Schionatulander weilt mit Sigunen in dem Gezelt, das sie in einem Walde aufgeschlagen haben, als ein lautjagender Bracke auf der Fährte eines angeschobenen Wildes das Dickicht durchbricht. Schionatulander fängt ihn seines Schmuckes wegen und bringt ihn Sigunen. Der Hund hieß Gardevias, zu deutsch: Hüte der Fährte, und war dem Pfalzgrafen Eckunat entsprungen, dem ihn seine Geliebte Klauditte von Kanedig, die Schwester und Erbin jener Florie, für die Ilinot, Artus Sohn, im Kampfe gefallen war, erst bei dieser Jagd als einen »wildlichen« Brief zugesandt hatte: denn das köstliche Halsband und das noch reicher geschmückte zwölf Klafter lange Seil trug eine Schrift, deren Buchstaben Edelsteine bildeten, die mit goldenen Nägeln auf den Strang genietet waren, und deren Inhalt nebst einer sittlichen Auslegung des Hundenamens die Geschichte der beiden Liebenden war. Sigune liest die Aventüre, während Schionatulander draußen im Bach mit bloßen Beinen nach Fischen angelt. Auf die Fortsetzung begierig, löst sie das an der Zeltstange befestigte Seil, als der Hund ausreißt, das Seil nach sich zieht und durch das Zugloch (Winde) des Zeltes lautbellend auf die Fährte des Wildes entkommt. Vergebens setzt ihm Schionatulander nach, Dornen und Stifte verwunden seine bloßen Beine, die noch bluten, als er ohne den Bracken in das Zelt tritt, wo er Sigunen findet, deren Hände das durchgestreifte Seil blutig geschunden hat. Sie verlangt von ihm das Brackenseil, an dem sie die Aventüre zu Ende lesen will und erklärt, daß sie ihren Besitz an diese Bedingung knüpfe. Mit Schionatulanders Versprechen, nicht zu rasten, bis er ihr das Brackenseil wieder erworben habe, schließt das Abenteuer.
|
132 |
So lagen sie nicht lange,
Als aus dem Waldreviere
Mit heller schöner Stimme
auf blutger Fährte hinter wundem Thiere
Ein Bracke kam hochlautend an mit Jagen.
Der fand hier kurzen Aufenthalt:
das muß ich lieber Freunde halb beklagen. |
|
133 |
Da so den Wald durchhallte
der Stimme lautes Bellen,
Schionatulander,
der von Jugend auf vor allen Schnellen
War bekannt – nur Trevrezent der reine
Lief und sprang Jedem vor,
den jemals trugen ritterliche Beine – |
|
134 |
Da gedacht er: »Wenn den Hund
Jemand mag erlaufen,
So braucht er schnelle Füße!«
Nun will er Ruh und Freude verkaufen
Und ein stätes Trauern hier empfangen.
Auf sprang er nach der Stimme:
den Bracken dacht er seinem Lieb zu langen. |
|
135 |
Daß in den weiten
Wald nicht wollte kehren
Das flüchtge Wild, sondern her
vor den Delfin, das wird ihm Sorge mehren:
Langer Kummer ward ihm drum zu Theile.
Er barg sich hinter dichtem Strauch:
sieh, da kam er jagend an dem Seile, |
|
136 |
Des Fürsten Bracke, eilends
war er dessen Händen
Entfahren auf die blutge Spur.
Möchte sie nimmer einen Hund mehr senden,
Die ihn jüngst dem Hochgemuthen sandte,
Dem er entsprang dem Jüngling zu,
und dem damit viel hoher Freuden bannte. |
|
137 |
Da er so das Dickicht
durchbrach auf der Fährte,
Mit arabschem Gold gestickt
trug er am Hals ein Band von hohem Werthe:
Da sah man lichtes, köstliches Gesteine,
Das wie die Sonne glänzte.
Er fing sich da den Bracken nicht alleine; |
|
138 |
Was er mit dem Bracken
fing, will ich euch sagen:
Leid mit Noth gefüttert
ward ihm da zu Theil ohne Zagen,
Und immerdar groß Kriegen und groß Streiten.
Das Brackenseil war ihm Beginn
verlorner Freuden und betrübter Zeiten. |
|
139 |
Er trug den Hund im Arme
Sigunen der klaren.
Das Seil war wohl zwölf Klafter lang,
die von vierfarbgen Seidenborten waren,
Grün, gelb, roth und braun angestücket
Stäts in Spannenlänge,
die Näte schön und köstlich geschmücket. |
|
140 |
Darüber lagen Ringe
mit Perlen lichten Scheines;
Je zwischen den Ringen,
schier spannenlang, ledig des Gesteines,
Vierfarbge Blätter, wohl von Fingers Breite.
