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112. Maria Molina

»Hier, Maria«, sagte der Rittmeister, nun wieder ganz sicher, »sind meine Freunde: Fräulein Ilse Gollmer und Herr Siebrecht. Und dies, meine Lieben« – er machte eine Geste, als stelle er eine Königin vor – »ist Maria Molina« – er lächelte – »bürgerlich schlichtweg Maria Kusch. War sie nicht eben großartig als Matrose?«

»Ganz großartig!« echoten die beiden und begrüßten Maria Kusch, genannt Maria Molina.

»Nur nicht so feierlich!« bat der Herr von Senden. »Sonst jagt ihr meinem Kind Angst ein. Sie war wirklich nervös. Sie hat kein Auge von euch gelassen, und das hat sie natürlich befangen gemacht.«

»Ich wurde auch lange nicht mehr so kritisch angesehen.« Maria Molina lächelte. »Nichts hat deine Freunde mehr gestört, nicht wahr?«

»Ja«, stimmte der ahnungslose Herr von Senden zu. »Eben warst du einfach großartig.«

»Einfach großartig!« sagten auch die beiden anderen, Ilse Gollmer aber lachte dabei.

»Wenn man so als Künstlerin auf der Bühne steht«, plauderte Fräulein Molina-Kusch, »sieht man unendlich viel. Das Publikum denkt, man ist nur mit seiner Aufgabe beschäftigt, und das ist man auch, aber dabei sieht man doch so vieles!«

»Fräulein Kusch hat uns erwischt, Onkel Bodo!« lachte Ilse Gollmer. »Wir haben uns nämlich sehr angeregt unterhalten, Siebrecht und ich, und ich fürchte, wir haben für die Bühne nicht soviel Aufmerksamkeit gehabt, wie eine Künstlerin vom Range Fräulein Molinas verlangen kann. Sind Sie uns sehr böse, Fräulein Kusch?«

»Aber nein!« sagte Fräulein Kusch gekränkt. »Warum denn? Jeder amüsiert sich, wie er mag. Auf der Bühne verliert man rasch alle Illusionen.« Maria Kusch redete langsam und gespreizt, als lese sie die einzelnen Sätze nicht ohne Mühe aus einem Buch ab. Ihre sonstigen Qualitäten als Künstlerin mochten miserabel sein. Aber einen gekränkten Filmstar, wie ihn sich Herr Piefke denkt, mimte sie ausgezeichnet.

Herr von Senden merkte, daß die Unterhaltung einen falschen Weg lief. Er sagte eilig: »Aber nun kommt die Hauptfrage, die Getränke! Du bekommst wie immer deinen Sekt, Maria, und ich werde mich dir gehorsamst anschließen. Du auch Sekt, Ilse?«

»Ich möchte lieber beim Rheinwein bleiben, Onkel Bodo.«

»Und ich werde mich Fräulein Ilse anschließen ...« sagte Karl Siebrecht.

»Ausgezeichnet!« sagte der Rittmeister und gab seine Bestellung auf.

»Vergiß nicht wieder, mir mein Essen zu bestellen, Bodo!« mahnte die Fürstin Molina. »Ich kann«, setzte sie erklärend hinzu, »natürlich vor dem Tanzen nichts zu mir nehmen.«

»Natürlich nicht«, sagte Ilse Gollmer mitleidig. »Sie müssen schrecklichen Hunger haben!«

»Hunger nicht, aber ich habe etwas Appetit ...«

»O Gott!« rief Ilse Gollmer und legte ihren Arm lachend um den Hals des Herrn von Senden, »ich finde dich einfach hinreißend, Onkel Bodo, ich muß dir einen Kuß geben!«

»Ich fürchte«, sagte der Rittmeister und befreite sich vorsichtig aus der Umarmung, »dieser Kuß war kein Kompliment. Maria, du sollst meinen Freunden nicht imponieren, sondern gefallen. Rede, wie dir dein Schnabel gewachsen ist! Sie übertreibt wie alle Anfängerinnen«, erklärte er, »irgend so ein Flachkopf hat ihr eingeredet, so spräche man in den besseren Kreisen. – Aber sonst ist sie ein wunderbares Mädchen!«

»Ich freue mich, daß du wenigstens das zugibst, Bodo«, sagte Maria Molina kühl, als sei das »wunderbare Mädchen« eine Selbstverständlichkeit. »Hoffentlich kommt jetzt bald etwas zu trinken.«

»Da haben Sie wahrhaftig recht, Fräulein Molina!« rief Ilse Gollmer. »Wir werden schon in Gang kommen, wie? – Hallo, Siebrecht, sitzen Sie nicht wie ein Stock da, Sie schlafen schon wieder ein! Ich glaube, Onkel Bodo, wir müssen ihm noch einen Whisky bewilligen!«

»I wo!« wehrte Karl Siebrecht ab. »Ich brauche keinen Whisky, ich trinke jetzt Rheinwein. Ich fühle mich sehr behaglich.«

