Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.

Die unfreundlichsten Beobachter Mr. Tryans mußten zugestehen, daß er sich keine Ruhe gönnte. Drei Predigten am Sonntag, eine Abendschule für junge Männer am Dienstag, eine Hausbetstunde am Donnerstag, Anreden an Schullehrer und Katechisation der Schulkinder, mit seelsorgerlichen Besuchen, die sich vermehrten, wie sein Einfluß sich über Paddiford Common hinaus ausdehnte, wären genug gewesen, die Kräfte eines viel stärkeren Mannes scharf in Anspruch zu nehmen. Mr. Pratt hielt ihm seine Unklugheit oft vor, konnte ihn aber nicht dazu bestimmen, Zeit und Kraft so weit zu sparen, daß er sich ein Pferd hielt. Aus einem oder dem andern Grund, den sich seine Freunde schwer erklären konnten, schien Mr. Tryan entschlossen, sich selbst abzunutzen. Seine Feinde waren nicht in Verlegenheit, ein solches Verfahren zu erklären. Des evangelischen Curaten Selbstsucht war offenbar von zu schlimmer Art, um sich in der gewöhnlichen Weise einer gesunden respektabeln Selbstsucht zu äußern. »Er will sich den Ruf eines Heiligen erwerben«, sagte Einer; »Er verzehrt sich in geistlichem Dünkel«, sagte ein Zweiter; »Er hat ein Auge auf eine fette Pfründe und will sich beim Bischof einschmeicheln«, sagte ein Dritter.

Mr. Stickney von der Salemkapelle, der jede freiwillige Unbequemlichkeit als ein Ueberbleibsel des alttestamentlichen Geistes betrachtete, verdammte diese Selbstvernachlässigung streng und drückte die Befürchtung aus, daß Mr. Tryan noch weit entfernt sei von der Erlangung echt christlicher Freiheit. Der gute Mr. Jerome ergriff diese doktrinäre Ansicht des Gegenstandes begierig als ein Mittel, die Eingebungen seines eigenen Wohlwollens zu verstärken; und eines trüben Nachmittags, gegen Ende des November, bestieg er seine Rothschimmelstute mit dem Entschluß, nach Paddiford zu reiten und die Sache mit Mr. Tryan zu besprechen.

Des alten Herrn Gesicht sah sehr traurig aus, als er die öden Gassen zu Paddiford durchritt, zwischen Reihen von schmutzigen, von Handwebstühlen verfinsterten Häusern, während der kalte Novemberwind den schwarzen Staub um ihn herum wirbelte. Er dachte nach über den Gegenstand, der ihn zu diesem nachmittägigen Ritt hieher bewogen hatte, und seine Gedanken machten sich hie und da, nach seiner Gewohnheit, wenn er allein war, in hörbarer Rede Luft. Es schien ihm, während seine Augen auf diesem Schauplatz von Mr. Tryans Mühen ruhten, daß er des Geistlichen Selbstbeschränkung verstehen könnte, ohne zu Mr. Stickneys Theorie von der mangelhaften religiösen Erleuchtung seine Zuflucht zu nehmen. Sagen uns nicht weltweise Doktoren, daß wir unfähig sind, auch nur einen Baum zu erkennen, außer durch eine unbewußte Berechnung, die viele vergangene und getrennte Sinneswahrnehmungen combinirt; daß kein Sinn von dem andern unabhängig ist, so daß wir im Dunkeln kaum ein Fricassé durch den Geschmack erkennen oder sagen können, ob unsere Pfeife brennt oder nicht, und daß der aufgeweckteste Knabe, wenn mit Klauen oder Krallen statt der Finger begabt, wahrscheinlich stets auf der letzten Bank bleiben würde? Wenn dem so ist, so begreift man leicht, daß unser Urtheil über menschliche Beweggründe abhängen muß von der Vollständigkeit der Elemente, die wir aus unserer eigenen Empfänglichkeit und Erfahrung beibringen können. Sieh zu, Freund, bevor Du ein zu übereiltes Urtheil aussprichst, daß Deine eigene moralische Sensibilität nicht von klauen- oder krallenartigem Charakter ist. Das schärfste Auge wird nichts nützen, wenn Du nicht die zarten Finger mit den feinen Nervenfasern hast, welche der wissenschaftlichen Linsen spotten und sich in der unsichtbaren Welt menschlicher Empfindungen verlieren.

Was Mr. Jerome betrifft, so schöpfte er die Elemente seiner moralischen Einsicht aus der Tiefe seiner Verehrung und seines Mitgefühls. Wenn er selbst so viel für die armen Geschöpfe fühlte, für die das Leben so trüb und mager war, was mußte der Geistliche fühlen, der es vor Gott über sich genommen, ihr Hirte zu sein?

