Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.
Antikonie.

Inhalt.

Gawan kommt vor die prächtige Burg Schampfanzon im Lande Askalon, dessen König Vergulacht, um sich bei der Reiherbeize nicht stören zu laßen, ihn der Pflege seiner Schwester Antikonie empfiehlt. Beide Geschwister, welche Kingrisin, den Gawan ermordet zu haben fälschlich beschuldigt ist, mit Fleurdamur, der Tochter Gandeins und Schwester Gachmurets, erzeugt hat, theilen die Schönheit des ganzen von den Feien stammenden Geschlechts. Die Reize Antikoniens, mit der Gawan allein geblieben ist, verleiten ihn zu ungestümer Liebeswerbung. Eben soll er erhört werden, als ein grauer Ritter eintritt und das Volk zu den Waffen ruft, weil Gawan, nicht zufrieden den König ermordet zu haben, nun auch dessen Tochter nöthigen wolle. Gawan flüchtet sich mit der Königin in einen festen Thurm, gebraucht den Thorriegel als Waffe, und ein Schachbrett dient ihm zum Schilde, während Antikonie die Schachbilder gegen die Anstürmenden schleudert. Vergulacht kommt hinzu und mahnt die Seinen zu neuem Angriff, statt sich als Wirth seines Gastes anzunehmen; der Landgraf Kingrimursel aber, der Gawanen zum Zweikampf dahin geladen, schlägt sich auf seine Seite, weil er ihm Geleit zugesagt hatte. Auf das Zureden der Seinigen bewilligt Vergulacht einen Waffenstillstand. Antikonie und Kingrimursel, seines Oheims Sohn, tadeln sein Betragen; letzterer geräth darüber mit Liddamus, einem reichen aber feigen Lehnsfürsten des Königs, in Wortwechsel und schließt mit Gawan einen Sonderfrieden, wonach ihr Zweikampf nach einem Jahre zu Barbigöl vor dem König Meljanz von Li gefochten werden soll. Vergulacht, indem er sich mit seinen Fürsten beräth, erzählt diesen, wie er jüngst einem Ritter (Parzival), der ihn abgestochen, geloben müßen, ihm den Gral zu erwerben oder der Königin von Pelrapär seine Sicherheit zu bringen. Auf den Rath des Liddamus wird Gawan unter der Bedingung entlaßen, daß er diese Verpflichtung Vergulachts über sich nehme. Kingrimursel verspricht, seine Edelknaben durch Scherules Vermittlung zu Artus zu senden, worauf Gawan Urlaub nimmt und hinwegreitet, nach dem Grale zu forschen.

 

        398   Wer auch gen Beaurosch war gekommen,
Doch hatte Gawan da genommen
Den Preis allein auf beiden Seiten;
Nur Ein Ritter könnt ihn ihm bestreiten,
5   Bei rothen Waffen unbekannt,
Des Preis die höchste Höhe fand.

Gawan hatte Ehr und Heil,
An beiden seinen vollen Theil;
Nun naht' auch seines Kampfes Zeit.

10   Lang war der Wald und weit,
Den er hatte zu durchstreichen,
Dem Kampf nicht zu entweichen,
Zu dem er schuldlos war erwählt;
Da Ingliart ihm leider fehlt,
15   Sein Ross mit kurzen Ohren:
Zu Tabronit von Mohren
Ward nie ein beßer Ross ersprengt.
Nun ward der Wald bunt gemengt,
Hier ein Busch und dort ein Feld,
20   So schmal noch manches, daß ein Zelt
Platz kaum fände dazustehn.
Gebautes Land dann sollt er sehn,
Das hieß mit Namen Askalon.
Da fragt' er nach Schamfanzon
25   Alle Leute, die er fand.
Hoch Gebirg und sumpfig Land
Hatt er schon durchmeßen viel.
Eine Burg ihm in die Augen fiel,
Die glänzte schön im Sonnenschein;
Da kehrte dieser Fremdling ein.

399  

Nun hört von Aventüre sagen
Und helft mir auch dabei beklagen
Gawanens großen Kummer.
Ob ich weiser sei, ob dummer,

5   Doch thut es aus Geselligkeit
Und trauert mit mir um sein Leid.
O weh, nun sollt ich schweigen;
Doch nein, laßt ihn sich neigen,
Der sonst das Glück herbeigewinkt
10   Und jetzt in Ungemach versinkt.

