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XIV. Kapitel

Als sie, am ganzen Körper zitternd, das Speisezimmer betrat, stand Fiorsen am Büfett, das Kind im Arm.

Er trat auf sie zu, legte ihr das Baby in die Arme.

»Nimm es«, sagte er. »Und tu, was du willst. Sei glücklich.«

Das Kind an sich drückend, verharrte Gyp wortlos. Sie hätte kein Wort sprechen können, nicht um ihr Leben zu retten. Dankbar, verstört, beschämt war sie und ahnte instinktiv etwas Vergängliches, Unechtes in seinem Altruismus. Daphne Wing! Welchem Handel verdankte sie dies wohl?

Fiorsen schien diese instinktive Vision zu fühlen, denn er rief aus: »Du hast nie an mich geglaubt, mich nie des Guten fähig gehalten!«

Gyp beugte sich nieder, um das Beben ihrer Lippen zu verbergen.

»Es tut mir leid – sehr leid.«

Fiorsen sah ihr ins Gesicht. »Bei Gott, ich fürchte, ich werde dich nie vergessen – nie.«

Seine Augen standen voller Tränen, Gyp betrachtete ihn, bewegt, erschüttert, dennoch voll tiefen Mißtrauens.

Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, und der Gedanke durchzuckte sie: er will, daß ich seine Tränen sehe!

Fiorsen fühlte es und murmelte unvermittelt: »Leb wohl, Gyp, wie du siehst, bin ich nicht ganz schlecht!« Und ging.

Dieses »nicht ganz schlecht« bewahrte Gyp vor dem Zusammenbrechen. Sogar auf der Höhe der Selbstverleugnung konnte er sich selbst nicht vergessen.

Überwältigende Erleichterung kann nur allmählich erfaßt werden; nach einer Weile schien es Gyp, als müßte sie aufschreien und der ganzen Welt ihr berauschendes Glück erzählen. Sobald die Kleine in Bettys Armen lag, setzte Gyp sich hin und schrieb an Summerhay:

»Liebster,

ich habe schreckliche Tage durchlebt. Während ich bei Dir war, hat er mein Baby gestohlen. Er schrieb mir, ich bekäme die Kleine nur dann zurück, wenn ich Dich aufgäbe. Doch erkannte ich, ich könnte Dich nicht aufgeben, nicht einmal um meines Babys willen. Und nun – vor einigen Minuten, brachte er mir das Kind unversehrt zurück. Morgen fahren wir alle nach Mildenham, sehr bald jedoch komme ich zu Dir, wenn Du mich noch magst, gehe mit Dir, wohin Du willst. Mein Vater und Betty werden mein Kleinod hüten, bis wir zurück sind und dann vielleicht – das alte rote Haus, das wir zusammen sahen. Nur – jetzt ist für Dich noch Zeit, Dich zurückzuziehen. Laß törichtes Mitleid oder Ritterlichkeit keine Rolle spielen, prüfe Dich genau, ich bitte Dich! Jetzt könnte ich es gerade noch ertragen, wenn ich wüßte, daß es zu Deinem Besten ist. Für mich wäre das ärgste Elend, Dich unglücklich zu machen. Prüfe Dich also noch einmal ganz, ganz genau! Ich werde alles begreifen, meine diese Worte mit jeder Faser meines Seins. Und nun, gute Nacht – und vielleicht Leb wohl.

Deine Gyp.«

Sie las den Brief noch einmal durch. Meinte sie wirklich, daß sie es ertragen könnte, wenn er sich zurückzöge, wenn er, weit in die Zukunft blickend, erkannte, sie sei seiner nicht wert?

Sie versiegelte den Brief. Weshalb hat man ein Herz, das allzu weich ist?

 

Zehn Tage später stand Gyp auf dem kleinen Bahnhof von Mildenham, hielt die Hand des Vaters und konnte ihn durch den Tränennebel hindurch kaum sehen.

»Leb wohl, Liebling. Paß auf dich auf, telegraphiere aus London und Paris. Er hat Glück, – ich hatte keines.«

Der Nebel verwandelte sich in Tränen, die auf seinen Handschuh niederfielen.

»Bleib nicht zu lange fort, Gyp.«

Sie preßte ihre feuchte Wange an sein Gesicht. Der Zug setzte sich in Bewegung. Sie blickte auf den Vater, er stand auf dem Perron, winkte mit dem grauen Hut; dann sank sie, tränengeblendet hinter dem Schleier, auf ihren Sitz. Als sie ihn an ihrem unseligen Hochzeitstage verlassen, hatte sie nicht geweint, nun, da sie ihn verließ, um ihrem Glück entgegenzugehen, weinte sie.

Ihr Herz war inzwischen erwacht! …


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