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VII. Kapitel

Vom Augenblick der Hingabe geriet Gyp in einen Zustand, dessen Zauber um so gewaltiger war, als sie niemals an dessen Möglichkeit gedacht, nie zu lieben vermeint hatte, wie sie jetzt liebte. Tage und Nächte vergingen ihr wie im Traum. Genau wie es ihr unmöglich erschienen war, die Welt in die Geheimnisse ihrer Ehe einzuweihen, so vergaß sie jetzt völlig die Welt. Nur der Gedanke an den Vater bedrückte ihr Gewissen. Er war wieder in die Stadt zurückgekehrt. Sie fühlte, sie müsse ihm alles sagen.

Zwei Tage vor dem Monatsende reiste sie nach London, Betty und die kleine Gyp zurücklassend. Winton, ein wenig blaß und müde nach seiner Kur, traf, aus dem Klub kommend, seine Tochter daheim an. Sie hatte ein Abendkleid angezogen, ihr sonnenwarmes Gesicht, der gebräunte Hals hoben sich pfirsichfarben von der Blässe der Schultern ab. Niemals hatte er sie so gesehen, ein derartiges Leuchten in ihren Augen. Er brummte stillzufrieden. Sie glich einer Blume, die er zuletzt zart und verschlossen gesehen hatte und die nun zur höchsten Vollkommenheit erblüht war. Es fiel ihr schwer, seinen Augen zu begegnen, den ganzen Abend schob sie immer wieder ihre Beichte hinaus. Es war nicht leicht – gar nicht leicht. Endlich, als er seine »Bettzigarre« rauchte, sank sie neben seinem Stuhl nieder, lehnte sich gegen sein Knie, so daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte, wie an jenem Tage, da sie seiner Beichte gelauscht hatte.

»Väterchen, erinnerst du dich, daß ich dir einst sagte, ich könne nicht verstehen, was du und meine Mutter füreinander empfunden habt?« Winton schwieg, Gyp fuhr fort: »Jetzt weiß ich, daß man lieber sterben möchte, als einen Menschen aufgeben.«

»Wer ist es? Summerhay?«

»Ja. Ich habe geglaubt, niemals lieben zu können. Du wußtest es besser.«

In trostlosem Schweigen dachte er hastig: Was soll geschehen? Was kann ich tun? Ihr zur Scheidung verhelfen?

Vielleicht war es der Klang ihrer Stimme, vielleicht der Ernst der Situation, jedenfalls fühlte er keineswegs den Zorn, den er empfunden, da er sie an Fiorsen verloren hatte. Liebe, – die gleiche Leidenschaft hatte ihre Mutter und ihn überwältigt. Und dieser junge Mann? Er war ein anständiger Mensch, ein guter Reiter, – schließlich war es begreiflich. Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Nun, Gyp, dann müssen wir doch die Scheidung verlangen.«

»Jetzt ist es zu spät. Er soll sie verlangen, wenn er will.«

Zu spät! Schon? Nur die plötzliche Erinnerung, daß er kein Recht zu einem Wort des Vorwurfs habe, ließ ihn schweigen. Gyp sprach weiter: »Ich liebe ihn mit allen Fasern meines Ichs. Es liegt mir nichts an dem, was kommen mag, – sei es nun geheim oder öffentlich. Es ist mir einerlei, was die Leute denken.«

Sie hatte sich ihm zugewandt. Das war eine Gyp, die er noch nie gesehen hatte! Ein glühendes, weiches, raschatmendes Geschöpf mit dem lauernden Ausdruck der Katzen- oder Löwenmütter, deren Junge in Gefahr sind. Es erinnerte ihn an den Ausdruck, mit dem sie als Kind an zu hohe Zäune herangeritten war. Schließlich sagte er:

»Es tut mir leid, daß du es mir nicht früher gesagt hast.«

»Ich konnte nicht. Ich wußte es selbst nicht. Ach, Väterchen, immer tue ich dir weh! Verzeih mir!«

Sie preßte seine Hand gegen ihre glühende Wange. Und er dachte: Verzeihen! Natürlich verzeihe ich. Darum handelt es sich nicht, es handelt sich um …

