Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Die Beiden waren auf dem Punkte, in die Pädagogik hineinzugeraten, als Peterli ihr Zwiegespräch unterbrach und zum Ammann trat »Hör, Ammann«, sagte er, »sind ich und du die Einzigen mit Verstang hier im Dörfli, wo auch in dSach hineingehen und begehren, daß die Kirche mitten im Dörfli bleibe? Ich muß sagen, dSach ist mir zwider, und ich darf beim Schieß nicht heim – was wird Eisi sagen! Viel zu wenig Geld und dr Senn obendrein, den es hasset wie den Teufel: es schießt mir beim Schieß in die Haare. Du, was fang ich an?« Es mußte Peterli wirklich eng ums Herz sein, daß er ein solches Bekenntnis ablegte, zwar, wie er meinte, bloß dem Ammann; denn auch dem besten Freund bekennt man sonst die Angst vor der Frau nicht gern. Aber Peterli konnte, wenn er schon meinte und zwischen den Ammann und dessen Nachbar sich hineingedrängt, daß sie einander fast Plätzen abmachten, nicht flüstern, daß Andere es nicht auch verstanden. Flüstern und blicken, daß es niemand merkt oder versteht, sind Künste, welche selten ein Peterli versteht. Das war Wasser auf die Mühle, war wie ein Hase, auf dessen Fährte ausgeruhte Jagdhunde ungsinnet kommen.

»Peterli«, rief einer, »was sagst, was macht Eisi, wenn du heimkommst? Peterli, weißt noch, wie es dir es gemacht hat, als du heimkamest und es meinte, es sei eine Schule erkannt worden und nicht eine Käserei?« »Weißt nicht«, sagte ein Anderer, »wie es ihm eine Wolke Haare ausgerauft hat, daß wenn die Sonne am Himmel gestanden und die Wolke vor dieselbe gekommen wäre, die Leute geglaubt hätten, es sei eine Sonnenfinsternis vorhanden?« Peterli hatte nicht daran gedacht, daß um dieses Eheereignis noch jemand wüßte außer Eisi und sein eigener Backenbart. Er hatte es wie die meisten andern Leute: er meinte, die Welt wisse nichts von ihm, als was er gut finde, ihr selbst zu sagen. Er erschrak anfangs über diesen unerwarteten Angriff, wollte mit Verneinen und Leugnen sich helfen. Er sah aber bald, daß er nicht auslangte, und nahm die gleichen Waffen zur Hand, mit denen er angegriffen ward: er fuhr retour, wie man sagt. »Du wirst meinen, meine Frau tue jetzt, wie deine getan hätte, wenn man den Senn nicht mehr gewollt? Das hätte Längizyti gegeben!« Einem Andern hielt er vor, seine Tochter wäre ins Wasser gesprungen, wenn sie ihn nicht mehr in der Nähe gewußt, einem Dritten, es wäre ihm wohlgegangen, wenn der Senn fortgekommen, das Kirschenwasser wäre ihm dann sicher geblieben im Keller. Wären sie witzig gewesen, sie hätten Peterli sein Eisi nicht vorgehalten, sondern jeder vor seiner Türe gewischt, denn es habe Mancher nicht bloß ein Eisi, sondern ein Babi daheim oder gar ein Räf.

So stichelte Peterli, und wie man sieht, nicht bloß mit der Nadel, sondern mit der Schaufel und bekam dazu noch Hülfe am Ammann, der gleichsam seinen Schild vorstellte. Dem Ammann seine Frau Ammännin vorzuhalten und über das Knie zu nehmen, wagte denn doch niemand so recht herzhaft. Dem Ammann ging dabei ein Licht auf, in welchem Trost für ihn war. Er hatte bis dahin nicht gewußt, welche Anzüglichkeit in einem Senn war, solange er ledig blieb. Hatte es halt nie erfahren und stand als Ammann ein wenig, aber nur ein wenig, über den Wahrnehmungen am Brunnen und vor den Gadenfenstern. Er begriff allgemach, woher der erhaltene Schlag kam, und zürnte es an seiner Frau Ammännin, daß sie ihn darauf nicht vorbereitet, denn sie kannte die Dorfgeschichte in ihrer ganzen Tiefe und Fülle und alles, was am Brunnen ging und vor den Gadenfenstern. Er dachte, er hätte doch wissen sollen, was da unter dem Hütli gespielt ward, und dem Senn es sagen. Hätte er nur einen Deut drum gewußt, wohl, er hätte der Sache einen ganz andern Tätsch geben wollen. Aber wohl, jetzt wolle er seiner Frau auch mal ein Kapitel lesen, das sich gewaschen habe!

