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Sechzehntes Capitel.

Thiodolf stand noch in Mitten seiner versammelten Scharen, da kam als ein Abgesandter des Kaisers der Kämmerer Michael Androgenes, und begehrte, mit dem Obersten allein zu sprechen. Die Beyden gingen nach Thiodolfs Zimmer hinauf; es war dasselbe, welches ehemals der alte Helmfrid bewohnt hatte.

Indem man nun eintrat in die grauen vier Wände, von denen statt alles Schmucks nur alte Waffenstücke herunterstarrten, und Thiodolf den Goldschild an denselben Nagel hing, wo er ihn den greisen Helden so oft hatte hinhängen stehen, da zuckte durch des jungen Heerführers Busen ein sehnsüchtiger Schmerz; aber er nahm sich in Gegenwart des Kämmerlings zusammen, daß seine Augen nicht tropften, wie sie es wohl sonst bey dergleichen Gelegenheiten an der Art hatten; seine Würde als Nachfolger des alten Helmfrid fühlend, ließ er sich in dessen Stuhl nieder, winkte den Abgesandten auf einen Sitz sich gegenüber, und sagte:

»Wolle Gott, Herr Kämmerling, daß Ihr mir eine recht erhabne Heldenbotschaft bringt. Mir ist sehr feyerlich zu Muth in dieser Stunde.«

»Ja, mein fürstlicher Herr,« entgegnete Michael Androgenes »erhaben fürwahr ist die Bothschaft, die ich Euch bringe; es ist die erhabenste, die irgend einen Helden in diesen Griechenreichen vom Kaiser zugesandt werden kann. Ich biete Euch in seinem Nahmen die Nachfolge auf seinen Thron, und der Fürstinn Zoe Hand.«

Rasselnd in seinen Waffen fuhr Thiodolf empor, und sank gleich darauf wieder in den Sessel zurück, wie Jemand, der, von einer schnellen Wunde schmerzlich in die Höhe gerissen, alsbald ihr tödtliches Ermatten empfindet.

»Laßt mich ausreden,« sagte Michael Androgenes. »Es ist menschlich, daß Eure Arme sich von selbst mit feuriger Ungeduld nach einem solchen Ziele strecken, als könntet Ihr es bereits erfassen, aber es liegen noch unterschiedliche Bedingungen dazwischen. Der Kaiser hegte seit seiner Thronbesteigung den Gedanken, sich in dem Gemahl der Fürstinn Zoe einen Nachfolger zu erkiesen, aber die Neigung der Herrin beglückte einen der tapfern und sinnvollen Männer, die sich in dieser Hauptstadt zeigten. Man hat mir vergönnt, es Euch zu gestehen, daß Ihr der erste Glückliche seyd, auf den sich diese erhabnen Augen richten, ja, daß Ihr es vielleicht schon vor den letzten Feldzügen wart. Jetzt hat Euer gewaltiger Kriegsruhm, wie auch die immer edlere Hofessitte, die sich in Eurem ganzen Betragen offenbart, weggeräumt, was noch sonst von Hindernissen einem solchen Gedanken entgegen stand, und der Kaiser begehrt nur von Euch, erstlich, daß Ihr Euern Nahmen, dem Volk zu Liebe, in einen hellenischen verwandelt –«

»Als Thiodolf siegte ich für eben dieses Volk,« rief der Wäringeroberst dazwischen, »als Thiodolf will ich leben und sterben!«

»Euer Nahme,« entgegnete Androgenes, »soll ja in isländischer Sprache die Bedeutung tragen: Helfer des Volkes. Da würde man Euch auf griechisch Laomedon heißen, und es wäre nur eine Uebersetzung. Zudem ließe man es sich vielleicht gefallen, daß Ihr Euern nordischen Nahmen mit beibehieltet.«

»Ach, es ist freylich die mächtigste Schwierigkeit nicht!« seufzte Thiodolf

»Allerdings nicht,« entgegnete der Kämmerer. »Der Kaiser fordert natürlich vor Allem, daß Ihr Euch in den Schoß der heiligen christlichen Kirche begebt. Dann ist der große Isländer Laomedon Zoes Bräutigam, und erklärter Thronerbe des griechischen Kaiserthums.«

