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Ein rohes englisches Gedicht, das Lady Guest aus dem Thornton-Manuscript anführt, verfolgt Parzivals Geschichte, wie wir sie aus Wolfram kennen, nur bis zu seiner Verbindung mit Kondwiramur, die hier Lufamur heißt. Als er diese verläßt, um seine Mutter aufzusuchen, besteht Parzevell noch den Kampf mit Orilus wegen Jeschuten (doch kommen diese Namen nicht vor); als dieser aber seinen Ring zurückbegehrt, findet es sich, daß er dem Herrn des Landes, einem mächtigen Riesen, gegeben worden ist. Diesen besiegt Parzevell und findet unter seinen Schätzen mit großer Mühe den Ring, der sich unterdes als ein sehr unheilbringendes Kleinod erwiesen hat: denn als ihn der Riese einer Dame zum Geschenk angeboten, um ihre Neigung zu gewinnen, war diese in Wahnwitz verfallen, weil sie ihren Sohn für todt hielt, welchem sie den Ring zum Andenken gegeben hatte. Demnach sucht nun Parzevell, der seine Mutter in der Dame erkannte, nicht in ritterlichem Aufzuge, sondern in dem rohen Gewande, in welchem er sie verlaßen hatte, seine Mutter wieder auf und heilt sie durch die Freude des Wiedersehens. Nachmals zieht Parzevell ins heilige Land und fällt dort im Kampfe. So jung das Gedicht sein mag, so könnte es doch einen Theil der Jugendgeschichte Parzevals in älterer Gestalt überliefern. Ob der Zug nach dem heiligen Lande erst durch die Kreuzzüge in das Gedicht kam und das Streben nach dem Gral verdrängte, steht dahin. Von Gachmurets Geschichte weiß das Gedicht so wenig als das Mabinogi und Chrestien, und die Meldung, daß der rothe Ritter, den hernach Parzevell erschlägt, seinen Vater im Turnier getödtet habe, stimmt gar nicht zu dem, was uns sonst gemeldet wird.
Gervinus hat nun I, 251, 383 noch auf einen bretagnischen Balladenkranz über den Helden Morvan lez-Breiz aufmerksam gemacht, der von dem Kinde Morvan Aehnliches erzählt, wie unser Dichter im dritten Buch von dem Knaben Parzival. Einen wandernden Ritter hält Morvan für einen Engel, und als er nun selbst Ritter zu werden auf Abenteuer auszieht und nach zehn Jahren ruhmvoll zurückkehrt, findet er seine Mutter unterdes gestorben. Hierin möchten allerdings noch ältere Anfänge einiger Züge der Sage liegen.
Das Dümmlingsmärchen von dem verwaisten Knaben, der gegen den Wunsch der Mutter auf Abenteuer auszieht, finden wir demnach mit Artus schon bei einem der brittischen Völker in lose Verbindung gebracht, die diesseits und jenseits des Canals wohnten; am Wahrscheinlichsten in der Bretagne, da der Name Parzevell französischen Ursprung kund giebt. Wann und wo aber die so entstandene Erzählung die viel innigere Verbindung mit der Gralssage eingieng, ist eine andere Frage.
Für die Heimat der Gralssage selbst, mit Ausscheidung der brittischen Bestandtheile, habe ich früher das Gebiet der provenzalischen Sprache angesehen, welches bekanntlich das südliche Frankreich bis an die Loire und das nördliche Spanien begriff. Sehen wir was für die Ansicht noch jetzt geltend gemacht werden könnte, daß die Provence in diesem weiten Sinne die Heimat der Sage sei, welche uns der Provenzale Kiot überliefert haben soll. Der Name des Grals ist dafür nicht entscheidend; jedoch ist an keltischen Ursprung bei ihm am Wenigsten zu denken, während er im Provenzalischen und Altfranzösischen ganz einfach ein Gefäß bedeutet. Vergl. Diez, Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprache, Bonn 1855 S. 646: »Noch jetzt braucht man in Südfrankreich grazal grazau grial grau für verschiedene Gefäße.« Provenzalisch ist aber allerdings der Name des Hundes Gardevias in Wolframs Titurel.