Es ging recht kurzweilig zu bei Nidle und Kaffee; bei Wein oder Schnaps hätte es giftiger werden können. Eglihannes hätte gern Rumor gemacht und Händel angefangen, denn er hatte es akkurat wie der Teufel: wo es im Frieden zuging, war ihm nicht wohl, er rührte Dreck drein wenn möglich. Absonderlich schien er es auf den Ammann abgesehen zu haben; aber für den stand der Nägelibodenbauer ein, der sich sonst ziemlich neutral hielt. Letzterer nahm den Eglihannes übers Knie und gerbte ihm das Fell, als sei es eine alte Ochsenhaut. Der Nägelibodenbauer hatte eine große Kaltblütigkeit und wußte viel, eben auch viel mehr, als der Eglihannes dachte. Er gab sich nicht viel mit Parieren ab, sondern hieb immer aus, ganz kurze Hiebe, welche Eglihannes ins Leben zwickten, ob denen er doch weder vermahnen konnte noch großen Zorn merken lassen durfte. Es gibt eine eigene Weise im Wortkampf, und das ist die verfluchteste, wenn sich nämlich einer aller Ausfälle des Gegners nicht achtet, gar nicht darauf antwortet, ausgenommen sie seien ihm ganz besonders bequem und dienlich, sondern immerzu auf ihn einreitet, kaltblütig Hieb um Hieb versetzt, ungefähr als wäre er ein österreichischer Korporal, der vor sich auf der Bank einen armen Teufel hat, ihn mit dem Haselstock ganz kaltblütig abflachset, ohne an dessen Geschrei sich irgendwie zu kehren. So ungefähr nahm der Nägelibodenbauer den Eglihannes zweg und züchtigte ihn ganz jämmerlich zur allgemeinen Freude. Er, der den Ammann reiten wollte, ward nun der allgemeine Sündenbock, dem Ammann ward die glänzendste Genugtuung, und der Abend ward so kurzweilig, daß die Männer den Lauf der Zeit vergaßen. Es war niemand, der dem Eglihannes zur Seite stand. Der Senn versuchte es einmal, aber ihm wurde die Lust dazu bald vertrieben. Der Senn meinte durch das erhaltene glänzende Zutrauensvotum ein großer Mann geworden zu sein, so viel als alle die Bauern da, welche es ihm gegeben, zusammengenommen und noch einmal mehr. »Ja«, sagte der Senn, als er einmal mit der Kaffeekanne hereinkam, denn er machte heute den Koch, »solche Männer sollten wir haben (wie Eglihannes nämlich), wenn es mehr deren geben würde, es ginge besser in der Welt! Da würden die Spieße gleich lang, z'plage begehrten die niemanden, und denen Großgrinde und Batzenklemmern würde der Marsch gemacht werden, da könnten die mindern Leute den Atem wiederfinden. Aber es kommt noch die Zeit, wo lauter Solche am Brett sind!«

Da gabs warmes Blut, da saß man nicht im Wirtshause, sondern im eigenen Gebäude in der Käsgemeinde. Das glaube er, sagte einer, »das käme noch Manchem kommod, nicht bloß dir, denn da könnte dann ein Schelm dem andern durch die Finger sehen. Ich aber begehrte nicht dabei zu sein, da müßte ich ein Doppelschloß an den Hosensack machen lassen, wenn ich bei Geld bleiben wollte, und die Frau an einem zweibatzigen Strick an mich anbinden, wenn die mir sollte sicher bleiben.« »Machs«, sagte der Senn, »aber wenn die rechte Zeit da ist, so werden weder Schloß noch Strick viel helfen, da ist der Stärkere Meister.« »Nun, da gehts dir übel, Senn«, sagte jener, »da wird nicht viel an dich kommen und an Eglihannes auch nicht; der weiß, wie es einem ist, wenn man unter der Treppe am Boden liegt.« »Das wäre zu probieren!« rief der Senn und steckte seine mächtigen Fäuste in die Hüften, daß die Arme so recht sichtbar wurden. »Ich mache mit jedem von euch! Welcher darf kommen und hat mit mir einen Hosenlupf?« »Wir sind hier keine Schulkommission, wo dSach mit Schwingen ausgemacht wird. Geh, hol Kaffee, die Kanne ist leer, und sieh zum Feuer, daß es nicht erlöscht«, sagte der Nägelibodenbauer und streckte dem Senn die Kanne über die Köpfe weg. Gern oder ungern, der Senn mußte abmarschieren; was er brummte, verstand man nicht.

