Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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Titurel.

I.
Sigune und Schionatulander.

Inhalt.

Der alte Titurel übergiebt die Pflege des Grals seinem Sohne Frimutel, von dessen fünf Kindern Anfortas und Trevrezent sich schon Waffenruhm erwarben; die Töchter sind Schoisiane, Herzeleide und Repanse de Schoie. Schoisiane wird dem Herzoge Kiot von Katelangen (Katalonien) vermählt, stirbt aber bei der Geburt Sigunens. Vor Leid begiebt sich Kiot nebst seinem Bruder Manfilot des Schwertes; sein anderer Bruder Tampentär, König von Brobarz, von dem Kiot sein Herzogtum zu Lehen trägt, leiht es nun Sigunen und nimmt diese zu sich, um sie mit seiner Tochter Kondwiramur zu erziehen. Herzeleide wird mit Kastis vermählt, der am Hochzeittage stirbt und ihr die Königreiche Waleis und Norgals hinterläßt, welche sie ihrem zweiten Gemahl, Gachmuret, zubringt. Nach Tempentärs Tode, dem Kardeiß in Brobarz folgt, wird Sigune, auf Herzeleidens Bitte, zu dieser gebracht und mit Schionatulander bei ihr erzogen. Diesen jungen Delfin (Dauphin) von Graswaldane (Graisivaudan, Viennois oder Dauphinée), den Helden der Aventüre, hatte die Königin Anflise von Frankreich, Gachmurets Jugendgeliebte, diesem anvertraut. Sein Ahn war Gurnemans de Graharz, sein Vater Gurzgri, seine Mutter Mahaute, des Pfalzgrafen Eckunat Schwester. Schionatulander hatte Gachmureten oft als Bote zu Anflisen gedient; jetzt ward er selber von Sigunens Minne berührt. Er bittet um ihre Hülfe, und ein reizendes Gespräch über Minne entspinnt sich zwischen den Kindern. Sigune ist ihm hold, doch soll sie Schionatulander erst unter Schildesdach verdienen. Um diese Zeit zieht Gachmuret zum andern Mal nach dem Morgenlande, dem Baruch gegen die babylonischen Brüder beizustehen; Schionatulander begleitet ihn, beginnt aber dort aus Sehnsucht nach Sigunen zu siechen. Gachmuret, der seinen Kummer bemerkt, stellt ihn zur Rede und verheißt ihm, als er seine Liebe zu Sigunen bekennt, Beistand und Fürsprache. Ein ähnliches Zwiegespräch zwischen Sigunen und Herzeleiden beschließt den wahrscheinlich ganz erhaltenen Abschnitt.

 

        1   Als sich der starke Titurel
    noch wuste zu rühren,
Er getraute wohl die Seinen
    und sich selbst im Sturme zu führen;
Jetzt sprach er im Alter:
»Ich lerne, Daß ich den Schaft muß laßen:
    den schwang ich sonst so schön und so gerne.

2  

»Könnt ich noch Waffen tragen,«
    sprach der Furchtlose,
»Die Lüfte müsten schüttern
    von meines Speres krachendem Stoße,
Splitter gäben Schatten vor der Sonnen;
Viel Helmzierden sah ich
    von meines Schwertes Schneide hell entbronnen.

3  

»Hab ich von hoher Minne
    je Trost empfangen,
Ließ mich der Minne Süße
    je Beseligung erlangen,
Wenn je mich grüßten minnigliche Frauen,
Das ist nun fremd geworden
    dem schwachen Greise, dem altergrauen.

4  

»Mein Glück, mein Entsagen,
    mein liebendes Sinnen,
Und ließ mich milde Gabe
    und kühne That je Würdigkeit gewinnen,
Das kann an meinen Kindern nicht verderben.
Treu und wahre Minne
    muß sich auf mein ganz Geschlecht vererben.

5  

»Ich weiß wohl, wen weibliches
    Lachen begrüßet,
Daß sein Herz auf immerdar
    hoher Sinn und Stätigkeit durchsüßet.
Nimmermehr verlaßen ihn die beiden
Als mit dem Tod alleine;
    anders kann sie Niemand von ihm scheiden.

6  

»Da der Gral mir wurde
    von Gott gesendet,
Den ich aus des Engels
    Hand empfing, von seinem Glanz geblendet,
Geschrieben fand ich da des Grals Orden;
Nie war vor mir die Gabe
    menschlichen Händen noch zu Theil geworden.

7  

»Der Herr des Grales lebe
    in Demuth und Reine.
O weh, süßer Sohn
    Frimutel, daß ich nur dich alleine
Von meinen Kindern noch dem Gral bewahre!
Nun empfah des Grales Krone
    und den Gral, mein Sohn der lichte klare.

8  

»Sohn, dem Amt des Schildes
    hast du dich früh verpflichtet
Und hast es recht verwaltet.
    All dein Sinn war fest darauf gerichtet.
Aus der Ritterschaft muß ich dich ziehen.
Nun wehr dich, Sohn, alleine;
    sieh, die Kraft will meiner Hand entfliehen.

9  

»Fünf liebe Kinder,
    Sohn, hat dir Gott gesendet.
Die sind auch hier dem Grale
    zu einem werthen Ingesind verwendet:
Anfortas und Trevrezent der schnelle;
Vor allem Preise, selber
    wohl noch erleb ichs, schallt ihr Preis einst helle.

