Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Da kam aus einem Hause, und eben nicht aus dem schönsten, ein Kleeblatt, stolperte fast über die hohe, altväterische Schwelle, welche sie vor Freude kaum sahen. Einer in selbem war kein Bauer; man sah ihm an, daß er ein Herr war, kein halber wie Eglihannes, ein Aristokrat also. Vor dem Hause saßen Zwei. Einer hatte offenbar etwas Küherhaftes in Kutte, Hut und Pfeife, der Andere etwas Patrizisches sowohl im Gesicht als an den Handschuhen, obgleich an seinen Hosen nicht überflüssiges Tuch war; sie waren wohl kurz und ziemlich eng, ums Knie gab es daher einen Buckel. Der eine Herr und der andere kannten sich offenbar. Der mit den kurzen Hosen fuhr auf und fragte: »Habt ihr verkauft?« »Ja«, sagte der Erstere. »Wie teuer?« fragte der mit den engen Hosen. »Darfs nicht sagen, es ist verboten«, antwortete der Andere und zog mit dem übrigen Kleeblatt hellauf weiter, wahrscheinlich ans Ordinäri oder vorläufig hinter eine gute Flasche.

Das waren den Vehfreudigern Worte wie Kanonenschüsse, welche das Zeichen zum Wettrennen zu geben pflegen. Also es ist los, dachten sie, die Herren ließen vor, und so brachen sie mit Macht durch die Stecken. Aber auch diese waren in Bewegung gekommen, drängten sich den verschiedenen Häusern zu, in welchen die Händler saßen, während Andere herauskamen, bald mit hellen Gesichtern, bald mit verlegenen, bedenklichen, hier oder dort nebenaustrappeten, Rat hielten, werweiseten, zurückkehrten, weitergingen, still standen und doch wieder gingen. Einige redeten leise, Andere schimpften laut und weidlich über alle die Käshändler: Aristokraten und Jesuiten kauften sie die Käse ab und noch dazu zu den besten Preisen, während sie die Freisinnigsten und Vaterlandsfreunde z'leerem abfertigten. Daraus könnte man am besten abnehmen, was sie selbsten seien, sie möchten dann daneben brüllen, wie sie wollten. Unserm Siebengestirn ging nun der Stern der Hoffnung auch auf, sie suchten vorzukommen; wenn sie einmal drinnen wären, so fehls nicht, dachten sie. Aber das Vorkommen, das war schwer. Es waren immer Andere vor ihnen, sie wußten nicht, wie es kam. Sie dachten manchmal daran, es wäre doch vielleicht gut, wenn sie den Eglihannes bei sich hätten, der kenne den Yschlupf wie Keiner. Wenn sie sich auch dicht vors Loch stellten, um, wenn so eine der geheimnisvollen Türen aufging, gleich bei der Hand zu sein, so stand ein Anderer hinter ihnen; sein Name wurde gerufen, er rasch durch sie durch, und ehe sie nur sagen konnten, sie und der Ammann in der Vehfreude seien auch da, war die Türe wieder zu. Sie waren wie verraten und verkauft und wußten nichts mehr zu sagen, als sie seien verraten und verkauft, böse Leute hätten es ihnen verbunden. Er hätte es doch gedacht, sagte der Ammann. Am Morgen, als er vom Hause gekommen sei, sei ihm lauter Weibervolk begegnet, und das sei vom Tüfel nüt nutz.