Wenn freilich Karidol, Dianaßdron, Karminal, Nantes, Löver, Lohneis (Leonnais, die Gegend von Laon), Kukummerland (Kumberland), der Wald von Briziljan und andere brittische, bretagnische oder benachbarte nordfranzösische Localitäten genannt werden, so sind diese allerdings erst durch die aufgenommenen brittischen Sagenelemente, die wir, als der Gralssage ursprünglich nicht angehörig, auszuscheiden haben, hineingekommen, und die über die Provence in anderer Richtung hinausliegenden südspanischen, maurischen oder gar orientalischen Orts- und Ländernamen haften nicht tief in der Sage und können durch Wolfram und seine Gewährsmänner, wer diese auch waren, eingewebt sein. Dasselbe gilt von den zahlreich eingestreuten, zum Theil schon den Alten bekannten Bruchstücken des morgenländischen Aber- und Wunderglaubens: von dem Golde des Kaukasas (Kaukasus), das von Greifenklauen aus dem harten Felsen gezerrt in Arabien zu den grünen Achmardi-Pfelleln verarbeitet wird; von dem Berge zu Agremontin, wo die Würme Salamander im heißen Feuer kostbare Stoffe weben; von den Wunderthieren Phönix, Pelikan und Ecidemon, von zauberkräftigen Kräutern und Steinen; von den seltsamen Menschenungeheuern u. s. w.
Der Annahme provenzalischen Ursprungs stünde nicht entgegen, daß der Name Parzival sich aus dem nordfranzösischen Idiom beßer als aus dem provenzalischen erklärt: denn Anjou liegt auf der äußersten Grenze des südlichen Frankreichs, ja es reicht zum Theil schon in das nördliche hinüber. Wenn aber Görres (Lohengrin S. VI.) diesen Namen aus dem Arabischen ableitet, wo Parseh Fal der reine oder arme dumme bedeute, so passt dieß allerdings auf Parzivals Dümmlingsnatur, doch kann es auch ein zufälliges Einstimmen sein, da wir keinen Grund haben, zur Erklärung des Namens eines Fürsten von Anjou die arabischen Wörterbücher zu befragen. Die französischen Gedichte und Romane von Parzival beziehen diesen Namen auf das Durchstreifen der Thäler, und der eines jüngern Helden, Perceforest, scheint nach seinem Gleichniss gebildet. Tiefer ist Wolframs Deutung 140, 16 ff., indem er Sigunen sagen läßt:
»Fürwahr, du heißest Parzival. Der Name sagt: Inmitten durch. Die Liebe schnitt wohl solche Furch' In deiner Mutter treues Herz: Dein Vater hinterließ ihr Schmerz.« |
welche Stelle wohl Heinrich von dem Türlin in der Aventüre Krone im Sinne hatte:
als sich sîn name diutet, wan parze spricht durch, val ein tal oder ein furch: als hât in unser zunge sîn name die diutunge. |
An sich würde auch nicht widerstreiten, daß das Provenzalische sich mehr zur Lyrik als zur Epik neige: denn wenn dieß gleich zugegeben werden muß, und Fauriel sich vergebens bemüht, ihr auch auf diesem Felde den Vorrang vor der nordfranzösischen zu erstreiten, so hat doch wohl nie ein Volk der epischen Poesie durchaus entbehrt, und der provenzalischen Literatur kann sie so wenig ganz abgesprochen werden als der nordfranzösischen die Lyrik.
Wäre wirklich die Provence als Heimat der Gralssage erweisbar, so bliebe sie doch an ihrem oben angegebenen Umfange ein zu weites Gebiet, als daß nicht eine nähere Erkundigung innerhalb desselben nöthig wäre.
