Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Siebenzehntes Kapitel

Die Abteiltig

Einige Tage nach diesem Vorfall kam ein sehr wichtiger Tag, die sogenannte Abteiltig. Das ist ein dreifach wichtiger Tag, wir möchten es fast das Fest der Erstlinge nennen. Da wird der eingegangene Drittel oder die Hälfte des Kaufpreises verteilt, ungefähr nach der Lieferung von Milch der Anteilhaber, es wird der vorrätige Käs verteilt oder verlost, und endlich ist von der Wiederanstellung des Senns wenigstens die Rede, wenn sie auch nicht erfolgt. Man kann sich denken, was dieses für ein wichtiger Tag ist, für manche Haushaltung was ein schöner Regen für einen Kabis, oder Bohnenplätz nach sechs Wochen Tröckene. Vom Mai bis in den Oktober hat man weder Anken noch Milch verkauft, wenig Eier, dieweil im Sommer die Hühner entweder brütig sind oder sich mausern, anderes hat der Bauer im Sommer wenig zu verkaufen, es sei denn, er habe Mehrjähriges im Vorrat; und doch braucht er im Sommer viel Geld, hat fremde Leute und Handwerker, braucht viel Kaffee und Essig zu Speck, Salat und grünes Fleisch, besonders an der Sichelten. Ach, wie oft hat die Bäuerin Not gelitten und Angst ausgestanden, wenn sie um Geld fragen mußte zu nötigen Dingen, wenn sie gar einmal schröpfen oder zu Ader lassen wollte oder sogar baden gehen! Jetzt kams wieder, jetzt ging der Mann, Geld zu fassen, am Abend kam welches ins Haus, ein ganzer Bündel; man denke, wie das ein Blangen sein, wie starke Gemütsbewegungen es geben mußte. Wie oft wohl ward an selbigem Tag überschlagen und berechnet, wie groß der Sack sein müßte, in welchem man das Geld nach Hause tragen könnte!

Die Anstellung des Senns ist sehr oft von großer Bedeutung, erregt fast noch mehr Bewegung und Spannung als die Geldfrage, und zwar nicht einmal wegem Käsen oder wegen der Ehrlichkeit, sondern wegen etwas ganz anderm. Ist der Senn verheiratet, so hassen gewöhnlich alle Weiber seine Frau; wenn er sie bei sich hat, muß er sie entweder wegtun, oder es wird ihm der Dienst aufgesagt. Die guten Weiber, welche so mager mit der Milch abgespiesen werden, Nidle gar keine mehr brauchen sollen, können es gar nicht ertragen, eine Einzige im Dorfe in Milch und Nidle sitzen zu sehen wie eine Wachtel im Hirse und morgens und abends und wenn sie sonst noch mag den schönsten Nidlekaffee machen zu können ganz nach Belieben. Nun gibt es wirklich Senninnen, besonders wenn sie vorher magere Bauerntöchter gewesen, welche sich diese Lebweise ganz absonderlich behagen lassen. Es gab zu N. N. eine, die keinen andern Kaffee kaufte als Mokka, das Pfund für zehn Batzen, während vornehme Weiber meinen, wie sie sich angreifen, wenn sie für das Pfund vierundeinenhalben Batzen geben. Dazu brauchte sie dicke Nidle, welche kaum laufen konnte; das schmeckte ihr. Die Weiber im ganzen Bezirk bersteten aber vor Neid, und im Herbst konnte der Mann wandern. Gar vielen Senninnen dagegen wird eine solche Lebweise sehr lästig, und sie beneiden die Bäuerinnen um ihre Speisen so sehr wie diese sie um Butter und Nidle, und von Herzen gern würden sie mit ihnen tauschen. Da hilft aber alles nichts, ob gern oder ungern, darauf treten die Weiber nicht ein; es soll einmal Keine im Dorfe sein, welche im Überflusse hat, an was die Andern Mangel leiden und den Mangel bitter fühlen.

