Wolfram von Eschenbach
Parzival und Titurel
Wolfram von Eschenbach

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        455   So schrieb davon Flegetanis.
Kiot der Meister, den ich pries,
Suchte dann aus Wißensdrang
In lateinschen Büchern lang,
5   Wo ein Volk der Ehre
Je werth gewesen wäre,
Daß es des Grales pflege,
Demuth im Herzen hege.
Er las der Lande Chronika
10   In Irland und Britannia,
In Frankreich und manch anderm Land,
Bis er die Mär in Anschau fand.
Da mocht er lesen sonder Wahn
Vom ersten Ahnherrn Mazadan,
15   Und die von ihm den Ursprung nahmen.
Fand er geschrieben all mit Namen.
Und andrerseits, wie Titurel
Und sein Sohn Frimutel
Den Gral Anfortas überwies,
20   Des Schwester Herzeleide hieß,
Die Gachmureten trug den Helden,
Von welchem diese Mären melden.455, 2–22. Vgl. Einl. §. 9.
Der ritt nun auf der neuen Fährte,
Von der der graue Ritter kehrte.

25  

Er erkennt die Statt, obwohl nun Schnee
Da liegt, wo Blumen blühten eh:
Es war vor jener Bergeswand,
Wo seine mannliche Hand
Einst Jeschuten Huld erwarb
Und ihres Gatten Zorn verdarb.

456   Doch nicht verlor der Weg sich dort:
Fontän sauvasche hieß der Ort,
Zu welchem seine Reise ging:
Er fand den Wirth, der ihn empfing:

5  

Da sprach der Einsiedel gut:
»O weh, Herr, daß ihr also thut
In dieser heiligen Zeit!
Hat euch fährlicher Streit
In diesen Harnisch getrieben,

10   Oder seid ihr ohne Streit geblieben?
Euch stünde beßer sonst ein Kleid,
Ließet ihr Vermeßenheit.
Geruht nun, Herr, und steigt vom Pferde
(Mich dünkt, daß es euch wohlthun werde)
15   Und erwarmt bei einem Feuer.
Seid ihr auf Abenteuer
Ausgesandt um Minnesold,
Seid ihr rechter Minne hold,
So minnt, wie nun die Minne will,
20   Dieses Tages Minne nehmt zum Ziel;
Ein andermal dient Frauen wieder.
Ich bitte, steigt vom Pferde nieder.«

Parzival der Weigand
Stieg vom Pferd gleich zur Hand;

25   Mit großer Zucht er vor ihm stund.
Er that ihm vor den Leuten kund,
Die ihn dahin gewiesen,
Seinen Rath ihm angepriesen.
Da sprach er: »Herr, nun gebt mir Rath;
Ich bin ein Mann, der Sünde that.«

457  

Als diese Rede geschah,
Wieder sprach der Gute da:
»Euch zu rathen bin ich wohl geneigt:
Nun sagt mir, wer euch hergezeigt.«

5   »Herr, im Wald begegnet' ich
Einem Greisen; wohl empfing der mich,
Und die da mit ihm waren.
Der, in Falschheit unerfahren,
Wars, der mich euch finden lehrte:
10   Ich ritt hieher auf seiner Fährte.«
Der Wirth sprach: »Das war Kahenis,
Den man um Tugend immer pries.
Der Fürst ist ein Punturteis:
Es hat der König von Kareis
15   Seine Schwester zum Gemahl erkoren.
Reinere Frucht ward nie geboren
Als seine Töchter beide,
Die ihr fandet auf der Haide.
Er stammt aus königlichem Hause;
20   Jährlich besucht er meine Klause.«

Zum Wirthe sprach der Fremdling da:
»Als ich euch vor mir stehen sah,
Hat euch Furcht da übernommen?
Erschrakt ihr, als ich angekommen?«