»Was hast gemeint mit der Schulkommission und mit dem Schwingen?« fragte der Ammann. »Wo schwingt die Schulkommission? Erzähle!« »Es ist ein vornehmer Ort, wo das geschehen ist, sein Name soll verschwiegen bleiben. In diesem vornehmen Orte leben noch viel vornehmere, nicht mehr Schulmeister, sondern Schullehrer, Sekundar- und andere Lehrer, ja sogar zwei Schulkommissäre, man denke! Diese hatten einmal das Examen und nach demselben eine Mahlzeit, wobei auch die Schulkommission sich einfand, den Lehrern kurze Zyt zu machen. Appetit brauchte nicht gemacht zu werden, den brachten sie mit. Nun, das ging lustig zu, die Aufwart war gut, an Wein fehlte es nicht, und hinter dem Rücken lag der langwierige Winter mit seiner langen Schule; da ists natürlich, daß jeder, der wie ein Mensch fühlt, an einer langen Lustbarkeit großes Behagen findet. Endlich wurden die Einen satt oder kriegten sonst genug, wie man zu sagen pflegt, und kehrten heim zu ihren Weibern, ob geschmückt mit grünen Reisern, selb weiß man nicht. Von den Lehrern blieb der eine Schulkommissär, von den Mitgliedern der Schulkommission ein Schneider. Die junge Welt liebt Abwechselung, und den Lehrern ist nichts gescheit und gebildet genug. Sie ließen einen Zuber voll Wasser kommen, warfen ein Stück von einer Kerze hinein; dieses Stück sollte nun mit dem Maul angefaßt und herausgezogen werden – es sollte eine Probe über den entschiedenen Fortschritt sein. Das Spiel ging schön, und es soll ein lustiges Luegen gewesen sein. Die Schulmeister zeigten großen Eifer und viel Geschick, sie kriegten fast alle den Stumpen ins Maul, dabei aber auch nasse Gesichter. Nur einem wollte es nicht gelingen, die Kerze ging ihm immer in Krebs, und je eifriger er wurde, desto weniger kriegte er sie. Wahrscheinlich war sein langer Bart schuld daran, zu welchem er das Muster an einem alten Roßjuden genommen hatte. Endlich, als er so recht hitzig im Wasser herumschnappte, juckte es einen Kollegen; er fuhr ihm sanft mit der Hand übers Haupt, daß es tief unters Wasser und endlich triefend wie ein Neufundländer wieder zum Vorschein kam, Wasser speiend, gurgelnd, pustend, als wollte das Meer noch ein Meer gebären. Als das Wasser heraus war, kam das Feuer, kam der Zorn nach, und wenn er nicht eben erst beträchtlich gegessen, er hätte die Andern alle gefressen. Mit einem allein vorlieb zu nehmen, schickte sich ihm nicht, da er nicht wußte, wer der Täter war. Gerochen mußte die Tat sein, er forderte zum Schwingen auf und absonderlich das Mitglied der Schulkommission, den Schneider. Der war ein tapferer Mann und begann den Hosenlupf, war handfester als der Schulmeister, warf diesen auf den Rücken und das zweitemal sehr unsanft. Da lag er nun, der Schulmeister, von einem Schneider besiegt, das tat ihm weh, das mußte wiederum gerochen und eingetrieben sein. Er erklärte nun, auf dem Rücken liegen zu bleiben, bis der Schulkommissär mit dem Schneider gerungen und an ihm seine und des Standes Ehre gerettet hätte. Der Schulkommissär mußte sich dazu verstehen, wie billig, griff mit dem Schneider zusammen, trieb sich mit ihm in der Stube weidlich herum, aber der Schulkommissär gewann dem Schneider nicht ab, der Schneider dem Schulkommissär nicht; drob ging Beiden der Atem aus, der Sieg blieb unentschieden, es erklärten sich beide Teile für befriedigt, und der arme auf dem Rücken Liegende ließ sich erbitten, wieder auf die Beine zu stehen. Wahrscheinlich war er derweilen wieder durstig geworden, was ihn zum Frieden um so geneigter machte. Seither, wenn es dort etwas Zweispältiges gibt, heißt es: Machet es aus wie Schneider und Schulkommissär! So möchte es mit Schein auch der Senn, es wird aber kaum jemand Lust haben, auf diese Weise es auszumachen. Also, der Senn wäre der Schulmeister, der Ammann müßte den Schulkommissär vorstellen, und wer will Schneider sein?« so demonstrierte der Nägelibodenbauer. Zu dem Vorschlag hatte niemand Lust, am allerwenigsten der Ammann, aber seinen Nutzen hatte er dennoch, er leitete das Wetter ab und brachte den Senn zur Ruhe und den Witz wieder in Gang.

