Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Neuntes Kapitel

Wie in der Vehfreude eine Kommission arbeitet, und wie sie wirkt

Mit dieser Wahl waren Viele nicht zufrieden, Andern fiel ein Stein vom Herzen. Die Frau Ammännin war sehr böse, alle ihre Erwartungen waren in die Brüche gegangen. Am ärgerlichsten war der Senn. Er wußte wohl, daß mit einer Untersuchung gegen ihn nichts anzufangen sei, und wenn noch ganz andere Spitznasen ausgeschossen würden. Sein Milchbuch war in der Ordnung, das Hüttengeld lieferte er ab; wer wollte ihm nachweisen, ob etwas an seinen Fingern kleben blieb oder nicht? Das Käsen und ihre Besorgung verstand er sichtbar; sie seien gut gemacht, hieß es allgemein. Wo war nun der, welcher erkunden wollte, ob alle Nidle, welche in den Käsen sein sollte, auch wirklich in denselben war? Aber den Bauern kam er bei einer solchen Kommission nicht auf das Leder, was doch so leicht zu machen gewesen wäre. Je ärger die es trieben, desto weniger konnte er machen und lief Gefahr dazu, daß alles fehle. Er bot sich unter der Hand an, die Ausgeschossenen zu begleiten, aber er stand nicht in dem Ansehen, in welchem an manchem Orte der Senn steht, wo er der Angel ist, um welchen das ganze Dorf sich dreht, so gleichsam der Schutzpatron. Der kleine Junge hatte ihn gleich anfangs schief gestellt, zudem waren die Vehfreudiger viel zu selbstherrlich, um sich von einem Knechte viel sagen zu lassen. Die Ausgeschossenen wiesen daher das verblümte Anerbieten trocken von der Hand.

Sie waren stolz auf den Ausschuß, er war wahrscheinlich der erste, in den sie gerufen wurden, und noch glücklicher waren ihre Weiber, als sie es vernahmen. Einmal sei es recht gegangen, sagten sie, es komme doch endlich, daß es sich zeige, wer das Vertrauen habe und wer nicht; zu diesem hätte man nicht jeden brauchen können. Sie waren nun die Glücklichen am Anrichtloch, sie hatten die ersten Nachrichten und konnten Instruktionen geben, wem die Ausgeschossenen aufsitzen und wem sie durch die Finger sehen sollten.

Derselben Aufgabe bestand hauptsächlich darin, daß sie den Ställen nachgehen, die Euter prüfen, die Milch untersuchen und messen sollten. Da kam es natürlich darauf an, daß sie zu unerwarteter Stunde kamen, damit man nicht etwa eine Kuh ungemolken lasse am Morgen, damit sie am Abend die doppelte Milch gebe, womit man es verbergen konnte, wenn man gewöhnlich mehr Milch in die Käserei geliefert hatte, als aus den Eutern der Kühe gekommen war. Natürlich wußten die Weiber der Ausgeschossenen um die abgeredeten Manövers, um Tag und Stunde ihrer Ausführung, und was Weiber wissen, geht auch auf Andere über. Weiber sind bekanntlich in ihren Wissenschaften wie in ihren Sünden wahre Kommunistinnen. Sie haben das von der Urmutter her, welche erst mit der Schlange klapperte, dann mit Adam den Apfel teilte. Freilich sagten sie es nur der liebsten Freundin, aber diese hatte wieder eine Liebste usw., so daß ziemlich alles offenbar wurde, was im Geheimen verabredet war.

