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Für Herrn Direktor Siebrecht war dieser Abend mit Herrn von Senden auf längere Zeit der letzte schöne Abend. Ein dunkles Wetter zog für ihn am Himmel auf, und diesmal kam es nicht von der geschäftlichen Seite her, sondern ganz von der privaten. Siebrecht sollte recht behalten: Hertha Eich war ein wenig zu unbekümmert gewesen, es sollte ihm aber noch sehr leid tun, daß er recht behielt. Wie meist, erfuhren die zunächst Beteiligten zuletzt von der Sache. Hertha würde nie etwas gemerkt haben, aber Karl Siebrecht war in diesen Dingen reizbarer: plötzlich fand er den Ton in seinem Büro verändert. Seine Leute sahen ihn so seltsam an, sie hatten eine verlegene Art, ihm guten Tag zu sagen ...
»Warum sehen Sie mich denn so an?« sagte er ärgerlich zu Fräulein Taesler mitten in einem Diktat. »Was ist los mit mir?« Und er griff an seinen Schlips. Das Mädchen wurde glühend rot und stammelte, sie habe den Herrn Direktor nicht mit Bewußtsein angesehen, eine Erklärung, die nicht überzeugen konnte.
»Hören Sie mal, Herr Körnig«, sagte er am Abend zu seinem Bürovorsteher, »was ist eigentlich los im Büro? Ich finde, heute herrschte hier ein verdammt eigenartiger Ton!«
»Ich fand das auch«, gab Herr Körnig bekümmert zu, »es herrschte auch kein Arbeitseifer. Immerzu hatten sie miteinander zu tuscheln, sie steckten sich Zeitungen zu. Mir sagen sie ja nie etwas, aber ...«
»Zeitungen?« fragte Karl Siebrecht. »Rufen Sie doch mal Fräulein Palude herein!« – Aber die Palude war schon gegangen. – »Schade!« sagte Karl Siebrecht. »Hat denn in den Zeitungen etwas über die Firma gestanden?«
»Ich habe nichts gelesen«, antwortete Herr Körnig. »Es kann auch gar nichts von uns drin gestanden haben, es gibt nichts über uns zu berichten!«
»Rufen Sie bitte Herrn Bremer!«
Herr Bremer erschien, rothaarig und sommersprossig, gänzlich unbekümmert. »Hallo, Herr Direktor!« sagte er. »Es ist gut, daß Sie mich noch rufen lassen. Wagen siebzehn hat eine kleine Karambolage gehabt, und in der Werkstatt sagen sie, die Reparatur wird mindestens vierzehn Tage dauern. Es fragt sich nun –«
»Darüber können wir später reden!« sagte Siebrecht. »Ich möchte gerne wissen, ob Sie irgend etwas über die Firma in der Zeitung gelesen haben.«
»Über die Firma? Aber nein, Herr Direktor!« Herr Bremer war äußerst überrascht, er war vielleicht eine Spur zu sehr überrascht.
Siebrecht sah ihn scharf an. »Wann sind Sie heute abend ins Büro gekommen, Herr Bremer?«
Bremer war ganz Unbekümmertheit. »Wann wird es gewesen sein? Ich denke, so gegen sechs Uhr.«
»Haben Sie nichts von ungewöhnlichem Tuscheln untereinander gemerkt? Von einem Zustecken von Zeitungen?«
»Nicht das geringste! Ist denn hier getuschelt worden? Mir hat man nichts gesagt!«
»Mir auch nicht!« klagte Herr Körnig, gerade im falschen Moment.
»Herr Bremer«, sagte Karl Siebrecht unwillig, »ich hoffe, Sie verheimlichen mir nicht etwas aus falscher Diskretion! Wenn irgend etwas über die Firma – oder über mich geschrieben worden ist, habe ich ein Recht, das zu erfahren.«
»Ich weiß nicht das geringste«, sagte Herr Bremer ruhig. »Und was den Wagen siebzehn angeht –«
»Mieten Sie einen Ersatzwagen, wie üblich. Ich danke Ihnen, Herr Bremer.«
Karl Siebrecht kaufte sich noch sämtliche deutschen Abendblätter, von der Roten Fahne bis zur Deutschen Zeitung. Er setzte sich in ein Café und sah alle Zeitungen von vorn bis hinten durch: er fand auch nicht eine Hindeutung auf seine Firma oder gar auf sich selbst. Er war nun fast überzeugt, daß seine Empfindlichkeit ihm einen Streich gespielt hatte.