25   Da sprach der Alte: »Glaubt mir, Herr,
Der Hirsch erschreckt mich und der Bär
Wahrlich öfter als ein Mann.
Mit Wahrheit ich euch sagen kann,
Ich fürchte nicht was menschlich ist:
Ich hab auch Menschenkunst und List.
458   Selbstruhm sei fern; doch in dieß Leben
Hätt ich aus Furcht mich nicht begeben.
Nie ist mir so das Herz erkrankt,
Daß ich von tapfrer Wehr gewankt.
5   In meiner wehrlichen Zeit
War ich ein Ritter, wie ihr seid,
Der auch nach hoher Minne rang.
Manch sündiger Gedanke schlang
Sich durch mein keusches Leben.
10   Es war mein höchstes Streben,
Daß ein Weib mir gnädig wär;
Vergeßen bin ich des nunmehr.

»Gebt den Zaum in meine Hand.
Dort unter jener Felsenwand

15   Soll euer Ross sich ruhend stehn.
Nach einer Weile laßt uns gehn
Und brechen Grün und Farrnkraut ab,
Da ich kein ander Futter hab;
Ich hoffe doch, daß wirs ernähren.«
20   Da wollte Parzival sich wehren,
Daß er den Zaum nicht sollt empfangen.
»Die Zucht kann nicht von euch verlangen
Wider euern Wirth zu streiten:
Laßt Unfug nicht die Zucht verleiten.«
25   Also sprach der gute Mann:
Da ließ er ihn den Zaum empfahn.
Der zog das Ross nun vor den Stein,
Den selten traf der Sonne Schein:
Das war ein wilder Marstall;
Hindurch ging einer Quelle Fall.

459  

Parzival stand auf dem Schnee:
Einem kranken Manne thät es weh,
Wenn er Harnisch trüge,
Und der Frost so an ihn schlüge.

5   Ihn führt der Wirth in eine Gruft,
Die nie durchwehten Wind und Luft;
Hier lagen glühende Kohlen,
Da mochte sich der Gast erholen.
Eine Kerze ward auch angebrannt:
10   Da entwappnete sich der Weigand.
Unter ihm lag Reis und Stroh.
Da erwarmten ihm die Glieder so,
Daß seine Haut gab lichten Schein.
Er mochte wohl waldmüde sein:
15   Lang war er Straßen ferne,
Nur die lichten Sterne
Sein Obdach, Nachts umhergeirrt:
Hier fand er nun getreuen Wirth.

Da lag ein Rock, den zog ihm an

20   Der Wirth und führt' ihn mit sich dann
Zu einer zweiten Gruft, wo aufgeschlagen
Des Einsiedels Bücher lagen.459, 23. Das ist noch jetzt am Karfreitag Gebrauch der Kirche.
Entblößt stand nach des Tages Brauch
Der Altar: jene Kapsel auch
25   Darauf, die ihm gar wohl bekannt;
Sie wars, auf der einst seine Hand
Schwur den ungefälschten Eid,
Der Jeschutens langes Leid
In Freude verkehrte,
Ihr neues Glück gewährte.

460  

Zum Wirthe sprach der Held sofort:
»Herr, die Heiltumskapsel dort
Erkenn ich, weil ich einst drauf schwur,
Da ich hier vorüber fuhr.

5   Einen farbgen Sper, der bei ihr stand,
Herr, den nahm hier meine Hand;
Viel Preis hab ich damit erjagt,
Zum mindsten ward es mir gesagt.
Der Gedanke wars an mein Gemahl,
10   Der mir die Besinnung stahl;
Zwei Tjoste rannt ich doch damit,
Die unbewust ich beide stritt.
Gleichwohl fand ich Sieg und Ehr;
Ach, jetzt hab ich der Sorgen mehr
15   Als wohl je zuvor ein Mann.
Bei eurer Zucht sagt mir an,
Von jener Zeit wie lang ists her,
Daß ich hinwegnahm jenen Sper?«

Da sprach zu ihm der gute Mann:

20   »Den Sper vergaß hier Taurian;
Mein Freund erhob darum auch Klage.
Fünfthalb Jahr ists und drei Tage
Seit ihr den Sper euch nahmt zu eigen:
Glaubt ihrs nicht, ich wills euch zeigen.«
25   Da las er ihm im Psalter all
Der Wochen und der Jahre Zahl,
Die seitdem vergangen waren.
Er sprach: »Nun hab ich erst erfahren,
Wie lang ich irre weisungslos
Und aller Freuden bar und bloß,«
461   Sprach er: »mir ist Freud ein Traum;
Ich trage Kummers schweren Saum.