Im Nägeliboden wußte man nichts, denn Bethi war keinem Weibe die Liebste; da hätte es fehlen können, wenn Ursache dazu vorhanden gewesen. Aber weder Sepp noch Bethi mochten so etwas; sie hatten genug zu tun, wie man zu sagen pflegt, aber sie hatten den Grundsatz, es möge ihnen gehen, wie es wolle, so müsse man ihnen nicht nachreden, entweder sie hätten es mit schlechter Sache verschuldet oder mit Betrug erworben. Gehe es in Gottes Namen, wie es wolle, so hätten sie sich weder des Unglücks noch des Glücks zu schämen. Dieser Grundsatz ist schön, aber nicht modern; da heißt es: Hilf dir selbst, so hilft dir Gott; mache, was du kannst, Andere machen es auch! Sie zogen das Letztere freilich in Betracht. »Sepp«, sagte Bethi, »es muß doch unverschämt zugehen mit der Milchlieferung; so und so viel geben die, und diese noch mehr, und jene haben kranke Kühe und mehren mit der Milch, statt zu mindern. Änneli berichtet Wunder, der Senn kann fast nicht mehr käsen, und viele Käse sollen gefehlt sein; so sind wir die Narren im Spiel, haben am Ende die geringste Losung und das Auslachen obendrein. Betrügen mag ich nicht, auszutreten wäre am besten.« »Da fehlte das Auslachen uns auch nicht, und den Schaden ersetzte uns niemand«, sagte Sepp. »Aber habe Geduld, so geht es nicht immer, das bessert. Es ist der erste Sommer, da will jeder anbringen, was er gehört oder selbst ersinnet hat. Geht es recht strub, so kommt es nachher desto besser, man lernt, sich nicht selbst das Bein vorzuhalten, und was ins Maß mag. Ließen wir uns verleiten, das Geringste uns zu erlauben, was Andere treiben, zähle darauf, es käme an Tag; dann könnten wir zusehen, wie es uns erginge, mit Schonen würde man sich nicht versündigen unseretwegen.«

Sepp hatte vollkommen recht, so wäre es gegangen. Die Ausgeschossenen mußten die Untersuchung zur Melkzeit vornehmen, sie hätten nämlich sonst kein richtiges Resultat erhalten. Zudem milcht man nur in Notfällen zur Unzeit, wenn es auch nicht so gefährlich ist, wie jener Wirt vorgab. Vor seinem Hause hielt nämlich eine gräfliche Reisekutsche um Mittagszeit, und die Frau Gräfin verlangte einen Becher kühwarme Milch. Der Wirt war gefällig, brachte bald einen Becher voll Milch, forderte dann aber auch einen Großen Taler. Die Frau Gräfin fragte verblüfft, ob denn hier die Milch so teuer sei? Nein, sagte der Wirt; aber da er die Kuh zur Unzeit gemolken, laufe er Gefahr, daß sie ihm ganz von der Milch komme.

Es geht zwar die Rede, auch in der Vehfreude seien Kühe heimlich gemolken worden zur Unzeit, und zwar von Solchen, welche selbst gern in der Kommission gewesen wären und derselben nicht trauten. Wie Schakals, Wölfe und möglicherweise auch Hyänen hinter kämpfenden Heeren herschleichen sollen, so schlichen auch welche hinter der Kommission her und visitierten, wenn niemand bei der Hand war, die Kühe, molken sie gar. War ein Kalb im Stall, so lösten sie nachher seine Bande, damit, wenn die Leute heimkämen, sie meinten, das Kalb hätte den Schaden angerichtet, und an ihm, dem Unschuldigen, dann ihren Zorn ausließen (halt ein Schicksal, dem die Kälber nicht entrinnen werden, solange es Kälber gibt). Diese Kommission mußte zu einer Melkzeit an mehreren Orten inspizieren, wenn sie fertig werden wollte in einer Zeit, wo das Rapportieren etwas abtrug. Sie erschien daher an einem Orte früh, an andern später; die Letztern waren begreiflich im Vorteil.

Im Nägeliboden erschienen sie sehr früh, früher als irgend, wo, Sepp hatte kaum zu füttern angefangen, pressierten sehr mit dem Melken, hatten Lust, es selbst zu machen. Das Letztere ließ indes Sepp nicht zu, meinte, wenn sie das Melchterli untersuchten, in welches er melke, ob er darin nicht Wasser mit unter die Kuh nehme, hintenher die Milch untersuchten, ob sie gesund sei und wieviel sie wiege, so wüßten sie alles, was sie zu wissen nötig hätten. Sie betrachteten mit Neid die Kühe, welche wohl am Leibe waren und von denen zwei noch nicht gekalbt hatten, sahen endlich mit Verwunderung, wie viel Milch Sepp über seine Lieferungen in die Käserei erhielt, und fragten ärgerlich: »Brauchst die alle selbst, oder verkaufst?« »Brauche sie selbst«, sagte Sepp, »steht ja im Reglement, daß man keine nebenaus verkaufe«. »Mit Schein bist Liebhaber von der Milch«, sagte einer der Fecker, den es verdammt ärgerte, daß sie nichts gefunden und Sepp mehr Milch daheim behielt als er. »Allweg«, sagte Sepp, »was hat der Bauer Besseres? Wer hart arbeiten muß, muß gut zu essen haben, und mutet man seinen Leuten viel zu, muß man es ihnen auch recht gönnen!«