Er kam nach Haus und fand dort Hertha Eich vor. An Überraschungen dieser Art war er gewöhnt. Aber diesmal war er doch erstaunt, denn sie hatte ihn erst am Nachmittag angerufen und gesagt, daß sie nicht kommen könne. »Du doch hier?« fragte er erstaunt.
»Ja. Und denke dir: Vater schickt mich.«
Er starrte sie an.
»Wie? Dein Vater schickt dich? Hierher? In meine Wohnung?«
»Ja!« nickte sie.
»Bitte«, sagte er. »Das mußt du mir näher erklären.«
»Das kann ich dir leider nicht näher erklären«, antwortete sie kühl. »Vater hat mich nur gefragt, ob ich dich heute noch erreichen könnte.«
»Aber warum denn, um Gottes willen?«
»Ich soll dir sagen, daß du morgen Punkt neun bei Lange & Messerschmidt sein sollst!«
»Aber das konnte er mir doch telefonieren! Darum schickt er dich in meine Wohnung? Ich verstehe kein Wort von der Geschichte! Konntest du ihn denn nicht fragen?«
»Vater fragt mich nichts, und so frage ich ihn auch nichts. – Hast du irgendwelchen geschäftlichen Arger mit ihm gehabt?«
»Aber nein! Außerdem sind Lange & Messerschmidt nur eure Familienanwälte. Für geschäftliche Dinge hat er andere.« Sie starrten sich beide ratlos an.
»Ich frage mich immer«, sagte sie dann etwas zögernd, »ob dies vielleicht mit dem Fotografieren zusammenhängt?«
»Wie –?« fragte er. »Mit was –?«
»Als ich gestern hier aus dem Haus kam, stand da so ein Affe und hat mich geknipst. Er sagte noch ganz frech: ›Danke schön, gnädige Frau!‹«
»Du auch?« rief er verwundert. »Mir ist es genauso gegangen, als ich ins Büro ging. Hier vor unserer Haustür. Und bei mir hat er auch gesagt: ›Danke schön, Herr Direktor!‹ Aber ich hatte es eilig, und ich habe mir eigentlich nichts weiter dabei gedacht.« Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Im Büro waren sie heute auch so komisch. Es hat unbedingt etwas in der Zeitung gestanden. Ich habe gedacht, über die Firma und allenfalls über mich, an dich habe ich mit keinem Gedanken gedacht. Verdammt noch mal!«
»Hast du die Zeitungen durchgesehen?«
»Alle, von der ersten bis zur letzten Seite! Es steht kein Wort von so etwas darin.«
»So müssen wir eben bis morgen warten«, meinte sie, ruhiger als er. »Es ist nur ein Glück, daß Vater die Sache in der Hand hat. Halte dich wacker, mein Lieber!« Damit nickte sie ihm zu und ging, überließ ihn seinen Ängsten und Befürchtungen, seinen Grübeleien und Zweifeln, den Selbstvorwürfen und den Vorwürfen, die er ihr machte. Es wurde keine geruhsame Nacht.
Neun Uhr morgens ist eine sehr frühe Stunde, um zu einem Berliner Rechtsanwalt zu gehen, wenn man nicht gerade einen Termin hat – vielleicht machten die Herren Lange und Messerschmidt darum einen so grämlichen und verkniffenen Eindruck, weil es noch so früh war. »Herr Eich ist noch nicht da«, sagte Lange. »Lesen Sie solange vielleicht dies da, Herr Siebrecht?« Er reichte Karl Siebrecht ein Zeitungsblatt.
»Aber schreien Sie nicht!« sagte warnend Herr Messerschmidt. »Oder kennen Sie es vielleicht schon?«
»Nein, ich kenne es nicht«, antwortete Karl Siebrecht, setzte sich und sah die Zeitung an. Es war ein kleines Blatt im Oktavformat und nannte sich »Der Gute Ruf« – er wäre nie auf den Gedanken gekommen, sich solch eine Zeitung zu kaufen. Es gab damals mehrere solcher Klatschblättchen in der Reichshauptstadt, sie nannten sich »Die Wahrheit« oder »Das Intime Blatt« oder »Der Gute Ruf«, hatten aber weder mit Wahrheit oder gutem Ruf auch nur das geringste zu tun. Karl Siebrecht wandte die Blätter eilig um, bis er auf einen kräftig blau umrandeten Artikel stieß. »Der Schwiegersohn zur linken Hand oder der Knorren am Eichenstamm« betitelte er sich.
