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42. Ein Hausfriedensbruch

Früh kamen Karl und Kalli auf den Fuhrhof, doch nicht zu früh. Sie fanden die Kutscher zusammengerottet um den alten Fuhrmeister, und die Kutscher waren empört! Die Jungen warfen einen Blick in die Stände, und auch sie waren empört. Nicht umsonst hatte Wagenseil gestern mit dem Pferdehändler Engelbrecht einen Rundgang gemacht: über Nacht waren alle Pferde ausgetauscht, und was da jetzt in den Ständen die Köpfe hängen ließ, das war die traurigste Versammlung elender Krippensetzer,, die je in einem Berliner Stall gestanden hatte. »Alle reif für den Wurstmaxe«, sagte ein Kutscher.

»Mit den Gäulen fahr ich nie!« schrie ein anderer.

»Der Schimmel da bricht schon in die Knie, wenn ich ihm nur das Kummet überhänge«, stellte ein dritter fest.

»Ich werde mit Herrn Wagenseil sprechen, sobald er kommt«, sagte Siebrecht finster. »Jetzt putzt erst mal und schirrt an. Wir müssen es heute eben versuchen.«

»Und ich fahre mit den Pferden nicht!« schrie der Kutscher von vorhin wieder. »Ich lasse mich nicht von allen Kollegen auslachen!«

»Seien Sie doch vernünftig, Mann!« brüllte ihn Karl Siebrecht an. »Ich habe Ihnen doch gesagt, es ist nur für einen Tag!« Und als der Mann immer noch zögerte: »Herr Flau hat doch mit Ihnen gesprochen? Wir verstehen uns doch?«

»Das schon! Das schon! Aber es ist eine Gemeinheit von dem Wagenseil – ist es etwa nicht gemein, daß die Pferde nicht gefüttert werden sollen?«

»Was ist das, Futtermeister? Sind die Pferde etwa nicht gefüttert?«

»Häcksel haben sie gekriegt und ein bißchen Stroh«, sagte der alte versoffene Kerl mürrisch. »Der Franz sagt, sie sind bei Engelbrechten gefüttert – und so sehen sie ja wohl auch aus, was?« Er griente frech.

»Sofort holen Sie Hafer vom Boden!« schrie ihn Karl Siebrecht an. »Das ist ja eine Hundsgemeinheit, was ihr hier macht! Die armen, verhungerten Luder –!«

»Schreien Sie mich nicht an!« sagte der Futtermeister giftig. »Ich bin nicht bei Ihnen in Lohn und Brot. Sie haben mir gar nichts zu sagen.«

»Sie sollen Hafer runterholen!« rief Karl Siebrecht zornig und faßte den Mann bei der Schulter.

Auch die Kutscher murrten drohend, nur einer rief: »Was soll man in die Schinder noch Hafer füttern! Die legen sich ja doch an der nächsten Ecke lang hin! Schade um den schönen Hafer!«

Siebrecht schoß einen scharfen Blick auf den Mann, dann sagte er zu dem Futtermeister: »Nun, wird es bald mit dem Hafer?«

Eingeschüchtert murrte der: »Franz hat den Schlüssel mitgenommen, ich kann nicht ran.«

»Dann brich doch den Futterboden auf!« rief ein Kutscher.

»Das tue ich auch!« sagte Karl Siebrecht. Er war jetzt ganz kalt und entschlossen. »Kalli, sei so gut, da drüben im Holzschuppen muß eine Axt stehen, hol mir die!« Und zu den Kutschern: »Also putzt jetzt ein bißchen, das Rumschimpfen hat auch keinen Sinn. Der Wagenseil wird sich schon noch anders besinnen!«

Und zu Kalli: »Danke schön, Kalli. Ich gehe rauf, bleibe du so lange hier unten!«

»Laß mich das doch besorgen, Karl«, bat Flau.

»Wenn jemand hier etwas Ungesetzliches tut, dann will ich es sein.«

»Laß mich wenigstens als Teilhaber mitgehen«, lachte Kalli.

Das Lachen tat Karl Siebrecht gut. Es war alles nur halb so schlimm: Kalli konnte noch immer lachen. »Du Schafskopf!« sagte er zärtlich. »Es genügt doch, wenn einer von den Teilhabern eingelocht wird! Verstehst du nun?« Er ging nach oben. Ein paar Schläge mit dem Rücken der Axt auf das alte Vorhängeschloß sprengten es schon. Er ging in den Boden hinein, griff nach einem Sack, fing an, ihn zu füllen.

Da hörte er Stimmen unten. Die schreiende, zornige von Franz Wagenseil, nun eine fette, jetzt die klare Stimme von Kalli Flau: »Ich denke gar nicht daran, aus dem Stall zu gehen ...«

»Halt!« rief Karl Siebrecht und sprang wieder die Treppe hinunter, die Axt in der Hand. Er fuhr zwischen sie. »Kalli, halte den Mund! Was gibt's hier?« fragte er wild. »Siehst du nach deinen Schindern, Franz? Schämst du dich nicht bis auf die Knochen? Du willst ein Fuhrherr sein?! An diesen Gespannen soll dein Namensschild hängen?! Schäme dich was! Schäme dich vor deinen Kutschern! Pfui Deibel!«

Einen Augenblick wankte selbst Wagenseil unter diesem Angriff. Doch er besann sich. »Was hast du da oben zu suchen mit meiner Axt?« fragte er.