»Herr, ich thu euch mehr noch kund,
Wo Münster oder Kirche stund,

5   Darin Gott Ehre soll geschehn,
Da hat kein Auge mich gesehn
In allen diesen Zeiten.
Ich suchte nichts als Streiten.
Zu Gott auch trag ich Haß und Zorn,
10   Denn Er ist meiner Sorgen Born,
Er hat sie allzuhoch erhaben;
Lebendig ist mein Glück begraben.
Wollte Gott mir Hülfe leihn,
So ankerte die Freude mein
15   So tief nicht in des Kummers Grund.
Mir ist mein mannlich Herz so wund!
Wie war es wohl auch heil und ganz,
Da Trübsal ihren Dornenkranz
Mir drückt auf alle Würdigkeit,
20   Die mir Schildesamt erstritt im Streit
Wider wehrliche Degen.
Das darf ich Dem zu Last wohl legen,
Der aller Hülfe mächtig ist
Und hülfreich Hülfe nie vergißt;
25   Mir alleine half er nicht,
Was man von seiner Hülf auch spricht.«

Mit Seufzen sah der Wirth ihn an.
»Herr,« sprach er, »laßt von solchem Wahn.
Lernt beßer Gott vertrauen:
Ihr sollt noch Hülfe schauen.

462   Gott mög uns helfen beiden.
Herr, wollet mich bescheiden
(Aber setzt euch doch dabei)
Und sagt mir unumwunden frei,
5   Wie dieser Zwiespalt sich entspann,
Da Gott euern Haß gewann.
Bei eurer Zucht, hört mit Geduld
Von mir erst seine Unschuld,
Eh ihr über ihn mir klagt:
10   Seine Hülf ist Allen unversagt.

»Ob ich gleich ein Laie bin,
Mir blieb wahrhafter Bücher Sinn
Nicht fremd, die alle schreiben,
Wie der Mensch getreu soll bleiben

15   In dessen Dienst, des Hülfe groß
Stäter Hülfe nie verdroß,
Daß unsre Seele nicht versank.
Seid getreu ohn allen Wank,
Da Gott selbst die Treue ist.
20   Verhaßt war stäts ihm falsche List:
Das soll bei uns zu Gut ihm kommen
Und was er that zu unserm Frommen,
Da der Allerhöchste mild
Uns zu Liebe ward zum Menschenbild.
25   Gott heißt und ist die Wahrheit,
Drum bleibt ihm Falschheit ewig leid:
Das bedenket immerdar.
Er verläßt uns nicht fürwahr:
Lehrt ihr auch die Gedanken
Nicht mehr von Ihm zu wanken.

463  

»Ihr nöthigt Gott nichts ab durch Zorn.
Wer sieht, ihr habt ihm Haß geschworn,
Wähnt euch gewiss am Hirne krank.
Bedenkt, wie Lucifern gelang

5   Und seinen Genoßen alle.
Sie waren doch ohne Galle:
Wo nahmen sie die Bitterkeit,
Für die ihr endloser Streit
Erwirbt der Hölle bittern Lohn?
10   Astiroth und Beleimon,
Belet und Rhadamant,
Und andre, die mir wohl bekannt:
Das lichte himmlische Geleit
Ward höllenschwarz durch Zorn und Neid.