»Ach!« flüsterte er mit Unterbrechungen, »es ist eine zu schwere Last für sein Gewissen. Der arme Mann! Er will sich ganz zu ihrem Bruder machen: kann's nicht über sich bringen, mit vollem Magen den Fastenden zu predigen. Ach! er ist besser wie wir, das ist's – er ist ein gut Theil besser wie wir.«

Hier riß Mr. Jerome heftig am Zügel und blickte auf mit einer Miene moralischen Muthes, als wäre Mr. Stickney anwesend gewesen und hätte etwa diesen Schluß übel genommen. Einige Minuten später stand er vor Mrs. Wagstaffs Haus, wo Mr. Tryan wohnte. Er war schon öfters dort gewesen, so daß ihm der Kontrast zwischen diesem häßlichen, viereckigen Backsteinhaus mit seinem Stückchen Grasfleck, auf das ringsumher die Fenster der Häuschen sahen, und seinem eigenen, hübschen weißen Haus, in ein Paradies von Obst- und Blumengarten und Weideland gefaßt, nicht neu war; aber er fühlte ihn heute mit frischer Stärke, während er langsam seinen Rothschimmel mit dem Zügel an dem hölzernen Zaun befestigte und dann an die Thür klopfte. Mr. Tryan war zu Hause und ließ Mr. Jerome bitten, er möchte in sein Studirzimmer hinaufkommen, da das Feuer im Besuchszimmer drunten ausgegangen wäre.

Bei der Erwähnung des Studirzimmers eines Geistlichen beschwört vielleicht Eure allzuthätige Phantasie ein vollkommen behagliches, trauliches Zimmer herauf, wo das allgemein behagliche Ansehen vor einem weltlichen Charakter gerettet wird durch stark kirchliche Andeutungen in der Gestalt der Möbel, des Teppichmusters und der Wandbilder; wo, wenn man ein Schläfchen macht, es in einem Lehnstuhl mit geschnitzter Lehne geschieht und wo selbst die Füße auf einer warmen und sammetnen Nachahmung von Kirchenfenstern ruhen; wo die reine Kunst des strengen englischen Protestantismus über dem Kaminsims in Gestalt des Bildnisses eines hervorragenden Bischofs lächelt oder ein verfeinerter anglikanischer Geschmack sich verräth in einem deutschen Druck nach Overbeck Johann Friedrich Overbeck (1789-1869), deutscher Maler, Zeichner und Illustrator, Protagonist der nazarenischen Kunst. – Anm.d.Hrsg.; wo die Mauern mit auserlesener theologischer Litteratur in düstern Einbänden umsäumt sind und das Licht gemildert wird durch einen Schirm von Ästen mit einer grauen Kirche im Hintergrund.

Aber ich muß Euch bitten, auf alle derartigen scenischen Niedlichkeiten zu verzichten, so passend sie auch sein mögen für eines Geistlichen Charakter und Stimmung; denn ich muß bekennen, daß Mr. Tryans Studirzimmer in Wirklichkeit ein sehr häßliches kleines Zimmer war, mit einer häßlichen, nach der Schablone gemalten Wand-»Verzierung«, einem häßlichen Teppich auf dem Fußboden und einer häßlichen Aussicht auf Hüttendächer und Kohlgärten vom Fenster aus. Seine eigene Person, sein Schreibtisch und sein Bücherschrank waren die einzigen Gegenstände im Zimmer, die auch nur das geringste Anzeichen von Verfeinerung zeigten; und das einzige Einrichtungsstück für Bequemlichkeit war ein plumper, steiflehniger Armstuhl mit einem verschossenen Zitzüberzug. Der Mann, der, nicht gezwungen durch Armuth, in einem solchen Zimmer leben konnte, mußte entweder seine Einbildung mit einer starken Leidenschaft von innen nähren, oder er mußte jene am wenigsten verlockende Art von Selbstaufopferung gewählt haben, die kein härenes Gewand trägt und keine Fasttage kennt, sondern das Gemeine, das Gewöhnliche und das Häßliche acceptirt, sobald die höchste Pflicht zwischen diesen liegt.