Nehm ich den Hund an solch ein Seil,
so bleibt es bei mir, ob auch er entgleite. |
|
141 |
Wenn mans dem Bracken abnahm,
zwischen den Ringen
Sah man Buchstaben,
die rund umher an dem Seile gingen.
Aventüre hört, wenn ihr gebietet:
Mit goldnen Nägeln waren
die Steine fest an den Strang genietet. |
|
142 |
Die Schrift war von Smaragden
mit Rubin verbündet,
Demant, Granat und Chrysolith
dazwischen. Das Seil war gut gehündet;
Auch war wohl nie ein Hund so gut geseilet.
Ich weiß wohl, ließt ihr mir die Wahl,
welches ich wählen wollte unverweilet. |
|
143 |
Auf grünem Sammet
mit mailichem Scheine
War des Halsbands Borte
gestickt und mit mancherlei Gesteine
Beschlagen, deren Schritt ein Fräulein lehrte.
Gardevias hieß der Hund,
das heißt zu deutsch: hüte der Fährte. |
|
144 |
Die Herzogin Sigune
las den Beginn der Märe:
»Ein Brackennamen ist das Wort,
das den Werthen doch geziemend wäre:
Mann und Weib, die schön der Fährte hüten,
Hier wird es ihnen Gunst der Welt
und dort der himmlische Lohn vergüten. |
|
145 |
Sie las am Halsband weiter,
noch nicht an dem Seile:
»Wer immerdar der Fährte
hütet, dessen Preis ist nimmer feile,
Da er im lautern Herzen so erstarkte,
Daß ihn nie ein Aug ersieht
auf dem wandelbaren unstäten Markte.« |
|
146 |
Einem Fürsten wurden Brack und Seil
zum Minnelohne
Gesandt: das schenkt' ihm eine
junge Königin, sie trug die Krone.
Sigune ließ sich von dem Seil bescheiden,
Wer der Fürst war und die Königin;
die Namen standen deutlich da von beiden. |
|
147 |
Sie war von Kanedig entstammt,
die Schwester von Florien,
Die Ilinot dem Britten
Herz und Sinn und sich selbst verliehen,
Was sie nur hatte, außer ehlicher Minne:
Sie hatt ihn auferzogen;
er war ihr lieb vor jeglichem Gewinne. |
|
148 |
Er must auch unterm Helm für sie
sein Leben enden.
Verbot es höfsche Zucht mir nicht,
so möcht ich wohl fluchen seinen Händen,
Der den Stoß nach seinem Herzen führte;
Florie starb an derselben Tjost,
ob nie ein spitzes Eisen sie berührte. |
|
149 |
Sie ließ einer Schwester
die Krone zu eigen.
Klauditte hieß dieselbe Magd;
ihre reine Güte mochte nicht verschweigen
Des Fremden Lob noch dessen, der sie kannte:
Drum drang in manches Land ihr Preis,
den ihr auch der Neid nicht entwandte. |
|
150 |
Die Herzogin las von der Magd
die Schrift an dem Seile.
Ihre Fürsten wünschten,
daß sie ihnen einen Herrn ertheile.
Da berief sie einen Hof gen Beuframunde.
Reich und Arm zog dahin;
da sollte sie ihn wählen gleich zur Stunde. |
|
151 |
Dük Eckunaten
de Salvaschflorien,
Den trug sie längst im Herzen;
auch kor sie ihn, ihm ward ihr Reich verliehen.
Ihre Krone überflog da sein Gemüthe,
Der sich vor allen Fürsten
stäts beflißen wie er der Fährte hüte. |
|
152 |
Sie zwang seine Jugend
und das Recht in ihrem Lande:
Da ihr die Wahl gegeben war,
so wählte denn die Jungfrau sonder Schande.
Wollt ihr zu deutsch des Herzogs Namen kennen?
Von den wilden Blumen,
also hört ich Eckunaten nennen. |
|
153 |
Da er von der Wilde hieß,
sie schickt ihm in die Wilde
Diesen wildlichen Brief,
den Bracken, der durch Wald und Gefilde
Der Fährte wahrte, wie ein Bracke sollte.
Die Schrift besagt' auch, daß sie selbst
weiblicher Fährte hüten wollte. |
|
154 |
Schionatulander
mit einer Federangel
Fing Aeschen und Forellen,
während sie las, dazu der Freude Mangel:
Denn selten ward ihm Freude mehr zu Theile.
Sigun entwickelte die Schnur,
daß sie die Schrift zu Ende läs am Seile. |
|
155 |
An die Zeltstange
war es festgebunden.
Ihr Entwickeln ist mir leid;
Hätte sie sich des nicht unterwunden!
Gardevias litts mit Widerstreben;
Nach seiner Speise rief sie da:
denn sie wollt ihm zu eßen geben. |
|
156 |
Zwei Jungfrauen sprangen
vor das Zelt in Eile.
