Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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§. 20. Loherangrin.

Noch haben wir dreier Nebenzweige der Sage zu gedenken, die, abweichend von allen übrigen, weder in der Bretagne noch in der Provence, noch im fernen Orient wurzeln, nemlich jener von Loherangrin, Klinschor und dem Priester Johannes. Ueber erstern und seine Lotharingische oder Niederrheinische Abkunft können wir uns kurz faßen, da aus Grimms Deutschen Sagen und Görres Vorrede zum Lohengrin die vielfachen Gestalten, in denen die Sage vom Schwanenritter geht, bekannt genug sind. Nimmt man Grimms deutsche Mythologie 1. Aufl. S. 218. Anh. S. XVIII und was H. Leo's Einleitung zum Beowulf über Skeaf beibringt hinzu, so hat man Alles was nöthig ist beisammen, um eine vollständige Uebersicht der Verwandlungen dieser vielleicht schon von Tacitus (Germ. 3) vernommenen deutschen Ulyssessage zu gewinnen. Bekanntlich besitzen wir ein eigenes Gedicht von Lohengrin, das sich an den Wartburgkrieg anschließt, den Zusammenhang mit dem Gral aus Wolfram beibehält und einen Theil der deutschen Kaisergeschichte mit einwebt. Daß Kiot schon diesen Nebenzweig der Sage gekannt habe, bezweifle ich jedenfalls und halte seine Anfügung für Wolframs Werk. Es steht nicht entgegen, daß schon Chrestien nach Dr. Holland S. 200 die Schwanensage in das Gewirre der Abenteuer zieht, die er episodisch an Gawan knüpft. Denn nicht von Parzival noch von dessen Sohn Loherangrin wird dieß Abenteuer berichtet, das überdieß nur bei König Artus die Ankunft eines todten Ritters in dem Kahne meldet, der von einem Schwane gezogen wird. Ein ausdrückliches Zeugniss, daß Kiots Werk nichts von Loherangrin enthalten habe, besäßen wir, wenn ich Parz. 827, 5–8

endehaft giht de Provenzâl
wie Herzeloyden kint den Grâl
erwarp, als im daz gordent was,
dô in verworhte Anfortas

in der ersten Ausgabe richtig so verstanden hätte, als sollte Kiots Werk damit geschloßen haben, daß Parzival den Gral erwarb, nachdem ihn Anfortas verwirkt hatte. Allein der vieldeutige Ausdruck endehaft wird hier vollständig meinen, und so könnte diese Stelle eher gegen mich gewendet werden. Aber Loherangrins Schicksale gehören nicht zu dem vollständigen Bericht über Parzivals Erwerbung des Grals. Und gerade hierin, in der vollständigen Darlegung, wie Parzival durch innere Heiligung würdig wurde, den Gral zu erwerben, auf den ihm schon seine Geburt Anspruch verliehen hatte, und wie ihn dagegen Anfortas durch sittliche Verschuldung verwirkte, besteht der Vorzug, welchen Wolfram seinem Gedichte vor dem Chrestiens beilegen durfte; die weitere Anknüpfung der Geschicke Loherangrins ist nur eine Zugabe, die man schon darum am besten Wolfram zuschreibt, weil sie sich bei Chrestiens Fortsetzern noch nicht findet. Sonst können auch alle die Gründe dafür angeführt werden, die von den übrigen deutschen Bestandtheilen in Wolframs Gedichte gelten.


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