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In diesem Jahr war der zehnte Juli der erste richtige Sommertag. Das Wetter war bisher schön gewesen, doch stets mit östlichen oder nördlichen Winden, heute aber, nach vierzehn regnerischen Tagen, schien die Sonne in vollkommener Sommerwärme, ein lauer Wind wehte, der Duft der sich öffnenden Lindenknospen durchtränkte die Luft. Im entfernteren Ende des Gartens saß Betty nähend unter den Bäumen, und das Baby schlief neben ihr seinen tiefen Morgenschlaf. Gyp stand vor einem Blumenbeet wohlriechender Winden, bunter, zarter Dinge, deren kleine, grüne Dreizacke, die aus den seltsam flachen Stengeln hervorsproßten, Insektenfühlern ähnlich waren.
Schritte auf dem Kies ließen sie aufblicken. Rosek kam durch die Glastür des Salons.
»Gustav ist noch nicht aufgestanden. Ich möchte auch zuerst mit Ihnen reden, ist das möglich?«
Gyp zögerte einen Augenblick, während sie die Gartenhandschuhe auszog. »Freilich. Hier? Oder im Salon?«
»Lieber im Salon.«
Ein leiser Schauder durchrieselte sie, doch ging sie voraus und setzte sich so, daß sie Betty und das Kind sehen konnte. Rosek stand still neben ihr; seine Eleganz, der Ernst seiner gutgeschnittenen Lippen erregten in Gyp widerwillige Bewunderung.
»Was gibt es?«
»Etwas Unangenehmes, fürchte ich. Es muß sofort etwas geschehen. Ich habe versucht, die Sache zu ordnen, doch wollen die Leute nicht länger warten. Sie drohen sogar, das Haus zu pfänden.«
Empört rief Gyp aus: »Fast alles, was hier ist, gehört mir.«
Rosek schüttelte den Kopf. »Der Mietskontrakt geht auf seinen Namen. Die Leute können es tun, ich versichere Sie. Und gerade jetzt kann ich ihm nicht weiter aushelfen.«
Gyp schüttelte ruhig den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Sie hätten ihm überhaupt nicht helfen sollen. Ich ertrage es nicht … Wieviel schuldet er Ihnen im ganzen?«
»Etwa dreizehnhundert Pfund. Das ist ja freilich nicht sehr viel. Aber es handelt sich noch um etwas anderes …«
»Etwas Ärgeres?«
Rosek nickte. »Sie werden vielleicht wieder denken, daß ich daraus Kapital schlagen will. Diesmal dürfen Sie mich aber nicht wieder verdächtigen.«
Gyp schüttelte den Kopf. »Nein. Bitte, reden Sie!«
»Da ist ein Mann, der Wagge heißt, ein Leichenbestatter, der Vater von jemand, den Sie kennen …«
»Daphne Wing?«
»Ja. Sie erwartet ein Kind. Die Eltern haben sie gezwungen, den Namen des Vaters zu nennen. Natürlich bedeutet es für sie den Verlust ihres Engagements – und noch manches andere.«
Gyp sagte langsam: »Wollen Sie mir, bitte, sagen, was dieser Herr Wagge tun kann.«
»Er tobt immer, – und ein tobender Mann aus dieser Klasse ist gefährlich. Es wird viel Geld kosten, – vielleicht sogar Blut.«
Er näherte sich ihr rasch und sagte sehr leise: »Gyp, nun ist es ein Jahr her, daß ich zu Ihnen gesprochen habe. Damals glaubten Sie mir nicht. Ich sagte Ihnen, daß ich Sie liebe. Heute liebe ich Sie noch hundertmal mehr. Bleiben Sie ruhig. Ich gehe zu Gustav.«
Er wandte sich um und Gyp glaubte, er gehe wirklich, doch blieb er stehen, kam nochmals zurück. Sein Gesichtsausdruck war so verlangend, daß sie für einen Augenblick Mitleid empfand. Dies mußte in ihrem Gesicht zu lesen sein, denn er umfaßte sie jählings, versuchte, ihre Lippen zu küssen; sie riß sich los, er konnte nur ihren Hals erreichen. Dann ließ er sie ebenso rasch wieder los, senkte den Kopf und ging wortlos aus dem Zimmer.
