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V. Kapitel

Summerhay trug sein Herz nicht zur Schau; als er am Tage vor den Gerichtsferien zum letztenmal zu ihrem Rendezvous schritt, war sein Gesicht wie immer. Tatsächlich jedoch wußte er weder aus noch ein. Er hatte seine eigenen Satzungen. Sie waren vielleicht ein wenig »altgeorgianisch«, enthielten jedoch das unumstößliche Gebot, nie einer Frau Leid zuzufügen. Bisher hatte er sich fest in der Hand gehalten, doch hatte ihn dies mehr gekostet, als er sich selbst zugab. Der einzige Zeuge seines Kampfes war der alte Scotchterrier, dessen Träume er Nacht für Nacht störte, wenn er ruhelos das lange Wohnzimmer des kleinen Hauses durchschritt. Sie mußte wissen, was er fühlte. Wollte sie seine Liebe, so brauchte sie nur den kleinen Finger zu heben, – doch das tat sie nicht! … Wenn er sie berührte, wenn er den zarten Duft ihres Kleides spürte oder seine Augen das leichte atmende Heben ihrer Brust verfolgten, schwindelte es ihn, und es war eine Qual, ruhig, freundschaftlich zu bleiben.

Solange er sie noch täglich sehen konnte, war diese Selbstbeherrschung möglich, jetzt aber, da er sie – für lange Wochen – verlieren würde, schmerzte ihn das Herz. Auch war es ihm schwergefallen, der Welt ein gleichmütiges Gesicht zu zeigen. Ein leidenschaftlich verliebter Mann verlangt nach Einsamkeit, er schwankt zwischen wilder Bewegung und stiller Verzauberung, wenn er sich ihr Gesicht heraufbeschwört. Seiner Arbeit war er gewissenhaft nachgekommen, war froh gewesen, sie zu haben, seine Freunde jedoch hatte er so weit vernachlässigt, daß sie berechtigt waren, einander zu fragen: »Was ist denn mit Bryan Summerhay los?« Er hatte stets das Talent besessen, anderen auszuweichen; nun jedoch zog er sich zu sehr auch von jenen zurück, mit denen er geluncht, diniert, getanzt und Sport getrieben hatte. Und dennoch fürchtete er die Einsamkeit, – begab sich überall hin, wo er Zerstreuungen fand, die seine Aufmerksamkeit nicht allzusehr in Anspruch nahmen. Er erkannte unwillig die Tiefe seiner Leidenschaft, die für ihn den Verzicht auf vieles bedeutete. Und dennoch fragte er sich nie, ob Gyp seiner Liebe wert sei. Er verlangte nach ihr, genau wie sie war, wog ihren Wert nicht.

Er machte sich keine Gedanken über ihre Vergangenheit. Er hatte einmal gehört, sie wäre Wintons natürliche Tochter; schon damals hätte er gerne die Lästermäuler gestopft, die das verbreiteten. Sogar ihre schreckliche Ehe berührte ihn nicht. Es lag ihm an allem nichts, außer an der Möglichkeit, sie zu sehen, so oft mit ihr zusammen zu sein, wie sie gestattete. Nun ging sie an die See und er selbst nach Perthshire, um Birkhühner zu schießen. Einen ganzen Monat lang! …

Sollte er es wagen, zu sprechen? Bisweilen glich ihr Gesicht dem eines Kindes, das ein hartes, erschreckendes Wort erwartet. Man durfte ihr nicht weh tun! Manchmal jedoch erhaschte er einen langsamen, weichen Blick – der aber sofort wieder verschwand.

Er lehnte sich an das Geländer und beobachtete die Flut. Die Sonne erhellte den gelben Wirbel, die kleinen schwarzen Wellen, – das gleiche Wasser, das unter den Weiden von Eynsham, Oxford, der Kirche von Clifton, an Moulford und Sonning vorüberfloß. Sie für sich zu haben, einen Tag auf dem Fluß, – einen ganzen, langen Tag! Weshalb war er all diese Zeit über so kleinlich besorgt gewesen? Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, und es erschien ihm mager. Wenn sie wüßte, wie er sich sehnt, wie er leidet! Er wandte sich ab, gegen Whitehall zu. Zwei Bekannte kamen vorüber; der eine hatte kürzlich geheiratet. Auch sie fuhren am zwölften nach Schottland. Wie schal und langweilig erschien ihm plötzlich, was früher den Höhepunkt des Jahres bedeutet hatte. Ja, – wenn er mit ihr nach Schottland führe?! …

Er betrat den St. James-Park, schritt am Wasser entlang, strebte ihrer Bank zu. Und plötzlich sah er, daß sie schon auf der Bank saß. Kein Zaudern mehr – er wird sprechen!

Sie trug ein maisfarbenes Musselinkleid, saß zurückgelehnt, mit gekreuzten Beinen, die eine Hand um den Schirmgriff gelegt, das Gesicht halb verborgen unter dem großen Hut. Summerhay ging geradeswegs auf sie zu.

»Gyp! Das kann nicht so weitergehen! Sie wissen, daß ich Sie anbete! Wenn Sie mich nicht lieben können, muß ich fort. Gyp, wollen Sie, daß ich fortgehe?«

Sie machte eine kleine abwehrende Gebärde, sagte dann sehr leise:

»Wie könnte ich?«

»Dann lieben Sie mich?«

»Warten Sie, bitte. Warten Sie noch ein wenig. Wenn wir zurück sind, werde ich es Ihnen sagen.«

»So lang?«

»Einen Monat. Es ist nicht leicht für mich.« Sie hob die Augen zu ihm auf. »Bitte, jetzt nichts mehr davon.«

Am Abend in seinem Klub sah er durch den Rauch zahlloser Zigaretten ihr Gesicht, wie es sich eine Sekunde lang zu ihm emporgehoben hatte – und er fühlte sich bald im Himmel, bald in der Hölle.


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