10  

»Deine Tochter Schoisiane
    beschließt der guten Gaben
So viel in ihrem Herzen,
    einst wird die Welt noch Frommen von ihr haben.
Herzeleiden mag es auch gelingen.
Urrepans de Schoiens Lob
    wird kein ander Lob zum Schweigen bringen.«

11  

Diese Reden hörten
    die Frauen und die Ritter.
Wohl in manchen Herzen
    der Templeisen ward der Jammer bitter,
Die er einst aus manchem Treffen brachte,
Wenn er den Gral mit seiner Hand
    und ihrer Hülfe ritterlich bewachte.

12  

So war der starke Titurel
    geworden der schwache,
So von hohem Alter
    als von des Siechtumes Ungemache.
Frimutel besaß hinfort in Ehren
Den Gral auf Monsalväsche:
    so mag kein Reich jeglichen Wunsch gewähren.

13  

Nun waren seiner Töchter
    zwo in den Jahren,
Daß sie zu hoher Minne
    an Freundes Arm voll ausgewachsen waren.
Werben sah man um Schoisianens Minne
Viel Könge mancher Lande:
    da ward sie einem Fürsten zum Gewinne.

14  

Kiot aus Katelangen
    erwarb Schoisianen.
Nie an Schönheit unterm Mond
    glich eine Jungfrau der Wohlgethanen.
Auch mocht ihm ihre Hand viel Tugend lohnen:
Hohe Kosten, kühne That
    pflegt' er, wo es Preis galt, nicht zu schonen.

15  

Man führte sie ihm herlich zu;
    auch ward sie schön empfangen.
Der König Tampentäre,
    sein Bruder, kam auch gen Katelangen,
Und reicher Fürsten ungezählte Scharen:
Von schönerer Hochzeit
    hat man in allen Landen nie erfahren.

16  

Kiot, der Herr des Landes,
    hatte Preis errungen
Mit Kühnheit oft und Milde;
    selten war es seiner That misslungen,
Wo es unerschrocken galt zu streiten
Und um Lohn der Frauen
    unterm Helmschmuck zu der Tjost zu reiten.

17  

Hat je ein Fürst auf Erden
    ein lieber Weib gewonnen,
Wie schenkte dem die Minne
    so voll das Maß der herzlichen Wonnen.
Doch o weh, nun nahet ihm die Trauer!
So nimmt die Welt ein Ende!
    des süßen Glückes Neige schmeckt uns sauer.

18  

Zur rechten Zeit gewährte
    sein Weib ihn eines Kindes.
Daß mich Gott erlaße
    in meinem Hause solchen Ingesindes,
Wenn ich es so theuer müst entgelten!
Behalt ich kluge Sinne,
    so hegt mein Herz solche Wünsche selten.

19  

Die süße Schoisiane,
    die schöne und die gute,
Gebar im Tode
    eine Tochter reich an selgem Muthe.
An der ward aller Jungfraun Preis zu Schande
Sie pflag solcher Treue,
    daß man noch von ihr sagt in manchen Landen.

20  

So war des Fürsten Leid
    doch verwebt mit Freuden:
Seine Tochter war am Leben,
    ihre Mutter todt: das hatt er an den beiden.
Schoisianens Tod verhalf seinem Herzen
Zu Verlust hoher Wonne,
    zu Gewinn immerdar an den Schmerzen.

21  

Da befahl man die Fraue
    mit Jammer der Erden.
Mit köstlichen Gewürzen
    sollte sie zuvor gebalsamt werden:
Da muste man so lange Anstand haben.
Von allen Seiten kamen
    Fürsten und Könige sie zu begraben.

22  

Der Herzog trug zu Lehen
    sein Land von Tampentäre,
Dem König, seinem Bruder,
    der genannt war von Pelrapäre.
Der ließ es nun dem Kinde, seiner Nichten:
Denn auf Schwert, Helm und Schild
    wollte Kiot hinfort verzichten.

23  

Manfilot der Herzog
    sah so im Leide
Seinen theuern Bruder:
    das war ihm eine bittre Augenweide!
Da schied auch er aus Jammer sich vom Schwerte,
Daß Kampf und hohe Minne
    Nun Keiner von Beiden mehr begehrte.

24  

Sigune ward die Tochter
    genannt in der Taufe,
Die ihr Vater Kiot
    bezahlt hatte zu so theuerm Kaufe:
Denn er verlor durch sie die Wohlgethane,
Von der der Gral zu Anfang
    sich tragen ließ: das war Schoisiane.

25  

Nun fuhr Tampentäre
    mit Sigunen, der kleinen,
Heim zu seiner Tochter.
    Da sie Kiot küsste, da sah man weinen!
Noch lag Kondwiramur da an den Brüsten.
Die zwei Gespielen wuchsen,
    daß wir kein Ziel ihres Lobes wüsten.

26  

Zu denselben Zeiten
    war Kastis gestorben:
Der hatte Herzeleiden
    zu Monsalväsch, die schöne, erworben.
Kanvoleiß gab er der Fraun zum Lohne
Und Kingrivals: in beiden
    trug sein Haupt vor Fürsten die Krone.

27  

Nie hatte sie doch Kastis
    gewonnen zum Weibe,
Die in Gachmuretens
    Arme lag mit unberührtem Leibe;
Doch ward sie da Gebietrin zweier Reiche,
Des holden Frimutellens Kind
    von Monsalväsche, die wonnereiche.