Gyp wischte sich mit dem Handrücken die Küsse vom Hals, dachte mechanisch: Was habe ich getan, um so behandelt zu werden? Was habe ich getan? Wilder Zorn gegen alle Männer flammte in ihr auf. Dann trat sie an ihren Schreibtisch, nahm das Adreßbuch und suchte einen Namen: »Wagge, Frankland-Straße, Fulham.« Sie nahm ihre Handtasche von einer Stuhllehne und legte ihr Scheckbuch hinein. Dann, sorgsam jedes Geräusch vermeidend, ging sie in die Halle und verließ das Haus.
Sie schritt rasch in die Richtung der Baker-Straße. Sie hatte ihre Handschuhe vergessen, betrat das erstbeste Geschäft, um ein Paar zu kaufen. Während sie sie auswählte, vergaß sie einen Augenblick alles; draußen auf der Straße überwältigte sie jedoch von neuem die ganze Bitterkeit. Und dabei war der Tag so schön – die Sonne so strahlend, der Himmel so blau, die Wolken von blendender Weiße! Vom Verdeck des Omnibusses konnte sie all das sehen. Die Erinnerung an den Mann stieg in ihr auf, der ihr auf ihrem ersten Ball den Arm geküßt hatte. Und jetzt – dies! Doch mischte sich in ihren Zorn ein unwilliges Mitleids- und Kameradschaftsgefühl für das törichte, liebeshungrige Mädchen, das – durch ihren Mann – in eine so schlimme Lage gebracht worden war. An der nächsten Ecke stieg sie aus, schritt eine breite, von schmalen grauen Häusern umsäumte Straße entlang, bis sie die Nummer erreichte. An der frisch gescheuerten Türschwelle floh sie fast. Was wollte sie eigentlich hier?
Ein nachlässig gekleidetes Dienstmädchen öffnete ihr. Der Geruch von Hammelfleisch schlug ihr entgegen – genau wie Daphne erzählt hatte.
»Ist Fräulein – Fräulein Daphne Wing zu Hause?«
»Ja, Fräulein Daisy ist zu Hause. Wollen Sie sie sprechen? Wie heißen Sie?« Dann öffnete sie die erste von zwei braunen Türen und sagte: »Setzen Sie sich. Ich werde sie rufen.«
In der Mitte des Eßzimmers mußte Gyp gegen ein Gefühl der Übelkeit ankämpfen. Der Tisch, gegen den sie sich stützte, war mit rotem Tuch überzogen, wohl um zu verhindern, daß die Flecken ins Holz drangen. Auf dem Mahagonibüfett standen ein Essig- und Ölbehälter und eine grüne Schüssel mit sehr roten Äpfeln. Vor dem Kamin, aus dem rot gefärbtes Pampasgras ragte, stand ein weiß gestrichener, mit weißen und gelben Margeriten bemalter Bambuswandschirm. Die Sessel waren mit rotem Leder überzogen, die Vorhänge rotbraun, an den grünen Wänden hingen schlechte Öldrucke. Gyps Traurigkeit wurde durch diese Zusammenstellung von Rot und Grün noch verstärkt. Und plötzlich fiel ihr Blick auf eine kleine dunkelblaue chinesische Schale, die leer auf einem schwarzen Sockel auf dem Kaminsims stand. Diese Schale mutete Gyp in dem nach Schaffleisch riechenden Zimmer wie ein Hauch aus einer anderen Welt an; Daphne Wing – nicht Daisy Wagge – hatte sie hingestellt! Und irgendwie rührte dies Gyp – dieses Symbol unterdrückten Schönheitssinns, das Symbol all dessen, was das Mädchen im Garten vor nun fast einem Jahr vor ihr auszuschütten versucht hatte. Die Schale war aus feinem orientalischen Porzellan, wertvoll und wirklich schön. Seltsam, daß man ihr gestattete, dieses Zimmer zu beflecken!
Ein Seufzer veranlaßte sie, sich umzudrehen. Das Mädchen stand vor ihr, den Rücken gegen die Tür gelehnt, mit einem weißen, erschreckten Gesicht. Gyp dachte: sie hat furchtbar gelitten, und streckte ihr die Hand hin.
