Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Vierzehntes Kapitel

Die große Käsbörse zu Langnau

Sind alle Berichte abgelegt, die vereinzelten Notizen zusammengezogen, ist der ganze Schlachtplan entworfen und eingeprägt, dann stärkt man sich und ruhet, akkurat wie vor einem großen Schlachttage der kundige Feldherr ruhet samt seiner ganzen Armee, bis die Trompeten blasen, das heißt bis die Weiber den Männern mit den Ellbogen in die Seite fahren und sagen: »Auf, Alter, auf, oder willst heute der Letzte in Langnau sein?«

Langnau und immer Langnau, was ist denn das »Langnau«? werden viele meiner Leser fragen. Ach, das Langnau, das ist ein gar allerliebstes Ding, kein Dorf, kein Flecken, keine Stadt, akkurat wie Mädchen auch am allerliebsten sind, wenn man von ihnen nicht zu sagen weiß, sind sie noch Kinder oder Jungfrauen oder gar schon Weiber: Langnau ist ein Schoßkind der Berge, auf denen die Emmentaler Käse wachsen, ist daher der natürliche Käsehafen, in welchem die Produkte der Berge landen, daher billig auch die große Käsbörse oder Käsauktion hier abgehalten wird, wie Kaffee, Zucker usw. aus Java und Batavia in Amsterdam oder Antwerpen verauktioniert oder verholländert werden. Thun, Erlenbach, Frutigen werden vielleicht gegen Langnaus Bedeutung Einsprache erheben und behaupten, es werde an ihren Märkten so viel Käs verkauft als in Langnau. Wir wollen nicht disputieren, daß Thun, Erlenbach und Frutigen nicht sehr berühmte Orte seien, aber das behaupten wir, daß keins derselben einen solchen Käsklang hat wie Langnau. Es ist auch natürlich: die Oberländer Käshändler sind rare Vögel im Emmental, die Emmentaler dagegen sehr gekannt im Oberland.

Langnau, an der Mündung mehrerer Täler, ist gleichsam das Schloß am größten Buche, am Entlibuch, ist der Hauptmarkt nicht bloß des Emmentals, sondern auch des Länderbietes. Langnau ist eine bedeutende Pulsader, wo Blut zuströmt und nicht alles wieder wegströmt. Was ich des Tags mit der Leier verdien', das geht des Nachts wieder alles dahin! paßt nicht ganz auf Langnau. Erstlich ist nicht bekannt, daß die Langnauer viel mit der Leier verdienen, zweitens aber ist bekannt, daß sie nicht meinen, was sie des Tags verdienen, müsse des Nachts wieder alles dahin. Es heißt sogar von Langnau: in Langnau existiere bis auf den heutigen Tag noch eine Polizei. Die Langnauer vom rechten Schlage sind ehrbare, anständige Leute, von echtem Emmentaler Blute, mit gutmütigen Gesichtern und schlauen Köpfen, arbeitsam, einfach, ausdauernd, hassen den Schein und lieben das Wesen. Freilich ists auch wie anderwärts, es artet zuweilen ein Sprosse aus und wird ein aufgeblasener Lümmel, und zwischen das echte Holz drängt sich Gestrüppe. Die Langnauer sind nicht sogenannte Sommerherren, wie man sie anderwärts findet, überhaupt nicht sogenannte Herren, sondern Männer, welche Sommer und Winter zu leben haben, und nicht bloß für sich, sondern so Gott will auch für Kinder und Kindeskinder, leben auch nicht von einer Ersparniskasse, sind kleine Leute und stellen große Herren vor, groß wie Türken und Heiducken oder Heidschnucken. Sie selbst treiben den Käshandel stark und wirklich meistens mit eigenem Gelde.