Es war Zeit geworden, aufzubrechen; nun ging es wieder hart über Peter im Dürluft her. Man bot ihm eine Schutzwache an, man riet ihm, den Senn mitzunehmen, es mit ihm zu machen wie Benz im Krautgraben einem seiner Freunde: Benz hatte sich auch wieder einmal verspätet bei lustigen Brüdern und jammerte sehr über das Gericht, welches nun seiner warte. Da erboten sich Einige, ihn zu begleiten und zu schützen, was ihm das Rechte war. Beim Hause angekommen, ging der Kühnste allein hinein, um dem Weibe zu sagen, was Trumpf sei. Aber wie er die Stubentür aufmachte, noch ehe er ein Wort sagen konnte, empfing ihn das Weib mit einem Hagel von Ohrfeigen, daß er anfangs ganz betäubt dastand wie Lots Weib, nicht einmal ans Retirieren dachte, geschweige ans Wehren. Da kams ihm endlich, er hätte genug, mehr nützte nichts, machte sich hinaus und sagte: »Jetzt, Benz, kannst ungsorget hinein, ich hab sie abgetan. Das ist gut für einmal, das nächstemal kannst wieder selbsten voran.« »Gäll, Peterli, das käme dir kommod, wenn dir immer einer voranginge, dazu schickte sich der Senn am besten. Wohl, den würde dein Eisi noch einmal so lieb haben, wenn es ihn einmal zwischen den Fingern hätte«, sagte man.

Peterli hatte es, wie es sehr oft geht: den Vorschlag hätte er verdammt gern angenommen, während er ihn ehrenhalber mit Entrüstung von der Hand wies. Es war ihm wirklich gar nicht geheim und die Beine sehr schwer, als er zu seinem Hause hinaufstieg. Es gelüstete den Nägelibodenbauer, dem Peterli nachzuschleichen und dessen Empfang zu belauschen, tat es aber doch nicht. Diesmal wurde also Peterlis Empfang nicht bekannt. Aufmerksame Beobachter behaupteten, sein Backenbart sei in jener Nacht beträchtlich dünner, die eine Backe aber auffallend dicker geworden als die andere, welcher Übelstand sich später jedoch wieder ausglich.

Die Frau Ammännin soll ebenfalls nicht rosenfarbener Laune gewesen sein. Sie behauptete, ihr Mann werde ihr Lebtag das gleiche Düpfi bleiben, und sei sie nicht dabei, mache er lauter dummes Zeug, schmecke nichts und rieche nichts, ließe sich in einer Stunde mit offenen Augen siebenmal verkaufen. Sie hätte es gleich gedacht, als man die Versammlung in der Käshütte angestellt, es werde da etwas gehen müssen, was niemand merken solle. Aber daß so was nicht mehr begegne, dafür sei sie gut, sie wolle schlau genug sein und den Nagel zu rechter Zeit stecken. Der Ammann brachte seine Vorwürfe auch vor, erhielt aber darauf zur Antwort: »Du hast recht! Die Nase hätte ich dir darauf stoßen sollen, ich hätte wissen sollen, wie du bist, nichts riechst und nichts schmeckst. Darum ist mir recht geschehen. Es ist eine Lehr für die Zukunft, das soll mir nie mehr passieren, zähl darauf! Aber gönnen mag ich euch, wenn Eglihannes, der Schelm, euch so recht vaterländisch betrügt, und das tut er; denk nur daran, daß ich es vorausgesagt!«


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