28  

Als König Tampentär erstarb,
    und Kardeiß der klare
Die Kron empfing in Brobarz,
    das geschah in dem fünften Jahre
Seit sich Sigune bei ihm aufgehalten.
Da musten sie sich scheiden,
    die jungen zwei Gespielen, nicht die alten.

29  

Herzeleid die Königin
    Sigunens gedachte:
Sie warb so lang mit Bitten,
    bis man sie von Brobarz zu ihr brachte.
Kondwiramur begann zu klagen,
Daß sie ihrer Freundschaft
    und trauten Nähe nun sollt entsagen.

30  

Das Kind sprach: »Liebes Väterlein,
    nun laß mir mit Docken
Die Kissen erfüllen,
    so magst du mich zu meiner Muhme locken:
So bin ich auf die Reise gut gerichtet.
Es lebt mancher Ritter,
    der sich zu meinem Dienst noch verpflichtet.«

31  

»Wohl mir so werthen Kindes!
    Wie sprichst du mit Verstande!
Möchte Gott nur lange
    so hehre Herrin gönnen meinem Lande.
Mein Kummer schläft, so lang dein Heil darf wachen.
Wär Schwarzwald hier zu Lande,
    zu Schäften säh ich ganz um dich ihn machen.«

32  

So erwuchs Kiotens Kind
    Sigune bei der Muhmen.
Wer sie sah, dem schien sie
    wie Maienglanz bei thaunaßen Blumen.
Ehr und Heil aus ihrem Herzen blühte;
Naht erst ihre Lobeszeit,
    o mehr ich noch das Lob ihrer Güte.

33  

Was zu vollem Preise
    gehört bei reinem Weibe,
Des war nicht Eines Haares breit
    vergeben an ihrem süßen Leibe.
Sie reine Frucht, die lautre, wohlgethane,
Der Mutter gleichgeartet Kind,
    jung, keusch und rein wie einst Schoisiane.

34  

Nun laßt uns auch gedenken
    Herzeleids der reinen.
Es könnt ihr Lob nichts kränken;
    ich will die liebe minnen und meinen.
Sie Bronnen aller weiblichen Ehren,
Sie wust es zu verdienen,
    wie man ihr Lob sah in den Landen mehren.

35  

Die magdliche Wittwe,
    die Tochter Frimutelles,
Wo man der Frauen Lob besprach,
    da erscholl nach ihrem kein so helles.
In ferne Lande fuhr das Lob der Werthen,
Bis ihrer Minne ward gedient
    vor Kanvoleiß mit Speren und mit Schwerts

36  

Nun hört von Sigunen,
    der Maid, fremde Wunder.
Sich bräunt' ihr fahles Lockenhaar,
    ihre Brüste wölbten sich runder.
Da wuchs in ihrem Herzen Hochgemüthe,
Sie wurde stolz und lose
    und doch dabei voll weiblicher Güte.

37  

Wie Gachmuret geschieden
    vom Lande Belakanens,
Wie er darauf erworben
    ritterlich die Schwester Schoisianens,
Wie er der Französin sich entschlagen,
Das will ich hier verschweigen
    und euch von magdtumlicher Minne sagen.

38  

Anflise, die Französin,
    ließ sich ein Kind vertrauen
Von fürstlichem Geschlechte
    und solcher Art, die immer trug ein Grauen
Vor allen Dingen, die da Preis verderben:
Prüfet alle Fürsten,
    so seht ihr keinen so nach Preise werben.

39  

Da Gachmuret den Schild
    empfing von Anflisen,
Ihm lieh die werthe Königin
    dieß Kind. Das wird von uns noch gepriesen.
Das erwarb seine kindliche Süße:
Es wird der Aventüre Herr,
    um den ich alle Kinder freundlich grüße.

40  

Auch zog dasselbe Kind
    mit dem Anscheweine
Hinüber in die Heidenschaft
    zu dem Baruch Ackareine;
Gen Waleis bracht er es hernach zurücke.
Wo Kinder Tapferkeit erspähn,
    das frommt dereinst dem Manne noch zum Glücke.

41  

Zum Theil will ich des Kindes
    Geschlecht euch benennen.
Gurnemans von Graharz,
    sein Ahne, konnte Eisen wohl zertrennen:
In mancher Tjost hatt er den Ruhm erworben;
Gurzgri hieß sein Vater,
    der um Schoi de la Kurt gestorben.

42  

Seine Mutter war Mahaute,
    Eckunatens Schwester,
Des reichen Pfalzgrafen,
    genannt nach der starken Stadt Berbester:
Selber hieß er Schionatulander:
Höhern Preis erwarb der Held
    als die andern alle miteinander.

43  

Daß ich des werthen Gurzgri
    Sohn euch nicht nannte
Vor der Magd Sigunen,
    das that ich, weil man ihre Mutter sandte
Aus des Grales Pflege dem Gemahle;
Den Vorzug giebt ihr auch Geburt
    und ihr Geschlecht, das diente dem Grale.

44  

Die des Grales hüten,
    das sind die Erwählten,
Immer selig hier und dort,
    die stäts dem höchsten Preise Zugezählten.
Auch Sigune war von diesem Samen,
Der in die Welt von Monsalväsch
    ward ausgestreut, den nur die Würdgen nahmen.

