Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

76. Hertha Eich beharrt

»Es tut mir sehr leid ...« sagte das junge Mädchen.

»Ihnen muß nichts leid tun, Sie haben es gut gemeint«, antwortete er. »Es war schon vorher alles kaputt, dies gab nur den letzten Anstoß.«

»Trotzdem!« beharrte Hertha sich. Sie betrachtete ihn nachdenklich. »Es ist schade«, meinte sie dann. »Ihre Frau liebt Sie.«

»Was hilft mir das? Ich liebe sie nicht, und wir passen auch nicht zueinander. Ich habe es nie so gefühlt wie eben, als ich Sie beide nebeneinander sah.«

»Sehen Sie«, sagte sie traurig, »ich bin also doch schuld. Ich hätte nicht zu Ihnen gehen sollen.«

»Einmal mußte es kommen. Ich bin froh, daß es endlich gekommen ist.«

Sie sah nach der Halle des Stettiner Bahnhofs hinüber, auf der Schnee lag. Es war kalt und trist auf der Straße. »Wohin werden Sie nun gehen?« fragte sie.

»Ach, für mich findet sich schon immer etwas«, antwortete er mit mehr Sicherheit, als er fühlte.

»Sie sollten zu Ihrer Frau zurückgehen«, sagte sie bittend. »Gehen Sie jetzt gleich zurück und erklären ihr alles. Sie sind doch wirklich ohne Schuld. Eigentlich hat sie recht: ich bin Ihnen nachgelaufen. Ich wollte Ihnen nicht nur danken, ich war auch neugierig, wie ein so ritterlicher Chauffeur aussah.« Ihr blasses Gesicht rötete sich bei diesem Geständnis.

»Nein«, sagte er und hatte kaum auf ihre Worte geachtet. »Ich bin nicht ohne Schuld. Nein, nicht Ihretwegen. Aber ich habe ständig an eine andere gedacht, die ich seit Jahren nicht gesehen habe. Ich glaube gar nicht, daß ich sie liebe, aber ich war all dieser Dinge so überdrüssig. Ich wollte etwas anderes zu denken haben als all dies Zeugs.« Er hatte sehr böse und bitter gesprochen, fast mit Haß hatte er dabei nach den Fenstern der Wohnung in der Eichendorffstraße gesehen. Jetzt sagte er: »Aber ich glaube, ich muß nun gehen, Fräulein Eich.« Er reichte ihr seine Hand, sie nahm sie nur zögernd, als wollte sie den Abschied noch nicht.«

»Sehe ich Sie einmal wieder?« fragte sie. »Höre ich einmal, was aus alldem geworden ist?«

»Vielleicht. Ich weiß nicht. Ich habe ja Ihre Adresse.«

Sie hielt seine Hand noch immer. »Ich möchte Ihnen so gern helfen«, sagte sie. »Sie sehen so unglücklich aus. Nicht wahr, Sie waren nicht immer Droschkenchauffeur? Vor dem Kriege waren Sie etwas anderes?«

»Ja, das war ich. Aber macht das etwas in diesen Dingen aus?«

»Nein, natürlich nicht. Aber vielleicht kann Ihnen mein Vater helfen. Wollen Sie nicht einmal mit meinem Vater sprechen? Mein Vater hat ziemlich viel Einfluß.«

Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, Fräulein Eich. Ich will mir nicht helfen lassen, ich helfe mir allein am besten.«

»Nicht die Art Hilfe! Aber Vater weiß vielleicht Rat. Er kennt so vieles und hat viel Verbindungen. Er ist hier in Berlin bei der Eisenbahndirektion.«

Er stutzte, dann lachte er. »Das ist wirklich komisch, Fräulein Eich«, sagte er. »Ich habe nämlich früher auch ein ganz klein bißchen mit der Eisenbahndirektion zu tun gehabt. Vielleicht komme ich wirklich einmal zu Ihrem Vater. – Adieu, Fräulein Eich!«

Er hatte es ganz plötzlich gesagt, er war schon im Gehen, als sie sagte: »Nein, so dürfen Sie nicht gehen! Ich weiß doch, ich sehe Sie nie wieder, und ich muß erfahren, was aus alldem wird, sonst werde ich das Gefühl einer Schuld nicht los!«

»Aber ich sagte Ihnen doch, Sie haben an nichts schuld!« Jetzt wurde er nun doch ungeduldig.

»Ich fühle mich aber schuldig!« rief sie. »Wollen wir uns morgen noch einmal treffen, wenn Sie geschlafen und alles überlegt haben? Bitte, sagen Sie ja!«

»Was soll das für einen Sinn haben?« murmelte er unentschlossen.

»Tun Sie es meinetwegen! Wollen wir uns morgen treffen, um diese Zeit, sagen wir im Wartesaal Zweiter auf dem Stettiner Bahnhof?«

»Nein, nicht auf dem Stettiner. Ich werde Sie anrufen, Fräulein Eich.«

»Und Sie werden es nicht vergessen? Sie versprechen es mir fest?«

»Ich verspreche es Ihnen. Es wird wahrscheinlich nicht morgen sein, sondern später. Ich muß erst klarsehen. Aber ich verspreche es Ihnen.«

»Ich danke Ihnen. Ich bin sehr froh. Das heißt ...« Sie sah ihn verwirrt an. Dann sagte sie hastig: »Also auf Wiedersehen!« und ging. Auch er ging, er aber, ohne sich noch einmal umzusehen.


 << zurück weiter >>