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VI. Kapitel

Mit einem Blick auf Gyps entschwindende Gestalt fragte Winton Markey kurz: »Wo haben Sie diesen Herrn untergebracht?« Das Wort »diesen« war der einzige Ausdruck seiner Gefühle. Während des kurzen Weges durch das Vorzimmer bestürmten ihn unwahrscheinliche Gedanken. Als er das Arbeitszimmer betrat, begrüßte er Fiorsen ziemlich höflich und wartete, daß er etwas sage. Der »Geiger« trug noch seinen pelzgefütterten Mantel, zerknüllte zwischen den Fingern seinen weichen Hut. Warum aber blickte er einem nicht ins Gesicht; tat er es jedoch, weshalb sah er dann aus, als ob er einen auffressen wollte?

»Sie wußten, daß ich nach England zurückgekehrt bin, Herr Major?«

Also war Gyp mit dem Kerl zusammengetroffen, ohne ihm davon Mitteilung zu machen; dieser Gedanke war erkältend und bitter für Winton. Doch er durfte sie nicht verraten und verbeugte sich nur schweigend. Er fühlte, daß seine eisige Höflichkeit dem Besuch Angst einflöße, und wollte ihm nicht über diese Angst hinweghelfen.

Fiorsen, der zuerst im Zimmer auf und ab geschritten war, hielt inne und sagte erregt:

»Herr Major Winton, Ihre Tochter ist das schönste Geschöpf auf Erden, und ich liebe sie wahnsinnig. Ich bin ein Mann, der eine Zukunft hat. Kann ich sie heiraten, so vermag ich aus meiner künstlerischen Zukunft zu machen was ich will. Ich besitze auch ein wenig Geld – nicht viel allerdings, doch meine Geige wird ihr jeden Reichtum verschaffen, dessen sie bedarf.«

Wintons Gesicht drückte nur kalte Verachtung aus. Daß dieser Kerl ihn für einen Menschen hielt, der im Zusammenhang mit seiner Tochter an Geld denken könnte, erschien ihm als Beleidigung.

Fiorsen fuhr fort: »Sie mögen mich nicht, – ich habe das vom ersten Augenblick an gemerkt. Sie sind ein englischer Gentleman« – er sprach die Worte mit einer gewissen Ironie aus – »ich bedeute Ihnen nichts; in meiner Welt jedoch bin ich jemand. Ich bin kein Abenteurer. Wollen Sie mir gestatten, Ihrer Tochter einen Antrag zu machen?« Er hob die Hände, die noch immer den Hut hielten, so daß er die Stellung eines Betenden annahm.

Einen Augenblick erkannte Winton, daß der Mann leide. Doch sagte er eisig: »Ich bin Ihnen dankbar, Herr Fiorsen, daß Sie zuerst zu mir gekommen sind. Ich möchte in meinem Hause nicht unhöflich gegen Sie sein; doch wäre ich froh, wenn Sie es verließen und davon überzeugt wären, daß ich mich aus allen Kräften Ihrer Werbung widersetzen werde.«

Der fast kindliche Ausdruck von Enttäuschung und Sorge in Fiorsens Gesicht wurde jählings wild, listig, höhnisch, wurde sogar verzweifelt.

»Major Winton, Sie haben geliebt, Sie müssen Gyps Mutter geliebt haben! … Ich leide …«

Winton, der sich dem Feuer zugewandt hatte, drehte sich wieder um.

»Ich bestimme die Gefühle meiner Tochter nicht, Herr Fiorsen; sie wird nach ihrem Gutdünken handeln. Ich sage nur, daß es allen meinen Hoffnungen und Wünschen zuwider wäre, wenn sie Ihre Frau würde. Doch kann ich mir denken, daß Sie nicht auf meine Erlaubnis gewartet haben, sich ihr zu nähern! Ich bin in Wiesbaden nicht blind gewesen.«

Fiorsen erwiderte mit einem schmerzlichen Lächeln: »Arme Teufel tun, was sie können. Darf ich sie sehen? Lassen Sie mich sie sehen.«

Sie hatte offenbar den Kerl bereits ohne sein Wissen gesehen, hatte ihre Gefühle, ganz gleich, wie sie sein mochten, vor ihm verheimlicht. Er sagte: »Ich werde nach ihr schicken. Wollen Sie nicht inzwischen etwas Tee oder Whisky?«