45  

Wohin dieses Samens
    gebracht ward in die Lande,
Da must er Früchte bringen:
    wie ein Hagel fiel er auf die Schande.
Weit ist der Name Kanvoleiß gedrungen:
Hauptstadt der Treue
    ward sie seitdem genannt in manchen Zungen.

46  

O wohl dir, Kanvoleiß!
    Von der Treu und Stäte
Wird man ewig sprechen,
    die in dir begann nicht zu späte.
Da hub sich zweier Kinder frühe Minne
So lauterlich, die ganze Welt
    würde keiner Trübheit an ihr inne.

47  

Der stolze Gachmuret
    erzog sie miteinander
In seiner Kemenate.
    War der junge Schionatulander
Nur zu schwachem Sinne noch gediehen,
Er konnte doch der Herzensnoth
    von Sigunens Minne nicht entfliehen.

48  

O wehe! sie sind noch
    zu jung solchen Aengsten.
Wo die Jugend von der Minne
    ergriffen wird, da währt sie am Längsten.
Das Alter mag der Minne leicht entsagen;
Gewohnheit von Jugend auf
    verleiht ihr Kraft, wer mag sich der entschlagen?

49  

Weh, Minne, was verschont nicht
    deine Kraft die Kinder!
Einer, der nicht Augen hat
    würde dich doch spüren, ein Blinder.
Zu vielfach, Minne, bist du stäts gewesen;
Alle Schreiber schrieben
    deine Art nicht aus noch dein Wesen.

50  

Auch der Mönch im Kloster
    ist verpflichtet der Minne,
Der Einsiedel selber,
    trägt er Gehorsam im Sinne:
Keine Regel hält sie sonst im Zaume;
Sie zwingt den Ritter unterm Helm:
    ihr genügt an dem engsten Raume.

51  

Der Minne Macht bewältigt
    die Nähe wie die Weite;
Minne hat auf Erden Haus;
    in den Himmel giebt sie gut Geleite.
Minn ist allwärts außer in der Hölle.
Der starken Minne lahmt die Kraft,
    wird Wankelmuth und Zweifel ihr Geselle.

52  

Ohne Wank und Zweifel
    sah man die beiden,
Schionatulander
    und Sigunen, in der Liebe Leiden;
Große Wonne mischte sich darunter.
Es wird zu lang, sonst sagt' ich euch
    von kindlicher Minne manches Wunder.

53  

Verschämte Zucht und ihres
    Geschlechts ererbte Weise
(Aus lautrer Liebe stammten sie)
    hielt sie in dem angebornen Gleise,
Daß sie außen sich der Minn erwehrten
Vor der Merker Augen
    und in den Herzen innen sich vermehrten.

54  

Schionatulander
    war in der Minne weise
Durch manche süße Botschaft,
    die der Franzosen Königin Anfleise
Heimlich einst dem Anschewein gesendet:
Er brachte sie und wandte
    oft Beider Noth: wär seine nun gewendet!

55  

Schionatulander
    hatt es oft erfahren
Bei seinem Oheim Gachmuret,
    wie der zu sprechen wust und zu gebahren,
Und wie er sich von Kummer konnte scheiden!
Das rühmten die Getauften hier,
    das rühmten dort von ihm die werthen Heiden.

56  

Die je geminnet haben
    und Minneleid getragen,
Von magdlichem Kummer
    höret nun und Jünglingsschmerzen sagen.
Davon will ich euch Abenteuer künden,
Allen, die der Sehnsucht Pein
    je herzliche Liebe ließ ergründen,

57  

Der süße Schionatu-
    lander entbrannte,
Als seiner Gespielin
    Huld sein leidend Herz übermannte.
Da sprach er: »Sigune, hülfereiche,
Hilf, süße Magd, daß deine Hand
    mir aus diesen Sorgen Hülfe reiche.

58  

»Düschess von Katelangen,
    laß mich des genießen,
Man sagt, du seist der Art entstammt,
    die es niemals mochte verdrießen
Mit Minnelohn ihm Hülfe zu gewähren,
Der Minnenoth durch sie empfing:
    die Sitte solltest du an mir bewähren.«

59  

»Doux Ami, nun sprich,
    süßer Freund, was du meinest.
Laß hören, ob du solche
    Gesinnung gegen mich mir bescheinest,
Daß ich Gehör der Klage muß ertheilen:
Bist du des Schadens nicht gewiss,
    so solltest du dich nicht übereilen.«

60  

»Gnade soll man suchen,
    da wo sie wohnet:
Herrin, ich suche Gnade:
    nun sieh, wie deine Güte mir lohnet.
Freundschaft halten ziemt verständgen Kindern;
Aber wo sich Gnade
    nie gezeigt, da kann sie Schmerz nicht lindern.«

61  

Sie sprach: »Du sollst um Linderung
    deinen Schmerz da künden,
Wo man dir beßer helfen mag
    als ich, du möchtest sonst dich versünden,
Wenn du begehrst, daß ich den Schmerz dir heile.
Denn ich bin eine Waise,
    Land und Leuten fern, ach, manche Meile!« –

62  

»Ich weiß wohl, daß dir Leut und Land
    gehorchen, ihrer Frauen;
Das begehr ich Alles nicht:
    nur laß dein Herz durch deine Augen schauen,
So daß es meines Kummers Noth bedenke:
Hilf bald, eh deiner Minne Flut
    mir das Herz und die Freuden ertränke« –

63  

»Wer solche Minne hat, daß er
    durch Minne gefährde
So lieben Freund, wie du mir bist,
    mir der liebste Freund auf der Erde,
Solch gefährlich Ding ist mir nicht Minne.
Gott weiß wohl, ich wuste
    nie von der Minne Verlust noch Gewinne.