Daphne Wing seufzte: »Oh, Frau Fiorsen!« und küßte ihr die Hand. Gyp sah, daß ihr neuer Handschuh feucht wurde. Dann sank das Mädchen wieder gegen die Tür zurück. Gyp wurde abermals von Zorn gegen die Männer und einem kameradschaftlichen Gefühl für eine Frau erfaßt, die alles das würde durchmachen müssen, was sie selbst vor kurzem durchgemacht hatte.
»Es ist schon gut«, sagte sie sanft. »Nur, was sollen wir tun?«
Daphne Wing bedeckte das weiße Gesicht mit den Händen und begann zu schluchzen, so still, aber so bitterlich, daß es Gyp schwerfiel, nicht auch selbst zu weinen. Es war die echte Verzweiflung eines Geschöpfes, das jeder Kraft und jeder Hoffnung – vor allem aber der Liebe – beraubt ist; das Weinen, das nur menschliche Teilnahme bei leidenden Seelen auslöst. Es erfüllte Gyp mit Zorn gegen Fiorsen, der dieses Mädchen zu seiner Lust genommen und dann fortgeworfen hatte. Gyp glaubte zu sehen, wie er Daphne von sich stieß, als sie seine Sinne übersättigt hatte und nur noch seine Nerven reizte, wie er sie mit höhnischen Worten zurückstieß, damit sie allein die Folgen ihrer Leidenschaft trage. Schüchtern legte sie die Hand auf die zuckenden Schultern. Das Mädchen sagte gebrochen: »Oh, Frau Fiorsen, ich liebe ihn so!« Ein peinlicher Lachreiz erfaßte Gyp, der sie vom Kopf bis zu den Füßen erbeben ließ. Daphne Wing bemerkte es und fuhr fort: »Ich weiß, daß es schrecklich ist, aber ich tue es dennoch und nun … er …« Das stille furchtbare Schluchzen begann von neuem. Und wieder streichelte Gyp die Schultern. »Und ich bin so schlecht gegen Sie gewesen! Oh, Frau Fiorsen, bitte, verzeihen Sie mir!«
»Ja, ja, das tut nichts. Weinen Sie nur nicht!«
Sehr langsam hörte das Schluchzen auf, doch hielt das Mädchen noch immer den Kopf gesenkt und verbarg das Gesicht. Das rot-grüne Zimmer, der durchdringende Hammelfleischgeruch!
Endlich ließ sich ein kleiner Teil des weißen Gesichtes sehen, die Lippen – die nun nicht mehr nach Liebkosungen gierten – murmelten: »Er liebt ja Sie – liebt wirklich nur Sie – so war es die ganze Zeit. Und Sie lieben ihn nicht – das ist so merkwürdig. Oh, Frau Fiorsen, wenn ich ihn nur sehen könnte! Er hat mir verboten, wieder zu ihm zu kommen, und ich habe es nicht gewagt. Seit drei Wochen habe ich ihn nicht mehr gesehen, seit ich es ihm gesagt habe. Oh, was soll ich tun?«
Gyp empfand Mitleid und trotzdem eine wilde Empörung darüber, daß ein Mädchen zu einem Manne zurückkriechen wollte, der es fortgestoßen hatte. Daphne Wing sagte kläglich: »Ich scheine gar keinen Stolz mehr zu haben. Es ist mir einerlei, was er mir tut oder sagt, wenn ich ihn nur sehen kann.«
Gyps Mitleid überwand ihre Empörung. »Wie lange noch?«
»Drei Monate.«
Drei Monate – in diesem Zustand des Jammers!