»Er hat den Haferboden aufgebrochen!« meldete der Futtermeister hämisch. »Und bedroht hat er mich auch!«

»Ich habe dich bedroht, du Hanswurst?« lachte Karl Siebrecht. »Ich habe dir gesagt, du sollst Hafer holen!«

»Aber Sie haben mich angefaßt!«

»An der Schulter, wie man ein Kind anfaßt! Und als du sagtest, du hättest den Schlüssel nicht, da habe ich den Futterboden aufgebrochen.«

»Vorzüglich, vorzüglich!« sagte der Anwalt Ziegenbrink. »Das gibt zwei Strafanzeigen. Wir haben hier Zeugen genug.«

»Und ich habe Zeugen genug, daß Sie die Pferde ohne Futter an die Arbeit schicken wollen! Tierquälerei wird auch bestraft!«

»Im schlimmsten Fall mit einer kleinen Geldstrafe!« sagte der Anwalt. »Außerdem wird der Händler Engelbrecht bezeugen, daß die Pferde gefüttert sind.«

»Jawohl, mit Häcksel und ein bißchen Stroh! – Franz, besinn dich! Was soll denn das? Vielleicht ruinierst du mich damit, aber bestimmt richtest du dich zugrunde! Sieh die Pferde an, die können doch nicht arbeiten!«

Ehe Franz Wagenseil noch antworten konnte, sagte der Anwalt rasch: »Es sind gute Arbeitspferde, auch das wird Herr Engelbrecht bezeugen. Gewiß, ich gebe zu«, lächelte er, »es sind vielleicht keine Schönheiten. Aber Sie fahren auch keine Gräfinnen, Sie fahren nur die Koffer von Gräfinnen! Nirgends in unserem Vertrage steht, daß wir Ihnen ausgesucht schöne Gespanne stellen müssen. Wir haben Ihnen Gespanne zu stellen – da sind sie!«

»Die Pferde können nicht arbeiten, du hast mir arbeitsfähige Gespanne zu stellen, Franz!«

»Wir bestreiten das! Wir bestreiten das in toto! Wir haben Ihnen einfach Gespanne zu stellen.« Der Anwalt Ziegenbrink war unerschütterlich. »Aber selbst wenn sich ein Gerichtshof auf den Standpunkt stellen sollte, daß die Gespanne arbeitsfähig sein müssen, so werden wir Sachverständige über die Arbeitsfähigkeit der Gespanne bringen. Natürlich muß man sich vor Überladung hüten. Für jeden aus einer Überladung entstehenden Schaden müssen wir die Firma Siebrecht & Flau verantwortlich machen!«

Karl Siebrecht hatte dem kleinen Herrn mit der Goldbrille aufmerksam zugehört. »Quatsch!« sagte er jetzt. »Sie wissen gut, daß jedes Wort von Ihnen Quatsch ist! Aber solche Rechtsverdrehereien sind wohl Ihr Beruf, und diese Schweinereien machen Ihnen anscheinend noch Spaß! Ihnen kommt es auf ein paar krepierte Pferde nicht an! Sachverständige? Wir haben hier Sachverständige genug! Heh, Sie da, wie heißen Sie doch?« Er wandte sich an einen Kutscher. »Sie – Staffelt – nicht wahr? Trauen Sie sich zu, mit den Pferden in einem Trab vom Stettiner zum Anhalter einen vollbeladenen Rollwagen zu fahren?«

»Ausgeschlossen«, sagte der Kutscher. »Nicht bis zum Oranienburger Tor komme ich mit den Schindern.«

»Ich verbiete dir«, schrie jetzt Franz Wagenseil, »mit meinen Leuten zu reden! Das sind meine Leute, verstehst du? Auf der Stelle verläßt du meinen Hof, du und der andere Kerl da, oder –«

»Was oder?« fragte Karl Siebrecht.

»Hausfriedensbruch«, soufflierte der Anwalt.

»Jawohl!« schrie Franz Wagenseil. Das Weiß seiner Augen war gelblich verfärbt, und seine schmutzigen Hände zitterten. Sicher hatte er das beim Pferdetausch gewonnene Geld sofort in der Nacht versoffen.

»Jawohl, das ist Hausfriedensbruch! Ihr geht jetzt von meinem Hof. Ich fordere dich zum erstenmal auf –«

Karl Siebrecht lächelte.

»Zum zweitenmal!«

Siebrecht lächelte. Alle Gesichter waren ihm zugewandt.

»Zum drittenmal!«

»Und ich bin immer noch hier!« stellte Karl Siebrecht fest.

»Also Hausfriedensbruch«, sagte der Anwalt trocken. »Das wäre in einer Viertelstunde das dritte Vergehen! Lassen Sie jetzt einen Schutzmann holen.«

Franz Wagenseil sah sich unentschlossen unter seinen Kutschern um, wem er wohl diese Weisung geben sollte. »Nun, Franz –?« fragte Karl Siebrecht lächelnd. »Hast du doch nicht ganz den Mut zu allen deinen Gemeinheiten?« Wagenseil zuckte zusammen. Und Karl Siebrecht rasch: »Nun, ehe du dich entschlossen hast, will ich dir das wenigstens ersparen. Komm, Kalle, überlassen wir Franz seinen Schindern ..., allen seinen Schindern!« Er sah den kleinen Anwalt bedeutungsvoll an, dann gingen sie vom Fuhrhof.


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