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In Pietros und Malgheritens kleine Wohnung legte sich die Dämmerung mit ihren wehmüthigen Schleyern frühe herein, weil einige Oelbäume vor dem Fenster den Tag verdunkeln halfen, und dabey regte sich's in dem Gemüthe der beraubten Mutter gerade so, wie es Thiodolf in weissagender Sehnsucht geahnt hatte. Sie griff in die Saiten der Mandoline, und sang folgendes Lied:
»Tristan, du arm betrübtes Kind,
Geraubt aus deiner Mutter Arm!
Wo jagt dich hin so Well' als Wind?
Wo führt dich hin der Räuber Scharm?
Tristan, ist dir Isolde
Denn stets ein feindlich Licht?
Du aller Welt so Holde,
Ach drohe meinen Kindlein nicht!«
Thiodolf kam zu den Beyden herein, und sie empfingen ihn mit tiefer, herzinniger Rührung. Von dem Kinde, von Isolden, von süßer Vergangenheit und dämmernder Zukunft war viel die Rede, und Thiodolf erwähnte die wunderlichen Begebenheiten seines heutigen Lebens nur ganz beiläufig, hinzufügend:
»Liebe Kinder, es ist mit einem Kaiserhofe gar eine kostbare, ernsthafte, und leuchtende Sache, aber gegen die Lust, so vertraulich beisammen zu sitzen, wie jetzt eben wir, käme wahrhaftig doch gar nichts, wenn wir zu Fünfen wären; aber ach, Tristan und Isolde fehlen.«
Da klopfte Jemand an das niedere Fenster. Umblickend wurden sie eines riesigen Mannes gewahr, der sich in seinen Mantel gewickelt hatte, mit glühenden Augen scharf in das Zimmer herein sah, und etwas dumpf und unvernehmlich durch die Scheiben sprach: »den Sechsten habt Ihr vergessen! Ohne den geht's nicht, und nach dem könnt Ihr Euch den Hals umdrehen, ehe Ihr ihn gewinnt.« – Er war vom Fenster zurück, und in die Menge der Wandelnden draußen verschwunden, lange bevor Thiodolf durch Hausflur und Vorhof auf die Straße gelangte.
»Das muß meines Vaters Geist gewesen sein!« sagte Malgherita schaudernd, als Thiodolf wieder zurück kam. »Ihr könnt mir's glauben, Ihr Männer, das ist fürwahr meines Vaters Geist gewesen. Denn lebend hätte der große Freyherr seines Ahnherrn Huldibert Stammhaus nicht verlassen, ohne zu irgend einer furchtbaren That getrieben zu sein. Die grauenvollen Worte, welche er hier herein hauchte, hätten ihm nimmer genügt. Wir wissen es ja, Pietro, aus entsetzlicher Erfahrung, daß jegliches Mal ungeheure Dinge geschehen, wenn dieser Adler vom Neste fleugt.«
Es war übrigens, als seye die Quelle der vertraulichen Mittheilung durch jenen furchtbaren Ruf gebannt und versiegt. Bald nachher brach Thiodolf auf, und wandelte durch die schweigsamer gewordnen Straßen nach seiner ihm noch unbekannten Heimath, der Wäringerburg, im tiefen Sinnen hinauf.
Unterwegens, wie er achtsam zu den Gestirnen, als leitenden Führern aufblickte, zog seine Augen ein feyerlicher Sang und ein aus tiefem Gewölbe hervorstrahlendes Leuchten wieder erdwärts. Er trat hinzu. Glykomedons Leichenfeyer ward so eben in einer unterirdischen Kapelle gehalten. In weißen Feyerkleidern lag der zerschmetterte Leichnam auf einer prächtigen Bahre. Die Fackeln warfen ihre hellsten Lichter über ihn hin; ein kalter Schauder bebte durch Thiodolfs Gebein.
»Ich muß doch recht ordentlich wissen,« sagte er zu sich selbst, »ob wohl irgend ein Schatten von Schuld auf mich gekommen ist bey meiner raschen That. Diese ernsthafte Stätte wird mir es gewiß recht unverhohlen kund geben.«
Und so mit ging er langsamen Trittes durch das Gedränge der Priester und Laien näher auf des Erschlagenen blutige Bildung zu.