Es war ein selbst für dieses Blatt ungewöhnlich perfider Artikel. Er führte aus, wie ein ganz mittelloser Abenteurer – über dessen Vorleben in der nächsten Wochennummer intime Details versprochen wurden – die Tochter eines mächtigen Mannes in Berlin verführt, wie er dann den Vater erpreßt hatte, bis dieser einen Vertrag mit ihm abschließen mußte, der für den jungen Mann sehr günstig, für die Öffentlichkeit aber äußerst ungünstig war. Details würden folgen. »Schläft unser Ministerium oder will es nicht sehen?« Darauf folgten Einzelheiten über das lauschige Heim in einer sehr passenden Straße nahe dem Wittenbergplatz, die erlogen waren. Nicht so erlogen war die Behauptung, daß die Tochter des eichenstämmigen Mannes ganze Nächte in dieser Wohnung zubrachte, vermutlich mit dem Tippen jener wichtigen Korrespondenz beschäftigt, durch die der Öffentlichkeit weiteres Geld abgezapft werden sollte. »Unser nächster Artikel in dieser Reihe wird lauten: Wie komme ich zu einem Auto oder Die Erpressungen des Eichenknorrens.«
»Nun –?« fragte Herr Lange und sah den jungen Mann grämlich an.
»Nun –?« fragte auch Herr Messerschmidt und sah womöglich noch grämlicher aus.
»Wo sitzen diese Kerle?« fragte Karl Siebrecht und wandte die Blätter mit zitternden Händen um. »Wo sitzt der Schandkerl, der dies geschrieben hat?«
»Sie finden den Druckvermerk auf der letzten Seite unten«, antwortete Herr Lange. »Ich nehme an, Sie beabsichtigen, der Redaktion einen Besuch zu machen?«
»Sie nehmen das Richtige an!« rief Karl Siebrecht mit starker Stimme. »Ich werde diesen Schmierfinken zurichten, daß er im nächsten Vierteljahr keine Feder anrührt!«
»Es wird sich unschwer Ersatz für ihn finden«, murmelte Messerschmidt. »Berlin ist voll von solchen – Herren, die derartiges mit Wonne von sich geben, für fünf Pfennig Zeilenhonorar, nehme ich an. Sie sehen bewegten Tagen entgegen, Herr Siebrecht!«
»Und welch wirkungsvoller Artikel in der nächsten Nummer!« meinte Herr Lange beistimmend. »Ich lese es schon: Mörderischer Überfall des Eichenknorrens oder Unser Kampf für die Wahrheit.«
»Und dann erst die Gerichtsverhandlung!« rief Messerschmidt, und ein mildes Licht ergoß sich über seine mürrischen Züge. Er rieb sich sogar die Hände. »Die ganze Presse von Berlin aufmarschiert. Ein Dutzend Verteidiger. Jede Karte für den Zuschauerraum zehnmal vorbestellt. Der Direktor des Berliner Bahnhof-Eildienstes wegen Körperverletzung angeklagt. Unter den Zeugen sieht man Herrn Eich, Fräulein Hertha Eich, deren Name in einem pikanten Zusammenhang –«
»Hören Sie auf!« rief Karl Siebrecht flehend. »Hören Sie bitte auf! Sagen Sie mir lieber, was ich tun soll!«
»Warten wir auf Herrn Eich –« sagte Herr Messerschmidt hoffnungsvoll.
»Und denken Sie unterdes nach, woher dieser Angriff kommt. Denn es ist ein Feind von Ihnen, Herr Siebrecht, der speziell Ihnen diese Suppe eingebrockt hat. Mit Herrn Eich wird erstaunlich gelinde verfahren –«
»Ich glaube, ich kenne ihn«, sagte Karl Siebrecht zögernd. »Ich finde da eine Andeutung in diesem Artikel ...«
»Wenn wir den eigentlichen Feind kennen, ist schon viel gewonnen«, meinte der Anwalt Messerschmidt erfreut. »Wer ist es?«
»Herr Eich und Fräulein Tochter«, meldete der Bürodiener, und die beiden Eiche hielten ihren Einzug.