»Ich glaube, ich werde etwas Verzweifeltes tun. Jetzt kann ich nicht mehr tanzen, und die hier wissen warum; es ist zu schrecklich. Wenn ich ihn sehen dürfte, wäre mir alles einerlei. Aber ich weiß, er wird mich nie mehr mögen. Oh, Frau Fiorsen, ich wollte, ich wäre tot, wirklich!«
Ein tiefer Seufzer entrang sich Gyp, sie neigte sich plötzlich vor und küßte das Mädchen auf die Stirn. Noch hing der Orangenblütenduft in Daphnes Haar, wie damals, als sie gefragt hatte, ob sie sich einen Geliebten nehmen solle oder nicht, wie damals, als sie schmetterlinggleich aus dem Baumschatten hervorflatterte, schwebte und kreiste, während ihr Schatten die Bewegungen mitmachte. Um der Spannung ein Ende zu bereiten, wies Gyp auf die Schale und sagte: »Die haben bestimmt Sie hergestellt.«
Das Mädchen entgegnete mit rührendem Eifer: »Oh, wollen Sie sie haben? Bitte, nehmen Sie sie. Graf Rosek hat sie mir geschenkt. Oh, da ist Papa. Er wird hereinkommen.«
Gyp vernahm, wie sich draußen ein Mann räusperte, wie ein Schirm in den Ständer gestellt wurde. Das Mädchen drückte sich gegen das Büfett. Dann öffnete sich die Tür, und Herr Wagge trat ein. Er war klein und dick, trug einen schwarzen Gehrock und schwarze Hosen, hatte einen grauen Bart. Er sah genau nach dem aus, was er war: ein englischer Dissident, von Sherry und Hammelfleisch genährt, der es verstand, in der Welt vorwärtszukommen. Seine Züge, deren Farbe eine angegriffene Leber verriet, waren grob, schwerfällig, gleich seinem Körper, aber nicht bösartig, bis auf einen zornigen Ausdruck in den kleinen, grauen Schweinsaugen. Er sagte in einer barschen, doch von geschäftlicher Verbindlichkeit durchtränkten Stimme: »Ja–a? Mit wem habe ich …?«
»Frau Fiorsen.«
Sein Atem ging hörbar, er zog einen Stuhl heran: »Wollen Sie sich nicht setzen?«
Gyp schüttelte den Kopf.
In Herrn Wagges Gesicht kämpfte Untertänigkeit mit einem primitiveren Gefühl. Er nahm sein großes schwarzumrandetes Taschentuch hervor, schneuzte sich, wischte sein Gesicht ab, wandte sich seiner Tochter zu, brummte: »Geh hinauf!«
Das Mädchen drehte sich eilends um und ging hinaus. Herr Wagge räusperte sich; es klang wie ein Kratzen über dicken Futterstoff.
»Darf ich fragen, was uns die Ehre verschafft hat?«
»Ich kam, Ihre Tochter besuchen.«
Seine kleinen Augen schweiften von ihrem Gesicht zu ihren Füßen, zurück zu seiner eigenen Uhrkette, seinen Händen, die er zu reiben begonnen hatte, dann zu ihrer Brust; höher schienen sie sich nicht zu wagen. Seine grenzenlose Verlegenheit fiel Gyp auf. Sie glaubte ihn denken zu hören: wie kann ich die Sache mit diesem anziehenden jungen weiblichen Wesen besprechen, der Frau des Schurken, der meine Tochter zugrunde gerichtet hat? Ein heikles Thema – ist das! … Dann kamen die Worte heiser aus seinem Munde: »Das ist eine böse Sache, gnädige Frau. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Tatsächlich. Es ist peinlich, sehr peinlich.«
Gyp erwiderte ruhig: »Ihre Tochter ist furchtbar unglücklich, und das muß für sie in dieser Zeit sehr schädlich sein.«
Herrn Wagges dicke Gestalt schien anzuschwellen.