15  

»Da Lucifer zur Hölle sank,
Da nahm der Mensch den Anfang.
Gott bildete von Erdenthon
Adamen, seiner Hände Sohn.
Aus Adams Fleisch er Even brach,

20   Von der uns kommt das Ungemach,
Die den Schöpfer überhörte
Und unser Heil zerstörte.
Von Beiden kam gezweite Frucht:
Dem Einen rieth die Eigensucht,
25   Daß er in blinder Leidenschaft
Seiner Ahnfrau nahm die Jungfrauschaft.
Hier hebt nun Mancher an zu fragen,
Wird diese Mär ihm vorgetragen,
Wie das möglich könne sein?
Durch Sünde möglich wars allein.«

464  

Parzival versetzte da:
»Herr, ich zweifle doch, ob das geschah.
Wer hat den Vater ihm geboren,
Von dem die Ahnfrau hat verloren

5   Die Jungfrauschaft, wie ihr gewähnt?
Ihr hättets beßer nicht erwähnt.«
Der Wirth entgegnete sogleich:
»Aus diesem Zweifel nehm ich euch.
Wenn ich nicht Wahrheit sage,
10   Führt über Trug dann Klage.
Die Erde Adams Mutter war:
Gott bildet' ihn aus Erde zwar;
Dennoch blieb die Erde Magd.
Nun hab ich euch noch nicht gesagt,
15   Wer das Magdtum ihr benahm.
Den Kain zeugte Adam,
Der Abeln schlug um eitel Gut.
Als auf die reine Erde Blut
Fiel, ihr Magdtum war entflohn:
20   Das benahm ihr Adams Sohn.
Da hub sich Menschenzorn und Neid;
Sie währen fort von jener Zeit.

»Nichts Reinres doch auf Erden ist
Als die Jungfrau sonder arge List.

25   Nun seht wie rein die Maide sind:
Gott selber war der Jungfrau Kind.
Von Maiden sind zwei Menschen kommen:
Gott selber hat Gestalt genommen
Nach der Frucht der ersten Maid:
So erwies er hohe Mildigkeit.
465   Unheil und Wonne kamen
Uns aus Adams Samen.
Er will gesippt uns angehören,
Des Lob erklingt von Engelschören;
5   Doch must aus Sipp uns Sünde blühn,
Daß wir der Sünde nie entfliehn.
Erbarme drob sich dessen Kraft,
In dem Erbarmen wirkt und schafft,
Der im Menschenbild Unbilde litt
10   Und getreulich wider Untreu stritt.

»Ihr sollt den Zorn vergeßen:
Ihr verwirkt das Heil vermeßen.
Für Sünde sollt ihr Buße thun
Und laßt verwegne Rede ruhn.

15   Wer sein Leid will rächen
Mit ungezähmtem Sprechen,
Von dessen Lohne sei euch kund.
Ihn richtet der eigne Mund.
Nehmt zur neuen alte Mähre,
20   Daß sie euch Treue lehre.
Jener Redner Platon
Sprach zu seinen Zeiten schon,
Und Sibylle hat, die Seherin,
Mit untrüglichem Sinn
25   Vorausgesagt so manches Jahr,
Uns werde kommen fürwahr
Für die Schuld ein hohes Pfand.
Aus der Hölle nahm uns Gottes Hand
Und die göttliche Minne;
Die Frevler ließ sie drinne.

466  

»Aus des wahren Minners Mund
Ward uns frohe Botschaft kund.
Der ist ein durchleuchtig Licht
Und wankt in seiner Minne nicht.

5   Wem er Minn erzeigen soll,
Dem wird mit seiner Minne wohl.
Die Botschaft kündet zweierlei:
Aller Welt zu kaufen sei
Gottes Haß und Gottes Minne:
10   Welches wählt ihr zum Gewinne?
Der Sündige sonder Reue
Flieht die göttliche Treue;
Wer aber büßt seine Schuld,
Der verdient des Höchsten Huld.