Herr Eich sah völlig unverändert aus, vielleicht war er noch eine Spur gelber und faltiger, aber das konnte die frühe Morgenstunde machen. Er gab jedem seine kühle, leidenschaftslose Hand. Hertha Eich begrüßte die anderen nur mit einem Kopfnicken, sie reichte Karl Siebrecht nicht die Hand. Sie glitt in einen Sessel in der Ecke. Sie war vielleicht noch blasser als sonst, ihr Mund war fest geschlossen, auf ihrer Stirn stand eine senkrechte Falte. Karl Siebrecht sah sie mit Besorgnis an, sie war entschieden in schlechtester Stimmung.
»Herr Siebrecht hat gelesen?« fragte Herr Eich die Anwälte, und beide nickten. Herr Eich trug heute nicht sein braunes Flauschjackett, er war auch nicht in seinem Heim, trotzdem nahm er sofort seine gewohnte Wanderung auf, diagonal durch den Raum, da der Platz im Büro beschränkt war. Die Anwälte schienen diese Gewohnheit zu kennen, sie hielten ihm seine Gehbahn frei, standen der eine rechts, der andere links von ihr. Überhaupt saß niemand außer Hertha Eich.
»Ja, ich habe gelesen«, sagte Karl Siebrecht. »Ich muß sagen, es tut mir schrecklich leid. Ich bin an allem schuld, ich werde natürlich tun, was ich kann ...«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Herr Eich und sah ihn kühl an. »Es handelt sich aber jetzt nicht um unsere Gefühle, sondern um das, was zu geschehen hat. Was geschehen ist, bleibt unabänderlich. Was geschehen wird, liegt in unserer Hand – in gewissem Umfang.« – Die Anwälte neigten beistimmend die Köpfe. – »Was meine Person und meinen Amtsbereich angeht, so bin ich unantastbar«, fuhr Herr Eich kühl fort. Er wanderte dabei unablässig auf und ab, die linke Rockklappe seines Jacketts hielt er mit Daumen und Zeigefinger fest. »Jede meiner Maßnahmen hält der genauesten Nachprüfung stand, auch der fragliche Vertrag, der sogar ungewöhnlich günstig für meine Behörde ist.« Ein schwaches Lächeln lief über sein faltiges Gesicht, etwas stärker lächelte Herr Lange. Herr Messerschmidt warf einen eiligen Blick auf das gerötete Gesicht des jungen Direktors und verkniff sich sein Lächeln.
Er hat mich also reingelegt, dachte Karl Siebrecht mit bitterer Enttäuschung.
»Danach schalte ich aus«, fuhr Herr Eich fort. »Von mir aus können diese Herren weiterschreiben, solange sie mögen, es interessiert mich nicht. Bleiben die beiden jungen Leute. Was meine Tochter angeht, so reden wir von ihr – zuletzt. Was aber Herrn Siebrecht angeht«, Herr Eich verlangsamte seine Schritte, und im gleichen Maß wurden auch seine Worte langsamer, »so bin ich an seiner Person uninteressiert.« Er sah das gerötete Gesicht des jungen Mannes kühl an. »Er kann angegriffen werden, es interessiert mich nicht.« – Es war nicht zu verkennen, daß die Herren Anwälte betretene Gesichter machten. Diese Entwicklung schien auch ihnen überraschend zu kommen – »Aber –« fing Herr Eich wieder an, und seine Rede wie seine Schritte wurden wieder schneller, »Herr Siebrecht ist der Leiter eines Betriebes, der mit meinem Amtsbereich vertraglich eng verbunden ist. Nun ist der Leiter eines solchen Betriebes zweifelsohne ersetzbar, gerade wenn gegen ihn persönlich schwere Bedenken vorliegen. Und diese Bedenken liegen hier vor. Ich habe die Frage heute nacht leidenschaftslos erwogen –«
Herr Eich blieb stehen. Die Gesichter der Anwälte waren sehr lang geworden, keine Spur von Lächeln lag noch darauf. Karl Siebrecht aber fühlte, wie sein Herz heftig pochte. Dann überwand er sich: »Ich bin selbstverständlich bereit, zurückzutreten, wenn es die Interessen des Betriebs erfordern.«
»Wenn ich zu dem Ergebnis gekommen bin«, fuhr Herr Eich fort, »daß Herr Siebrecht auf seinem Posten bleiben soll, so haben mich dabei keinerlei persönliche Sympathien bestimmt.« Er sprach ganz, als habe er das Angebot des jungen Direktors eben nicht gehört. »Es haben mich allein praktische Gründe geleitet. Herr Siebrecht ist tüchtig, er hat gute Arbeit geleistet, und er ist Fachmann. Sein Betrieb befindet sich zur Zeit im Aufbau, die Lage ist nicht ganz einfach –« Wieder blieb Herr Eich stehen. Sein Auge, das, wie Karl Siebrecht eben sah, heute auch gelblich war, ruhte nachdenklich auf dem jungen Direktor. Dem war zumute wie einem zum Tode Verurteilten, der in letzter Minute begnadigt worden ist. Auch die Gesichter der Anwälte hatten sich erhellt. »Nun ist jeder Mensch ersetzbar, auch der tüchtigste, sogar der Herr Direktor Siebrecht.« Herr Eich schlenderte jetzt nur. »Überraschend hat sich noch in der Nacht ein Ersatz für Herrn Siebrecht geboten, ein Mann, der auch fachkundig ist und der ein tüchtiger Kaufmann zu sein scheint ...«
Bremer! schoß es Karl Siebrecht durch den Kopf. Er warf einen hastigen Blick auf Hertha, aber Hertha saß unbeweglich in ihrem Sessel, der breite Rand ihres Hutes verbarg ihr Gesicht bis zum Kinn.