»Verzeihen Sie, gnädige Frau«, sprudelte er hervor, »ich muß sagen, daß Ihr Mann ein Schurke ist. Es tut mir leid, unhöflich sein zu müssen, doch geht es nicht anders. Wäre er hier, ich weiß nicht, ob ich mich beherrschen könnte, weiß es wirklich nicht …« Gyp machte eine Gebärde, die er als Teilnahme aufzufassen schien, denn er fuhr heiser fort: »Es ist eine heikle Sache, dies vor einer Dame zu sagen, noch dazu, vor einer Dame, die selbst dadurch geschädigt worden ist, aber man hat doch seine Gefühle. Von allem Anfang an habe ich gesagt, daß dieses Tanzen gegen den Willen der Vorsehung ist. Doch haben Frauen ja keinen Verstand! Ihre Mutter war stets dafür, daß das Mädel die Karriere machen sollte, ja, die Karriere! Eine schöne Karriere! Ich sage Ihnen, gnädige Frau, ich bin außer mir! Wenn mir der Schurke vor die Augen kommt, werde ich ihm einen Denkzettel geben – ich bin kein junger Mann mehr – aber ich werde ihm dennoch einen Denkzettel geben. Und was ich Ihnen sagen soll, das weiß ich wirklich nicht. Daß meine Tochter sich so benommen hat! Jetzt wird ihr Name durch den Schmutz gezerrt werden. Ich sage Ihnen aufrichtig, ich habe gehofft, Sie würden nichts erfahren, denn schließlich hat das Mädchen ja schon seine Strafe weg. Aber in einem Scheidungsprozeß vor Gericht erscheinen, – das ist etwas Entsetzliches für respektable Leute. Ich werde auch nicht gestatten, daß meine Tochter den Schurken heiratet, auch wenn Sie sich von ihm scheiden lassen. Nein, sie wird diese Schande umsonst tragen müssen.«
Gyp hob den Kopf, sagte: »Die Schande wird nicht öffentlich werden, Herr Wagge, außer durch Ihre eigene Schuld. Wenn Sie Daphne – Daisy – fortschicken, bis alles vorüber ist, braucht niemand etwas zu erfahren.«
Herr Wagge hatte den Mund ein wenig geöffnet, sicherlich mußte man sein Atmen bis auf die Straße hinaus hören. »Verstehe ich Sie recht, Sie werden nicht das gerichtliche Verfahren einleiten, gnädige Frau?«
Gyp neigte den Kopf.
Herr Wagge verharrte stumm, sein Mopsgesicht verzerrte sich.
»Nun«, sagte er schließlich, »sie verdient es zwar nicht, doch kann ich nicht verhehlen, daß es für mich eine Erleichterung ist. Und ich muß sagen, bei einer jungen Dame wie Sie – die außerdem noch hübsch ist – beweist es christlichen Geist.« Gyp schüttelte den Kopf. »Doch, doch. Sie müssen mir erlauben, das zu sagen, ich bin alt genug, um Ihr Vater sein zu können – und ich bin ein regelmäßiger Kirchenbesucher.«
Er hielt ihr die Hand hin, Gyp legte ihre behandschuhte Rechte hinein.
»Es tut mir sehr, sehr leid. Bitte, seien Sie gut zu ihr.«
Herr Wagge verharrte einige Augenblicke, sich trübselig die Hände reibend.
»Ich bin ein häuslicher Mensch«, erklärte er plötzlich. »Ein häuslicher Mensch mit einem ernsten Beruf, und habe niemals erwartet, dergleichen in meiner Familie erleben zu müssen – niemals. Es war … ich kann Ihnen gar nicht sagen, was dies für mich ist!«
Gyp nahm ihren Sonnenschirm. Sie fühlte, daß sie fort müsse; jeden Augenblick konnte er etwas sagen, was sie nicht zu ertragen vermochte, – und der Hammelfleischgeruch wurde immer stärker.
»Es tut mir sehr leid«, wiederholte sie. »Adieu«, und sie schritt an ihm vorbei der Tür zu. Sie hörte ihn vernehmlich atmen, da er ihr folgte, um zu öffnen. Er ging an ihr vorbei und legte die Hand auf die Klinke der Haustür. Seine Schweinsaugen blickten sie fast schüchtern an.
»Ich bin sehr froh, die Ehre Ihrer Bekanntschaft gehabt zu haben, und wenn Sie mir gestatten wollen … Sie haben … haben meine herzlichste Teilnahme. Guten Tag.«
Gyp atmete tief auf. Ihre Wangen glühten, aus einem schutzsuchenden Gefühl heraus öffnete sie ihren Sonnenschirm. Dann erschien ihr wieder das weiße Gesicht des Mädchens, sie hörte ihre Worte: »Oh, Frau Fiorsen, ich wollte, ich wäre tot. Wirklich!«