»Mr. Tryan, ich hoffe, Sie werden entschuldigen, daß ich Sie störe«, sagte Mr. Jerome. »Aber ich hätte etwas Besonderes zu sagen.«

»Sie stören mich durchaus nicht, Mr. Jerome; es freut mich sehr, daß Sie mir einen Besuch abstatten,« sagte Mr. Tryan, indem er ihm herzlich die Hand schüttelte und ihm den zitzüberzogenen Lehnstuhl anbot; »es ist schon eine Weile her, seit ich, außer an Sonntagen, Gelegenheit hatte, Sie zu sehen.«

»Ach, Sir! Ihre Zeit ist so in Anspruch genommen, ich weiß das wohl; nicht nur durch das, was Sie zu thun haben, sondern auch durch das Gehen von Ort und Ort; und Sie halten sich kein Pferd, Mr. Tryan. Sie nehmen sich nicht genug in Acht – wirklich nicht, und deshalb bin ich gekommen, um mit Ihnen zu reden.«

»Das ist sehr gütig von Ihnen, Mr. Jerome; aber ich versichere Sie, daß ich glaube, das Gehen schadet mir nicht. Es ist eher eine Erholung für mich nach dem Sprechen oder Schreiben. Sie wissen, ich habe keinen weiten Rundgang zu machen. Der weiteste Weg, den ich zurückzulegen habe, ist zur Milbyer Kirche, und wenn ich am Sonntag einmal ein Pferd brauche, so miethe ich Radleys, der nur einige hundert Schritte von mir entfernt wohnt.«

»Gut! aber jetzt kommt der Winter heran, und Sie werden nasse Füße bekommen, und Pratt sagt mir, daß Ihre Gesundheit zart sei, wie Jeder sehen kann, ohne ein Doktor zu sein. Und das ist das Licht, in welchem ich die Sache betrachte: wer wird Ihren Platz ausfüllen – wenn Sie nicht mehr dazu im Stande sind, will ich sagen? Bedenken Sie, wie werthvoll Ihr Leben ist. Sie haben ein großes Werk begonnen in Milby und könnten es auch fortsetzen, wenn Sie Gesundheit und Kraft dazu hätten. Je mehr Sie auf sich Acht geben, desto länger werden Sie wahrscheinlich leben, wenn es Gottes Wille ist, um Ihren Mitgeschöpfen Gutes zu thun.«

»Ei, mein lieber Mr. Jerome, ich denke, ich würde in keinem Falle lange leben; und wenn ich unter dem Vorwand, mehr Gutes zu thun, auf mich Acht gäbe, so würde ich sehr wahrscheinlich sterben, ohne überhaupt etwas gethan zu haben,«

»Gut! aber ein Pferd zu halten würde Sie nicht am Arbeiten hindern. Es würde Ihnen helfen, mehr zu thun, obgleich Pratt sagt, daß es das fortgesetzte Sprechen ist, was Ihnen am meisten schadet. Nun, heißt es nicht – ich bin kein Gelehrter, Mr. Tryan, und will Ihnen durchaus nichts vorschreiben – aber heißt es nicht beinahe sich selbst umbringen, in dieser Weise über Ihre Kräfte hinauszugehen? Wir dürfen unser Leben nicht wegwerfen.«

»Nein, nicht leichtsinnig wegwerfen, aber wir dürfen unser Leben einsetzen für eine rechte Sache. Es gibt viele Pflichten, wie Sie wissen, Mr. Jerome, die der Sorge für unser Leben vorangehen.«

»Ach! ich kann mit Ihnen nicht rechten, Mr. Tryan; aber was ich sagen wollte, ist dies – da ist mein kleiner Kastanienbrauner; ich würde es als eine große Freundlichkeit ansehen, wenn Sie ihn den Winter durch reiten wollten. Ich habe schon oft daran gedacht, ihn zu verkaufen, denn Mrs. Jerome kann ihn nicht ausstehen; und was thu' ich mit zwei Gäulen? Aber ich habe den kleinen Braunen gern und möchte ihn nicht gern veräußern. Und so würden Sie mir einen Gefallen erweisen, wenn Sie ihn auch nur für mich reiten würden – wirklich, Mr. Tryan.«

»Ich danke Ihnen, Mr. Jerome. Ich verspreche Ihnen, den Braunen zu verlangen, wenn ich fühle, daß ich ein Pferd brauche. Es gibt keinen Menschen, dem ich lieber verpflichtet wäre, als Ihnen; aber für jetzt möchte ich lieber kein Pferd haben. Ich würde es nur wenig reiten, und es würde mir jetzt eher unbequem sein als etwas anderes.«

Mr. Jerome schaute unruhig und zögernd drein, als hätte er etwas auf dem Herzen, das sich nicht leicht in Worte formen wollte. Endlich sagte er: »Sie werden wohl entschuldigen, Mr. Tryan, ich möchte nicht zudringlich sein, aber ich weiß, welche Ansprüche an Sie als Geistlicher gestellt werden. Ist es die Ausgabe, Mr. Tryan? ist es das Geld?«