Da richtete sich neben der Bahre von ihren Knien eine hohe Frauengestalt empor, in weite Tücher gehüllt. Wer hier an Glykomedons Leiche gebetet haben konnte, das zuckte wie ein ernstes Räthsel durch des Jünglings Herz. War es eine Braut, war es eine Schwester, deren zarte Brust von dem Todesstreiche zugleich mit getroffen war? Das Volk machte der edlen, weiblichen Erscheinung ehrerbietig Platz, während sich einige flüsternde Stimmen erhoben: »da steht der Mörder an der Bahre. Der dort ist es, der wilde, riesengroße Nordlandskrieger.« –
»Ja,« sagte Thiodolf langsam und laut, »ich bin es. Hat Jemand irgend etwas dawider?« Indem nun die Leute misvergnügt untereinander murmelten, wandte sich die Frau in den weißen Schleyern zurück, sagte, auf den Leichnam zeigend: »höchst schuldig!« dann wieder zu Thiodolf gewandt: »schuldlos!« und verließ die Halle. Da neigten sich Alle vor Thiodolf, Glykomedons Anverwandten verhüllten schluchzend und beschämt ihre Häupter. Thiodolf aber sah noch lange in das Antlitz des Todten, und erst als er diesen Anblick ohne Entsetzen auszuhalten vermochte, fühlte er sich vollkommen gereinigt von aller Schuld. Beim Herausgehen fragte er einige Männer in der Pforte, wer die weiße Gestalt gewesen sey, die am Leichnam gekniet habe. –
»Mein Gott, Herr, kam die Antwort zurück, wie, kennt Ihr denn die heimliche Helferinn nicht?« –
»Wer ist denn die?« fragte er weiter. –
»Ja,« erwiederte man, »ein Geist mag sie wohl seyn aber außer allem Zweifel ist sie ein sehr guter Geist.«
Noch fern durch die Nacht sah Thiodolf ihr schneeiges Gewand herüber leuchten, und konnte sich, innerlich zusammenschaudernd, des Wohlgefallens darüber, daß ihn sein Weg gerade auf die entgegengesetzte Seite führte, nicht erwehren.
Als ihm vor der Wäringerburg die Schildwacht in wohlvertrauter Nordersprache ihr: »wer da?« entgegen rief, ward er wieder frisch und froh. Er stieß die ihm von Helmfrid gegebne Losung kräftig heraus, und eilte innerhalb der Mauern nach einem geräumigen Gemach, wo er im Schimmer des Mondes nordische Lanzenspitzen durch die Scheiben der hochgewölbten Fenster blitzen sah. Es war die Wachstube der Wäringer, wo dreyßig rüstige Krieger bey den Bechern rings um einen Herd saßen, einander alte, vaterländische Sagen vorerzählend, unter die sich mitunter gar seltsam ein oder das andre blühende Griechenmährchen verirrte. Alsbald sprang einer auf, den fürstlichen Jüngling nach seinem Zimmer zu geleiten, aber der zog es vor, unter den wackern Lande- und Waffengenossen die Nacht mit traulichen Gesprächen hinzubringen, und zugleich recht gründlich durch die That zu erlernen, wie man es mit der Bewachung der Wäringerburg halte. Deshalb schritt er mit jeglicher Ablösung hinaus, blieb auch bisweilen bey den Schildwachen auf der Mauer stehen, und blickte nachdenklich über die prachtvolle, vom Monde beleuchtete Stadt hin. Die Bilder dessen, was ihm schon an diesem ersten verhängnißreichen Tage begegnet war, schwebten wie Träume vor ihm aus den schlaferfüllten Häusern auf, und wehten ihm wunderliche Ahnungen seiner Zukunft durch den Sinn; leise seufzte er oftmahlen vor sich hin:
»Ach Isolde, wenn du in diesem gewaltigen Häuserforste verborgen bist, reißt dich denn das Schlagen meines Herzens nicht aus dem Schlummer auf und zu mir heran, du theures Wild?«