Die Burg war so stolz und hehr,
Daß Karthago nimmermehr
So herlich vor Aeneas stand,
Als Tod um Minne Dido fand.

15   Meld ich euch wie mancher Saal
Da prange, all der Thürme Zahl?
Sie genügten wohl für Akraton,
Die Stadt, die nach Babylon
Den weitsten Umfang gewann,
20   Wenn man den Heiden glauben kann.
Sie war so hoch im Kreiß umher,
Und wo sie abschoß nach dem Meer,
Sie brauchte keinen Sturm zu scheun
Noch ungefügen Haßes Dräun.

25  

Meilenbreit lag ein Plan
Vor ihr: darüber ritt Gawan.
Fünfhundert Ritter oder mehr
(Einer war vor Allen hehr)
Entgegen kamen ihm geritten
In lichten Kleidern wohl geschnitten.

400   Wie mir die Aventüre sagte,
Ihr Federspiel den Kranich jagte,
Oder was vor ihnen flog.
Ein spanisch Streitross schnell und hoch
5   Ritt der König Vergulacht;
Sein Blick war Tag wohl bei der Nacht.
Sein Geschlecht entsandte Mazadan
Aus dem Berge Feimorgan;
Denn er stammte von den Feien.
10   Als sähe man den Maien
Blühen in der Rosenzeit,
So war des Königs Lieblichkeit.
Wohl bedauchte Gawan,
Da er so blühend ritt heran,
15   Es wär der andre Parzival,
Oder Gachmuret dazumal,
Als er, wie diese Märe weiß,
Einzug hielt in Kanvoleis.

Zu einem sumpfgen Weiher

20   Vor Falken floh ein Reiher.
Der König, der die Furt nicht fand,
Als er den Falken beistand,
Wurde naß in dem Moor.
Sein Ross er noch dazu verlor
25   Und seine Kleider allzumal
(Doch die Falken schied er von der Qual);
Die Falkner nahmen Alles hin.
War ihnen solches Recht verliehn?
Es war ihr Recht, sie solltens haben,
Es ließ sich aus dem Recht nicht schaben.
401   Ein ander Ross ward ihm geliehn;
Auf immer gab er seins dahin.
Man zog auch ander Kleid ihm an,
Da seins die Falknerzunft gewann.

5  

Da kam Gawan herzugeritten.
Fürwahr, da sah man höfsche Sitten:401, 6–22. Hier ist der Inhalt der ersten Abenteuer in Hartmanns Ereck ziemlich vollständig angegeben. Vgl. zu 178, 11–26 und 133, 11.
Man empfing ihn beßer wohl,
Als man einst zu Karidol
Erecken sah empfahen,

10   Da er Artusen nahen
Wollte nach dem Streite,
Und Enit an seiner Seite
War seiner frohen Ankunft Zier.
Ein Zwerg hatt ihn, Maliklifier,
15   In Ginoverens Gegenwart
Geschlagen mit der Geisel hart:
Zu Tulmein must er das rächen,
Wo im weiten Kreiß ein Stechen
Ward um den Sperber angestellt.
20   Ider Fils Noit, der kühne Held
Wars, der ihm da Fianze bot,
Denn anders mied er nicht den Tod.

Doch laßt es dort und horchet her:
Sicher habt ihr nimmermehr

25   Schönern Empfang vernommen.
Weh, das wird schlimm bekommen
König Lotens werthem Sohn.
Wollt ihr, so steh ich ab davon
Euch das Weitre zu berichten:
Aus Mitleid will ich draufs verzichten.
402   Doch vernehmet noch aus Güte,
Wie ein lauter Gemüthe
Fremde Falschheit konnte trüben.
Soll ichs noch ferner üben
5   Diese Mär euch zu sagen,
Werdet ihrs mit mir beklagen.

Da sprach der König Vergulacht:
»Herr, so hab ich mirs bedacht:

10   Reitet ihr zur Burg herein.
Kanns mit euern Hulden sein,
Möcht ich euch weiter nicht begleiten.
Kränkt euch jedoch mein Weiterreiten,
So sei mein Jagen eingestellt.«
15   Da sprach Gawan, der werthe Held:
»Herr, was ihr zu thun geruht,
Recht ist immer, daß ihrs thut:
Ich spare darum meinen Haß,
Mit gutem Willen thu ich das.«

Der König sprach von Askalon:

20   »Herr, ihr seht wohl Schamfanzon.
Meine Schwester wohnt dort, eine Magd:
Was je von Schönheit ward gesagt,
Davon hat sie das vollste Theil.
Rechnet ihr es euch zum Heil,
25   So wird mein Bote sie bewegen,
Euch an meiner Statt zu pflegen.
Ich komme früher als ich soll:
Denn gern entbehrt ihr meiner wohl,
Wenn ihr meine Schwester seht:
Ihr klagt nicht, komm ich noch so spät.«

403  

»Ich seh euch gern und gerne sie.
Doch haben Königinnen nie
Wirthespflicht an mir gethan,«
So sprach der stolze Gawan.