Nein, es sah nicht so aus, als sollten sie noch in Gang kommen. Der Wein wurde gebracht, sie stießen an auf Fräulein Maria, sie tranken, sie tranken mehrere Male, sie bestellten neu, aber die Stimmung blieb flau. Immer wieder riß die Unterhaltung ab. Die Molina geruhte nicht, von ihrem Postament herabzusteigen und zu sprechen wie ein sterblicher Mensch. Der Rittmeister war von all seinen guten Geistern verlassen, seine Plaudergabe war dahin, er war nervös und wurde immer gereizter. Karl Siebrecht blieb wortkarg. Er hatte ziemlich hastig getrunken und wünschte jetzt Senden mit seiner Schönen dorthin, wo der Pfeffer wächst. Sie waren ihm ganz egal, er hätte viel lieber allein gesessen mit Ilse Gollmer. Und auch Ilse Gollmer, die zuerst mit bestem Humor dabeigewesen war und die ihren Onkel Bodo mit seinem kleinen dummen Tanzmädchen ganz reizend gefunden hatte, begann den Mut zu verlieren. Nachdem sie zehnmal versucht hatte, aus Fräulein Kusch eine menschliche Antwort herauszulocken, und ihr zehnmal wie aus einem schlechten Sprachlehrbuch geantwortet worden war, fing sie an, diesen Abend einfach langweilig zu finden. Sie gab Karl Siebrecht einen Stoß unter dem Tisch und flüsterte: »Jetzt müssen Sie in die Bresche, Siebrecht, sonst fange ich einfach an zu gähnen.«

»Das gnädige Fräulein langweilt sich!« petzte die Molina.

»Sie haben wie immer recht, Fräulein Kusch«, sagte Ilse Gollmer.

Der Rittmeister sah seinen Festabend, dies Debüt für Maria Molina, in Gefahr. »Was machen wir nun?« rief er. »Wir können doch nicht schon jetzt nach Haus gehen! Ich schlage eine Ortsveränderung vor. An allem ist dies gräßliche Lokal schuld!«

»Du hast dieses Lokal nicht immer gräßlich gefunden«, sagte die Molina schon wieder beleidigt.

»Nein«, antwortete Herr von Senden etwas kurz, »aber du bist heute auch nicht auf deiner Höhe, Maria. Wie ist es, ich weiß eine nette Weinstube hier in der Nähe, mit wirklich guten Weinen!«

»Ich habe einen anderen Vorschlag«, rief Karl Siebrecht.

»Stille, der Schläfer erwacht!«

»Ich schlage vor, wir trennen uns für eine Stunde, in Paare aufgeteilt. Nach einer Stunde treffen wir uns wieder, sagen wir, in der kleinen Weinstube Onkel Bodos.« Er lächelte. »Ich möchte wetten, daß wir uns nach einer solchen Trennung mit geradezu freudigen Gefühlen wiedersehen.«

»Ich weiß aber, wer jetzt mit dem Feuer spielt«, flüsterte Ilse Gollmer ihm zu. Und laut: »Ich bin sehr für den Siebrechtschen Vorschlag.«

»Was sollen wir aber in der Stunde anfangen?« fragte der Herr von Senden bedenklich.

»Was Sie wollen: sich in ein anderes Lokal setzen, in eine Bar, in fünf Bars gehen, durch die Stadt bummeln, auf die Siegessäule steigen. Meinethalben auch im Tiergarten spazierengehen oder -fahren, ich stelle meinen Wagen zur Verfügung ...«

»Vielleicht ist dein Vorschlag gar nicht schlecht, mein Sohn Karl«, sagte der Rittmeister. »Wir treffen uns also um ein Uhr ...« Und er nannte die Weinstube.

»Abgemacht«, sagten sie, und der Rittmeister winkte dem Kellner zum Zahlen, als Maria sehr spitz sagte: »Und nach meiner Zustimmung wird nicht gefragt, Bodo?«

Der Herr von Senden war wirklich sehr bestürzt über seine Unhöflichkeit: »Ich bitte dich tausendmal um Entschuldigung, Maria! Das durfte mir nicht passieren! Du bist nicht einverstanden? Also lassen wir es.«

»Doch, ich bin einverstanden, aber nur unter einer Bedingung –«

»Gewährt! Gewährt!«

»Daß die Paare tauschen! Ich möchte mit dem Herrn Siebrecht gehen ...« Ihre Augen funkelten vor Schadenfreude.

»Das ist die Strafe«, flüsterte Ilse Gollmer wieder. »Siebrecht, sehen Sie nicht so wütend aus! Sie verraten sich ja!« Und zu Maria Molina sagte sie: »Das ist ein wirklich reizender Vorschlag! Onkel Bodo, ich weiß auch schon, wohin du mich führen mußt.«

»Wirklich, Ilse?« sagte Senden zerstreut. »Meinst du das denn auch so, Maria?«

»Aber natürlich!« sagte sie. »Wenn wir jetzt eine Stunde zusammen wären, würdest du mir doch nur Vorwürfe machen, Bodo. Ich nehme an, Herr Siebrecht wird sehr nett zu mir sein, nicht wahr?«

»Ich werde so nett zu Ihnen sein«, sagte Karl Siebrecht und hätte am liebsten vor Wut mit den Zähnen geknirscht, »daß Sie erstaunt sein werden, gnädiges Fräulein!«

»Da alle einverstanden scheinen«, meinte der Rittmeister etwas verwirrt, »so will ich mich fügen.« Sie zahlten und gingen.

An der Garderobe fand Ilse Gollmer noch Gelegenheit, Karl Siebrecht zuzuflüstern: »Wenn ich es für richtig halte, soll ich dem Onkel Bodo den Scheck geben oder nicht? Ja oder nein?«

»Ganz egal!« antwortete er.

Unterdes flüsterte der Rittmeister ebenso eifrig, während er seiner Maria den Umhang umlegte. »Ich verstehe dich nicht, Maria! Wozu dieser Tausch? Du mußt doch gesehen haben, daß dieser alberne Bengel eine Antipathie gegen dich hat!«

»Gerade darum, Bodo! Ich nehme an, in einer Stunde wird seine Antipathie verschwunden sein. Und das wäre dir doch lieber?«

»Du willst mit ihm flirten?«

»Ich will nicht, ich muß schon. Aber keine Angst, Bodo, nur gerade so viel, daß er ein bißchen anbrennt.«


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