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119. Du sollst frei sein!

Sie setzte sich in einen Sessel und sagte zu ihm, der zögernd, unentschlossen vor ihr stand: »Ich muß dich etwas fragen. Mir ist eben etwas eingefallen.«

»Ja, bitte?« sagte er langsam und setzte sich.

Sie sah völlig verändert aus, sie war völlig verändert. Als habe sie eine sehr gute Nachricht bekommen. Ihre Wangen hatten Farbe, in ihren Augen war Licht, in ihrer Stimme Wärme, ihre Bewegungen waren rasch und sicher. »Entschuldige«, sagte sie, »ich habe vorhin nicht recht zugehört. Ich war in Gedanken. Es fiel mir wieder ein, als ich oben war. Du hast das Auto verkauft?«

»Ja ...«

»Und du willst die Möbel verkaufen?«

»Ich weiß noch nicht. Ich habe mich nie ganz an sie gewöhnt. Sie sind wirklich sehr dunkel.«

»Du bist also in Schwierigkeiten, Karl?«

»Gott, Schwierigkeiten ... Ich bin ein wenig knapp, aber ich denke, ich werde das schon in allernächster Zeit regeln.«

»Durch den Möbelverkauf?«

»Auch. Wie gesagt, das ist noch nicht entschieden.«

»Und wo sollen wir dann wohnen?«

»Ich weiß nicht. Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht. Du verstehst, es war erst eine Idee.«

»Dachtest du, ich sollte zu Vater zurückgehen, und du würdest wieder irgendwo hausen, wie früher –«

Er antwortete gereizt: »Ich habe noch gar nichts gedacht. Es war nur eine Idee. Ich denke nicht mehr daran.« Er stand halb auf. »Vielleicht entschuldigst du mich jetzt, Hertha. Ich habe ziemliche Kopfschmerzen. Ich wollte noch ein paar Schritte gehen.«

»Einen Augenblick nur noch, Karl! Warum hast du mir von diesen Schwierigkeiten nichts gesagt?« – Er schwieg. – »Hast du mit anderen darüber gesprochen?«

»Es ist im Geschäft natürlich bekannt. Es handelt sich um einen persönlichen Vorschuß von mir. Bremer fing an zu drängeln.«

»Bremer? Siehst du!«

»Er ist schon erledigt. Ich habe ihn für zwei Monate in Urlaub geschickt, und wahrscheinlich wird er nicht wieder zurückkommen.«

»Hast du sonst noch mit jemand über diese Sache gesprochen, außer mit denen im Geschäft?«

»Ja ...«

»Mit wem?«

»Mit Ilse Gollmer – gestern abend.«

»Und warum hast du mit mir nicht davon gesprochen?«

»Ich wollte mit dir davon sprechen, auch gestern.«

»Und warum hast du es nicht getan?«

»Weil die Sache mit Senden dazwischen kam. Du gabst mir schon für ihn Geld. Ich wollte dich nicht noch einmal bitten. Übrigens hatte ich das im Augenblick ganz vergessen. Ich ärgerte mich so, daß ich den Scheck für Senden in der Tasche hatte.«

»War es wirklich so? Wolltest du wirklich auch mit mir davon reden oder nur mit anderen?«

»Ich wollte mit dir davon reden. Lange hatte sogar schon einen Vertrag deswegen aufgesetzt, in dem ich dir die Möbel übereignete. Ich hatte ihn in der Tasche, als ich gestern bei dir war.«

»Hast du ihn jetzt auch bei dir?«

»Ja.«

»Bitte, gib ihn mir, Karl, ich möchte ihn einmal durchsehen.«

Bittend sagte er: »Muß das alles gerade jetzt sein, Hertha? Können wir das nicht morgen erledigen? Ich wäre wirklich gern noch ein wenig gegangen.«

»Du kannst sofort gehen. Ich möchte nur erst den Vertrag sehen. Ich muß wissen, Karl, ob du gestern wirklich mit mir darüber reden wolltest.«