15  

»Dem Höchsten wehrt keine Schranke.
Dem Blick der Sonne wehrt Gedanke:
Gedank ist ohne Schloß versteckt,
Vor aller Kreatur verdeckt,
Gedank ist finster ohne Schein;

20   Doch Gottes Klarheit blitzt hinein.
Sie leuchtet durch die finstre Wand,
Sie kommt verhohlnen Sprungs gerannt,
Der nicht toset, der nicht klingt,
Wenn er in die Herzen dringt.
25   Sei Gedanke noch so schnelle,
Eh er vor des Herzens Schwelle
Kommt, ist er durchgründet:
Gott wählt, die er würdig findet.
Da Gott Gedanken selbst durchspäht,
Weh dem, der sündge That begeht!
467   Wer mit Werken seinen Gruß
Verwirkt, daß Gott sich schämen muß,
Was hilft dem weltliche Zucht?
Wo ist seiner Seele Zuflucht?
5   Wenn ihr Gott entgegen seid,
Der zu beidem ist bereit,
Zur Minne wie zum Zorne,
So seid ihr der Verlorne.
Nun wendet eur Gemüthe,
10   Daß er euch dankt, zur Güte.«

Parzival versetzte so:
»Herr, von Herzen bin ich froh,
Daß ihr mich über Den beschieden,
Der nichts läßt ungelohnt hienieden,

15   Das Laster noch die Tugend.
Mit Sorgen meine Jugend
Hab ich bis diesen Tag durchlebt,
Mit Treue Jammer nur erstrebt.«

Der Wirth sprach zu dem jungen Herrn:

20   »Verhehlt ihrs nicht, so hört ich gern,
Was euch für Sorgen drücken.
Entdeckt sie meinen Blicken,
Vielleicht daß ihr dann guten Rath,
Den ihr nicht habt, von mir empfaht.«
25   Wieder sprach da Parzival:
»Meine höchste Noth ist um den Gral
Und dann um mein ehlich Weib:
Auf Erden lebt kein schönrer Leib,
Der jemals sog der Mutter Brust;
Nach den beiden sehnt sich mein Gelust.«

468  

Der Wirth sprach: »Herr, ihr sprechet wohl.
Das ist Kummer, den man haben soll,
Wenn ihr um euer Ehgemahl
Im Herzen tragt der Sehnsucht Qual.

5   Lebt ihr in rechter Ehe,
Träf euch der Hölle Wehe,
Zu Ende wäre bald die Pein:
Aus solcher Banden Noth befrein
Würd euch Gottes Hülfe gleich.
10   Doch nach dem Gral auch sehnt ihr euch;
Ihr dummer Mann, das muß ich klagen.
Den Gral kann Niemand erjagen,
Als der im Himmel wird ernannt
Und in den Dienst des Grals gesandt.
15   Das laßt vom Gral euch offenbaren:
Ich weiß es, hab es selbst erfahren.«
Parzival sprach: »Wart ihr da?«
»Herr,« gab der Wirth zur Antwort, »ja!«
Parzival verschwieg ihm gar,
20   Daß auch er einst bei ihm war:
Er frug ihn um die Märe,
Wie es mit dem Grale wäre.

Der Wirth sprach: »Mir ist wohl bekannt,
Es wohnt manch wehrliche Hand

25   Zu Monsalväsche bei dem Gral.
Auch pflegen über Berg und Thal
Dieselben Templeisen
Auf Abenteur zu reisen,
Die sie als Sündenbuße tragen,
Ob sie da Leid, ob Preis erjagen.

469  

»Die wehrliche Ritterschaft,
Höret, was ihr Nahrung schafft:
Sie leben von einem Stein,
Dessen Art muß edel sein.

5   Ist euch der noch unbekannt,
Sein Name wird euch hier genannt.
Er heißet Lapis exilis.469, 7. St. Marte (Germ. a. a. O.) will gelesen wißen lapis herilis, der Stein des Herrn.
Von seiner Kraft der Phönix
Verbrennt, daß er zu Asche wird
10   Und dann der Glut verjüngt entschwirrt.
Der Phönix schüttelt sein Gefieder
Und gewinnt so lichten Schimmer wieder,
Daß er schöner wird als eh.
Wär einem Menschen noch so weh,
15   Doch stirbt er nicht denselben Tag,
Da er den Stein erschauen mag,
Und noch die nächste Woche nicht;
Auch entstellt sich nicht sein Angesicht:
Die Farbe bleibt ihm klar und rein,
20   Wenn er täglich schaut den Stein,
Wie in seiner besten Zeit
Einst als Jüngling oder Maid.
Säh er den Stein zweihundert Jahr,
Ergrauen würd ihm nicht sein Haar.
25   Solche Kraft dem Menschen giebt der Stein,
Daß ihm Fleisch und Gebein
Wieder jung wird gleich zur Hand:
Dieser Stein ist Gral genannt.