»Nein, mein werther Herr. Ich habe viel mehr, als ein einzelner Mann braucht. Meine Lebensweise ist ganz meine eigene Wahl, und ich thue nichts, als was ich für meine Pflicht halte, abgesehen von pekuniären Rücksichten. Wir können nicht Einen nach dem Andern beurtheilen; wir haben alle unsere besonderen Schwächen und Versuchungen. Ich gestehe bereitwillig zu, daß es von einem andern Manne recht wäre, sich mehr Luxus zu gestatten; und ich versichere Sie, ich halte es für keine Ueberlegenheit meinerseits, daß ich ohne solchen auskomme. Im Gegentheil, wenn mein Herz weniger widerspenstig und ich der Versuchung weniger ausgesetzt wäre, würde ich dieser Art von Selbstverleugnung nicht bedürfen. Aber«, fügte Mr. Tryan hinzu, indem er Mr. Jerome die Hand entgegenstreckte, »ich erkenne Ihre Freundlichkeit und segne Sie dafür. Wenn ich ein Pferd brauche, werde ich Sie um den Braunen bitten.«

Mr. Jerome mußte sich mit diesem Versprechen begnügen und ritt betrübt heim, indem er sich selbst Vorwürfe machte, weil er etwas, das er beim Aufbruch sagen wollte, nicht gesagt, und die Beweisgründe, die er von Mr. Stickney hatte citiren wollen, »rein vergessen« hatte.

Mr. Jeromes Gemüth war nicht das einzige, welches von der Idee, der Curat überarbeite sich, ernstlich beunruhigt wurde. Es gab besorgte Frauenherzen, in denen die Ängstlichkeit betreffs des Zustandes seiner Zuneigung in Aengstlichkeit betreffs des Zustandes seiner Gesundheit aufzugehen schien. Miß Eliza Pratt hatte seinerzeit viele schlaflose Nächte mit Nachdenken über die Möglichkeit verbracht, daß Mr. Tryan irgend einer Dame in der Ferne zugethan sein könnte – zu Laxeter vielleicht, wo er früher Curat gewesen; und ihre feinen Augen hielten eifrige Wacht, damit ihr kein Symptom gefesselter Neigung seinerseits entgehe. Es schien eine beunruhigende Thatsache, daß seine Taschentücher hübsch mit Haar gezeichnet waren, bis sie erwog, daß er eine unverheirathete Schwester habe, von welcher er mit großer Zärtlichkeit als von seines Vaters Gefährtin und Trösterin sprach. Ueberdies hatte Mr. Tryan nie einen Besuch in der Ferne gemacht, ausgenommen einen solchen von mehreren Tagen bei seinem Vater, und es entschlüpfte ihm keine Andeutung, daß er ein Haus zu miethen oder seine Lebensweise zu ändern beabsichtige. Nein! er konnte nicht gebunden sein, wenn er auch vielleicht getäuscht worden war. Aber dieses letztere Mißgeschick ist eines, von dem, wie man erfahren hatte, ein frommer Geistlicher sich mit Hilfe eines feinen Paares grauer Augen erholt, die ihn in zärtlicher Verehrung anstrahlen. Vor Weihnachten indessen begannen ihre Gedanken eine andere Richtung zu nehmen. Sie hörte ihren Vater sehr zuversichtlich sagen, daß »Tryan die Auszehrung habe, und wenn er sich nicht in Acht nehme, so sei sein Leben kein Jahr mehr werth«; und die Scham, über Annahmen gegrübelt zu haben, die sich wahrscheinlich als falsch erweisen würden, leitete der armen Miß Eliza Gefühle mit um so größerer Heftigkeit in den einen Kanal besorgter Unruhe bei der Aussicht, den Seelsorger zu verlieren, der ihr ein neues Leben der Frömmigkeit und Selbstunterwerfung eröffnet hatte. Es ist eine traurige Schwäche von uns, daß der Gedanke an eines Menschen Tod ihn uns von neuem heiligt; als ob das Leben nicht auch geheiligt wäre – als ob es vergleichsweise etwas Geringes wäre, es dem Bruder an Verehrung und Liebe fehlen zu lassen, der die ganze, mühevolle, steile Höhe mit uns zu erklimmen hat, und all unsere Thränen und Zärtlichkeit dem einen gebührten, dem jene harte Reise nachgesehen wird.

Auch die Misses Linnet begannen sich eine neue Ansicht von der Zukunft zu bilden, die ganz frei war von Eifersucht auf Miß Eliza Pratt.