»Es müßte dir eigentlich genügen, wenn ich es dir sage, Hertha.«

»Muß es mir wirklich genügen? Glaubst du das wirklich, Karl? Bitte, gib mir den Vertrag.« – Er gab ihn ihr, und sie las ihn durch. – »Mit dem Datum von gestern«, sagte sie. »Es ist also wirklich so, wie du sagst, Karl. Bitte, gib mir etwas zu schreiben. Ich möchte den Vertrag sofort unterschreiben.«

»Das geht nicht, Hertha!«

Sie sah ihn aufmerksam an. »Warum geht es nicht, Karl? Ist unterdes etwas geschehen? Geht es darum nicht mehr?«

»Ich war nur bei dem Händler«, sagte er ungeduldig, »der mir die meisten Möbel verkauft hat. Die Preise sind unterdes so gefallen, daß er mir nicht mehr als fünftausend geben will.«

»Ist das der Grund, warum ich nicht unterschreiben soll?«

»Ja, das ist der Grund.«

»Gib mir deine Feder, ich unterschreibe. Es ist mir gleichgültig, was die Möbel im Augenblick wert sind. Im Augenblick ist nichts etwas wert, wie Vater sagt.« Sie unterschrieb. »In den nächsten Tagen bekommst du das Geld, ich muß erst mit Vater reden, Karl. Damit ist das erledigt. Ist nun dein Vorschuß bei der Firma abgedeckt?«

»Völlig. Ich danke dir auch, Hertha ...«

»Karl«, sagte sie und spielte mit dem Füllhalter, ohne ihn anzusehen, »sind damit alle Gelddinge zwischen uns erledigt? Oder ist da sonst noch etwas?«

»Es ist wirklich alles erledigt, Hertha. Ich fühle mich sehr erleichtert. Alles, was ich auf dem Herzen hatte – du bist sehr großzügig gewesen.«

»War ich das wirklich? Ich finde es nicht. Diese Verpflichtungen sind nur dadurch entstanden, daß du mit mir zusammenkamst. Du bist sie mir zuliebe eingegangen. Du hast lange genug die Last allein getragen, es war Zeit, daß ich meinen Anteil an ihr übernahm.«

»Hertha!« rief er und faßte nach ihrer Hand, »warum bist du nicht immer so? Warum bist du oft so fremd? Ich bin so geduldig geworden, ich warte oft so lange ...«

»Still! Dafür ist jetzt keine Zeit. Ich will dir noch eins sagen, es betrifft wieder nur das Geschäft. Du hast jetzt nur noch zwei Gesellschafter: Herrn Gollmer und mich, und ich habe bei weitem die Mehrheit, nicht wahr?«

»Das ist richtig.«

»Was auch geschehen mag«, sagte sie, »wenn wir uns eines Tages fremd oder gar feindlich gegenüberstehen sollten, laß keine deiner Entscheidungen dadurch beeinflußt werden, daß ich einen Anteil an deinem Geschäft habe. Das hat nichts mit uns zu tun, daraus wird dir nie Schaden entstehen, selbst wenn Vater es wollte. Dafür bürge ich dir, ich selbst, verstehst du?«

»Warum sagst du mir das, Hertha?« rief er. »Warum sprichst du so mit mir? Wir nehmen doch keinen Abschied voneinander! Wir trennen uns doch nicht!«

»Warum ich das sage? Weil du dich frei fühlen sollst, ganz frei! Einmal habe ich dich gebunden, aber jetzt lasse ich dich frei! Du sollst gehen und zurückkommen können, wie du willst. Ich werde hier warten, aber du mußt nicht zurückkommen, das weißt du doch.«

»Aber ich will nicht von dir gehen, Hertha, das weiß ich!«

»Weißt du es wirklich?« Sie war aufgestanden, sie legte sanft ihre Hand auf seine Schulter. »Geh, Karl«, sagte sie. »Geh. Laß Ilse Gollmer nicht zu lange warten.« Sie nickte ihm noch einmal zu, dann ging sie langsam die Treppe hinauf, Stufe um Stufe.


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