»Dem kommt heut eine Botschaft,
In der liegt seine gröste Kraft;

470   Denn heut ist der Karfreitag,
Da man der Sendung warten mag:
Eine Taube sich vom Himmel schwingt,470, 3. Vgl. Einl. §. 23.
Die dem Stein hernieder bringt
5   Eine Oblat weiß und klein.
Die Gabe legt sie auf den Stein:
Dann hebt mit glänzendem Gefieder
Die Taube sich zum Himmel wieder.
Alle Karfreitage
10   Bringt sie, was ich euch sage.
Davon empfängt der Stein genug,
Was Gutes je die Erde trug
Von Eßen und von Trinken,
Was im Paradies mag winken,
15   Die Erde mag gebären.
Ihnen soll der Stein gewähren,
Was Wildes unterm Himmel lebt,
Was läuft, fliegt oder schwebt:
Die Pfründe giebt des Grales Kraft
20   Der ritterlichen Bruderschaft.

»Doch die zum Grale sind benannt,
Hört wie ihr Name wird bekannt.
An dem Grale ringsherum
Erscheint ein Epitaphium,

25   Das sie und ihr Geschlecht benennt,
Denen Gott die selge Fahrt vergönnt,
Ob es Mägdlein sind, ob Knaben.
Hinweg läßt sich die Schrift nicht schaben;
Doch wenn der Name gelesen ist,
Verschwindet sie zur selben Frist.
471   Sie kamen all dahin als Kind,
Die nun dort erwachsene Leute sind.
Wohl der Mutter, die das Kind geboren,
Das zum Dienst des Grales wird erkoren!
5   Ob sie arm sind oder reich,
Darüber freun sich Alle gleich,
Wenn sie ihr Kind zu rufen kommen,
Das in die Schar wird aufgenommen.
Man holt sie her aus manchen Landen;
10   Sie sind vor sündlichen Schanden
Dort immerdar behütet,
Und im Himmel wirds vergütet.
Scheiden sie aus diesem Leben,
Wird ihnen dort das Heil gegeben.

15  

»Die sich nicht entscheiden mochten,471, 15. Dieß widerruft hernach Trevrezent 798. S. Einl. §. 10.
Als Kampf ward gefochten
Zwischen Trinitas und Lucifer,
All das himmlische Heer
Mit leuchtendem Gefieder,

20   Zu dem Steine must es nieder
Dort zu dienen diesem Stein:
Wohl muß der hehr und edel sein.
Ob ihnen Gott die Schuld erließ,
Ob er sie später ganz verstieß –
25   Er mochte thun, was ihm genehm.
Dem Steine dienen seitdem
Die Gott dazu benannte,
Seinen Engel ihnen sandte.
Herr, so steht es um den Gral.«
Wieder sprach da Parzival:

472  

»Da Ritterschaft des Leibes Preis
Und doch der Seele Paradeis
Erwerben mag mit Schild und Sper,
So war mir Ritterschaft Begehr.

