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Es ging mit dem Auffinden der herrlichen Erscheinung nicht so schnell, als es Thiodolf gemeint hatte; vielmehr war und blieb, aller Anstrengungen ungeachtet, Isolde so unsichtbar, als je, und ihre Freunde fingen schon an zu zweifeln, ob sie nicht Malgheriten jene Bilderbothen ihres Ergehens aus einer weit entfernten Gegend herüber gesandt habe. Ein tiefer Schmerz begann sich davor immer mehr in Thiodolfs Wesen einzuwurzeln, und das um so ernster, da er sich vorwarf, er habe durch den Leichtsinn, mit welchem er seine Blicke damals auf die junge Fürstinn Zoe lenkte, das Heil, Isolden wieder anzutreffen, selbst verscherzt. Leider vermochte er auch jetzt noch nicht immer, wenn er nach Hofe geladen ward, – und das geschah oft – den Augen der lieblichen Herrin ohne Herzklopfen zu begegnen, und das suchte er dann immer dadurch wieder auszugleichen, daß er der ältern Zoe eine recht geflissentliche Aufmerksamkeit erwies. Dennoch blieb die jüngere, bey ihrer wundersamen Gabe, zu errathen, wem es eigentlich galt.
Wenn sich um diese Zeit Thiodolf in den Straßen von Konstantinopolis sehen ließ, pflegten sich die Bürger neugierig zuzudrängen, auch wohl oft ihn mit lauten Beifallsbezeigungen zu begrüßen; denn die Milde, mit welcher er die Weiber und Kinder im engen Passe beschützt hatte, zog alle Herzen in Liebe und Verehrung dem seinen entgegen, und je furchtbarherrlicher seine riesige Heldengestalt leuchtete, je zaubrischer abstechend fand man dagegen jenen zarten freundlichen Sinn. Oft geschah es, daß welche von den damals erretteten Knaben aus den Hausthüren hervorstürzten, und gegen sein Pferd ansprangen. Dann hob er wohl einen oder den andern mit sicherer Gewandtheit zu sich in den Sattel, und ließ den schwarzen Araberhengst zum Ergötzen des Kindes Kunststücke machen. Er war der Liebling und das Gespräch des ganzen Volks.
Gar innige Freude hatte sein großer Meister Helmfrid darüber, und auch über des Jünglings immer sittigeres und milderes Benehmen am Hofe, worin er wohl durch eine stillheimliche, innere Trauer desto leichtere Fortschritte machte. Denn vor dem stäten Ringen mit sich selbst, und der immer unerfüllten Sehnsucht erlosch mehr und mehr die einst so ungebändigte Lust am dreisten Scherz, ohne daß man doch seiner tiefen Betrübniß inne geworden wäre, welche er, wie kräftige Gemüther wohl oft zu thun pflegen, als wär' es ein überköstliches Juweel, ganz und gar für sich allein behielt.
Er trat um diese Zeit eines Tages in Pietros Wohnung, und hielt ein Paar schöngefertigte Schlittschuh in der Hand. Da ihn die beyden Eheleute deßhalb ein wenig verwundert anblickten, sagte er:
»Ja, da ist nichts zu verwundern. Wenn ich die nur erst werde gebrauchen können, pfeilschnell über die Teiche der Hauptstadt hin! Und ein gutes Stück des Propontis, denk' ich, muß sich doch auch mit Eis belegen, falls er nicht gänzlich zufrieren sollte. Da wird mir's schon besser werden; verlaßt Euch darauf.« –
Pietro und Malgherita konnten sich, trotz ihrer gegenwärtigen trüben Stimmung, des Lachens über sein zuversichtliches Hoffen auf den Eislauf in Konstantinopolis nicht erwehren, und belehrten ihn, wie wenig daran zu denken sey. Er schien nicht übel Lust zu haben, seine Schlittschuh gegen den Boden zu zertrümmern, aber doch zwang er den alten Ungetüm mit stiller Kraft zurück, und sagte bloß sehr wehmüthig:
»Es ist überhaupt, als hätte mich hier die Gegend gar nicht ein Bischen lieb. Entweder sie antwortet mir mit böslichen Lockgesängen, oder sie sagt geradezu Nein, auf Alles, was ich bitten möchte und fragen. – Eins, liebe Kinder, wollt mir zu Gefallen thun. Behaltet hier diese armen, schönen Schlittschuhe, und wenn Ihr einmahl in die glücklichen Lande wieder hinkommt, wo es helle Eisspiegel gibt und feste Seen, – und zwar dahin kommt Ihr wohl nimmer mehr; Ihr verlangt auch gar nicht darnach, und ich rede ganz verwirrt.« –
Er trat an ein Fenster, und blickte sehnsüchtig nach dem Siebengestirn auf, welches eben im hereindunkelnden Abend über die Dächer der Stadt aufzusteigen begann, Malgherita zeigte sich über seine sanfte Trauer sehr bewegt, und bath ihn, sich mit Pietro ein wenig durch die Gassen der Stadt zu ergehen. Sie habe ohnehin eine kranke, traumvolle Nacht gehabt, und wünsche ein wenig zu schlummern. Es geschah nach ihrem Gebothe, und die beyden Freund de schritten nachdenklich an der Seite eines vielbesuchten freyen Platzes auf und nieder.