»Ich habe das Angebot abgelehnt«, fuhr Herr Eich fort, »weil der Charakter des Bewerbers mir nicht einwandfrei schien. Herr Siebrecht bleibt auf seinem Posten, also haben wir ihn zu stützen und zu verteidigen. Ich bitte mir aber dabei aus, Herr Siebrecht«, redete Herr Eich den jungen Direktor nun zum erstenmal selbst an, »daß alle persönlichen Aktionen von Ihrer Seite unterbleiben. Prügeleien und derartige Scherze wünsche ich nicht. Alles liegt von nun an in den Händen der Herren Lange und Messerschmidt, an die Sie sich auch bei jedem neuen Zwischenfall zu wenden haben.«
»Ich bin einverstanden«, sagte Karl Siebrecht.
»Es sind nun meines Erachtens drei Dinge zu erledigen«, fuhr Herr Eich fort. »Wenn ich irgend etwas übersehe, bitte ich, mich zu korrigieren, meine Herren!« – Die Gesichter der Anwälte drückten den felsenfesten Glauben aus, daß Herr Eich nichts übersehen könne. – »Zum ersten ist das Erscheinen weiterer Artikel in diesem Blatt zu verhindern. Haben Sie deswegen schon verhandelt, meine Herren?«
»Wir verhandeln mit solchen Herren nie direkt, Herr Eich«, sagte Herr Lange vorsichtig. »Wir haben einen Ruf zu wahren. Wir haben einen anderen Anwalt beauftragt, und dieser Herr hat sich sofort mit der Gegenseite in Verbindung gesetzt. Trotz der späten Nachtstunde konnte er noch verhandeln. Ich möchte sagen, Herr Eich, er hat auf der anderen Seite eine gewisse Willigkeit gefunden. Die Sache wird sich regeln lassen, immerhin wird sie teuer werden, sehr teuer, fürchte ich, Herr Eich.«
»Ich bewillige blanko jede Summe«, sagte Herr Eich rasch, »die Ihnen billig erscheint. Ich verlange völliges Schweigen über dieses Thema, keine albernen Widerrufe, keine spitzfindigen Erklärungen, sondern Schweigen, nur Schweigen.«
»Das wird sich machen lassen, Herr Eich«, sagte Herr Lange. »Es ist, wie gesagt, nur eine Geldfrage.«
»Der erste Punkt ist also erledigt. Wir kommen nun zum zweiten Punkt –«
»Die Fotos, Vater!« ließ sich plötzlich die Stimme Herthas vernehmen.