Ganz anders gestaltet sich die Frage, wenn der Senn keine Frau hat, sondern noch zu haben ist. Hier wird die Sache verwickelt, weil dessen Gunst zu verschiedenartigen Zwecken gesucht wird, von den einen Weibern, um zu einem Tropfen Nidle zu kommen ohne viel Geld, von den andern um ihrer Töchter Willen, wobei natürlich die Töchter selbst eine bedeutende Rolle spielen. Frau Sennin zu werden ist lockend, ist besser als manches Staatsamt; der Posten ist lebenslänglich, der Lohn ist groß, und so den ganzen Sommer Milch und Nidle genug und Butter im Überfluß, wem sollte bei solcher Aussicht der Mund nicht süß werden! Je nachdem nun der Senn sich zu gebärden weiß, Hoffnungen erregt oder Täuschungen sich hat zuschulden kommen lassen, gestalten sich die Stimmungen, gruppieren sich die Parteien. Diese werden begreiflich durch die Männer vertreten, da die Weiber einstweilen noch schweigen müssen in der Gemeinde. Diese Männer wissen aber zumeist gar nicht, worum es sich eigentlich handelt; sie vertreten eine Meinung, deren Ziel ihnen durchaus unbekannt ist, deren eigentliche Motive sie nicht ahnen. Die Weiber sind darin aus Instinkt durchaus wie die Radikalen, sie lassen es sich nicht von ferne merken, was sie eigentlich möchten und wohin sie steuern; sie wissen, was sie für handgreifliche Liebkosungen zu erwarten hätten, wenn die Männer die Tendenzen merkten. Mit diesen halten sie wohlweislich hinterm Berge und spielen mit den Männern Blindekuh, bis dieselben auf die Falle trappen, welche ihnen gelegt ist. Man sieht: wie die Erde rund ist, daher eigentlich nirgends oben oder unten ist, so ists im Grunde auch mit der Menschheit; da ist nichts oben, nichts unten, nichts hinten, nichts vornen, sondern sie ist überall die gleiche; drehe man sie, wie man will, kriegt man immer die gleichen Menschen in die Finger.

Diese Abteiltig wird entweder im Wirtshause abgehalten oder in der Käshütte. Wo das Letztere der Fall ist, da gestaltet sie sich am naturgemäßesten. Nach abgetanen Geschäften wird da der Versammlung durch den Senn aufgewartet mit eigenen Produkten. Ein Käs wird in große Stücke zerhauen, diese auf den Tischen verteilt. Dazwischen stehen Näpfe mit Nidle und Ankenbällchen, schwarze Brote liegen herum, vor jedem Platze ist ein Kaffeekacheli und ein Löffel. Da lassen sich nun die Männer so recht wohl sein, und jeweilen einer packt ein, als ob er reisen wollte bis nach Kalifornien, ohne weitern Mundvorrat einnehmen zu müssen.

Diesmal kam die Versammlung nicht so vertrümpelet zusammen wie sonst. Ziemlich zu rechter Zeit waren alle beisammen, und zwar in der Käshütte. Vorerst wurde das Geld so ungefähr verteilt, die eigentliche Rechnung wird im Frühling geschlossen. Was das für vergnügte Augen gab, als man wieder einmal so recht ordentlich Geld beisammen sah, und wie behaglich es denen wurde, die ihre Portion in der Tasche hatten; sie brachten die Hand gar nicht davon weg und mochten fast nicht warten, bis sie daheim es wieder ausleeren, gschauen und zählen konnten. Einige hatten hundert Taler empfangen, Andere freilich viel weniger, als sie gedacht; sie hatten sich zu ihren Gunsten verrechnet, wie es ja größern Rechenmeistern, als die meisten Vehfreudiger waren, nur zu gern zu geschehen pflegt, sie hatten an die dreißig nichtverkauften Käse nicht gedacht, an dieses und jenes nicht, daher das Behagen nicht ein vollständiges war.

Mit besonderen Nachdruck hatte der Ammann das Hüttengeld in einem großen Sacke wohlgezählt auf den Tisch gestellt, daß es weitherum erklang. Da sei es, hatte er gesagt, er habe saubere Finger, es könne es jeder zählen, wenn er wolle, aber hintendrein solle ihm niemand etwas nachreden, und tue es einer, solle er sich in acht nehmen, gnädig gehe es dem nicht ab. In seinen Nutzen hätte er den ganzen Sommer keinen Kreuzer verwandt, wie er einen empfangen, ihn zum andern gelegt. Er habe es auch nicht nötig gehabt, er sei gottlob nicht auf der Tröckene daheim; den Herrn zu machen begehre er nicht, und begehre er es, so vermöchte er es mit eigenem Gelde und brauchte es nicht dem Lande abzustehlen oder sonst jemanden. Eglihannes, dem diese Worte galten, kriegte den Schnupf in die Nase. Es sei kommod so, sagte er; wers hätte, brauche es nicht mehr zu stehlen, und noch kommoder sei es, daß nicht jeder Kreuzer, den man hätte, das Zeichen trüge, wie man ihn erhalten. Es täte Mancher weniger groß, wenn die Kreuzer gezeichnet wären: gerecht oder ungerecht. Am kommodsten kam es dem Eglihannes, daß der Ammann jemanden Bescheid geben mußte und die letzten Worte nicht hörte.