Plötzlich stand Pietro still, faßte seines Gefährten Arm, und rief aus:
»Alles trügt mich, oder die dort im bunten Kopftuche ist das stumme Mädchen, welche uns Isoldens Bild gebracht hat.« –
Des Isländers Falkenauge ergriff so gleich die bezeichnete Gestalt, aber eben so schnell war sie in Dämmrung und Volksgewirr untergetaucht, und vermuthlich in eine der benachbarten Straßen verschwunden.
»Sie kann nur dort nach dem Meere hinunter seyn, oder dort nach der Sophienkirche hinauf,« sagte Thiodolf. »Nimm du jene Seite, Bruder, ich nehme diese, und wer die seltsame Gestalt ins Auge faßt, schreitet ihr unbemerkt nach bis in das Haus, worin sie eingeht. Dann muß man nach den Umständen ermessen, was zu thun ist. Auf allen Fall aber gibt es eine sichere Spur.«
Die Freunde eilten mit hoffnungsschlagenden Herzen auseinander, und verfolgten die angewiesenen Bahnen.
Noch war Thiodolf die Straße, welche nach der Sophienkirche führt, nicht weit hinaufgekommen, da sah er bereits das bunte Kopftuch wieder im Sternenlichte unweit vor sich schimmern. Er hatte jetzt nur Mühe, seinen ungeduldigen Schritt zu zügeln, damit nicht etwa die Wandlerin scheu vor seinem Nachforschen werde. Aber als weiter und weiter von dem besuchten Platze die Menschen sich immer mehr verloren, und Thiodolf mit dem stummen Mädchen fast allein in der dunkeln Straße ging, fing das arme Kind dennoch an, sich vor dem riesigen Krieger, der wie an ihre Fersen geheftet schien, zu entsetzen. Sie wandte sich rechts, sie wandte sich wieder links, aus der Hauptgasse in Nebengäßchen, aus Nebengäßchen wieder in die Hauptgasse hinein – immer das gewaltige Bild als ihr Schatten ihr nach. Da – sie mochte nicht weit mehr von ihrem Ziel entfernt sein – beugte sie zitternd die Knie, und suchte mit allem Beweglichen, was Angst und stumme Geberdensprache an sich tragen, den Ritter zu erbitten, er möge ihre Spur verlassen. –
»Holdes Kind,« sagte Thiodolf, »du weißt dich recht eindringlich zu verständigen, aber meines ganzen Lebens Sehnsucht und Lust ruft mich deines Weges entlang. Ich lasse nicht von Dir, es seye dann, ich habe diejenige gefunden, welche ich suche, oder – was alle Götter verhüten mögen – ich müsse erfahren, auch dein Weg richte sich nicht zu ihr.« –
Das Mädchen rang in schmerzlicher Angst ihre Hände, und wußte nicht, sollte sie bleiben, sollte sie gehen.
Da trat urplötzlich eine hohe, weißverschleierte Gestalt zwischen die Beyden ein, die sagte zu Thiodolf: »Du frevelhafter Kriegsmann, zurück! Ich bin die heimliche Helferin.«
Alle Schauder, die bey Glykomedons nächtlichem Begräbnisse den Jüngling erfaßt hatten, zuckten jetzt, wie neu heraufbeschworen, durch seine Brust. Doch stand er fest, und sagte:
»Wer bist Du, heimliche Helferin? Und was hab ich mit dir zu schassen?« –
»Wer ich bin?« kam die Antwort zurück. »Da frage du ganz Konstantinopolis darum. – Was ich mit dir zu schassen habe? Dreister Mensch, das wirst du, ach leider noch oftmahls erfahren.«
Thiodolf wandte sich im innern Beben und gedachte zu gehen, aber er fühlte die Hand der heimlichen Helferinn zurückhaltend an seinem Mantel. –
»Was soll's noch?« fragte er mit dumpfer Stimme. –
»Manneswort auf Ehr' und Pflicht,« entgegnete die Schleyergestalt, »daß du nie dergleichen Nachschleichen wiederhohlen willst, wie heut. Das kleidet einen ritterlichen Kriegshelden deiner Art gar schlecht.« –
In Beschämung und Grauen gab er das begehrte Versprechen, und eilte flüchtigen Fußes nach der Wäringerburg zurück, auf keine Weise gestimmt, sich Heute vor Pietro oder Malgherita sehen zu lassen.