5   Einen Ritter sandt er mit ihm ein
Und gebot der Schwester sein,
Ihn zu pflegen, daß die längste Weile
Ihn bedünke kurze Eile.
Gawan that wie er gebot.
10   Wollt ihr, noch schweig ich großer Noth.

Nein, ich will euch weiter melden.
Pferd und Straße trug den Helden
Hin zu des Schloßes Thor,
Wo der Pallas sich verlor.

15   Wer je ein Haus hat aufschlagen,
Der wüste beßer wohl zu sagen
Von dieses Baues Feste.
Welch eine Burg! die beste,
Die wohl je die Erde trug.
20   Auch war ihr Umfang weit genug.

Laßen wir des Schloßbaus Preis,
Ob ich mehr zu sagen weiß
Von des Königs Schwester, einer Magd.
Von ihrem Bau ward viel gesagt;

25   Ich beschreib ihn, wie ich soll.
War sie schön, das stand ihr wohl;
Hatte sie den rechten Muth,
Das war zu ihrem Preise gut:
So mochte sie an Sitt und Sinn
Wetteifern mit der Markgräfin,
404   Die oftmals von dem Heitstein404, 1. Da die Handschriften zwischen Aitstein, Heitstein, Beitstein, Hertstein schwanken, so war die Deutung, welche Markgräfin gemeint sei, um so schwieriger. V. d. Hagen glaubte, die Markgräfin von Hohenburg (vgl. zu 230, 13), die Mutter des Minnesängers, weil sonst in Wolframs Nähe keine Markgrafen vorkommen, und das oben erwähnte Wildenberg zu Hohenburg gehört habe. Nach Haupt (Berichte 1849, S. 180) wäre Heitstein zu lesen: so heiße ein dritthalbtausend Fuß hoher Berg im bairischen Walde, in der Gegend von Chamm. Trümmer der Burg sind noch vorhanden. Die hier gemeinte Markgräfin wäre die Gemahlin Berchtolds von Chamm und Vohburg, welche 1204 verstarb.
Warf über all die Mark den Schein.
Wohl ihm, ders traulich dort bei ihr
Erfahren soll! Glaubet mir,
5   Der Kurzweil so viel als dort
Findet er an keinem Ort.
Ich will nur Frauentugend loben,
Die ich mit Augen konnt erproben –
Die ich rühmen soll und preisen,
10   Muß sich sittsam erweisen.
Nun vernehm dieß Abenteuer
Ein lautrer Mann, ein treuer.
Was soll der Ungetreue?
Mit durchbohrender Reue
15   Verliert er seine Seligkeit:
Seine Seele duldet scharfen Streit.

Auf den Saalhof ritt Gawan
Zu der Gesellschaft heran,
Der ihn der König sendete,

20   Der sich selber an ihm schändete.
Der Ritter führt' ihn zu ihr ein:
Da saß sie in der Schönheit Schein,
Antikonie die Königin.
Ist Frauenehre Hochgewinn,
25   Stäts hat sie solchen Kauf geschloßen,
Zu aller Falschheit so verdroßen,
Daß sie der Reinheit Preis erwarb.
O weh, daß uns so früh erstarb
Von Veldeck der weise Mann!
Wer ist nun, der sie loben kann?