Sie gingen geärgert dem Dürluft zu, wo Eisi ihrer harrte und nicht warten mochte, bis es vernahm, wie das Hexenpack da unten es treibe. Als es hörte, wie gut es bei Sepp stehe, die Kühe so brav seien, die Milch gut und gegen Herbst zu noch mehren werde, weil nicht alle Kühe gekalbt, da ward Eisi bös und sagte: »Da hat mans wieder! Wenn die nicht eine Donners Hexe wäre, dSach wäre auch anders. So eine Hexe kann es zwingen, hat man ja Beispiele von Exempeln, daß so einer der Holzschlägel auf dem Estrich kalbte und es Nidle gab auf dem Wasser im Brunnentrog, daß sie kübelweise abnehmen konnte. Aber daß so eine auf gesunden Beinen herumläuft, ist nicht recht, ney, my Seel ischs nit! Aber es ist, wies ist! Es nimmt mich nur wunder, wie lang der Akkord währt und ob ich es erlebe, daß Er mit ihr lebendigen Leibes abfährt. Wenn es nur am Sonntag wäre, gerade wenn die Predigt aus ist und so recht viel Leute ihre Freude daran haben könnten!« Wie es auf dem Dürluft aussah im Stall, vernahm man nicht, es wurde darüber nichts berichtet, wie über die meisten andern Orte nicht. Dennoch muß die Untersuchung gründlich gewesen sein, wenigstens war es Mitternacht, als die Kommission vom Dürluft weg nach Hause stolperte.

Die ganze Untersuchung lieferte zwei Resultate, von denen alles Übel herkommen solle; das Andere sei alles sauber, hieß es, durch und durch. Bei Sepps Hannese Durs sei eine große blecherne Bränte, die schlecht gelötet sei, darin saure die Milch und stinke, man möge waschen und reiben, so viel man wolle. Dem Bauer könne man aber nicht schuld geben und ihn verantwortlich machen, er hätte sein Möglichstes getan. Zweimal hätte er sie nach Bern zum großen Spengler (Löter) getragen, sie entweder neu z'binde oder neu z'löte, auf welchem besonders die Guggisberger so viel hätten, aber beidemal sei es nachher böser gewesen als vorher. Der Bauer hätte erst seither vernommen, wie dem Spengler das Gesicht böset heyg, er löte manchmal viel Wochen hinter einander acht, zehn Stunden im Tag am gleichen Loch, und allemal am Morgen sei das Loch wieder da und noch weiter als am Tage vorher. Sie hätten ihm daher die Bränte abgeschätzt, er habe auch bereits eine neue angeschafft. Dann sei ein zweiter Fall, und der sei anders. Die Lismerlise im Bohnenloch kennten alle; wenn eine dem Teufel vom Karren gefallen, so sei es die. Sie könnten nicht begreifen, warum man die aufgenommen, aber es sei ihr stark z'best geredet worden; warum, wüßte man eigentlich wohl. Die habe meist nur eine Kuh, und wenn sie auch zwei habe, so machten die zwei kaum anderthalbe Geiß aus. Was solche Kühe für Milch geben, könne man sich abklavieren. Schon ehe sie beim Hause gewesen, habe die Lise ihnen wüst gesagt, vorgehalten, sie täten kleine Schelme suchen, um die großen laufen zu lassen; sie brauchten nicht weit zu laufen, um das zu finden, was sie in den eigenen Hosen hätten. So sei es fortgegangen während der ganzen Zeit Stich um Stich, und einer verfluchter als der andere, daß es sie manchmal gedünkt, sie möchten sie unter die Kuh in den Mist schlagen. Indessen hätten sie ihre Sache fortgemacht und wenig geantwortet. Es hätte sich jeder in acht genommen, denn wie einer das Maul aufgetan, habe er eine Handvoll drin gehabt, daß er fast daran erworget und es die Andern gelächert, sie hätten mögen wollen oder nicht. Da hätten sie aber alles ganz unter allem Begriff gefunden: unsauber das Geschirr, nicht halb so viel Milch, als sie geliefert, und noch dazu ziegerige, daß es für gewiß anzunehmen sei, daß da ein offenbarer Betrug zutage liege und man die ausschließen müsse. Das gebe ein Exempel für Andere; die kehrten sich dann doch vielleicht daran in Zukunft. Was dann in der Käshütte vorgehe, hätten sie auch untersucht, aber da nichts finden können, daß man sagen könne, es sei nicht recht. Der Senn halte die Geschirre sauber, salze fleißig, sei bei der Sache, liefere das Hüttengeld nach Vorschrift ab, aber ob alles, das wüßten sie nicht. Es sei da bös nachzusehen: man könne nicht jemanden haben, der da verkaufe und das Geld fasse. Darüber werde an allen Orten geklagt, aber abhelfen könne man kaum, man müsse da Fünfe gerade sein lassen. Ob sonst etwas abhanden komme, könne man nicht wissen; man könne keine Wache haben, welche aufpasse, was des Nachts aus- und eingehe, und dann könne man am Tage in Bränten und Fausterli Nidle statt Käsmilch oder Ankenmilch forttragen, und visitieren könne man nicht allemal. So ein Senn sei schlimmer als der Teufel. Hüttengeld sei ziemlich vorhanden, und Gefahr sei keine, daß der Hüttenmeister damit betrüge, wie man Beispiele von Exempeln selbst an Ratsherren habe.