Hier nun strömt es zusammen, von den Bergen, aus den Tälern, akkurat wie die Wasser in einen Bergsee, den Brienzersee zum Beispiel, wenn über den Bergen die Wolken brechen. Wie das am Tage vorher schon sich rührt und tummelt! Da merkt man, wie man steht am Vorabend wichtiger Ereignisse. Am Morgen brüllt das Vieh durcheinander wie in der Arche, wenn Noah sich verschlief und das Füttern vergaß: Kühe, Schafe, Schweine, Geflügel, welchen das Messer an der Gurgel sitzt, nur die armen Tauben werden schweigend abgetan. Im Blute schwimmen Wirte und Metzger, hacken und wursten, daß sie am Ende selbst aussehen als wie ungeheure zweizentnerige Blutwürste. Die Bäcker hantieren im Mehl und heizen ihre Öfen, daß die Frau Lot abermals zu Salz geworden wäre, wenn sie Langnau vom Berge herab gesehen hätte. Bäcker ist ein uralter aristokratischer Beruf. Der erste, welchen wir kennen, war Pharaos Hofbäcker und wurde gehängt. Wird ein Schalk gewesen sein, und kurios, etwas von Schalkhaftigkeit muß den Bäckern geblieben sein. So ein Markttag ist ein wahrer Erntetag für sie, da brauchen sie wenig Mehl und viel Brot. Aber nicht nur die Bäcker wissen das Glück beim Zipfel zu fassen, die Wirte sind auch nicht dumm, ja sie sind noch feiner als die Bäcker; was die Einen in heller Backstube treiben, so bloß in einer weißen Mehlwolke, das treiben die Wirte im Keller in purer, lauterer Finsternis. Darum kam es dem Mundschenken Pharaos auch nicht aus, was er getrieben hatte, sondern Pharao ließ ihn nicht nur gesund wieder laufen, sondern nahm ihn wieder zu Gnaden an, setzte ihn wieder ans Faß. Wird ihm doch heimelig gewesen sein, dem Mundschenken, als er wieder am Fasse saß. Die Wirte sitzen ebenfalls im Keller und machen Wein. Wer nicht aufgeklärt ist und nicht im Fortschritt, meint, unser Herrgott mache eigentlich selbst den Wein und derselbe wachse in den Weinbergen; aber jeder Seminarist weiß jetzt, daß dies anders ist. Was Gott macht, lassen die Bescheidenen dahingestellt. Darin aber sind Bescheidene und Unbescheidene einig, daß in den Weinbergen, sprachlich genommen, nicht Wein wächst, sondern bloß Trauben und daß bis auf Wurst (Verfasser einer deutschen Schulgrammatik)den Sprachkünstler die Welt in Finsternis gelegen, akkurat wie in einem Kerker. Aus den Trauben wird Most gekeltert, Most kommt in Keller, im Keller macht sich erst der Wein selbst, und aus dem einfachen Weine macht erst der Wirt den zusammengesetzten Wein, den sechs-, acht-, zehn-, zwölfbatzigen. Ja es soll Wirte geben, welche, um zehnbatzigen zu machen, gar keinen Wein brauchen, sondern ganz was anderes.

Am Vorabend wichtiger Ereignisse sitzen also auch in Langnau die Wirte im Keller und machen Wein, sechs-, acht-, zehnbatzigen; der zwölfbatzige ist gewöhnlich bereits gemacht und liegt behaglich in wohl- und schlechtvermachten Flaschen. Es reuet die Guggers Wirte nur gar zu oft, mit neuen Zapfen die Flaschen zu vermachen, nehmen alte, graue, rote, zerbröckelte, angebohrte dazu, wie sie ihnen in die Finger kommen. Werden glauben, der Wein sei an die Zapfen zu wagen, und sei in einer Flasche der Wein nicht gut, sei es bequem, dem Zapfen die Schuld zu geben. Nun, wenn sie auch nicht immer nach Witzens Rechenbuch fahren, namentlich beim acht- und zehnbatzigen, sondern sich verschießen, so ist Irren menschlich und im Keller ist es finster. Zudem erfordert es eigentlich sowohl Staatsklugheit als Menschenliebe, daß man die Köpfe an Markttagen nicht zu sehr erhitze, denn man hat Beispiele von Exempeln, daß an solchen Tagen gern hitzige Fieber ausbrechen, was großes Blutvergießen zur Folge hat. Die Neuhausische Staatsmoral oder Staatsraison scheint daher noch mehr dumm als verwerflich, eine wahre commis voyageur-Moral, die will bloß heiße Köpfe, aber kein Blut. Wenn sie recht tapfer eingeheizt, soll es kalt wieder ablaufen, ungefähr wie das Wasser in einer Flachsspinnerei. Da sind wirklich die Wirte praktischer und selbst die dümmsten. Sie nehmen für eine Maß Wein lieber zehn als nur sechs Kreuzer. Das ist begreiflich, aber sie haben doch nicht gern zerbrochene Gläser, Flaschen, Mobilien und andere Molesten; darum heizen sie so schwach als möglich ein, und ist das nicht vernünftig? Hat man einen vernünftigen Zweck, muß man doch auch die passendsten Mittel wählen, und warum Wasser sparen, was gar nichts kostet! Während so der Wirt am Fasse sitzt und Zehnbatzigen macht in aller Behaglichkeit, tut oben die Wirtin wild und schlägt Pasteten mürbe, die Köchin rupft zornig Tauben und andere wilde Tiere, Mehl und Federn verfinstern die Luft, und Küchliduft schlingt sich mittendurch, zart und weich, mild und fein; man weiß gar nicht, woher er kommt und wohin er geht.