64  

»Minne, ist das ein Er?
    Kannst du Minne beschreiben?
Ist es ein Sie?
    Und kommt mir Minne, wo soll ich mit ihr bleiben?
Soll ich sie verwahren bei den Docken?
Fliegt sie uns auf die Hand
    oder ist sie wild? Ich kann ihr wohl locken.«

65  

»Herrin, ich hörte sagen
    von Frauen und von Mannen,
Minne kann auf Alt und Jung
    den Bogen so meisterlich spannen,
Daß sie mit Gedanken tödlich schießet:
Sie trifft ohne Fehlen,
    was da läuft, kriecht, fliegt oder fließet.

66  

»Ich kannte, süße Magd, bisher
    Minne nur aus Mären:
In Gedanken wohnt die Minne;
    das kann ich mit mir selber nun bewähren.
Dazu treibt sie wandellose Liebe.
Minne stiehlt mir Freude
    aus dem Herzen gleich einem Diebe.«

67  

»Schionatulander,
    mich zwingen Gedanken,
Wenn du mir aus den Augen kommst,
    daß ich an den Freuden muß erkranken,
Bis ich dich heimlich wieder angesehen.
Drum traur ich in der Wochen
    nicht Einmal, zu oft ist mirs geschehen.«

68  

»So darfst du, süße Magd, mich
    nicht fragen nach Minne:
Du erfährst wohl ohne Fragen
    von der Minne Verlust und Gewinne.
Sieh, wie die Minne Freude kehrt in Schmerzen;
Thu der Minn ihr Recht, daß
    uns die Minne nicht verderbt in den Herzen.«

69  

Sie sprach: »Kann die Minne
    die Herzen so beschleichen,
Daß ihr nicht Mann, nicht Weib noch Magd
    mit Behendigkeit mög entweichen:
Weiß denn Jemand, was die Minne rächen
Will an Leuten, die ihr nie
    geschadet, ihre Freuden so zu brechen?«

70  

»Ja, sie ist gewaltig
    der Jungen wie der Greisen:
Kein Meister lebt auf Erden,
    der ihre Wunder alle möge preisen.
Laß uns um ihre Hülfe beide werben
Mit wandelloser Freundschaft;
    so kann mit Wank uns Minne nicht verderben.«

71  

»O weh, könnte Minne
    doch andre Hülf erzeigen,
Als daß ich meinen freien Leib
    in dein Gebot dir gäbe zu eigen!
Deine Jugend war zu Dienst mir nie beflißen:
Du must mich unter Schildesdach
    erst verdienen, das sollst du wißen!«

72  

»Herrin, wenn ich erstarke
    die Waffen zu führen,
In süßer, saurer Arbeit
    will ich heut und immer mich rühren,
Daß mein Dienst nach deiner Hülfe ringe;
Deine Hülfe thut mir Noth:
    hilf denn, daß mir an dir gelinge.«

73  

So hatt ihre Minne
    den Anfang genommen
Mit Worten in den Zeiten,
    da Pompejus vor Baldag zu kommen
Sich gerüstet mit gewaltgem Heere,
Und Ipomidon der werthe;
    da zerbrachen sie viel neue Spere.

74  

Gachmuret entschloß sich
    auch dahin zu fahren,
Nur mit eignem Schilde:
    nicht entbot er seine stolzen Scharen;
Denn er trug wohl dreier Lande Kronen.
So trieb ihn Minne in den Tod:
    den empfing er von Ipomidonen.

75  

Schionatulanders
    Herz war beklommen,
Da ihm Sigunens Minne
    hohen Muth und Freude benommen.
Er muste doch mit seinem Oheim scheiden;
Das war Sigunens Herzeleid
    und seins: nachstellte Minne den beiden.

76  

Urlaub nahm der junge Fürst
    heimlich von der Schönen.
»Wie mag ichs noch erleben,«
    sprach er, »o weh! daß mich die Minne krönen
Müße mit Freuden und vom Tode scheiden.
Wünsche Glück mir, süße Maid:
    ich muß von dir hinaus zu den Heiden.«

77  

»Ich bin dir hold, getreuer Freund:
    nun sprich: ist das Minne?
So soll sich immer
    mir erneun der Wunsch nach dem Gewinne,
Der uns beiden hohe Freud erwerbe:
Es brennen alle Waßer,
    eh die Minne meinerseits verderbe.«

78  

Viel Lieb verblieb allda,
    Lieb schied von dannen.
Nie hört ich sagen
    von Maiden, Fraun noch mannlichen Mannen,
Die sich herzlicher mochten minnen:
Das ward an Sigunen
    bei der Linden Parzival wohl innen.

79  

Von Kingrivals der König
    Gachmuret verstohlen
Von Freunden und von Mannen schied:
    seine Fahrt blieb ihnen all verhohlen.
Nur zwanzig Fürstenkinder klug und weise
Und achtzig Harnischknappen
    ohne Schild hatt er erwählt zu der Reise.

80  

Fünf schöne Rosse, Goldes viel,
    von Aßagog Gesteine
Folgt' ihm auf die Fahrt; sein Schild
    sonder andern Schild, ganz alleine.
Immer sollt ein Schild Gesellen kiesen,
Daß ein andrer Schild ihm Heil
    wünsche, wenn dieser Schild sollte niesen.