O weh den blanken Händen
der Herzogin! Litten die vom Seile,
Ich that es nicht, es thats der Steine Härte.
Gardevias zuckte
und entsprang auf des Jagdwildes Fährte. |
|
157 |
Er war auch Eckunaten
entwischt in gleicher Weise.
Sie rief den Jungfrauen:
als sie nahten mit des Bracken Speise,
Zu dem Zelte trugen sie die balde.
Der Bracke war derweil entschlüpft
durch das Zugloch, man hört' ihn schon im Walde. |
|
158 |
Er riß halt das Zugloch
zum Theil aus den Pfählen.
Als er wiederfand die frische,
rothe Fährte, wollt ers nicht hehlen,
Er jagte öffentlich und nicht verborgen.
Des entgalt des werthen
Gurzgri Sohn mit mancherlei Sorgen. |
|
159 |
Schionatulander
die großen wie die kleinen
Fische mit der Angel fing,
wie er dastand mit bloßen, blanken Beinen,
Im lautern schnellen Bach, der Kühle wegen.
Da hört' er Gardevias
Stimme: sie erscholl zur Qual dem Degen. |
|
160 |
Er warf die Angel aus der Hand
und setzte mit Eile
Ueber Strünke wie durch Dornen;
doch naht' er nicht dem Bracken noch dem Seile.
Regloses Dickicht hielt ihn weit zurücke;
Schon spürt' er weder Wild noch Hund;
auch nahm ihm das Gehör des Windes Tücke. |
|
161 |
Seine bloßen Beine wurden
zerkratzt von den Dornen,
Auch verwundeten ihm Stifte
die blanken Füße hinten und vornen.
Er war noch müder als das Wild der Fährte;
Er ließ sie waschen, eh er trat
in das Zelt. Da fand er Sigunen, die Werthe. |
|
162 |
Grau in den Händen,
wie von Frost bereifet.
Wie eines Lanzenbrechers Hand,
wenn vom Gegenstoß hindurchgestreifet
Der Schaft im Saus die bloße Haut geschunden:
So von dem durchgezognen Seil
war die Hand der Herzogin voll Wunden. |
|
163 |
Sie sah seine Wunden
an Händen und an Füßen.
Sie beklagte ihn, er sie.
Nun wird sich diese Märe bald entsüßen,
Da die Herzogin mit ihm zu sprechen
Von der Schrift begann am Seil:
der Verlust wird manchen Sper zerbrechen. |
|
164 |
Da sprach er: »Wo sah man
wohl je ein Seil beschrieben?
Französische Liebesbücher
giebt es viel: mir ist die Kunst nicht geblieben;
Sonst läs ich wahrlich lieber doch darinne.
Sigune, süße Magd, die Schrift
an dem Seile schlag dir aus dem Sinne.« |
|
165 |
Sie sprach: »Aventüre
fand ich an dem Strange,
Les ich die nicht zu Ende,
so widert mir mein Land zu Katelange:
Wieviel mir Jemand Reichtum bieten könnte,
Gern wollt ich drauf verzichten,
wenn er mir die Schrift zu lesen gönnte |
|
166 |
»Das sprech ich, werther Freund, nicht dir
noch Jemand zu Leide;
Doch wieviel der Jahre
wir noch so jung zusammen lebten beide,
Eh dein Dienst der Minne Lohn begehrte,
Schaff er mir das Seil zuvor,
daran Gardevias hütet der Fährte.« |
|
167 |
Er sprach: »So will ich gerne
dir das Seil erwerben.
Wenn es Kampf erringen kann,
so will ich an Leib und Preis verderben
Oder ich bring es wieder dir zu Handen.
Sei gnädig, süße Magd, und halt
mein Herz nicht so lang' in deinen Banden.« |
|
168 |
»Gnad und was nur immer
eine Magd darf gönnen
Ihrem Freund, gewähr ich dir,
und Niemand soll mich dran verhindern können,
Wenn du um das Seil dich willst bemühen,
Das der Bracke nach sich zog,
da ihn meine Hand ließ entfliehen.« |
|
169 |
»So will ich nimmer rasten
noch ruhn, bis ichs erringe.
Du bietest reichen Sold, ich kann
es kaum erwarten, bis ich es bringe
Und deine Minne soll zum Lohn erhalten.
Ich will es suchen nah und fern;
mögen Glück und Minne freundlich walten!« |
|
170 |
So wusten sie mit Worten
Trost zu spenden
Und mit gutem Willen.
Beginn des Leids, wie schrecklich sollt' es enden!
Wohl noch erfährt der Junge wie der Greise,
Der muthige Gelober,
wie es stieg und sank mit seinem Preise. |