Endlich einmal hieß es: »So kommt herein!« Da wars ihnen, als ginge der Himmel auf durch Petris Gnade. Mit bedächtigem Schritte, fast wie der Löwe in den Zwinger, traten sie ein, sahen sich um nach Stühlen oder Bänken, um abzusitzen, und mit den Händen griffen sie nach den Pfeifen, um sie in Behaglichkeit zu stopfen und dann das Märten anzufangen. Sie glaubten, das gehe ungefähr wie an einer Käsgemeinde, wo man gemütlich von einem zum andern rutscht, zuweilen von der Sache spricht und am Ende glücklich ist, wenn man den Abend kurzweilig verbraucht hat und den Weibern was Neues heimkramen kann. So eine tapfere Verleumdung ist vielen Weibern viel lieber als der größte Lebkuchen, ja selbst als ein hoffärtiges Fürtuch. Aber da gings anders zu; Stühle waren nicht da in gehöriger Anzahl, und die Herren hatten gar kurze Manieren, schnitten allem Getäsche unbarmherzig den Faden ab. Als der Ammann auf die Frage, an welchen Preis sie dächten, antwortete, sie dächten an den höchsten und hätten von siebzehn Kronen (achtundzwanzig Gulden zwanzig Kreuzer) gehört, bemerkte einer, sie hielten ihnen das nicht für ungut, aber sie hätten andere Gedanken. Um mehr als zwölf Kronen freute sie ihr Mulch nicht. Da fingen die Sieben alle an zu brummen, aber der Ammann faßte zuerst das Wort und sagte: »Das wird vexiert sein, wo fehlt es denn unsern Käsen?« »Wir wollen die Käse nicht ausführen und schlechtmachen«, antwortete der Händler, »Sie sind uns ganz recht; aber wir begehren sie nicht, wir haben schon so viel gekauft, daß sie uns des Nachts über das Deckbett hinaufkommen. Es sind mehr überflüssige Mulche als an einer Ätigenkilbi Meitschi.« Die Sieben wollten zu märten anfangen. Einer stellte den Stock unter, ein Anderer lehnte sich an die Wand, kurz jeder faßte Posto, wie er glaubte, daß er es am behaglichsten aushalten könne. Da sagte der Händler: »Ihr habt gehört, zwölf Kronen und lieber nit; z'märten ist da nichts. Geht und redet mit einander! Wollt ihr sie geben, so kommt wieder, wo nicht, so habt nicht Mühe. Jakob, mach auf und rufe dSimeliberger!«

Damit war die Audienz beschlossen, die Herren hatten gar keine Ohren mehr, die Sieben mußten wieder raus, machten dabei sicher noch viel flämischere Gesichter als die Tante Dorothee, von der es heißt: »Unsere Tante Dorothee mit ihren langen Füßen ist sieben Jahr im Himmel gsi, het wieder abe müssen.« Da standen sie wieder draußen, und nun, wo wieder hinein? Schon war die Sonne über die Mittagslinie; sie hatten keinen Witz, hätten sie Witz gehabt, sie hätten es gemacht wie die Ausgeschossenen einer andern Käsgesellschaft, welchen es ähnlich ging. Die dachten, es müßte doch den Teufel tun, wenn die da drinnen in den Heiligtümern nicht auch Menschen wären, mit menschlichen Schwachheiten und Bedürfnissen behaftet! Sie postierten sich denn also auf einer Laube, welche zu dem heimlichen Gemache, wohin Papst und Kaiser zu Fuße gehen, führte, und harrten dort. Das fiel nicht auf, denn in allen Ecken sah man am selben Tage solche lebendige Geständnisse. Ungehindert ließen sie die bloßen Käsjunker passieren, ihr Fang sollte besser sein. Sie mußten lange warten, denn so ein alter Held bringt viel in sich und viel über sich. Indessen, Not bricht am Ende doch Eisen, altes und junges, und endlich erschien auch einer der wahrhaftigen Käsfürsten, hastig wandelnd in den Fußstapfen von Kaiser und Papst. Aber wie er auf die Laube kam, umringte ihn der harrende Klub, klaubte ihn ein von hinten, von vornen, von beiden Seiten, stellten ihn wie die Hunde einen Eber und sprachen: »Und jetzt, was willst, und wie willst?« Da kam auch ein Fürst in Nöten, und in welche! Da war freier Boden, er konnte ihnen nicht das Loch zeigen, welches der Zimmermann gemacht, konnte sie nicht heißen zum Teufel gehen; er mußte parieren, standhalten und endlich in den höchsten Nöten ein Mulch kaufen, nur um aus dem Klub zu kommen – es war aber auch die höchste Zeit. Solchen Witz hatten unsere Freunde aus der Vehfreude nicht. Übrigens hätte er ihnen auch nichts geholfen, denn seit jener Zeit sollen die Herren vorsichtiger geworden sein, es erstlich nicht mehr so auf den Notknopf ankommen und zweitens sorgfältig untersuchen lassen, ob die Bahn frei oder verstellt sei.