405  

Als Gawan die Jungfrau sah,
Der Bote ging und sagt' ihr da,
Was ihr der König laße melden.
Ungesäumt sprach zu dem Helden

5   Die Königin: »Herr, tretet ein.
Ihr sollt mir selbst Zuchtmeister sein:
Ihr mögt gebieten, mögt mich lehren.
Mag ich euch Kurzweile mehren,
Das soll, wie ihr gebietet, sein.
10   Da euch mir der Bruder mein
Anempfohlen hat so wohl,
Ich küss euch, wenn ich küssen soll.
Nach euerm Sinn gebietet nun
Ueber mein Laßen und mein Thun.«

15  

Mit großer Zucht sie vor ihm stund.
»Frau,« sprach Gawan, »euer Mund
Sieht sich gar so kusslich an,
Euern Gruß und Kuss will ich empfahn.«
Ihr Mund war heiß und voll und roth,

20   Zu dem Gawan den seinen bot.
Der Fremdling küsste sie nicht fremd.
Zu dem Mägdlein ungehemmt
Setzte sich der werthe Degen.
Sie durften süßer Rede pflegen
25   Beiderseits mit Treuen.
Oft musten sie erneuen
Er sein Gesuch, sie ihr Versagen;
Herzlich wollt er das beklagen.
Um Gewährung bat er viel;
Sie sprach, wie ich euch sagen will:

406  

»Herr, wofern ihr anders klug,
So bedünk euch dieß genug.
Weil mich der Bruder drum gebeten,
Bot ich euchs so, daß Gachmureten

5   Anflis es nimmer beßer bot,
Meinem Ohm. Wohl um ein Loth
Schwerer wöge noch mein Pflegen,
Wollte man es gründlich wägen.
Weiß ich doch, Herr, nicht, wer ihr seid,
10   Der ihr nach so kurzer Zeit
Meine Minne schon begehrt.«
Da sprach Gawan der Degen werth:
»Wollt ihr das wißen, Königin?
Ich sag euch, Herrin, ich bin
15   Meiner Vatersschwester Bruderssohn.
Wollt ihr mir schenken Minnelohn,
Meiner Herkunft halb säumt nicht damit:
Die hält mit eurer so den Schritt,
Daß beid auf gleicher Höhe stehn
20   Und Hand in Hand wohl dürfen gehn.«

Die Magd, die ihnen eingeschenkt,
Hatte schon den Schritt hinaus gelenkt;
Die Fraun, die erst bei ihr geseßen,
Durften länger nicht vergeßen,

25   Was sie draußen musten pflegen;
Auch der Ritter war nicht mehr zugegen,
Der ihn der Köngin vorgestellt.
Da gedachte der Held,
Da sie alle waren draußen,
Daß oft den großen Straußen
407   Fangen mag ein kleiner Aar.
Er griff ihr untern Mantel gar,
Die Hüfte rührt' er ihr, ich glaube:
Da ward er großer Pein zum Raube.
5   Von der Liebe solche Noth gewann
So die Magd wie der Mann,
Daß schier ein Ding da wär geschehn,
Hättens üble Augen nicht ersehn.
Sie waren beide fast bereit:
10   Sieh, da naht' ihr Herzeleid!
Herein zur Thüre trat alsbald
Ein Ritter blank, weil grau und alt.
Im Waffenrufe nannt er
Gawanen: den erkannt er.
15   Er schrie dazu mit lautem Schrei:
»Weh o weh und heia hei
Meinem Herrn, den eure Hand erschlug!
Doch dünkt euch das noch nicht genug:
Seiner Tochter thut ihr hier Gewalt.«
20   Dem Waffenrufe folgt man bald:
Das war es, was auch hier geschah.
Zur Königin sprach Gawan da:
»Nun rathet, Herrin, saget an:
Wie wehren wir uns, wenn sie nahn?
25   Hätt ich doch nur mein Schwert!«
Da begann die Jungfrau werth:
»Wir müßen uns zur Wehre ziehn,
Dort auf jenen Thurm entfliehn,
Der bei meiner Kammer steht:
Vielleicht, daß Gnade noch ergeht.«

408  

Hier den Ritter, dort den Kaufmann,
Schon hörte sie die Jungfrau nahn,
Und all das Volk aus der Stadt,
Da sie zum Thurm mit Gawan trat.

5   Noth must ihr Freund erleiden.
Sie bat sie oft, es doch zu meiden:
Sie schrien und lärmten all so toll,
Daß es ungehört verscholl.

Zur Thüre drang der Feinde Heer:

10   Gawan stand innerhalb zur Wehr
Und hielt vom Leibe sich den Tross.
Einen Riegel, der den Thurm verschloß,
Brach er aus, sich zu bewahren.
Seine übeln Nachbaren
15   Zwang er oft, vor ihm zu fliehn.
Die Königin lief her und hin,
Ob sie was fände dort im Thurm
Wider der Ergrimmten Sturm.
Endlich fand die Reine
20   Eines Schachspiels Steine
Und ein Brett, schön und weit:
Gawanen brachte sie's zum Streit.
Es hing an einem Eisenring,
Mit dem es Gawan empfing.
25   Auf diesem viereckgen Schild
War schon manchmal Schach gespielt:
Er ward ihm sehr verhauen.
Nun hört auch von der Frauen.