Diesseits der Pyrenäen, im südlichen Frankreich, begegnet uns zuerst das Königsgeschlecht von Anjou, das aber sogleich in Gachmuret, wenn dieser der Gralssage angehören sollte, über diese Hälfte der Provence nach Waleis und Norgals, ja in den fernern Orient hinübergreift. Seinen Bruder Galoes finden wir zwar nur mit der Auvergne (Averre 91, 23) in Beziehung, aber schon beider Vater Gandein, der nach der weiten Stadt Gandein (498, 25) genannt sein soll, schweift nach Steier hinüber. Gurnemans tritt im Parzival zuerst bei dem Turnier zu Kanvoleis, also wohl in der Nähe der Pyrenäen auf: die Lage von Graharz vermögen wir nicht zu bestimmen, aber aus dem echten Titurel 92 lernen wir seinen Enkel Schionatulander als den Delfin von Graswaldane (graisivaudan in der Dauphinée) kennen, so daß auch sie dem südlichen Frankreich angehören, ja sogar durch Schionatulanders Verlobung mit Sigune, der Düchess von Katalangen (Katalonien), gleichfalls in die transpyrenäische Provence hinüberleiten. Orilus von Lalander und seine Schwester, Kunneware de Laland, deuten auf les Landes: 545, 29 wird Orilus ein Burgundois genannt; auch Poitou und Gaskogne kommen vor, und wenn daneben auch die nordfranzösische Champagne, Beauvais, ja Hennegau und Brabant genannt werden, so sind sie doch niemals Schauplatz der Sage. Indessen fragt es sich, wie alt diese Ortsnamen in der Sage sind, und wer sie hineingebracht hat, Chrestien oder Wolfram; ja die zuletzt genannten scheinen den ausgeschiedenen brittischen Sagenbestandtheilen anzugehören.
Wem fällt aber nicht auf, daß so viele Königreiche, Landschaften und Städte, die man sich ins heutige Frankreich denken zu müßen glaubt, wie Iserterre mit der Hauptstadt Brandigan, Brobarz mit der Hauptstadt Pelrapär, Li mit der Hauptstadt Barbigöl, Destrigleis mit der Hauptstadt Karnant, Askalon mit der Hauptstadt Schampfenzon, Beaurosch, Lirivoin, Avendroin, Gross, Logrois, Roschsabins, Joflanze u. s. w. sich schwerlich nachweisen laßen. Nimmt man hinzu, daß Parzivals Ritt aus der Wüste Solitane, die man sich doch gern in die Pyrenäen, in die Nähe der Länder Waleis und Norgals, denken möchte, nach dem Walde Briziljan, von dem wir wißen, daß er in der Bretagne lag, und gleich darauf von Nantes nach Graharz, das nach dem Obigen in der Dauphinée liegen müste, keine sonderliche Rücksicht auf die Entfernungen verräth, so wird man inne, daß man sich im Lande der Dichtung befindet, nicht in einem solchen, das zu irgend einer Zeit auf der Karte nachweisbar wäre.