Darauf wurden die halbfetten Käse verteilt, welche vor und nach dem eigentlichen Mulch gemacht und zumeist ins Haus gebraucht werden. Sie sind recht gut; wer nicht bei ganz guten verwöhnt ist, würde sie vortrefflich finden. Sie sind sehr kommod, ziehen manche Hausfrau aus der Verlegenheit, wenn sie etwas aufstellen soll und nichts in Bereitschaft hat. Fleisch muß man bekanntlich erst kochen, ehe man es brauchen kann, und die Butter muß süß sein in der Schweiz, wenn man jemanden damit aufwarten will. So ein Käs ist nicht unbequem. Eine verständige Hausfrau kann hier oder dort aus ein Pfündlein fliegen lassen und zu einem Kreuzer Geld kommen, der Mann ärgert sich nicht darob, dieweil er es nicht merkt.

Nun kam man an die ausgeschossenen fetten Käse, was nun mit denen? Da war guter Rat teuer. Sollte man sie auch zerhauen oder verteilen und dann jeder mit seinem Stück marketenden lassen nach Belieben? Sollte man sie alsbald versteigern Stück um Stück? Hatte ja doch jedermann Geld bei sich, um das Ersteigerte alsbald zu bezahlen. Oder sollte man alles auf Rechnung der Gesellschaft samthaft oder stückweise an Mann zu bringen suchen und dann im Frühjahr den Erlös mit dem Übrigen verrechnen? Das waren Fragen. Da wars, wo dem Eglihannes sein Einmischen und sein Käsherr stark in die Nase gerieben wurden. Hätte man den Männern geglaubt, wäre man jetzt draus und dänne und wüßte, was man hätte. So kriege man vielleicht gar nichts oder ein Gstümpel, hier einen Batzen und dort einen Batzen, daß man nichts damit machen könne, daß es sei wie nichts. Er werde aber wohl gewußt haben, warum er so geredet, sein Schade werde es nicht gewesen sein. Es sei aber gut für ein andermal, Erfahrung bringe Wissenschaft. Eglihannes blieb die Antworten auch nicht schuldig, ließ sie in den letzten Vorfall hinüberstreifen, erhielt scharfe Rückfuhren, doch so gestellte, daß er nichts damit machen konnte.

Die Verhandlung hätte sich ins Unendliche gezogen und wer weiß, zu was noch, wenn nicht weisere Männer zum Abschluß getrieben hätten. Käs nehmen noch einmal und ihn im Kleinen verschachern war den Meisten zuwider, das Versteigern ebenfalls. Die Meisten brauchten das Geld nötig, brachten es wenigstens erst gern vollständig nach Hause, zeigten es den Weibern, von denen sie wohl wußten, daß sie ungläubig waren wie Thomas und an des Geldes Existenz nicht glaubten, bis sie die Hände darauf legen konnten. Der Ammann und Einige hatten wohl Geld, aber anderes zu tun, als um Käs zu handeln. Einige zeigten Lust zum Kaufen, aber sie wollten ihn weit unter dem Preis und nicht um bares Geld, mit dem wollten sie warten, bis es sich ihnen wohl schicke. Das Blut ward heiß, die Worte giftig. Da sagte Eglihannes: »Ume hübschli und nicht so obenherab. Bis im Frühjahr zur Käsrechnung will ich die Käse verkauft haben und das Geld schön darlegen, es nähme mich dann wunder, was da aufzubegehren sei.« Wenn es so wäre, wenn man darauf gehen könnte! hieß es hier und dort. »Selb wär kurios, wenn man nicht darauf gehen könnte«, schrie Eglihannes, »mit dem Gelde laufe ich nicht fort, nicht nach Amerika, das wäre mir noch zu wenig!« Und wer den Vorschlag von Eglihannes ermehrete und ihm den Verkauf der ganzen Partie übergab, das waren unsere Vehfreudiger – so konsequent waren sie! Offen redete kein Mensch dagegen, und das Gemuckel von Einigen, das gefalle ihnen nicht, wenn man das Geld nur schon hätte, Versprechen und Halten seien zwei, ward nicht gehört. Möglich, daß aus einer gewissen Schwäche, um nicht in der Minderheit gesehen zu werden, selbst diese noch die Hände aufhoben.