5   Ich stritt, wo ich nur Streiten fand,
Und meine wehrliche Hand
Näherte sich oft dem Preis.
Wenn Gott nun Kampf zu würdgen weiß,
So soll er mich zum Gral benennen,
10   Der, sie werdens bald erkennen,
Sich nie dem Kampf entziehen wird.«
Demüthig sprach jedoch sein Wirth:
»Erst müstet ihr vor Hochfahrt
Behütet sein und wohlbewahrt.
15   Euch verführte leicht die Jugend,
Daß ihr brächt der Demuth Tugend.
Stäts muste Hochmuth fallen.«
Seine Augen sah man wallen
Beim Gedanken an die Kunde,
20   Die da ging aus seinem Munde:

»Herr, ein König einst den Gral besaß,
Der hieß und heißt noch Anfortas.
Immerdar erbarmen
Soll euch und mich Armen

25   Seine bittre Herzensnoth,
Die Hochfahrt ihm zu Lohne bot.
Seine Jugend und sein reiches Gut
Verlockten ihn zum Uebermuth,
So daß er warb um Minne
Mit ungezähmtem Sinne.

473  

»Dem Gral ist solcher Brauch nicht recht:
Da muß der Ritter und der Knecht
Behütet sein vor Leichtsinn;
Demuth giebt beßern Gewinn.

5   Des Grales werthe Bruderschaft
Hält mit wehrlicher Kraft
Das Volk aus allem Land umher
Stäts so fern durch seine Wehr,
Daß keinem wird der Gral bekannt,
10   Den er nicht selbst dazu ernannt,
In Monsalväsch dem Gral zu dienen
Ungenannt kam einer doch zu ihnen:
Das war ein einfältger Mann
Und schied mit Sünden auch hindann,
15   Daß er nicht zum Wirthe sprach
Und frug nach seinem Ungemach.
Ich sollte Niemanden schelten;
Doch dieser muß der Sünd entgelten,
Daß er nicht erfrug des Wirthes Schaden.
20   Er war mit Leid doch so beladen,
Die Erde kennt nicht höhre Pein.
Vor ihm schon war Roi Lähelein473, 22. Das hier erwähnte Gralspferd Gringuljet hat Lähelein nach 339, 26–340, 6 vergl. mit 261, 27 seinem Bruder Orilus geschenkt, der es am Plimizöl dem Gawan gab. Vgl. auch 540, 28–541, 2. Daher standen sich bei dem Zweikampfe Parzivals mit Gawan zwei Gralsrosse gegenüber. S. 679, 23.
An den See Brumban geritten.
Eine Tjost hat da mit ihm gestritten
25   Libbeals der werthe Held,
Auch ward er in der Tjost gefällt;
Er war geboren von Prienlaskross.
Lählein zog des Helden Ross
An seiner Hand als Beute fort:
So beging er Raub zugleich und Mord.

474  

»Herr, seid ihr nicht Lähelein?
Ihr brachtet zu dem Stalle mein
Ein Ross, den Rossen völlig gleich,
Die sie reiten in des Grales Reich.

5   Auf dem Sattel steht die Turteltaube:
Es kommt von Monsalväsch, ich glaube.
Das Wappen gab Anfortas ihnen,
Als ihm noch alle Freuden schienen.
Sie führtens früher schon im Schilde:
10   Da bracht es Titurel, der milde,
Auf seinen Sohn Frimutel.
Unter ihm verlor der Degen schnell474, 12. Unter diesem Wappenschild 482, 2 vgl. Veldecks Eneit 86, 40 ff.
Auch von einer Tjost das Leben.
Seinem Weibe war der so ergeben,
15   Daß wohl von keinem Manne mehr
Geminnet ward ein Weib so sehr;
Ich mein in rechten Treuen.
Den Brauch sollt ihr erneuen
Und minnt von Herzen eur Gemahl.
20   Befleißt euch seiner Sitten all;
Ihr seht von Angesicht ihm gleich.
Einst war er Herr im Gralesreich.
Ach Herr, wie ist doch eur Geschlecht?
Wo stammt ihr her? Das sagt mir recht!«

25  

Einer sah den Andern an;
Zum Wirthe Parzival begann:
»Ich ward einem Mann geboren,
Der im Kampf das Leben hat verloren
Durch sein ritterlich Gemüthe.
Schließt ihn, Herr, bei eurer Güte

475   Künftig ein in eur Gebet.
Mein Vater hieß Gachmuret,
Von Geschlecht ein Anschewein.
Herr, ich bin nicht Lähelein:
5   Hab ich den Mordraub je genommen,
Wars, eh ich zu Verstand gekommen.
Es ist jedoch von mir geschehn,
Die Sünde muß ich eingestehn:
Ithern von Kukumerland
10   Schlug meine sündhafte Hand:
Ich streckt ihn todt dahin aufs Gras
Und nahm ihm, was er nur besaß.«

»Weh dir, Welt, wie thust du so!«
Sprach der Wirth; er war der Mär nicht froh.

