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Wie Thiodolf den Bulgarenfürsten seinem süßen Liebesglück entgegen geführt hatte, so strebte er auch, es mit Philippos zu thun, nur daß es dabey um Vieles langsamer und schwieriger ging. Aber des Helden Bemühen, einen jungen Waffenfreund auf alle Weise in der blühenden Zoe und des Kaisers Augen hervorzuheben, und mit den reichsten Kränzen des Ruhmes zu schmücken, blieb dennoch nicht ohne Frucht. Oft schon durfte der selig zitternde Philippos sich selbst gestehen, daß seiner Huldinn Augen mit freudiger Rührung auf ihm geweilt hatten, wenn die Kunde eines seiner rühmlich bestandenen Gefechte von Thiodolfs Lippen erschollen war; auch ging der Kaiser auf Gespräche, welche der Wäringerfürst zu ähnlichen Zwecken einleitete, immer lieber und lieber ein, den Gedanken an Philippos mächtiges und vornehmes Geschlecht mit dem, daß ja die blühende Zoe keine Thronfolgerin sey, gern zusammenstellend.
Bei Wladimirs Hochzeitfeste ward der Bulgarenfürst zum Ritter geschlagen, und dann ein feyerliches Turnier geordnet. Thiodolf und Philippos hielten als bloße Zuschauer außerhalb der Schranken; denn Beyde trugen ja noch nicht die goldnen Sporen. Da geboth aber ein kaiserlicher Herold feyerlich, die beyden Herren sollten einreiten, und ritterlich mit Rittern fechten, um den goldnen Gürtel, welchen die blühende Zoe als Siegespreis in ihren schönen Händen hielt. Es geschah nach des Kaisers Befehl, und die Turnierenden allzumal rechneten sich's zur großen Ehre, zwey so berühmte Helden in ihren Reihen zu sehen.
Thiodolf und Philippos rissen den Sieg leicht zu sich heran, denn der sonst so ringfertige Wladimir wußte sich mit dieser Art und Weise des Fechtens nicht recht zu behelfen. Als nun endlich die Zweye gegeneinander kamen, ließ sich Thiodolf aus dem Sattel werfen; Philippos nahm in überschwenglicher Wonne den Preis aus Zoe's Hand, und – den Kampfgesetzen gemäß – von ihren holden Lippen einen Kuß. Isolde begrüßte ihren gefällten Fechter mit lächelnder Freundlichkeit, wohl fühlend, welche edle Milde ihm dießmahl die Siegespalme entrungen habe. Auch Zoe mochte dergleichen ahnen, aber eben daß der große Thiodolf so viel für einen jungen Waffengefährten hingab, stellte diesen in ihrem Herzen sehr hoch.
Während nun der fürstliche Nordlandsheld das Glück seiner Freunde also begründete, blieb sein eignes Glück vor ihm in eine dunkle Nebelwolke gehüllt. Wollte ja doch die Sonne, von deren Erscheinen alles Andere abhing, die Erkenntniß des Heilandes, noch immer seinem Geiste nicht klar werden! Tage gingen und Tage kamen, und fort und fort lehrte der getreue Pater Jonas vergebens an ihm. Zwar die liebevolle Sehnsucht in des Schülers Geiste wuchs, so auch die Klarheit, womit er alle Gebothe des Herrn anschaute, aber die Einsicht in die Natur des Gottsohnes und dessen Sendung blieb aus, und sowohl Jonas als Thiodolf meinten es viel zu ehrlich mit ihm, um auf diesen unvollkommenen Grund das ernste Gebäude eines Tauffestes, für Zeit und Ewigkeit gültig, gründen zu wollen.
Auch die bleiche Prinzessinn Theodora trat als Gehülfin des frommen Priesters Jonas bey diesem Werke auf. Die fürstliche Nonne Eudocia – sie war es, von welcher Isoldens Gemälde immer gesprochen hatten, während die Aehnlichkeit mit Theodoren den Wäringerhelden verleiteten, sie für diese zu halten – die fürstliche Nonne Eudocia, selbst für jedweden Mann unsichtbar, legte ihrer geliebten Schwester auf Herz und Lippe, was sie reden solle, um den jungen Kriegsherrn zum Schauen des Lichtes empor zu leiten – vergebens! Ihm schien an dieser heiligsten, wesentlichsten Stelle des Weges der Sinn wie ohnmächtig und verschlossen.