»Wie –? Die Fotos? Richtig, die Fotos! Schön, sehr schön«, sagte Herr Eich und warf einen etwas helleren Blick in die Ecke zu seiner Tochter. »Diese jungen Leute haben sich nämlich vor einem gewissen Haus in der Passauer Straße auch noch fotografieren lassen, wie mir heute nacht meine Tochter sagte«, erklärte Herr Eich den Anwälten. »Der Fotograf wird dafür gesorgt haben, daß die Hausnummer schön deutlich über ihren Häuptern sichtbar ist. Also, Herr Lange, Herr Messerschmidt, bei den Verhandlungen mit diesen Herren ist die Hergabe der Platte und sämtlicher Abzüge zur Bedingung zu machen. Überhaupt allen Materials, das vorhanden ist.« – Die Herren verbeugten sich zustimmend. – »Nun der zweite Punkt. Es nützt uns gar nichts, wenn wir die Angriffe in dem einen Blatt abstoppen, und die Gegner laufen mit ihrem Material zum nächsten. Wir können nicht alle Schandblätter Berlins kaufen. Wir müssen den Gegner ermitteln. Haben Sie Herrn Siebrecht schon die Frage vorgelegt, wer dieser Gegner wohl ist?«
»Doch ja. Wir sprachen gerade darüber, als Sie kamen, Herr Eich.«
»Und wer ist es?«
»Ich nehme an«, sagte Karl Siebrecht, »es ist der Viehhändler Engelbrecht. Derselbe Mann, Herr Eich, dessen Beteiligung wir seinerzeit zurückwiesen.«
»So!« sagte Herr Eich. »So!« Er besann sich, blieb stehen und sah wieder den Direktor an. »Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Siebrecht«, meinte er, »zu sagen, daß wir die Beteiligung dieses Engelbrecht zurückgewiesen hätten. Erinnere ich mich recht, wies ich sie zurück, und Sie verteidigten den Mann mit Wärme.« Er sah Siebrecht an, und Siebrecht errötete. – Herr Eich nahm seine Wanderung wieder auf. »Im übrigen«, meinte er, »scheint mir das eine ungewöhnliche Rache für eine zurückgewiesene Beteiligung. Irren Sie sich auch nicht? Woraus schließen Sie, daß gerade dieser Engelbrecht der Urheber der Angriffe ist?«
»Ich schließe es«, sagte Karl Siebrecht und empfand mit ohnmächtigem Zorn, wie seine Vergangenheit gegen ihn aufstand, wie er jedesmal dafür bestraft wurde, wenn er sich mit einem zweifelhaften Menschen einließ ... Ich schließe es aus der Überschrift des zweiten Artikels, die lautet: Wie komme ich zu einem Auto?«
»Und wie kamen Sie zu einem Auto?« fragte Herr Eich scharf.
»Ich bekam es als Kommissionsgebühr von Herrn Engelbrecht für ein Geschäft, das ich in seinem Auftrage abschloß.«
»Eine ungewöhnliche Rachsucht, eine ungewöhnliche Kommissionsgebühr«, sagte Herr Eich bitter. »Ich nehme an, daß nicht alles in Ordnung ging bei diesem Geschäft, sonst würde uns wohl kaum der ›Gute Ruf‹ einen Artikel darüber versprechen können!«
»Nein, es war keineswegs alles in Ordnung bei diesem Geschäft«, antwortete Karl Siebrecht. Er war jetzt ganz kalt und ruhig. Einen Augenblick überlegte er. Dann begann er zu erzählen. Er berichtete von dem Besuch bei Tischendorf, von dem Besuch beim Maurermeister – immer näher kam er dem Augenblick, da sich seine Hände um den Hals dieses kleinen Mannes gelegt hatten ... Die Augen des Herrn Eich blickten gelblich und kühl auf ihn, diesem Mann war nicht anzusehen, was er bei dem Bericht dachte und empfand. Herr Lange hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und den Kopf in die Hand gestützt, Herr Messerschmidt stand halb abgewandt am Fenster und spielte mit der Gardinenschnur. Schließlich hatte er auch das Schlimmste gesagt. Es kam noch die Heimfahrt, es folgte noch der Bericht über das erstaunliche Geschenk Engelbrechts, und nur in einem Punkt sagte er nicht die Wahrheit: er berichtete nichts von dem Spiel um den Lastwagen. Es kam jetzt darauf auch nicht mehr an, aber er hatte es Hertha nun einmal versprochen.