81  

Ihre Lieb und seine
    Minne waren fremde
Sich noch nie geworden.
    Ihm gab die Königin ihr blankes Hemde
Von Seide, wie es ihren Leib berühret,
Den blanken, und das Braune dort,
    Das ward vor Baldag in die Schlacht geführet.

82  

Aus Norgals durch Spanien
    gen Sevilla der Veste
Zog des kühnen Gandein Sohn,
    der den Augen Waßers viel entpresste,
Als man den Ausgang hörte seiner Reise.
Die Getauften wie die Heiden
    sprachen stäts von seinem hohen Preise.

83  

Das red ich nach der Wahrheit,
    nicht nach leerem Wahne.
Nun laßt uns auch gedenken
    des jungen Fürsten aus Graswaldane,
Wie seinem Herzen alle Freud entzogen
Sein keusches Lieb Sigune,
    wie Bienen stäts aus Blumen Süße sogen.

84  

Liebliche Siechheit,
    die er trug von Minne,
Verlust des hohen Muthes
    bei der Sorgen reichlichem Gewinne,
Sah man den von Graharz schmerzlich peinen.
Den Tod nähm er lieber,
    wie sein Vater Gurzgri von Mabonagreinen.

85  

Wie manche Tjost durch Feindesschild
    mit des Sperbruchs Krache
Seine Hand auch führte,
    sein Leib ist doch zu solchem Ungemache
Zu schwach, da ihn die Minne schwächt und kränket.
Und sein Gedank an liebliche
    Liebe so unvergeßen gedenket.

86  

Wenn andere Junker
    auf Feldern und Straßen
Turnierten und rangen,
    so mußte ers vor Herzweh unterlaßen;
An allen Freuden ließ ihn Minne siechen.
Aufstehn lernt ein Kind am Stuhl;
    erst aber muß es hin zu ihm kriechen.

87  

Nun trag er hohe Minne!
    so muß er auch denken
Den Sinn empor zu richten
    und aller Falschheit fern ab zu lenken
Die Ehre in der Jugend wie im Alter;
Eh mancher Fürst das lernte,
    man lehrte einen Bären eh den Psalter.

88  

Schionatulander
    trug lang sein Leid verborgen,
Eh der werthe Gachmuret
    inne ward der verhohlnen Sorgen,
Wie seinen nächsten Blutsfreund Kummer drückte:
Sommer und Winter quält' er sich,
    wie auch der Erde wechselnd Kleid sich schmückte.

89  

Die angestammte Schönheit,
    sein Anstand, sein Geschicke,
Sein Angesicht, die lichte Haut,
    seiner Augen leuchtende Blicke,
Die schied der Gram von ihrem lautern Glanze:
Ihn zwang nicht flüchtge Neigung,
    die mächtge Liebe war es, die ganze.

90  

So ward auch Gachmuretens
    Herz einst bedränget
Von der Minne Feuer;
    oft hatt ihm ihre Flammenglut versenget
Die lautre Haut, bis all ihr Schein entschwunden.
Von der Minne Hülfe wust er wohl;
    er kannt auch ihre zwängenden Stunden.

91  

Wie listig sei die Minne,
    sie muß sich entdecken,
Wer Augen hat und Minne kennt,
    dem kann sich ihre Kraft nicht verstecken.
Das Winkelmaß gebraucht sie sonder Tadel;
Sie stickt und zeichnet wunderschön
    noch beßer als Stift oder Nadel.

92  

Gachmuret gewahrte
    den verborgnen Kummer,
Der aus Graswalden, dem jungen
    Delfin, die Freude nahm und den Schlummer.
Er zog ihn auf das Feld hinaus mit Fragen:
»Wie hat Anflisens Knabe sich?
    Seine Trauer giebt mir kein Behagen.

93  

»Ich habe Theil an deinen
    Seufzern, deinen Thränen.
Der römische Kaiser
    und der Großherr aller Sarazenen,
All ihr Reichtum kann es mir nicht wehren:
Was dich in Kummer brachte,
    das muß auch meine Freude verzehren.«

94  

Wohl möchtet ihr nun schauen
    an Gachmuretens Miene,
Könnt er nur, er hülfe
    gern dem jungen liebenden Delfine.
Er sprach: »O weh, wo ist der Schein geblieben
Deines lautern Angesichtes?
    Die Minne will sich selbst in dir betrüben.

95  

»Ich spür an dir die Minne:
    die Spur ist tief geschlagen.
Hehl mir nicht deine Heimlichkeit,
    da wir so nahe Verwandtschaft tragen.
Wir sind Ein Fleisch und Blut durch rechte Sippe,
Näher als von der Mutter,
    die da erwuchs aus der entraubten Rippe.

96  

»Du Minnebronnen, frisches
    Reis der Minneblüte!
Nun muß mich erbarmen
    Anflise, die dich aus weiblicher Güte
Mir lieh: als hätte dich ihr Schooß geboren,
So hielt sie dich an Kindesstatt:
    stäts bleibt dir ihre Gunst unverloren.