Ob König oder Thurm es war,
Sie warf es in der Feinde Schar.

409   Die Bilder waren groß und schwer;
Wohl zu denken ists daher,
Wen ihres Wurfes Schwang getroffen,
Der stürzte wider sein Verhoffen.
5   Wohl stritt die reiche Königin
Bei Gawanen da so kühn,
Sie warf so ritterlich darein,
Daß die Kauffraun nie zu Tollenstein409, 8. Tollenstein, Marktflecken an der Altmühl, in Eschenbachs Nachbarschaft.
Zu Fassnacht tapfrer stritten.
10   Sie thuns nach Narrensitten
Und ermüden ohne Noth den Leib.
Wenn eisenrostig wird ein Weib,
Ist sie ihres Rechts vergeßen,
Weiß ich Frauenzucht zu meßen;
15   Es sei, daß sie's aus Treue thut.
Antikonie war treu und gut:
Sie hats zu Schamfanzon gezeigt;
Doch ward ihr hoher Muth geneigt,
Im Kampf vergoß sie Zähren.
20   So mochte sie's bewähren,
Daß Liebe stät und tapfer ist.
Was Gawan that zu selber Frist?

Ließ man ihm nur Muße da,
Daß er die Jungfrau recht besah,

25   Ihre Augen, Mund und Nasen:
So wohlgegliederten Hasen
Am Spieße sahet ihr wohl nie,
Als sie dort war und hie,
Um die Hüften, an den Brüsten.
Minnegehrendes Gelüsten
410   Konnt ihr Liebreiz wohl erregen.
Ihr wißt, wie Ameisen pflegen
Um die Mitte schmal zu sein:
Noch schlanker war das Mägdelein
5   Das gab ihrem Kampfgesellen
Muth, der Feinde viel zu fällen:
Sie bestand mit ihm die Noth.
Sein sichres Looß war der Tod
Und anders kein Entkommen.
10   Ihm war die Furcht benommen
Vor Feindeshaß, wenn er sie sah:
Das büßten viel der Feinde da.

Da kam der König Vergulacht
Und sah die streitbare Macht

15   Wider Gawanen kriegen.
Ich will euch nicht betriegen
Und beschönen kann ichs nicht,
Daß er der wirklichen Pflicht
An seinem werthen Gast vergaß.
20   Der wehrte sich ohn Unterlaß.
Da mischte so der Wirth sich drein,
Daß es mir leid ist um Gandein,
Den König von Anschau,
Daß eine doch so werthe Frau,
25   Seine Tochter, je den Sohn gebar,
Der seines Volks untreue Schar
Nicht zurückrief aus dem Streit.
Gawanen ließen sie nur Zeit,
Bis der König sich gerüstet,
Den selbst zu kämpfen jetzt gelüstet.

411  

Gawan muste wohl entweichen,
Es kann ihm nicht zur Schmach gereichen:
Die Thurmthür gab ihm Schutz fortan.
Nun seht, da kam derselbe Mann,

5   Der ihn kampflich angesprochen
Bei Artus vor einer Wochen,
Kingrimursel der Landgraf.
Gawanens Noth ihn schwer betraf,
Daß er die Hände rang und wand:
10   Denn seine Ehre stund zu Pfand,
Daß er Frieden und Geleit
Finden sollte, bis im Streit
Ihn ein Einzelner bezwungen.
Die Alten wie die Jungen
15   Trieb er im Zorne von dem Thurm;
Doch befahl der König neuen Sturm.