»Bemerkten Sie«, sagte Mary eines Nachmittags, als Mrs. Pettifer Thee bei ihnen trank – »bemerkten Sie gestern Mr. Tryans kurzen, trockenen Husten? Ich glaube, er sieht jede Woche schlimmer aus, und ich wünschte nur, daß ich mit seiner Schwester bekannt wäre; ich würde ihr seinetwegen schreiben. Gewiß, es sollte etwas geschehen, um ihn zum Aufgeben eines Theils seiner Arbeit zu bewegen; und hier hört er auf Niemanden.«

»Ach«, sagte Mrs. Pettifer, »es ist ewig schade, daß sein Vater und seine Schwester nicht bei ihm leben können, wenn er nicht heirathen will. Aber ich wünschte von ganzem Herzen, er hätte ein hübsches Mädchen liebgewinnen können, die ihm ein behagliches Heim bereitet hätte. Ich dachte früher, er möchte sich Eliza Pratt zuneigen; sie ist ein gutes Mädchen und recht hübsch; aber ich sehe jetzt keine Wahrscheinlichkeit dafür.«

»Ich auch nicht«, sagte Rebecca mit einigem Nachdruck; »Mr. Tryans Herz ist von keinem Weibe zu gewinnen; er ist ganz seiner Arbeit ergeben, und ich möchte ihn nie mit einem jungen unerfahrenen Weibe verheirathet sehen, die ihm ein Hemmschuh statt einer Gehilfin wäre.«

»Er sollte jemand haben, jung oder alt«, bemerkte Mrs. Linnet, »um darauf zu sehen, daß er eine Flannellweste trägt und seine Strümpfe wechselt, wenn er heimkommt. Es ist meine Meinung, daß er sich den Husten zugezogen hat, weil er in nassen Schuhen und Strümpfen dagesessen ist; und Mrs. Wagstaff ist ein armes hirnloses Ding; sie sieht bei weitem nicht genug auf ihn.«

»O, Mutter!« sagte Rebecca, »sie ist eine sehr fromme Frau. Und sie hält es gewiß für eine zu große Gnade, Mr. Tryan bei sich zu haben, um es ihm nicht nach Kräften behaglich zu machen. Sie kann nichts dafür, daß ihre Zimmer schäbig sind.«

»Ich habe nichts gegen ihre Frömmigkeit zu sagen, meine Liebe; aber ich weiß recht gut, daß ich mir nicht gern von ihr kochen ließe. Wenn ein Mann hungrig und müde heimkommt, wird ihn Frömmigkeit nicht sättigen, mein' ich. Harte Rüben werden ihm schwer im Magen liegen, Frömmigkeit oder nicht. Ich besuchte ihn eines Tags, als sie Mr. Tryans Diner auftrug und konnte sehen, daß die Kartoffeln so wässerig waren wie nur was. Es ist ganz recht, nicht weltlich zu sein, – ich bin keine Feindin davon; aber ich habe meine Kartoffeln gern mehlig. Ich sehe nicht ein, daß Jemand eher in den Himmel kommen sollte, weil er sein Essen nicht verdaut – vorausgesetzt, daß er nicht etwa eher stirbt, wie vielleicht Mr. Tryan, der liebe, arme Mann.«

»Es wird ein schwerer Tag für uns alle sein, wenn es dazu kommt«, sagte Mrs. Pettifer. »Wir werden nie Jemand bekommen, der diese Lücke ausfüllt. Da ist der neue Geistliche, der soeben nach Shepperton gekommen ist – Mr. Parry; ich sah ihn neulich bei Mrs. Bond. Er mag ein sehr guter Mann und ein tüchtiger Prediger sein, man sagt so; aber ich dachte bei mir, welch ein Unterschied zwischen ihm und Mr. Tryan! Er sieht sehr spitzig drein und hat nicht die gefühlvolle Art und Weise an sich wie Mr. Tryan. Was mir so wunderbar vorkommt, ist, daß Mr. Tryan sich auf eine Stufe mit mir stellt und mit mir spricht wie ein Bruder. Ich genire mich nie, ihm alles zu sagen. Er scheint nie auf irgend Jemand herabzublicken. Er weiß, wie man die aufhebt, welche gefallen sind, wenn jemals ein Mensch es wußte.«

»Ja«, sagte Mary. »Und wenn ich alle die Gesichter sehe, die in der Paddiforder Kirche ihm zugekehrt sind, denke ich oft, einen wie harten Stand, jeder Geistliche haben wird, der nach ihm kommt; er hat den Leuten solche Liebe eingeflößt.«



 << zurück weiter >>