»Allvater,« rief Thiodolf aus, »braucht es denn da noch irgend einer Lockung erst, um zu dem weißen Christ zu gehen! Ich suche ihn ja schon so lange mit sehnendem Herzen, und möchte weinen, daß ich mich nicht zu ihm finden kann.«

»Das fühlt unser großer Kaiser wohl,« sagte Androgenes. »Er weiß auch, daß der, welchen Ihr den weißen Christ nennt, Jeden zu sich ruft, der ihn so von ganzem Herzen sucht, als Ihr. Daher nur Euer Wort, daß Ihr dem Kaiser treu und hold, der Fürstinn Zoe ein liebreicher Ehegemahl seyn werdet für alle Zeit, und dereinst allen Unterthanen dieses Reiches ein wohlthätiger Beherrscher, so grüß' ich Euch hiermit im Nahmen des Kaisers als den Thronerben Laomedon, und noch heute Abend werdet Ihr der Fürstinn Zoe in den Gemächern des Pallastes als ihr Bräutigam vorgestellt. Die öffentliche Anerkennung geschieht, sobald Euch die Strahlen der wahrhaften Religion genügsam durchdrungen haben, um Euch zur heiligen Taufhandlung zu reifen.«

Fest in einem tiefen Sinnen, ohne Laut und Regung, blieb Thiodolf in des alten Helmfrids Sessel still. Nur bisweilen klirrten seine Harnischringe aneinander, Zeugniß gebend des gewaltigen Kampfes, den der Held in seinem Geiste focht. Es zogen wunderbare Bilder an ihm vorüber. Vater Asmundur, alle Vorahnen des Stammes in seinem Gefolg, – und hinter ihnen hervor nickte winkend die riesige Nebelgestalt des Urstammvaters Odin, – sie schritten heran, und es war, als funkelten ihre erloschnen Augen jünglingshell auf in dem Wiederschein der griechischen Kaiserkrone, die über den Schläfen ihres großen Abkömmlings schwebte. Blühend in all ihrem unendlichen Liebreitz hob sich die junge Zoe von Rosenbetten empor, daß selbst der graue Wolkenzug der alten Helden angestrahlt schien von dem irdischen Lichte, und hielt mit süßverschämter Anmuth ein Blumengewinde schwebend zwischen ihren zarten Händen; das ließ sie, wie zum Spiele, auf und nieder flattern, und wand es endlich durch die Reifen der über sie herab sinkenden Kaiserkrone hin, und streckte dann Blumen und Krone in ihrer schönen Hand dem jungen Helden entgegen. Dazwischen tönten ferne Trauerstimmen:

»Verloren Isolde für Dich! Auf Lebenszeit unrettbar verloren! Bethörter Held, was zögert du noch? Liebesblumen und Krone schweben vor Dir«.

Fest klemmte Thiodolf die beyden gepanzerten Hände über dem Brustharnisch zusammen, daß keine der Verlockung des Zugreifens erliege. Er wandte seinen Blick; da funkelte ihm plötzlich der Goldschild in die Augen, und es war, als schaue ihn des alten Helmfrids Bild daraus an, wie er noch im Sterben von der norwegischen Königstochter sprach, und fernher starre die moosige Warte vom Seegestade her, auf welcher die lebensmüde Jungfrau dem Mond entgegensang, und ihr das Herz in demselben Augenblicke brach, wo ihr greiser Geliebter an den Wunden der Bulgarenlanzen verblutete.