Fiorsen schüttelte den Kopf, und nun folgte eine äußerst peinliche halbe Stunde. Winton, der in seinen kotbespritzten Kleidern vor dem Feuer saß, ertrug die unangenehme Zeit besser als der Besuch. Dieses Naturkind gab, nachdem es vergeblich versucht hatte, die Gelassenheit seines Gastgebers nachzuahmen, den Versuch mit einer ausdrucksvollen Gebärde auf, durchschritt das Zimmer, trat ans Fenster, zog die Vorhänge auseinander und starrte ins Dunkel hinaus. Dann wandte er sich um, als wollte er Winton von neuem ansprechen, warf sich aber, durch dessen reglose Gestalt in Verwirrung gebracht, in einen Lehnstuhl und kehrte das Gesicht der Wand zu. Winton war von Natur nicht grausam, dennoch freuten ihn die Qualen dieses Kerls, der Gyps Glück gefährdete. Gefährdete? … Es ist doch unmöglich, daß sie ihm ihr Jawort gibt! … Wenn sie es aber doch täte? Weshalb hat sie ihm nichts gesagt? – Auch Winton litt.

Dann kam sie. Ihr lächelndes Gesicht hatte eine Art warnender Verschlossenheit. Sie trat auf Fiorsen zu, streckte ihm die Hand hin und sagte ruhig:

»Wie nett, daß Sie gekommen sind.«

Winton überkam das bittere Gefühl, daß er – er – der Außenseiter sei. Nun, er wird offen reden, es hat bereits zuviel Heimlichkeiten gegeben.

»Herr Fiorsen hat uns die Ehre erwiesen, um deine Hand anzuhalten. Ich habe ihm gesagt, daß du selbst darüber zu bestimmen hast. Solltest du einwilligen, so geschieht dies selbstverständlich gegen meinen Wunsch.«

Während er sprach, loderte in ihrem Gesicht die Glut höher auf; sie blickte weder ihn noch Fiorsen an. Winton bemerkte, wie die Spitzen auf ihrer Brust sich hoben und senkten. Sie zuckte ganz leicht mit den Schultern. Und plötzlich wandte sich Winton, bis ins Herz getroffen, um und schritt steif zur Tür. Sie bedurfte seiner Führung nicht mehr, wenn ihre Liebe zu ihm ihr nicht mehr bedeutete als dieser Kerl! Er wußte ja, daß er sich keine beleidigten Gefühle leisten, daß er nicht ohne sie leben konnte. Selbst wenn sie den größten Schurken der Welt heiratete, würde er ihr stets zur Seite stehen, ihrer Liebe und ihrer Gegenwart bedürfen. Sie bedeutete ihm zuviel, als Gegenwart – als Vergangenheit. Mit wundem Herzen begab er sich in sein Zimmer.

Als Winton zum Diner kam, war Fiorsen bereits fort. Nicht um die Welt hätte er gefragt, was der Geiger gesagt, und welche Antwort sie ihm gegeben habe. Zwischen stolzen Naturen lassen sich Abgründe schwer überbrücken. Als sie zu ihm trat und gute Nacht sagte, waren beider Gesichter wie erstarrte Masken.

In den folgenden Tagen verriet sie durch kein Zeichen, kein Wort, daß sie vorhabe, sich seinen Wünschen zu widersetzen. Fiorsen hätte ebensogut nicht existieren können. Doch wußte Winton gar wohl, daß sie verstimmt und auch ein wenig aufgebracht gegen ihn sei. Eines Abends, nach dem Essen, fragte er ruhig: »Sag mir ganz aufrichtig, Gyp, hast du den Menschen gern?«

Sie erwiderte ebenso ruhig: »Bis zu einem gewissen Grad – ja.«

»Ist das denn genug?«

»Ich weiß nicht, Väterchen.«

Ihre Lippen bebten, und Wintons Herz wurde weich, wie immer, wenn er sie bewegt sah. Er nahm ihre Hand in die seine und sprach: »Ich werde niemals deinem Glück im Wege stehen, Gyp. Doch muß es tatsächlich dein Glück sein. Kann aber dieser Mann es dir geben?! … Ich bezweifle es. Du weißt doch, was man in Wiesbaden von ihm erzählte?«

»Ja.«

Er hatte geglaubt, sie wisse es nicht; sein Herz krampfte sich zusammen.

»Man hat allerlei Schlechtes von ihm gesagt. Und dann, gehört er denn zu unserer Welt?«

Gyp blickte auf. »Meinst du, ich gehöre zu unserer Welt, Väterchen?«

Winton wandte sich ab. Sie glitt ihm nach, schob ihren Arm unter den seinen.