15   »Du giebst uns Trübsal und Beschwer,
Kummer und Sorge mehr
Als wahrer Lust: was ist dein Lohn?
So endet deines Liedes Ton!«
So sprach er: »Lieber Neffe mein,
20   Wie mag dir nun zu rathen sein?
Du hast dein eigen Fleisch erschlagen.
Willst du vor Gott die Blutschuld tragen
(Ihr stammt beid aus Einem Blut),
Wenn Gott gerecht als Richter thut,
25   So kostet es dein eigen Leben.
Was willst du zum Ersatze geben
Für Ithern von Gahevieß,
Der nie der Ehre Pfad verließ?
Gott schuf an ihm, was höhre Zier
Dem Leben leiht auf Erden hier.
476   Nur Andrer Freude mocht ihn freuen,
Der ein Balsam war der Treuen.
Alle Schande floh ihn weit,
Sein Herz bewohnte Würdigkeit.
5   Nie solltens werthe Fraun vergeben,
Daß du nahmst sein holdes Leben.
Er ergab sich ihrem Dienst so ganz,
Der Frauen Augen stralten Glanz,
Wenn sie ihn sahn, von seiner Süße.
10   Daß es Gott erbarmen müße!
Warum schufst du solche Noth?
Meiner Schwester gabst du auch den Tod,
Herzeleid, der Mutter dein.«
»Nicht doch, guter Herr, ach nein!
15   Was sagt ihr da?« sprach Parzival,
»Und wenn ich König wär vom Gral,
Das Leid vergüten möcht es nicht,
Davon mir euer Mund nun spricht.
Bin ich eurer Schwester Kind,
20   So zeigt, daß ihr mir treu gesinnt,
Und macht mir wahrhaft offenbar:
Sind diese Dinge beide wahr?«

Dawider sprach der gute Mann:
»Ich bin es nicht, der trügen kann.

25   Deine Mutter, da du schiedest, starb;
Die Treu ihr solches Looß erwarb.
Du warst das Thier, das sie da sog,
Der Drache, der da von ihr flog.
Im Traum es ihr beschieden war,
Eh noch die Süße dich gebar.

477  

»Meiner Geschwister zwei noch sind.
Meine Schwester Tschoisian' ein Kind
Gebar: die Frucht gab ihr den Tod.
Der Herzoge Kiot

5   Von Katelangen war ihr Mann;
Keine Freud er auch seitdem gewann.
Sigunen, beider Töchterlein,
Befahl man der Mutter dein.
Mitten in meinem Herzen
10   Muß mich Tschoisiane schmerzen:
Ihr weiblich Herz war so gut,
Ein Wehr vor aller Sünden Flut.
Meine andre Schwester lebt; die Magd
Hat aller Eitelkeit entsagt.
15   Repans de Schoie pflegt den Gral:
Ihr ist er leicht, ein Federball;
Doch nimmer von der Stelle trägt
Ihn, wer im Herzen Falschheit hegt.
Unser Bruder ist Anfortas,
20   Der nun besitzt und längst besaß
Des Grals ererbte Herlichkeit.
Von dem ist leider Freude weit,
Nur daß er von der Hoffnung zehrt,
Sein Kummer werde dort verkehrt
25   In Wonne sonder End und Ziel.
Wie ich dir, Neffe, künden will,
Ist es wunderbar ergangen,
Daß ihn Jammer hält befangen:
Hegst du dann Treu im Herzen,
So muß sein Leid dich schmerzen.

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