97  

»Bringst du mir deine Heimlichkeit,
    so muß das beschweren
Mein Herz, das immer dein Herz war;
    deine Treue kann es auch nicht ehren,
Daß du mir so große Noth verhehlest;
Deiner Stäte trau ich es nicht zu,
    daß du so wankelmüthig dich verfehlest.«

98  

Der Knappe sprach in Sorgen:
    »So will ich nur denken,
Wie mir dein Friede bleibe,
    und mich dein Zorn nicht ferner dürfe kränken:
Aus Zucht verbarg ich dir all meine Schmerzen.
Nun nenn ich dir Sigunen:
    die hat es angethan meinem Herzen.

99  

»Meine Bürd erleichtern kannst du,
    willst dus nicht versagen.
Nun gedenke der Französin;
    hab ich Sorge je für dich getragen,
So nimm mich jetzt aus dieser Noth, den kranken.
Der Leu träumt im Schlafe
    nicht so schwer als meine wachenden Gedanken.

100  

»Auch sei gemahnt, Meer und Land
    hab ich durchstrichen
Dir zu Liebe, nicht aus Armut.
    Ich bin von Land und Leuten gewichen
Und von Anflisen, meiner werthen Frauen.
Das komme mir nun Alles
    bei dir zu gut: laß deine Hülfe schauen.

101  

»Du magst mich wohl erlösen
    der schließenden Banden.
Trag ich einst selber Helm und Schild
    mit fürstlicher Pracht in den Landen
Und soll mit tapfrer Hand da Preis erringen,
Bis dahin sei mein Vogt, auf daß
    dein Schirm mich schütze vor Sigunens Zwingen.«

102  

»Ei, schwacher Knapp, wie muß so viel
    des Waldes erst verderben
Durch deine Hand bei Tjosten,
    sollst du die Minne der Düchess erwerben.
Werthe Minne lohnt nur dem Verdienste:
Tapferm Armen wird sie ehr
    als dem verzagten Reichen zum Gewinnste.

103  

»Doch hör ich gerne, daß dein Herz
    so hoch dir steiget;
Wo hat ein Baum die Aeste
    wohl noch je so wonniglich verzweiget?
Blüht schönre Blum auf Flur und Wiesengrunde?
Hat dich mein Mühmchen bezwungen,
    o wohl dir der lieblichen Kunde!

104  

»Ihre Mutter Schoisiane
    war dafür berufen,
Daß Gott und seine Kunst mit Fleiß
    sie so schön und wonniglich erschufen:
Schoisianens Glanz, den sonnenhellen,
Den hat Sigune, Kiots Kind,
    an sich: das Urtheil hör ich Alle fällen.

105  

Und Kiot, der in scharfer Noth
    den Preis sich stäts errungen,
Der Fürst von Katelangen,
    eh seine Kraft Schoisianens Tod bezwungen;
Der beiden Tochter mag ich wahrhaft grüßen
Sigune, die des Siegs gewiss,
    wo man zwischen Maiden wählt, den süßen.

106  

»Die dir hat obgesiegt, nun sollst
    du Sieg an ihr erringen
Mit dienstlicher Treue.
    Ich will auch bald auf deine Seite bringen,
Daß sie dir beisteht, ihre werthe Muhme.
Durch Sigunens Glanz soll deine
    Farb erblühn gleich einer lichten Blume.«

107  

Schionatulander
    begann da zu sprechen:
»So will mir deine Treue
    aller meiner Sorgen Bande brechen,
Nun ich darf mit deinem Willen minnen
Sigunen, die mir lange
    Freude stahl und fröhliche Sinne.«

108  

Da durfte wohl der Hoffnung
    auf Hülfe sich vermeßen Schionatulander.
Nun laßt uns nicht der großen Noth vergeßen,
    Die Kiots und Schoisianens Kind getragen,
Bevor sie gleichen Trost empfing:
    die muste aller Freude lang' entsagen.

109  

Da von Katelangen
    die Fürstin war bezwungen
Von der strengen Minne,
    mit Schmerzen allzulang hat sie gerungen,
Wie sie es vor ihrer Muhme hehle.
Die Königin ward inne
    mit Erschrecken, was Sigunen fehle.

110  

Wie eine thauge Rose
    naß bei der Röthe,
So wurden ihr die Augen.
    Ihr Mund, ihr Angesicht empfand die Nöthe.
Da konnte die Verschämte nicht verstecken
Die Lieb in ihrem Herzen:
    das verging nach dem kindlichen Recken.

111  

Da sprach zu ihr die Königin
    aus liebendem Herzen:
»O weh mir, Schoisianens Kind,
    ich trug bisher zu viel andrer Schmerzen,
Da von dem Anschewein ich muste scheiden:
Nun wächst in meinem Kummer
    ein neuer Dorn, da ich dich sehe leiden.

112  

»An Land oder Leuten
    was ist dir geschehen?
Oder will mein Trost
    und anderer Verwandten dir entstehen?
Mag dich ihre Hülfe nicht erlangen?
Wo blieb dein sonnenhafter Glanz?
    weh, wer hat den gestohlen deinen Wangen?

113  


»Verwaistes Kind, nun must du
    Waise mich erbarmen.
Bei dreier Lande Kronen
    zähle man mich immer zu den Armen,
Bis ichs erwirke, daß dein Kummer schwindet,
Und mein spähend Auge
    den wahren Grund deines Leidens findet.« –

114  

»So muß ich mit Sorgen
    all meine Angst dir künden:
Hast du mich darum wenger lieb,
    so will ich deine Zucht an mir versünden;
Weiß ich mich doch nicht mehr davon zu scheiden:
Bleib mir gewogen,
    liebe Mutter, das geziemt uns beiden.