»Das ist die rechte Nordlandsminne!« rief Thiodolf laut. »Und der mich mit den andern Bildern versuchen wollte, ist wohl derselbe, welchen die Christen den Teufel nennen. Dem sey wider, sagt von mir auf immer und ewig!« – »Lieber Herr Kämmerer,« fuhr er, gegen Michael gewendet, mit ruhiger, fester Stimme fort, »ich lege mich dem Kaiser zu Füßen, mit allem, was ich bin und vermag. Er hat mir unendlich mehr Heil und Ehre gebothen, als ich je zu verdienen weiß. Aber ich darf die Hand nicht darnach ausstrecken, denn ich bin in meinem Herzen so gut als ein verlobter Mann.«

»Es ist eine Kaiserstochter, eine Thronerbinn, die Euch ihre Hand gewähren will,« sagte Michael Androgenes. »Davor hebt sich jedwede andre Verbindung auf.«

»Ich habe viel gelernt, in Euern Griechenlanden,« sagte Thiodolf gelassen, »aber so viel doch nicht; werd' es auch nun und nimmermehr. Habt die Güte, und richtet dem Kaiser meine Antwort aus. Die Sache ist in Richtigkeit.«

Michael wandte sich mit feyerlich stolzer Verbeugung nach der Thür. Dann aber blieb er stehen, blickte ernst, voll plötzlich erwachender Innigkeit zurück, und rief zuletzt:

»O mein rühmlicher Heerführer, dem ich meiner Ehre Rettung verdanke, ja noch mehr, den festen Mannesmuth selbst, – denn seit Ihr mich damals in die Schlacht zwanget, bin ich ein Andrer geworden, ein Kühnerer, ein Besserer, – o mein heldenmüthiger Fürst, vertraut Euch mir an, und gönnt mir, daß ich dem Kaiser eine andere Bothschaft bringe, oder Eure Bothschaft doch mit andern Worten. Diese würde Euch verderben.«

»Ich freue mich über Euch, lieber Androgenes,« sagte Thiodolf. »Es ist, das fühl' ich wahrhaftig, ein ächter Ritter aus Euch geworden. Aber Euer gewohnter Scharfblick, mein' ich, hat Euch darüber verlassen. Was sollte mich denn verderben in dieser Bothschaft?«

»Der Kaiser lebt nur in seinen Töchtern, entgegnete der Kämmerling. »Da schweigt alle die Mäßigung und sanfte Gerechtigkeit, die Ihr wohl sonst an ihm kennt. Und wenn einem welkenden, freudlosen Leben, wie dem der Fürstinn Zoe, nun endlich ein heiterer Stern aufzugehen scheint, und der taucht wie im trotzigen Spiele wieder nach fernen Meeren zurück«. –

»Wie sprecht Ihr denn,« fragte Thiodolf erstaunt. »Welkendes, freudloses Leben? Die kaum nur erschlossene Rosenknospe, die blühende Zoe.« –

»Wer redet von der?« entgegnete Michael. »Die Tochter des Kaisers, die ältere Zoe.« –

»Ja so;« sprach Thiodolf, und lehnte sich gelassen in seinen Stuhl zurück. »Viel Lärmens um Nichts. Was habt Ihr mir das nicht gleich gesagt? Freund Androgenes, Ihr dürft es schon wissen: da wäre mir das Nein um ein gutes Theil schneller und leichter von den Lippen gegangen. Indessen, ich bin der edlen Dame Ehrfurcht schuldig, und natürlich, bey meiner vorigen Antwort bleibt's. Die paßt für alle Frauen in der Welt, eine Einzige ausgenommen, und ach, die Einzige – nun das gehört nicht hierher. Gott mit Euch, Herr Kämmerling, und bestellt mir. Alles recht ordentlich.«

»Laßt mich doch sagen,« erwiederte Michael, »Ihr wäret dem Christenthum noch allzufern, oder –«

»Nicht eine unwahre Sylbe,« unterbrach ihn Thiodolf streng. »Habt guten Morgen, Androgenes. Wie gesagt, ich habe mich heute gar sehr über Euch gefreut, und ich denke, im Ganzen könnt Ihr auch wohl mit mir zufrieden seyn.«

Damit geleitete er ihn freundlich bis an das Thor der Wäringerveste, und ließ sich alsdann einen jungen, wilden Hengst bringen, den er in mannigfachen Reiterübungen sehr lustig in der Rennbahn der Burg auf und nieder tummelte.


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