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Vierzehntes Capitel.

Er ward nun erst gewahr, daß ein Geräusch, welches er bisher für einen Wiederhall seiner eignen Tritte hielt, von einem ihm Nachwandelnden herkam. Philippos, ein blühender Edelknabe, den er wohl sonst schon mit Wohlgefallen im Gefolge des Kaisers bemerkt hatte, stand hinter ihm. Indem sich der mannigfach verstörte Thiodolf mit einigem Unwillen nach ihm hinwandte, neigte sich der Jüngling demüthig, und sagte:

»Herr, lieber, hochgewaltiger Herr, wollet mich für keinen Späher ansehen, oder für irgend ein Wesen, das einer so unwürdigen Creatur im mindesten gleich sähe. Mich haben ritterliche, ruhmwürdige Aeltern erzeugt, und Euern Schritten nach treiben mich Liebe und Ehre. O gönnt mir das eine, nur das Eine Glück, daß ich Euer Schildträger werden darf, wenn Ihr im künftigen Lenz gegen die Bulgaren ins Feld rückt.«

»In aller Götter Nahmen, lieber Sohn,« entgegnete Thiodolf. »Mir ist es recht. Aber du weißt ja, des Kaisers Einwilligung gehört vor Allem dazu, und dann, mein artiges, freundliches Kind – wir Wäringer reiten scharf, wir schleudern gewaltig den Speer, wir setzen kühn durch Seefluth und Strom. Du müßtest alsbald in unsere Reihen eintreten, um zu erlernen, was dir noch fehlt.«

Philippos lächelte, und erwiederte bloß: »Euer Wort hab' ich doch, lieber Herr?« und als Thiodolf sein Haupt bejahend neigte, sprang der Knabe, mit kriegerisch edlem Gruße, in den Pallast zurück.

»Das ist auch noch so Einer!« sagte Thiodolf in sich hinein, und schaute mit wehmüthigem Kopfschütteln dem Knaben nach. Dann lächelte er über den Klang seiner eignen Worte, und fuhr fort: »auch so Einer? Was für Einen hab' ich doch nur damit gemeint? Einen Jüngling! Einen freudigen, hoffnungsfrischen Menschen, dem alles Roth am Himmel aussieht, wie Morgenroth! Bin ich denn –?«

Das Gefühl der innern Schmerzen, unter welchen die Jugend bisweilen vor dem heranrückenden Mannesalter zu erliegen beginnt, zog wie mit plötzlichem Krampfe durch des Verstummenden Brust. Er drückte beyde Hände fest auf die Augen, und stand eine Weile, wie gelähmt, – »Es ist ein wunderlicher, verstörender Himmelsstrich hier!« sagte er endlich, rasselte mit den Waffen, als um sich selbst zu erwecken, und wollte seinen Heimweg rasch wieder antreten.

Da schaute die Sophienkirche mit vielen hellen Lichtern durch die wachsende Dunkelheit nach ihm herüber, andächtig milde Klänge wogten aus den herrlichen Gewölben über die finstre Erde hin. Man las dort so eben zur Ehre und zum Heil eines längst verstorbenen Kaiserprinzen, einer alten Stiftung zufolge, sehr feyerlich die Messe.

»Wenn das hier Morgendämmerung wäre, statt Abenddämmerung,« sagte Thiodolf zu sich selbst, »da könnte man die leuchtende Kirchengestalt mit dem weißen Christ vergleichen, wie der am See Tiberias stand, und winkte seine Jünger freundlich zu sich hin. Er hat zwar vermuthlich nicht so prächtig dabey ausgesehen, sondern viel mehr mild und ahnungsvoll, wie Mondenschein. Ach, wer das hätte mit ansehen können!«

Ihm stieg dabey die gewohnte süße Wehmuth, womit diese Erinnerung ihn beständig zu überthauen pflegte, wieder empor, und er schritt langsamen, feyerlichen Ganges auf die Sophienkirche zu, trat leise und sinnend unter die friedlichen Gewölbe ein.

Die Feyer ging so eben zu Ende, und als sie gänzlich verhallt war, traten noch, den alten Stiftungsgesetzen zufolge, zwey Nonnenchöre gegen die Gruft; die sangen ohne alle Instrumentalbegleitung, einander fragend und antwortend, folgendes Lied:

Erster Chor.

»Wer stand am See Tiberias
Im weißen Kleid?

Zweyter Chor.

Der, denn die Augen waren maß
Um unser Leid.

Erster Chor.

Um unser Leid?

Zweyter Chor.

Um ew'ges Leid!

Erster Chor.

Wer tilgt das ew'ge Leid?

Zweyter Chor.

Wer stand am See Tiberias,
Im weißen Lammes Kleid?

Beyde Chöre.

Mensch, wenn dein Auge dir wird naß
Um unser ew'ges Leid,
Winkt dir vom See Tiberias
Der Held in weißen Kleid.«

Thiodolf war vor diesen Klängen, die ihm das rührendste Bild, das er kannte, so tief in das Herz hereintönten, bitterlich weinend in die Knien gesunken, und alle Anwesende erbauten sich an seiner Andacht.

Als nun der Gesang zu Ende war, und die Lichter eins nach dem andern verlöschten, wollte er sich auch hinaus begeben; da hielt ihm eine edle Matrone in großer Demuth und Rührung das Weihwasser entgegen, Thiodolf aber, dessen Gebrauch schon früher gesehen habend, erwiederte:

»O bemüht Euch nicht, meine viel edle Dame! Leider versteh' ich vom weißen Christ noch immer nur kaum ein Tausendtheil, und darf mich also nicht geberden, wie es eine friedliche Herde thut.« –

Die Matrone wandte sich staunend ab, und ein Mann, den Thiodolf für den Kämmerling Michael Androgenes erkannte, sagte leise zu einigen Umstehenden: »ich habe schon längst gedacht, er seye kein Christ, mir ist er niemahlen so vorgekommen.« –

Thiodolf, aber wandte sich gegen ihn, und sagte: »das ist Euch auch ganz recht vorgekommen, lieber Herr, aber ich wollte, Ihr hättet Eure unangenehme Stimme in diesen feyerlichen Augenblicken nicht hören lassen.«


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