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IV. Kapitel

Als Summerhay am nächsten Morgen herunterkam, begab er sich sofort an seinen Schreibtisch; er war etwas beunruhigt. »Dich wegwerfen!« Wohin hatte er nur Dianas Brief gelegt? Er entsann sich, daß Gyp ins Zimmer gekommen war, als er eben den Brief zu Ende gelesen hatte. Er durchsuchte Laden und Fächer, verrückte dabei die Büste und sah den Brief. Mit einem Seufzer der Erleichterung hob er ihn auf:

»Lieber Bryan,

ich muß es Dir sagen – Du wirfst Dich wirklich weg. Natürlich ist das der Fall, lieber Freund. ›Il faut se faire valoir.‹ Du hast nur einen Fuß zum Vorwärtsschreiten, der andere steckt in irgendeinem geheimnisvollen Loch. Einen Fuß im Grab, – mit dreißig Jahren! Wirklich, Bryan, zieh ihn heraus! Es harrt Deiner so viel! Es hat gar keinen Sinn, mir zu sagen, ich solle mich nicht um fremde Angelegenheiten kümmern. Ich spreche für alle, die Dich kennen. Alle fühlen wir den Makel auf der Rose. Außerdem warst Du stets mein Lieblingscousin, schon damals, als ich erst fünf Jahre alt und Du ein gräßlicher kleiner zehnjähriger Junge warst, und ich hasse den Gedanken, daß Du langsam hinabsinkst, statt aufzusteigen. Oh, ich kenne dein: ›Die Welt soll mich gern haben!‹ Aber, – ist das echt? … Genug davon! Wann kommst Du, uns besuchen? Ich habe das Buch gelesen. Der Autor scheint zu glauben, daß Liebe nichts als Leidenschaft und Leidenschaft stets unheilvoll sei. Stimmt das? Vielleicht weißt Du es. Sei mir nicht böse, daß ich so die Großmutter spiele.

Au revoir,

Deine sehr getreue Kusine
Diana Leyton.«

Er steckte den Brief in die Tasche. Das Schreiben mußte seit zwei Tagen unter der Büste liegen. Hatte Gyp es gesehen? Er starrte auf das Bronzegesicht, und der Philosoph gab aus leeren Augenhöhlen den Blick zurück, als wollte er sagen: »Was verstehst denn du von Menschenherzen, mein Junge – von deinem eigenen Herzen, dem deiner Geliebten, dem des Weibes oder überhaupt von einem Herzen? Das Herz wird dir noch einen schlimmen Streich spielen. Verpacke, versiegele es, lege es in eine Lade und verschließe sie. Morgen schon wird es draußen sein, sich seiner Hüllen entledigt haben. Hahaha!« Und Summerhay dachte: Du alter Ziegenbock, du hast nie ein Herz gehabt! Im Zimmer über ihm steht Gyp sicherlich noch, wie er sie verlassen hat, sich das Haar ordnend – der Mann wäre ein Schurke, dem auch nur in Gedanken … Hallo! schienen die starren Bronzeaugen zu sagen, Mitleid! Das ist doch komisch! Weshalb empfindest du kein Mitleid für das rothaarige Mädchen, dessen Haut so weiß ist, dessen Augen so brennend braun sind? Verdammter Satan, – Gyp besaß sein Herz, niemand auf der Welt vermochte es ihr zu rauben!

Wie er sie geliebt hatte, sie liebte! Sie würde ihm immer das sein, was sie heute war. Doch der Mund des Weisen schien sich zu den Worten zu verzerren: »Gewiß, mein Lieber. Aber das Herz ist sehr komisch, sehr – launenhaft!« Ein leises Geräusch ließ ihn aufblicken.

Die kleine Gyp stand im Türrahmen.

»Hallo, Bryan!« Sie eilte auf ihn zu, kletterte auf seine Knie; die Sonne schien auf ihr krauses Haar.

»Nun, Gypsy, wer wird ein großes Mädchen?«

»Ich werde reiten!«

»Ho! Ho!«

»Bryan, spielen wir Humpty-Dumpty!«

»Gut, komm.«

Gyp war noch mit einem der hunderterlei Dinge beschäftigt, die bei Frauen, wenn sie bereits »ganz fertig angezogen« sind, eine weitere Viertelstunde in Anspruch nehmen. Die beiden kamen herein, beim Ruf der kleinen Gyp hielt sie, die Nadel in der Hand, inne, um das Spiel zu beobachten.

Summerhay hatte sich auf das Fußende des Bettes gesetzt, er rundete die Arme, zog den Hals ein, blies die Backen auf, um ein Ei darzustellen, dann rollte er mit einer Plötzlichkeit, die der kleinen Gyp nie unerwartet kam, auf das Bett. Und die Kleine, die die Rolle »aller Mannen und aller Rosse des Königs« übernommen hatte, versuchte vergebens, ihn wieder aufzusetzen. Dieses Spiel, das Gyp nun wohl schon hundertmal gesehen hatte, erschien ihr heute besonders wertvoll. Wenn er so lächerlich jung sein konnte, wozu denn ihr Zweifel? Sein Gesicht betrachtend, das unter dem Zerren und Zupfen der kleinen Finger unbeweglich blieb, dachte sie: Und ein Mädchen wagt zu sagen, daß er sich wegwirft! Das schlanke Mädchen mit der weißen Haut, das Mädchen vom Theatereingang – die Diana des gestrigen Diners – sie war es bestimmt, die diese Worte geschrieben hatte! Gyp war dessen ganz sicher!

Am Nachmittag, nach einem langen Galopp auf den Dünen, wandte sie plötzlich den Kopf ab und fragte unvermittelt: »Ist sie Jägerin?«

»Wer?«

»Deine Kusine – Diana.«

Mit seiner allerträgsten Stimme erwiderte er: »Du meinst wohl, ob sie auf mich Jagd macht?«

Sie kannte den Ton, den Ausdruck seines Gesichtes, wußte, daß er erzürnt war, vermochte sich aber dennoch nicht zu beherrschen. »Ja«, sagte sie schroff.

»Du fängst also an, eifersüchtig zu werden, Gyp?«

Bei diesen kalten nackten Worten erschrak sein Herz, und ihres erbebte. Sie galoppierte vor. Als sie das Pferd anhielt, sah er ihr ins Gesicht und fühlte Angst. Es war vor ihm verschlossen. Er sagte leise: »Ich habe es nicht so gemeint, Gyp.«

Sie jedoch schüttelte nur den Kopf. Er hatte ihr weh tun wollen! Sie sagte: »Sieh die lange weiße Wolke und den apfelgrünen Himmel, – morgen wird es regnen … Man muß jeden schönen Tag genießen, als ob es der letzte wäre.«

Beunruhigt, beschämt und noch ein wenig ärgerlich, ritt Summerhay an ihrer Seite.

In der Nacht weinte sie im Schlaf, und als er sie aufweckte, klammerte sie sich an ihn und schluchzte: »Ach, – ich glaubte, du hättest mich nicht mehr lieb!«

Lange Zeit hielt er sie fest, beruhigte sie. Er wird niemals aufhören, sie zu lieben.

Und doch: Eine handgroße Wolke kann sich ausbreiten und einen ganzen Tag verdüstern.


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