Die Vehfreudiger hielten in einer Ecke Rat. Von zwölf Kronen könne nicht die Rede sein, darüber waren sie einmütig; sie durften ja nicht heim und müßten sich schämen ihr Lebtag, daß sie den niedrigsten Preis genommen. Die Einen aber meinten, sie wollten absetzen, heimfahren, vorbringen und das Weitere gewärtigen; Andere aber sagten, nicht Nachlassen gewinne, sie hülfen noch einmal hintenfür, es sei noch alle Zeit dazu. Die Leute seien etwas verlaufen, viele säßen am Essen, und die Herren wüßten jetzt am besten, ob sie noch kaufen wollten oder nicht. Diese Meinung erhielt das Mehr, sie gingen weiter, der Ammann aber sehr ungern.

Auf dem Wege trafen sie auf einen doppelten Menschenschlag. Die Einen, fröhlich und hellauf, mit stolzem, kühnem Nacken, drangen gegen ein Wirtshaus vor; das waren die, welche ihre Käse verkauft hatten und, wie sie meinten, gut. Zwischen ihnen gingen oder standen Andere mit ernsten, bedenklichen Gebärden, redeten hin, redeten her oder standen schweigend da, wie Krähen am Morgen auf einem Acker, wenn es abends donnern will. Wenn sie sich in Bewegung setzten, geschah es langsam, als wenn sie Blei in den Beinen hätten, und mit gesenkten Köpfen, eben auch wie jene Krähen auf dem Acker; das waren die, welche die Käse noch nicht verkauft hatten. Am auffallendsten gebärdeten sich die Küher, die altadeligen. Die Glücklichen standen mitten in der Straße, den langen Stock ins Sitzleder gestellt, und ließen die Leute schön um sich herumlaufen oder hatten ihn unter dem Arme und fuhren mit der schmutzigen Spitze den Leuten in den Gesichtern herum. Die Unglücklichen standen beiseite gegen die Zäune hin, hatten den Stecken vor sich gestellt, das Kinn darauf gelegt und dachten betrübt über die betrübten Zeiten nach, über den betrübten Unterschied zwischen Ehemals und Jetzt. Auf dem Wege vernahmen die Sieben von Bekannten, die Preise gingen nicht so hoch, als man gedacht, die Käsherren drückten, wer fünfzehn Kronen löse, könne so ziemlich zufrieden sein. Es seien freilich einige auf sechzehn Kronen gegangen, aber nur die rarsten, und viele seien nicht verkauft. Das war tröstlich und nicht tröstlich. Nicht tröstlich in Beziehung auf den Verkauf, tröstlich, weil sie nicht allein im Pech waren, sondern es Andern auch so erging und sie zu Hause eine bestimmte Rechtfertigung hatten, daß ihr Schicksal nicht durch ihre Ungeschicklichkeit herbeigeführt worden. Sie trappeten hin, sie trappeten her, aber nicht glücklicher; entweder wurden sie nicht vorgelassen oder hörten, sie sollten von zwölf Kronen reden, so wolle man sich bedenken. Es war, als ob alle sich verabredet und gegen sie verschworen. Auch war es augenscheinlich, daß sie den Kauf für beendet betrachteten für heute. Jeder hatte das Beste, was er wollte, das Übrige dachte man um so wohlfeiler zu kaufen, je länger man die Leute in der Beize ließ. Sie wußten, daß wie zäh ein Bauer auch scheint, er doch in dieser Käsbeize sehr bald mürbe wird, um den Käs loszuwerden.