Und es kam ihm die Vision: dieses geliebte Wesen, beredet, sein Name von Mund zu Mund gehend, oder – ein Leben für Gyp, wie er es geführt hatte, ein heimliches Leben, verborgene Zusammenkünfte, ein Sichverstecken vor allen, besonders vor ihrer kleinen Tochter. Nein, das nicht! Und dennoch, – war es nicht besser als die bösartigen Zungen, die zwinkernden oder in scheinheiliger Entrüstung zum Himmel erhobenen Augen? Summerhays Welt war mehr oder weniger die seine, der Skandal, der – wie alle Parasitenpflanzen – am besten in eingezäuntem Boden wuchert, würde aufschießen. Und stahlhart und rasch begann sein Gehirn nach einem Ausweg zu suchen. Der Ausdruck, den er hatte, wenn ein Fuchs hervorbrach, kam auf sein Gesicht.

»Weiß es niemand, Gyp?«

»Niemand.«

Das war wenigstens etwas. In grimmigem Zorn murmelte er: »Ich ertrage es nicht, daß du leiden sollst, und dieser Kerl, der Fiorsen, frei ausgeht. Kannst du dich damit abfinden, Summerhay nicht zu sehen, bis wir die Scheidung erreicht haben? Wir könnten sie bekommen, wenn niemand etwas weiß. Ich glaube, Gyp, das bist du mir schuldig.«

Gyp erhob sich, stand lange wortlos am Fenster. Winton beobachtete ihr Gesicht. Schließlich sagte sie: »Ich kann es nicht. Wir könnten wohl aufhören, einander zu sehen, das ist es nicht. Aber es handelt sich um meine Gefühle. Ich könnte mich selbst nicht mehr achten. Väterchen, siehst du das nicht ein? In seiner Art hat er mich ja liebgehabt. Und dann heucheln, alles zu meinen Gunsten ausnutzen, von Daphne Wing sprechen, seinem Trinken, dem Baby, vorgeben, ich hätte nach seiner Liebe verlangt, da ich sie doch verabscheute, es mir einerlei war, ob er mich betrog oder nicht – und dabei die ganze Zeit wissen, daß ich einem anderen Menschen alles war. Lieber sage ich ihm alles und bitte ihn, die Scheidung zu verlangen.«

Winton erwiderte: »Und wenn er nicht einwilligt?«

»Dann hätte ich wenigstens ein reines Gewissen, würde mir nehmen, was ich kann.«

»Und die kleine Gyp?«

Sie starrte vor sich hin, als ob sie versuchte, in die Zukunft zu blicken, und entgegnete langsam: »Eines Tages wird auch sie mich begreifen, oder vielleicht ist auch alles vorbei, ehe sie es erfährt. Währt denn das Glück je lange?«

Sie trat zu Winton, küßte ihn auf die Stirn und verließ das Zimmer. Die Wärme ihrer Lippen, der ihr entströmende Duft berührten Winton wie ein Hauch aus der Vergangenheit.

Ließ sich denn da gar nichts tun? Männer seiner Art sehen in der Regel nicht tief in die Naturen der ihnen am nächsten Stehenden, – an diesem Abend jedoch erkannte er den Charakter seiner Tochter klarer als je zuvor. Es hatte keinen Sinn, ihr einreden zu wollen, gegen ihren Instinkt zu handeln! Und dennoch – ruhig zu verharren, alles zu beobachten, seine eigene Leidenschaft mit ihrer ganzen Verzückung und dem tödlichen Schmerz wieder in ihr verkörpert zu sehen, vielleicht viele Jahre lang! … Das alte triviale Sprichwort fiel ihm ein: »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.« Nun, da sie sich einmal gegeben hat, wird sie mit beiden Händen geben, maßlos – über alles hinaus –, wie er selbst, wie ihre Mutter gegeben hatte. Aber es erging ihr besser, als es einst der von ihm geliebten Frau ergangen war. Man durfte den Sorgen nicht entgegeneilen, durfte auch nicht über bereits verschüttete Milch klagen.


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