115  

»Gott soll dir lohnen:
    niemals hat dem Kinde
Eine Mutter größre Zärtlichkeit
    erboten, als an dir ich finde,
Must ich gleich an Freuden jetzt erkranken.
Hier war ich keine Waise:
    deiner weiblichen Güte will ichs danken.

116  

»Deines Rathes, deines
    Trostes, deiner Hulden
Bedarf ich miteinander,
    seit ich nach dem Freund muß Jammer dulden,
Viel qualenreiche Noth; sie ist zu peinlich.
Er knüpft mein schweifend Denken
    an seinen Strick; all mein Sinn ist ihm heimlich:

117  

»Nach dem lieben Freunde
    ist all mein Schauen
Aus den Fenstern, auf die Straße,
    über Haid und nach den lichten Auen
Verloren. ich erspäh ihn allzuselten.
Drum müßen meine Augen
    des Freundes Minne weinend schwer entgelten.

118  

»So geh ich von dem Fenster
    hinauf an die Zinnen
Und schaue ostwärts, westwärts,
    ob ich sein nicht Kunde mag gewinnen,
Der mein Herz schon lange hält bezwungen;
Man mag mich zu den alten
    Liebenden zählen, nicht zu den jungen.

119  

»Wenn so ich wie auf wilder Flut
    gehoben gleite,
So spähen meine Blicke
    wohl über dreißig Meilen in die Weite,
Ob ich solche Kunde möchte finden,
Die des Leids um meinen
    jungen klaren Freund mich könnt entbinden.

120  

»Wo blieb meine Freude?
    warum ist geschieden
Aus meinem Herzen hoher Muth?
    Ach und Weh vertrieb unsern Frieden.
Ich wollt es gern alleine für ihn leiden;
Doch weiß ich, daß auch ihn zu mir
    Verlangen zieht, muß er gleich mich meiden.

121  

»Weh mir, er kommt zu selten,
    zu fern weilt mein Getreuer,
Um den ich bald erkalte,
    bald lodre wie im knisternden Feuer:
So erglüht mich Schionatulander,
Seine Minne giebt mir Hitze
    wie Agremontin dem Wurm Salamander.«

122  

»O weh,« sprach die Königin,
    »zu kluge Red ist diese:
Bin ich an dir verrathen?
    Nun fürcht ich die Französin, Anflise:
Hat sich vielleicht ihr Zorn an mir gerochen?
All deine weislichen
    Worte sind aus ihrem Mund gesprochen.

123  

»Schionatulander
    ist ein Fürst ohne Tadel;
Doch nimmermehr vermeßen
    dürfte sich sein Reichtum noch sein Adel,
Daß er so jung an deine Minne dächte,
Wenn der stolzen Königin Anflise
    Haß sich nicht an mir rächte.

124  

»Sie hat dieß Kind erzogen, seit
    es von der Brust gekommen;
Gab ihre Tücke nicht den Rath,
    durch den so weh dir ward und beklommen,
So magst du ihm, er dir viel Freud erwerben.
Bist du ihm hold, so laß darum
    deinen jungen Leib nicht verderben.

125  

»Thus ihm zu Lieb, laß wieder
    Klarheit offenbaren
Augen, Kinn und Wange.
    Wie geziemt es also jungen Jahren,
Wenn so lichter Haut der Schein erlischet?
Du hast kurzen Freuden
    allzuviel der Sorgen beigemischet.

126  

»Hat der Delfin, der junge,
    viel Freude dir verderbet,
Er kann dir Freuden auch verleihn.
    Lieb und Gutes viel auf ihn vererbet
Hat sein Vater und die Delfinette
Mahaude, seine Mutter,
    und die Köngin, seine Muhme, Schoette.

127  

»Ich klage nur, du wurdest
    ihm lieb allzufrühe:
Du willst den Kummer erben,
    den Mahaude trug um den Delfin Gurzgrie.
Ihre Augen sahns zu allen Stunden,
Wie er den Preis in manchem Land
    sich erwarb, den Helm aufs Haupt gebunden.

128  

»Schionatulanders
    Preis wird hoch noch steigen:
Er stammt von Leuten, die den Preis
    nie sinken ließen, nicht einmal sich neigen:
Stäts wuchs er in die Breit und in die Länge.
Nun sorge, daß er Freud und Trost
    und nicht Kummer über dich verhänge.

129  

»Wenn das Herz bei seinem Anblick
    in der Brust dir erlachte,
Das nimmt mich nicht Wunder;
    wie schickt' er sich so schön, wenn ihn bedachte
Der Schild, wie hielt er sich im Feuerregen
Der Funken, die den Helmen
    entsprühten von seines Schwertes Schlägen!

130  

»Kein Maler malt' ihn, wie er
    beim Lanzenspiel geseßen!
An eines Mannes Antlitz
    war auf der Welt so wenig nie vergeßen,
Daß ein Weib ihn liebe, wenn ichs kenne.
Sein Schein mag deine Augen
    erfreuen: deine Minn ich ihm gönne.«

131  

Da war Minn erlaubet,
    Herz an Herz geschloßen.
Ohne Wank der Minne
    war beider Herz zu minnen unverdrossen.
»Wohl, Muhme, mir,« sprach sie mit frohem Sinne,
»Daß ich den von Graharz
    vor aller Welt mit deinem Urlaub minne!«


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