»Ich wollte dir nicht weh tun. Aber es ist doch wahr? Ich gehöre nicht in die Gesellschaft. Seitdem du es von ihm gesagt hast, fühle ich, daß ich auch nicht zu ihr gehöre. Ihm stehe ich näher, und Musik bedeutet mir mehr als alles andere.«

Winton preßte krampfhaft ihre Hand.

»Wenn du nicht glücklich würdest, Gyp, würde ich sehr leiden!«

»Weshalb sollte ich nicht glücklich werden, Väterchen?«

»Wenn du es bist, so soll mir jeder recht sein. Doch ich sage dir, ich glaube nicht, daß du es mit ihm wirst. Ich bitte dich, Liebste, um Gottes willen – prüfe dich genau! Ich schieße dem Menschen, der dich schlecht behandelt, eine Kugel durch den Kopf.«

Vor dem Schlafengehen sagte er: »Wir wollen morgen in die Stadt fahren.«

War es die Erkenntnis des Unvermeidlichen oder eine schwache Hoffnung, daß ein häufiges Zusammensein mit diesem Menschen sie am ehesten heilen würde – jedenfalls legte er ihr kein Hindernis mehr in den Weg.

Und so begann die seltsame Werbung von neuem. Als Weihnachten kam, hatte sie ihm ihr Jawort gegeben, immer noch im Glauben, daß sie die Herrin, nicht der Sklave – die Katze, nicht der Vogel sei. Ein- oder zweimal ließ Fiorsen sich von seiner Leidenschaft hinreißen, seine allzu kühnen Liebkosungen stießen sie ab. Sie wich fast mit Angst vor dem zurück, was ihrer harrte. Im allgemeinen aber war sie freudig erregt, trunken von Musik und seiner Anbetung, nur ein wenig traurig über das Leid, das sie dem Vater zufügte. Sie war nur selten in Mildenham, wo Winton kummerverzehrt fast die ganze Zeit verbrachte; er ritt wie verrückt und überließ Gyp seiner Schwester. Tante Rosamunde stimmte trotz dem Zauber, den Fiorsens Spiel auf sie ausübte, mit dem Bruder überein und fand Fiorsen »unmöglich«. Doch machten all ihre Worte auf Gyp keinen Eindruck. Es war ihr etwas ganz Neues, verblüffte sie, das weiche, empfindsame Mädchen so eigensinnig zu sehen. Jeder Widerspruch schien sie nur in ihrem Entschluß zu bestärken. Der angeborene Optimismus der guten Dame verleitete sie zu der Hoffnung, daß es Gyp dennoch gelingen werde, »aus diesem Schweinsohr eine seidene Börse zu machen«. Und dann, – der Mann war ja schließlich auf seinem Gebiet doch eine Berühmtheit!

Die Hochzeit wurde für Februar festgesetzt, ein Haus mit einem Garten in St. Johns Wood gemietet. Der letzte Monat verging, wie alle solche letzten Monate vergehen, in der berauschenden Beschäftigung, Möbel und Kleider zu kaufen. Gäbe es das nicht, wie viele Verlobungen würden noch im letzten Augenblick gelöst werden! …

Und heute hatten sie geheiratet. Bis zum letzten Augenblick hatte Winton nicht daran zu glauben vermocht. Er hatte die Hand des jungen Gatten geschüttelt, bemüht, Kummer und Enttäuschung nicht merken zu lassen, und dennoch gewußt, daß er niemanden täuschen könne. Gott sei Dank, es hatte keine kirchliche Trauung, keinen Hochzeitskuchen, keine Glückwünsche, überhaupt keinerlei derartigen Unsinn gegeben – das hätte er nicht ertragen. Sogar Rosamunde, die an Influenza erkrankt lag, war ihm erspart geblieben.

Sich tief in den alten Lehnstuhl vergrabend, stierte er in die Flammen.

Jetzt werden sie in Torquay sein.

Wer hätte geglaubt, daß Musik, von Holz und Saiten hervorgebrachte Töne sie ihm würden stehlen können?

Ja, nun werden sie in Torquay sein, im Hotel. Das erste Gebet, daß Winton seit Jahren gesprochen hatte, entrang sich seinen Lippen:

»Laß sie glücklich sein! Laß sie glücklich sein!«

Dann hörte er, wie Markey die Tür öffnete, schloß die Augen und tat, als ob er schliefe.


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