So ungefähr lautete der Bericht. Derselbe befriedigte nur Wenige, bloß die, welche allzu grob in dem Ding waren und erwarten mußten, daß sie voran müßten, wenn mit dem mindesten Ernst verfahren würde. Die Frau Ammännin in der Nebenstube fuhr fast aus der Haut; bloß die Sticheleien wegen dem Fauster und der Nidle besänftigten sie so weit, daß sie nicht herauskam. Eine Menge Andere wurden böse, weil man diesen oder jenen nicht an einem Stricke dahergebracht, um ihn zu hängen. Der Ammann oder Hüttenmeister hatte ein wohltuendes Bewußtsein: erstlich, weil sie gesehen, daß er, der Hüttenmeister, sich in nichts verfehlt; zweitens, weil man jetzt sehen könne, daß wenn man andere Leute ausgeschossen hätte, ihn zum Beispiel, die Sache doch anders abgelaufen wäre. Eglihannes im Saubrunnen ward ebenfalls sehr böse, noch böser als die Frau Ammännin in der Nebenstube. Die Sticheleien mit der Nidle behagten ihm nicht, und noch weniger die Geschichte mit der Lismerlise im Bohnenloch. Mit der Lismerlise stand er in Verbindung, hatte allerlei Verkehr mit ihr, machte ihr ihre Sachen, fühlte sich verpflichtet, den Fürsprecher zu machen, und tat es doch verdammt ungern, denn seine Frau haßte die Lismerlise wie ein Schwert, hatte vielleicht auch Ursache dazu.

Darum gab es eine tiefe und lange Stille. Die Manne stützten die Ellbogen auf die Knie, zogen an ihren Pfeifen wie die Rosse eines Kachelifuhrmanns am Kachelikarren und harrten auf das Weitere. »Seh, was meiner ihr, gebt eure Meinung, es soll doch jeder sagen, was ihn düecht, es hat sich ja niemand z'schinieren. Es ist besser, ihr redet jetzt, als hintendrein dieses und jenes zu muckeln«, so hatte der Hüttenmeister schon zum zweiten Male gesprochen, und alles war still geblieben. Da sagte der Hüttenmeister zum dritten Male: »He, wenn niemand reden will, so will ich mehren, dFinger werdet ihr dann schon aufheben. Seh, wer dr Meinig ist -«


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