Mit großem Gepolter werden die Krämerstände aufgeschlagen, und in aller Stille untersuchen Mädchen ihr Takelwerk, versuchen die beste Manier, sich aufzudonnern ganz wie nagelneu, die Segel in den besten Wind zu stellen. Wer nur zwei Hemden besitzt, hat eins am Zaune hängen und sieht fleißig nach dem Trocknen, es pressiert ihm wegem Plätten. Schneider- und Näherinnen stechen sich die Augen wund und legen es abermals an den Tag, wie sie gerade das Gegenteil vom lieben Gott sind und nie halten, was sie versprechen. Vergeblich schlägt die Turmuhr Stunde um Stunde, sie erschreckt die verhärteten Gewissen nicht, kühn ignorieren Schneider- und Näherinnen die Zeit. Überhaupt ist heute die Turmuhr oder das Zeit, wie man sagt, die fatalste Person und spielt eine gar traurige Rolle. Viele hören gar nicht schlagen, wissen den ganzen Tag nicht, was es an der Zeit ist, und die, welche es hören, seufzen: »Schlägt es schon wieder, das Donners Zeit schlägt ja den ganzen Tag!«

Gegen Abend rückt es an, aber nicht wie die Emme, plötzlich, auf einmal, mit allgewaltigem Donnergetose, sondern unmerklich, vereinzelt. Am Stock kommt ein Schwammfraueli daher, ein Krämer zieht mit Kisten ein, Schweine trippeln heran mit Hund und Händler; rasch sprengt neben dem Schweinehändler vorbei der Käsehändler, daß es den Schweinen wird, wären sie doch nur Gänse mit Fecken (Flügeln), daß sie fliegen könnten weit von den Wegen weg, durch welche die großen Herren sprengen. Es ist nicht unbequem, die Ersten der Heranrückenden zu sein; es ist ganz umgekehrt wie bei einer Armee, wo die Ersten sehr oft nicht lebendig davonkommen. Die ersten Schweinehändler, Käs- und andere Händler empfangen die Erstlinge der für diese Tage zubereiteten Höflichkeiten. Der Stallknecht macht sein Kompliment, die Kellnerin nicht weniger, ja oft erscheint selbst noch die Wirtin, streicht sich eine halbe Pastete von den Händen und bewillkommt den ersten Gast, als wäre er der erste Storch im Frühling. Die Kellnerin trägt dem Herrn das Gepäck ins Zimmer, der Stallknecht tut noch ganz sanft mit dem Roß, führt es an den besten Platz, öffnet dem Schweinehändler ganz traulich als wie einem Duzbruder einen Stall für seine Tiere. »Hast aber schöne, Toni«, sagt er, »es mag dich beim Hagel aber Keiner.«

Nach und nach wird es lebendiger, die Chaisen rasseln häufiger, die Sorten der Händler werden mannigfaltiger, die Komplimente von Stallknecht und Kellnerin kürzer, schon hört man hie und da den Stallknecht sagen: »Wirst beim Donner wohl warten, bis ich komme.« Und Stüdi, die Kellnerin, der man von allen Seiten zuschreit: »Geschwind, mach doch, es ist aber einer da!«, schnellt: »Meinethalb Zehne, die werden nicht vrgitzeln, ehe ich komme.« Durch alle hindurch und in allem herum drängen sich die Juden, nicht bloß kenntlich an Kinn und Nase, Knie und Ferse, sondern besonders durch ihre freche Zudringlichkeit und unverschämte Unabtreiblichkeit. Es erscheinen auch Gestalten, die man nicht recht einzuteilen weiß in die verschiedenen Klassen. Sie erscheinen langsam unter den Türen der Gaststuben, sehen sich erst bedächtig um, ehe sie sich einen Platz wählen, gehen auch wieder weiter, ohne sich zu setzen. Das sind die Glücksritter, welche auf einen guten Schick ausgehen, nach dummen Leuten fischen, welche sie im Karten- oder Kegelspiel oder sonst auf irgend eine Weise übertölpeln und ausziehen könnten. Solche Leute finden sich auf jedem Markte und machen immer Beute, denn es gibt immer dumme Leute. Begreiflich sind daran die Pfaffen schuld, selbst an den dummen Leuten, welche haufenweise an jedem Markte Maulaffen feil halten und kenntlich sind so gut als die Juden, aber nicht an Kinn und Knie, sondern an Stock, Regenschirm und Säcklein.

So ein recht besuchtes Wirtshaus gleicht einem Bienenstock, nur mit dem Unterschiede, daß es nicht bloß die ganze Nacht surrt und brummt, sondern daß es fast die ganze Nacht durch, wenn auch nicht aus-, so doch eingeht. Da ist immer etwas, das kommt, das sich entweder verspätet hat oder früh da sein wollte und in seiner Angst noch viel zu früh da ist. Wie vor einem eigentlichen Schlachttage das Schlachtfeld und die Stellung der Armeen vielfach rekognosziert wird, so wird auch an diesem Vorabende viel gekundschaftet, das Terrain sondiert, um denen, welche am Morgen nachkommen, sichern Bericht geben zu können über unvorhergesehene Stellungen. Begreiflich geschieht das Kundschaften in aller Stille, unter der Hand, so daß darüber sich nichts weiter berichten läßt, als daß man in der Tat zu solchem Kundschaften nicht die Dümmsten nimmt, denn es kostet an solchen Tagen das über den Löffel barbiert Werden schweres Geld.


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