Jenseits der Pyrenäen wird allerdings der Schauplatz bestimmter und die Bezüge auf den Gral mehren sich. In den Pyrenäen selbst scheint Monsalväsch zu liegen, der zweideutige Name möge nun den behaltenen, verborgenen Berg (mont salvat) oder den wilden (mont salvatge fr. sauvage) bedeuten. Nach dem jüngern Titurel (wenn dessen Zeugniss gelten kann) bekehrte Parill, Senabors Sohn, des Stammvaters der Gralskönige, nachdem ihm Vespasian seine Tochter Argusille vermählt, das Königreich Frankreich geschenkt, seine Brüder aber mit Anjou und Kornvall verliehen hatte, die Heiden in Saragossa und Galicien. Sein Sohn Titurison vermählte sich mit Elisabeth von Arragonien, und dessen Sohn Titurel unterwarf mit Hülfe der Provenzalen, Kärlinger (Nordfranzosen), derer von Arles und des Herzogs Karl von Lothringen die empörten Heiden von Auvergne und Navarra, und vermählte sich mit Richeiden, der Tochter des Königs von Spanien. Als der Engel ihm den Gral brachte, baute er bei Salvaterra in den Pyrenäen, zwischen Navarra und Arragonien, wo noch ein Ort dieses Namens liegt, den Tempel von Monsalväsche. Ihm folgte im Priesterkönigtum (auch nach Wolfram) sein Sohn Frimutel, dessen Tochter Herzeleide, dem König Kastis vermählt, die Königreiche Waleis und Norgals von ihm ererbte. Daß diese beiden Länder jenseits der Pyrenäen liegen sollen, darf man wohl annehmen, da Gachmuret von Sevilla über Toledo nach ihrer Hauptstadt Kanvoleis reitet und dort auch den König von Spanien findet. Herzeleidens Schwester Schoisiane war Kiot, dem Herzogen von Katalangen (Katalonien) vermählt; aber auch Kailet, den König von Spanien, dessen Hauptstadt Toledo ist, sehen wir den Gralskönigen durch Richeiden, Frimutels Schwester, verschwägert. Hiezu kommt endlich das von Flegetanis aufgefundene Manuskript von Toledo, dessen oben erörterter Inhalt schon auf die mit dem Orient zusammenhängenden maurischen Provinzen Spaniens hinweist.
Hier will ich eine Bemerkung von Görres, die St. Marte wiederholt hat, erwähnen, wonach in diesen Gralsgeschichten noch keine Spur sei von dem Haß der Christen gegen die Muhamedaner, den die zur Zeit Kiots eintretenden Kreuzzüge entflammt hätten. Christliche Ritter, Gachmuret und Schionatulander, fechten ohne Bedenken im Dienst des Kalifen und als ersterer in der Schlacht gefallen ist, gönnt ihm der Kalif ein christliches Begräbniss und läßt ein Kreuz bei seinem Grabe aufrichten, ja nach dem jüngern Titurel will der Kalif ein Mönchskloster bei seinem Grabe stiften. Kailet von Toledo, Morholt von Irland und Friedebrand von Schotten verbinden sich mit Heiden, um Isenhart, einen dem Schotten verwandten Mohren mit deutschem Namen an Heiden zu rächen. »Dieser gänzliche Mangel einer feindlichen Richtung gegen das Heidentum als Religionspartei, die beide Glaubensbekenner gegen einander üben, deuten auf die Länder als Heimat der Sage, wo diese Toleranz im grösten Umfange geübt ward, Spanien.« Ich bin jetzt nicht mehr der Meinung, daß aus solcher Toleranz, welche übrigens die Kreuzzüge eher vermittelt als aufgehoben haben möchten, ein Schluß auf den Ort erlaubt sei, wo die Sage sich bildete; höchstens könnte die ohnedieß feststehende frühe Zeit des Ursprungs jener von Gachmuret, die erst Wolfram mit der von Parzival verband, daraus hervorgehen.
Alle die gefundenen Hindeutungen auf Spanien bedeuten jedenfalls wenig, wenn die zu §. 11 mitgetheilte Ansicht Ferd. Wolfs über den Grund der Versetzung des Grals nach Spanien richtig ist. Wenn, wie sich uns aus §§. 11, 12 und 13 ergab, die Gralssage aus einer Verschmelzung deutscher und christlicher Elemente entstand, so liegt am nächsten, daß es die Trouveres des nördlichen Frankreichs waren, welche sie zuerst aufgriffen und mit der Parzivalssage so wie mit der Tafelrunde des Artus verbanden. Die Bezüge auf Spanien so wie die auf das ferne Morgenland erklären sich hinlänglich auf die von F. Wolf angegebene Weise, nur spricht nichts für dessen Annahme eines keltisch-druidischen Ursprungs.