Kingrimursel hub da an,
Indem er aufsah zu Gawan:
»Held, laß mich friedlich zu dir ein,

20   Daß ich geselliglich die Pein
Mit dir trage dieser Noth.
Schlage mich der König todt,
Ich erhalte dir das Leben.«
Da ihm der Friede ward gegeben,
25   Der Landgraf sprang in den Thurm.
Das äußre Heer ließ ab vom Sturm:
Er war auch Burggraf alldort,
Drum hatte Jung und Alt sofort
Sich des Kämpfens abgethan.
Ins Freie wieder sprang Gawan;
412   So that auch Kingrimursel:
Sie waren beide kühn und schnell.
Die Seinen mahnte Vergulacht:
»Wie lange stehn wir hier auf Wacht
5   Vor zweien Männern, die uns drohn?
Unterfängt sich meines Oheims Sohn
Zu beschirmen diesen Mann!
Der mir Schaden hat gethan,
Den er selber rächen sollte,
10   Wenn er Kühnheit zeigen wollte.«

Da schickten sie aus treuem Sinn
Einen zu dem König hin:
»Herr,« so ließen sie ihm sagen,
»Der Landgraf bleibt unerschlagen

15   Hier von unsern Händen.
Mög euch Gott auf Dinge wenden,
Die der Ehre beßer frommen.
Aller Preis wird euch benommen,
So ihr erschlagt euern Gast:
20   Das belädt euch mit der Schande Last.
Der Andre ist euch nah verwandt,
Mit dessen Hülf er kam ins Land:
Darum stehet ab davon;
Es bringt euch nichts als Fluch und Hohn.
25   Geht einen Waffenstillstand ein,
So lange währt des Tages Schein
Und dazu die nächste Nacht.
Was ihr alsdann euch habt bedacht,
Das steht euch immer noch frei,
Ob es euch Ehr, ob Schande sei.

413  

»Unsre Frau Antikonie,
Die von Falschheit wuste nie,
Seht ihr dort weinend bei ihm stehn.
Kann euch das nicht zu Herzen gehn,

5   Da euch doch Eine Mutter trug,
So bedenkt, Herr, seid ihr anders klug:
Ihr selber sandtet ihn der Maid.
Gab auch sonst ihm nichts Geleit,
So sollt er ihrethalb gedeihn.«
10   Der König ging den Frieden ein,
Bis er beßer sich besprochen,
Wie sein Vater würd gerochen.
Unschuldig war Herr Gawan;
Ein andrer Mann hatt es gethan:
15   Denn der stolze Eckunat
Gab einer Lanze durch ihn Pfad,
Da er gegen Barbigöl
Führte Jofreit Fils Idöl,
Den er fing von Gawans Seite:
20   So kam der zu diesem Streite.

Kaum war der Friede kundgethan,
Aus dem Felde sah man Jedermann
Zu den Herbergen ziehn.
Antikonie die Königin

25   Herzte ihres Oheims Sohn:
Sie gab ihm manchen Kuss zum Lohn,
Daß er Gawanen Schutz gewährt
Und selbst der Unthat sich erwehrt.
Sie sprach: »Du meines Oheims Kind
Bist gegen Niemand falsch gesinnt.«

414  

Hört nur zu, so thu ich kund,
Wovon gesprochen hat mein Mund,
Daß lauter Gemüthe trübe ward.
Unselig heiße diese Fahrt

5   Vergulachts auf Schamfanzon.
Es stammte solches Thun dem Sohn
Nicht von Vater noch von Mutter an.
Gefoltert ward dem jungen Mann
Von Schamgefühl der beßre Sinn,
10   Da seine Schwester jetzt, die Königin,
Ihn zu schelten begann;
Um Erbarmen fleht' er oft sie an.

Also sprach die Jungfrau werth:
»Herr Vergulacht, trüg ich ein Schwert

15   Und wär ein Mann nach Gottes Willen
Das Amt des Schildes zu erfüllen,
Ihr wärt am Kampf mit mir verzagt;
Nun bin ich wehrlos, eine Magd:
Jedennoch führ ich einen Schild
20   Mit ehrenvollem Wappenbild.
Ich will das Wappen nennen,
Daß ihr es lernet kennen:
Reinheit und gerecht Betragen,
Die treuen Beistand nie versagen.
25   Den hielt ich euch zum Schirm dem Degen,
Den ihr mir sendetet, entgegen:
Kein andrer Schild war mir verliehn.
Büßt ihr die Schuld auch gegen ihn,
Ihr habt euch doch an mir vergangen,
Soll Frauenpreis sein Recht erlangen.
415   Ich hörte stäts: wo es geschieht,
Daß in den Schutz der Frauen flieht
Ein Mann, so sollen, die ihn jagen,
Der Verfolgung entsagen:
5   So ziem es männlicher Zucht.
Herr Vergulacht, des Gastes Flucht
Zu mir, daß er dem Tode wehre,
Belädt mit Schmach eure Ehre.«

 << zurück weiter >>