»Schön«, sagte Herr Eich in das lange Schweigen hinein, das dem Siebrechtschen Bericht gefolgt war. »Lieblich«, fuhr er fort. »Sehr lieblich. Sie lassen es mich wirklich aufrichtig bedauern, daß ich mich für Ihren Verbleib auf dem Direktorenposten entschieden habe.« Zum erstenmal erhitzte sich Herr Eich. »Zum Teufel, mein Herr«, sagte er erregt und ging nicht, sondern blieb stehen. »Wenn Sie schon derartig anrüchige Geschäfte machen, warum geben Sie dann nicht wenigstens Ihre Schmiergelder zurück, sobald sich die Gelegenheit dafür bietet! Das Unternehmen war gegründet, Sie hatten eine glänzende Zukunft vor sich, und Sie verweigern diesem dunklen Ehrenmann die Rückgabe eines Gegenstandes, der Ihnen auf der Seele brennen müßte! Der Teufel mag Sie verstehen, mein Herr, ich verstehe Sie nicht!«
»Nein, Sie verstehen mich nicht, Herr Eich«, sagte Karl Siebrecht, »und Sie werden mich auch nie verstehen. Ich weiß nicht, wie Sie der Mann geworden sind, der Sie heute sind, es geht mich auch nichts an. Aber ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich von unten gekommen bin. Ich habe mich hochkämpfen müssen, mit feinen Manieren und mit Anstand kommt man nicht hoch. Ich habe fünf Jahre Krieg mitgemacht, es roch in dieser Zeit manchmal verdammt schlecht, mein Herr Eich, für empfindliche Nasen war das nichts! Und dann habe ich die Inflation zu schmecken bekommen, und die schmeckte und roch noch schlechter, das kann ich Ihnen sagen! Soviel mir bekannt ist, haben Sie von dieser Zeit nicht mehr zu fühlen bekommen, Herr Eich, als daß Sie für ein oder zwei Wochen Herrn Kalubrigkeit bei sich aufnahmen. Ich habe andere Dinge auskosten müssen, ich wollte hoch. Wahrhaftig nicht meinetwegen, ich kann heute noch in der letzten möblierten Bude hausen, ich kann von achtzig Mark im Monat leben. Ich wollte hoch, weil ich mehr leisten wollte! Und als ich einen Fuß auf die Leiter setzen konnte, da habe ich ihn auf die Leiter gesetzt, jawohl! Unten stand sie im Dreck, und ich schwöre Ihnen, der Dreck war mir genauso unangenehm wie Ihnen. Aber um aus dem Dreck herauszukommen, muß man erst einmal durch ihn hindurch. Ich bin durchgekommen, aber wenn Sie wollen, schmeißen Sie mich ruhig wieder hinein! Bitte schön, mein Herr Eich, aber ich komme doch wieder hoch, ich brauche Sie nicht!«
»All das ändert nichts an der Tatsache«, sagte Herr Eich völlig ungerührt, »daß Sie ein faules Geschäft gemacht haben. Die Herren Anwälte werden Ihnen sagen, daß dabei einige Paragraphen des Strafgesetzbuches in Frage kommen.«
»Und Ihnen werden die Herren Anwälte sagen«, rief Karl Siebrecht zornig, »daß es bei Geschäften, zumal in der Inflation, sehr oft noch viel unsauberer zugegangen ist. Macht man denn Geschäfte nur im Geiste christlicher Liebe und Aufrichtigkeit? Sie selber, Herr Eich, haben erst vor einer Viertelstunde hier zugestanden, daß Sie mich bei unserem Vertrag gründlich hereingelegt haben. Ich nehme an, Ihr Gewissen hat Sie deswegen nicht eine Minute beunruhigt, Sie sind sich sehr klug vorgekommen! Wenn man unten auf der Leiter ist, sehen die Geschäfte nicht ganz so fein aus und beunruhigen die Gewissen stärker als oben. Darum haben sie doch alle beide nichts mit christlicher Nächstenliebe zu tun!« Er drehte sich ärgerlich um. Sein Zorn war vorbei – er hatte sich Luft gemacht. Und begegnete endlich dem Blick Herthas, der ihm zulächelte. Er lächelte zerstreut zurück.
»Ich möchte hier in Zeugengegenwart feststellen«, sagte Herr Eich förmlich, »daß an keiner Stelle unserer heutigen Verhandlungen ein Wort von mir gefallen ist, aus dem man entnehmen könnte, ich hätte Sie gründlich hereingelegt, wie Sie zu sagen beliebten. Ich bitte, mir das zu bestätigen, meine Herren.«
»Gewiß«, sagte Herr Lange. »Wenn ich mich recht erinnere, sprachen Sie von einem günstigen Vertrag.«
»Von einem ungewöhnlich günstigen Vertrag«, setzte Messerschmidt hinzu.