Nun gings ans dritte Geschäft. »Und mit dem Senn, wie wollt ihr es da? Gebt eure Meinung«, sagte der Ammann, welcher dachte, das sei eine abgemachte Sache, den gegenwärtigen dinge man nicht mehr. Es war den ganzen Sommer über ein Gemuckel über ihn gewesen wegen diesem und jenem, und den Meisten war er nicht anständig, weil er der radikalen, kleinen Partei sich angeschlossen hatte, dem Eglihannes und dem Schulmeister, und mit diesen im Wirtshause das große Wort führte. Darüber zürnte ihm besonders der Ammann, der nicht gewohnt war, daß ihm ein Untergebener widersprach, besonders im offenen Wirtshause, daß einer, der Lohn bezog und nicht da daheim war, sein Maul in alles hing und noch dazu Partei machte, das sogenannte untergebene Volk bearbeitete und auf Wahlen einen Einfluß zu üben versuchte, Leute lästerte und heruntersetzte, welche er, der Senn, nie gesehen, der Ammann aber liebte und schätzte. Das konnte der Ammann nicht verwerchen; er dachte, es hätten es alle wie er, betrachtete die Sache als ausgemacht, verständigte sich daher nicht weiter mit jemanden darüber.

Aber der Senn war ein hübscher Bursche, ledig, mit anfechtigem Maul begabt, von dem die Sage ging, er habe schönes Vermögen, gespartes und ererbtes, wer ihn zum Manne kriege, mache einen guten Schick; zudem mochte er auch etwas von dem klugen Haushalter gehört haben, der mit dem ungerechten Mammon sich Freunde machte. Nur statt ungerechtem Mammon mag er ganz unschuldige Nidle gebraucht haben, hier ein Tröpflein, dort ein Tröpflein. Was schadete das der Bauersame! Sie hatte nicht desto weniger Käs, und wenn der Kaiser von Rußland den Käs etwas minder fett aß, so schadete das sicher seiner Gesundheit nichts, und lebte die Bäuerin, oder wen er beschenkte, so wohl am Tröpflein Nidle, warum ihr das nicht gönnen! Diesem Tröpflein spürten sie durchaus keine Politik an, es war fett und süß, wie Nidle ist, was sollten sie sich daher um des Senns Politik kümmern! Und kümmerten sie sich darum, so waren sie seiner Meinung. Einer, der es so gut mit ihnen meine, während ihre Männer Ufläte seien, sei ein rechter Bursche, meine es mit allen gut, habe am kleinen Finger mehr Verstand als die Andern alle zusammengenommen an Händen und Füßen. Die Andern seien nur neidisch auf ihn, könnten ihm auch nicht vorhalten, er sei ein Fötzel, der sei von gutem Haus und sitze im Trocknen. Das Meitschi, welches den bekomme, sei zehnmal glücklicher als das, welches so einen hundshärigen Gnägibauer bekäme, wo ein Hund gegen ihns ein Herrenleben hätte, sein Gutleben in Kindbettliegen sei und es nie Sonntag habe jahraus, jahrein, als wenn der Mann ein Zinslein zu vertragen hätte. So stand der Senn im Glanz hinter des Ammanns Rücken bei der weiblichen Bevölkerung, und wenn sie politische Rechte gehabt hätte, wie es vor Gott und Menschen eigentlich billig wäre und kürzlich in einem Club in Bern der Antrag gestellt worden sein soll, so wäre sie ihm nachgefolgt durch Dick und Dünn wie die Kinder zu Hameln dem Rattenfänger, und er wäre ihr Präsident geworden wie Louis Napoleon der Präsident der Franzosen. Der Senn war aber auch ein Pfiffikus, stand auf hohem, allgemeinem Standpunkte; bis zur Stunde wußte man nicht, wer seine Auserkorene sei, aber jede lebte in sicherer Hoffnung, daß wenn einmal diese Stunde komme, es keine Andere sei als sie. Das ist eine Kunst, welche die wenigsten Sennen verstehen; sehr viele verplempern sich, sobald sie Herr in einer Käshütte werden, ungefähr wie Kronprinzen auch alsbald heiraten, sobald sie auf den Thron kommen, manchmal sogar schon früher.


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