Als sie wiederum abgefertigt auf der Gasse standen und ernstlich ans Absetzen dachten, riet ihnen einer, sie sollten noch probieren bei einem Hause, welches heute zum ersten Male Geschäfte mache; dieses sei vielleicht noch froh, zu kaufen. Aus Furcht, zu hoch zu kaufen, sei es anfangs zu knauserig gewesen, jetzt wäre es vielleicht froh, hinterher noch etwas zu erhalten; schienen übrigens nicht allzu viel von der Sache zu verstehen, drehten die Käse gar lange herum und wüßten am Ende doch nicht recht, wo es fehle. Probieren werde erlaubt sein, erkannten sie und gingen. Da war kein Geständ vor der Türe, sie wurden auf das erste Klopfen vorgelassen. Die Herren waren freundlich, fast wie verlegen, bedauerten sehr, den Käs nicht gesehen zu haben, sonst würde es sie freuen, mit ihnen zu handeln; sie hätten zwar schon sehr viel gekauft, indessen auf ein Mulch mehr oder weniger käme es ihnen nicht an. Es sei ihnen hauptsächlich darum, in die Geschäfte zu kommen, mit den Leuten anzubinden. Sie wüßten wohl, wer einmal mit ihnen handle, begehre mit den Andern nichts mehr zu tun zu haben. Sie seien loyal, preßten den Leuten nicht das Blut unter den Nägeln hervor, ein Wort sei ein Wort und das Geld auf der Hand. Die Herren waren recht gesprächig und nicht halb so kurz angebunden wie die Andern, redeten sogar von Sitzen, was nun aber ihrerseits die Vehfreudiger nicht begehrten, sie redeten von Pressieren. Es ward abgeredet, daß die Herren die nächsten Tage kommen sollten, den Käs zu besehen. Wenn es leicht zu machen sei, so gäbe es einen Handel, sagten sie, denn es sei ihnen wegen der Zukunft. Bei ihren großen Verbindungen seien ihnen große Mulchen die anständigsten. Es sei eigentlich bisher nur gestempelt worden; kämen Leute hinter die Sache, welche es verstünden, bekannt in der Welt seien, könnten sie einen ganz andern Schwung in diesen Handel bringen. Bei den heutigen Transportmitteln lägen ja das große Rußland und das noch größere Amerika so gleichsam vor der Haustüre, und wenn es einmal mit China recht angehe, so sei es möglich, daß man Käs an Tee tauschen könne, Pfund um Pfund, oder an Seide. Man solle denken, was das mache! Sobald sie die Sache recht im Greis hätten, gedächten sie die Verbindungen zu eröffnen; sie seien überzeugt, so wie sie die Chinesen kennten, daß sie, wenn sie mal wüßten, was Schweizerkäs sei, nichts anderes mehr würden essen wollen. Da könne man zusehen, wie man denen genug Käse zwegbringe.

Die Vehfreudiger vergaßen fast das Pressieren ob diesen Aussichten, rissen sich mit Gewalt los, nachdem sie gesagt, in welchem Wirtshause sie eingestellt; angeglüht von Weltgedanken schritten sie demselben zu. Das seien noch rechte Herren, sagten sie, andere als die Hochbeinigen, die daherkämen wie die Giraffen, täten weiter sehen als der Nase lang und möchten sich doch noch gmühen, ein vernünftiges Wort mit ihrer Gattig Leuten zu reden. So sprachen sie und achteten sich nicht darauf, daß die Straße ziemlich leer war, von ferne her aber ein gewaltiges Getümmel brauste. Als sie näher kamen, sahen sie ihr Wirtshaus und andere eingeknäuelt von einer Menge Menschen, so dick, daß man ihnen auf den Köpfen hätte gehen können. Hin und her wogte die Masse wie ein Kornfeld im Sturmwinde; Fäuste, Prügel sah man über den Köpfen, manchmal ein blutiges Haupt emporgeschoben, als ob es eine Fahne wäre; aus der Mitte kam ein Gebrülle, hundertfältig stärker als an einer Pferdezeichnung aus einem Stalle, wo sich die Hengste schlagen.


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