Tristan Giocondo blieb derweile immer in Isoldens Pflege; zum Theil auch in der des Sängers Romanus, welcher beschlossen hatte, das holde Kind nicht eher zu verlassen, als bis er es in die Arme seiner rechten Aeltern legen könne, er besuchte es oft, ihm schöne Lieder lehrend, und viel des edlen Wissenswürdigen sonst. Auch führte es Isolde täglich zu Malgheriten, die es mit wehmüthiger Sehnsucht aus der Ferne anstarrte, kaum wagend, ihm mit Blicken nahe zu kommen, auf daß sie nicht die Erfüllung der verwünschenden Worte heranreiße. Auch Pietro, um das Herz der Mutter zu schonen, versagte sich die Umarmung des Kindes, während es sehr beweglich anzusehen war, wie dieses die Händchen vergeblich nach den Aeltern ausstreckte, sie mit nichts als mit liebkosenden Worten erreichend.
Der große Freyherr, dessen strenges Wesen sich nach so vielen Prüfungen in die Milde eines von Gewittern verklärten Sommerabends aufgelöst hatte, schaute über dergleichen Augenblicke mit ernster Rührung hin, sprechend:
»Geduld, lieben Kinder! Wir sind noch nicht ganz gereinigt, und Gott muß uns sehr lieb haben, dieweil er uns sogar sorgfältig und gründlich erzieht.«
Eines Abends in der Dämmerung kam Thiodolf vom Pater Jonas zurück. Er war so recht aus ganzer Seele betrübt, und wie ihn sein Weg an der Sophienkirche hin führte, und feyerliche Orgelklänge von dem erleuchteten Tau zu ihm herüber strömten, drangen die Thränen heiß in seine Augen. Er setzte sich an dem Fußgestell eines hohen Metallkreuzes nieder, zog den Mantel über sein Haupt, und weinte bitterlich.
Ihm ward immer wohler in seinen Thränen; wie eine leis erwärmende Gluth drang es an sein Herz, und mit dem tiefen, seelennagenden Kummer schwoll selige Hoffnung zusammen in ein einiges, noch nie bis dahin vernommenes Gefühl.
Da drückte ihn Jemand sanft und freundlich an seine Brust. Er ließ den Mantel vom Haupte sinken, und sah in die Höhe. Bertram stand vor ihm. Ueber beyde herab schaute der Nachthimmel bereits mit seinem funkelnden Sternenall. Das Getöne aus der Sophienkirche ging fort und fort seinen erhebenden Gang.
»Was weinst du, lieber Held?« fragte Bertram.
»Daß ich den weißen Christ nicht finden kann;« erwiederte Thiodolf.
»Geduld! Ergebung! Hoffnung!« sagte Bertram, faßte den Wäringerfürsten auf's Neue in seine Arme, und weinte herzlich mit ihm.
Da verhallten die Orgelklänge, und Frauenstimmen ohne Begleitung erhuben einen leisen herzrührenden Gesang. Es war wieder das Lied vom See Tiberias und dem Helden im weißen Kleid. Reicher und milder flossen Thiodolfs Thränen; er reckte seine Hände nach der Kirche aus, und seufzte: »o heilige Sophia hilf mir!«
»Wen rufst du an, mein Held? fragte Bertram. »Weißt du auch, wer es ist, den du anrufst?«
»Die heilige Sophia, der diese Kirche, diese, ach mir so unendlich liebe Kirche, geweihet ist!« entgegnete Thiodolf.
»Es gibt keine heilige Sophia in dem Sinne, wie du es verstehst;« sagte Bertram sehr ernst und feyerlich.
»In welchem Sinne denn sonst?«
»Du weißest ja was aus Griechisch Sophia bedeutet.«
»Weisheit.«
»Nun dann! Die ewige Weisheit, die, welche der Vater in ursprünglicher Heiligkeit vor Gründung der Welt angeschauet hat und geliebt – die menschgeworden ist und gestorben am Kreuze aus Liebe – die ist es, der diese Kirche gehört. Und also bedeutet ihr Nahme unsern lieben Heiland, Herrn Jesum Christum.«
Wie Schuppen fiel es vor den einfachen Worten von Thiodolfs Geistesaugen ab. Freudig sank er vor dem Kreuz auf die Knie, faltete heißglühend seine Hände, und brachte nur immer die einzelnen Worte hervor:
»Ein Licht! Ein Licht! O es geht aus! O du selige Mensch gewordene Weisheit, laß dich preisen! Ein Licht!«
Derweile sangen die Nonnen aus der Sophienkirche:
»Mensch, wenn dein Auge dir wird naß
Um unser ew'ges Leid,
Winkt dir vom See Tiberias
Der Held im weißen Kleid.«