Milch sei das ganze Jahr durch gut, namentlich den Kindern, und dem Menschen im Winter, wo man selbst ans Dürre und an das Eingekellerte gesetzt sei, am gesündesten. Seine zwei liebsten Kühe kalbten für die Käserei durchaus zur Unzeit: die eine für die Herbstweide, worauf man ehedem auch was hielt, die andere um Weihnachten, was den Weibern sonst bsunderbar anständig war. Diese beiden Kühe hätte er also jedenfalls abstoßen sollen, und genau genommen noch zwei andere, welche eben auch nicht ins frische Grün kalben wollten. Tat er es nicht, so war seine Milchlieferung im Vergleich zu Andern sicher sehr unbeträchtlich, er wurde ausgelacht und zog wenig. Reisete er auch, so schien eine Wurst an eine Speckseite geworfen, viel Milch, viel Ehre, viel Geld, und was will man mehr in dieser bösen Welt? Für diese drei Dinge hätten Eglihannes im Saubrunnen und Mani im Galgenmösli ihre Seelen von den Hunden fressen lassen, wenn sie es ihren Leibern unbeschadet hätten tun können und die Hunde Appetit dazu gehabt. Aber woher Geld nehmen zum Reisen? Sepp und Bethi hatten keins; sollten sie leihen, wieder Schulden machen, und war dann das Zurückgebenkönnen im Herbste so gewiß? Sepp hatte schon mehr als einen Ton gehört, daß der Handel nicht halb so sicher sei. Oder sollten sie die Einzigen sein, die hinter allen zurückblieben, hinter dem ganzen Zeitgeist, so ganz unzeitgeistlich?

Beide Leute bestanden die Prüfung, sie kalkulierten folgendermaßen und nicht dumm: Man baue, wie man sage, die Käsereien für den Überfluß, daß die Milch, welche man entbehren könne, nicht zuschanden gehe, nicht in die Bschüttilöcher geworfen werden müsse. Sie sollen also so gleichsam einen Abflußkanal bilden für den Überfluß, aber auch zugleich eine Quelle sein, aus welcher dem Bauer Geld zufließt und vermittelst welcher der Wohlstand vermehrt wird, indem auf diese Weise das Geld aus der Fremde ins Land gebracht wird, was sehr wohl zu beachten ist, und zwar nicht armer Leute Geld, sondern kaiserliches und königliches. Armer Leute Geld ist natürlich so gut als kaiserliches und königliches; wir wollten damit nur sagen, daß das Geld, welches mit trefflichem Emmentaler Kaisern und Königen und andern vornehmen Leckermäulern abgenommen wird, mit besserem Gewissen, mit größerer Freude und wohl auch mit mehr Segen verbraucht werden kann als solches Geld, welches aus Branntwein fließt, also eigentlich armer Leute Mark ist. Die Käsereien sollten also nicht der Angel sein, um welchen die ganze Wirtschaft sich dreht, nach welcher sich alles richten und welcher sich alles unterordnen soll. Sie sollen durchaus nicht sein, was sie auf den Alpen sind; Alpenwirtschaft ist keine Bauernwirtschaft. Auf den Alpen wird nichts gepflanzt, da gehen nur Kühe, wird für den Winter nicht gesorgt, man füttert im Tale, da ist und bleibt die Nutzung der Kühe den Sommer über die Hauptsache. Und obgleich die Küher es fast haben wie die Lilien des Feldes und die Vögel des Himmels, sie säen auch nicht, spinnen nicht, und sie nährt doch der himmlische Vater so gut als selten Andere, danken sie ihm dafür oder danken sie ihm nicht, so hängt doch selbst ein solcher Küher nicht alles an die Käse, richtet sich nach der Zeit, hängt sich an Schweine, macht mit Butter, was er kann, mästet Kälber, bis sie zwei Zentner wiegen, ja pfuscht sogar dem Napoleon in seine Pläne und macht Zucker zentnerweise. Der Küher hat auch etwas von der Weise der Basler Herren, welche gegen das Geltstagen sich so tapfer wehren. Diese hängen auch nicht alles an einen Nagel, sondern an mehrere; läßt ein Nagel los, so fällt nicht alles, ja es ist oft der Fall, daß eben, weil ein Nagel fehlt, an andern der Gewinn desto größer wird. Das sollte eigentlich auch der Bauer wissen, wächst ihm doch in feuchten Wiesen das meiste Gras, wenn es ihm auf den trockenen Äckern verbrennt, und das meiste auf den trockenen Äckern, wenn es ihm in den feuchten Wiesen ersäuft. Darum sollte es auch der Bauer viel besser noch wissen als der Küher, am allerwenigsten im Boden wirtschaften wollen, als wäre er auf hoher Alp. Das ist also des Bauern bestes Eingericht, wenn er sein Gewerbe an mehrere Nägel hängt, damit er an diesem oder jenem seinen Trost findet, wenn ihm der eine oder der andere fehlt. Man hat bedenkliche Beispiele, wie es mit dem Käsen fehlen kann, wenn die Milch fehlt, der Senn davonläuft, die Käse niemand will oder gar Hexenwerk spukt in der Käshütte. Wenn der Bauer das Korn vernachlässigt, alles Beiwerk wie Flachs, Hanf usw., Viehzucht, Landbau, und er am Ende des Herbstes nichts als unversorgtes, schlechtes Vieh im Stall, unverkaufte Käse im Käskeller, nichts als einen Winter ohne Milch, einen Geldsäckel ohne Geld und eine lange Nase im Gesicht hat, was dann?

So kalkulierten Sepp und Bethi, und Beide waren einig, bloß fragte Bethi noch: »Und wenn wir noch eine Kuh kauften, könnten sie vielleicht schuldig bleiben? Sind wir glücklich, so zahlt sie mehr als den doppelten Fuhrlohn, Gras haben wir genug, der Klee steht bürstendick auf dem Acker.« »Bist nicht sicher«, sagte Sepp, »daß es nicht einen trockenen Sommer gibt, wo das Gras nirgends gedeiht, daß man den halben Hof schaben muß, wenn man nicht hinter das Heu will. Es ist mit dem Grasen eine gar zufällige Sache; muß man zur Unzeit mähen, so haut man es mitten von einander und es ist kein Segen darin. Es gibt keinen strengern Winter, als wenn um Fastnacht die Bühne leer wird und man entweder Fasten einführen muß im Stalle oder Heu kaufen nach einem trockenen Sommer, bis einem das Liegen weh tut. Es hat mancher von unsern Bauern den Stall mit Ware gefüllt, ich würde ihn bevogten, wenn ich im Gemeindrat wäre. Wie so einer füttern will, begreife ich nicht, jedenfalls möchte ich nicht Kuh sein bei ihm, wenn Michelstag vorbei ist.« Bethi begriff diese Gründe wohl, zog seine Motion zurück und sagte: »He nun, in Gottes Namen! Jeder macht es, wie er kann und wie er es versteht, und das Andere überläßt er Gott, der wird es wohl machen.«


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