Herr Eich lächelte dünn. »Es gibt Verträge«, meinte er, »die oft für beide Teile günstig sind, ungewöhnlich günstig, ich möchte dies feststellen. Etwas anderes: Gestatten Sie mir eine Frage persönlicher Natur, Herr Siebrecht?«
»Bitte!«
»Haben Sie meiner Tochter Mitteilungen über dieses etwas fragwürdige Geschäft gemacht? Wußte sie schon früher davon?«
»Natürlich nicht. Ich habe ihr nie ein Wort davon gesagt.«
»Natürlich, Vater«, sagte Hertha Eich. »Er hat mir alles erzählt, und ich habe ihm ausdrücklich verboten, dir etwas davon zu sagen.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
Dann sagte Herr Eich: »Das war nun wirklich unnötig, Hertha. Einmal sagt der junge Herr etwas Vernünftiges, und sofort bist du unvernünftig.« Er wandte sich zu den Anwälten: »Nun, meine Herren, was denken Sie über diesen Herrn Engelbrecht?«
Achselzuckend sagte der Rechtsanwalt Lange: »Soviel ich verstehe, wird Herr Engelbrecht kein Mann sein, der für Geld zu kaufen ist. Er will seine Rache haben. Wenn wir ihm den ›Guten Ruf‹ sperren, so wird er zur ›Wahrheit‹ gehen oder zum ›Intimen Blatt‹ ...«
Die Herren sahen sich bedenklich an. »Ich wüßte vielleicht einen Weg ...« meinte Karl Siebrecht zögernd.
»Und was wäre das für ein Weg?«
»Ich kann mich darüber nicht näher äußern. Ich glaube aber versprechen zu können, daß Herr Engelbrecht nichts Weiteres unternimmt.«
»Sie werden sich schon näher äußern müssen, Herr Siebrecht«, meinte Herr Eich und blieb wieder einmal stehen. »Nach dem Erfahrenen sind Sie nicht der Mann, dem ich freie Hand lassen möchte.«
Der Rechtsanwalt Messerschmidt sagte zuredend: »Können Sie nicht wenigstens eine Andeutung machen? Sehen Sie, Herr Siebrecht, wir alle hier sind Ihre Freunde. Ich meine«, verbesserte er sich hastig, denn ein sehr gelber Blick des Herrn Eich hatte ihn getroffen, »wir alle hier wollen Ihre Interessen wahrnehmen. Wozu Geheimnisse vor uns haben?«
»Es ist nicht mein Geheimnis«, sagte Karl Siebrecht.
»Ich verstehe«, begann Herr Eich und nahm, sehr langsam sprechend, seine Wanderung wieder auf. »Es ist eine lächerliche Geheimniskrämerei. Es gibt Akten über Akten in dieser Geschichte. Sie wissen Bescheid, meine Herren: Waffenschmuggel, Ententekommission. Herr Siebrecht hatte damit zu tun, und Herr Engelbrecht hatte auch damit zu tun.« Er blieb stehen. »Es scheint wieder auf eine Erpressung hinauszulaufen. Der eine weiß vom andern was – wer am meisten weiß, bleibt Sieger.«
»Nichts derart«, antwortete Karl Siebrecht. »Aber da Sie schon soviel wissen, ist Ihnen vielleicht der Name Dumala ein Begriff?«
»Dumala –?« fragte Herr Eich. »Doch, ich erinnere mich.«
»Ich würde mich überhaupt nicht an Herrn Engelbrecht wenden. Ich würde nur mit diesem Dumala sprechen«.
»Und was soll das nützen?«
»Herr Dumala ist jetzt unter einem anderen Namen als Kriminalassistent auf dem Polizeipräsidium beschäftigt.«
Die beiden Anwälte wechselten einen raschen, wissenden Blick. »Ich möchte einen Irrtum richtigstellen«, sagte Herr Lange lächelnd. »Der fragliche Herr ist bereits Kriminalkommissar. Er ist ungewöhnlich schnell befördert worden.«
»Jawohl, er ist sehr tüchtig«, gab Karl Siebrecht zu. »Ein sehr harter Mann, wo es nötig ist.« – Eine Weile schwiegen die vier Herrn gedankenvoll.
Dann sagte Herr Eich rasch: »Ich stelle anheim!«
Und sofort schlug Herr Messerschmidt vor: »Wir werden Herrn Siebrecht bei dem Herrn anmelden. Jede Stunde heute ist Ihnen recht?«
»Jede Stunde heute ist mir recht.«