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An jenem Abend schien Miß Asher sich mit ungewöhnlichem Hochmuth zu betragen und Caterina kaltblütig zu beobachten. Es war offenbar ein Gewitter im Anzug. Capitän Wybrow schien die Sache sehr leicht zu nehmen und war geneigt, sie durchzutrotzen, indem er Caterina mehr als gewöhnlich Aufmerksamkeit erwies. Mr. Gilfil hatte sie zu einer Partie Domino beredet, während Lady Asher mit Sir Christopher beim Piquet saß und Miß Asher sich angelegentlich mit Lady Cheverel unterhielt. Anthony, so als eine einzelne Einheit übrig, schlenderte zu Caterinas Stuhl und lehnte sich über sie, dem Spiel zusehend. Tina, der die Scene vom Vormittag noch in frischer Erinnerung war, fühlte, daß ihre Wangen röther und röther wurden, und sagte endlich ungeduldig: »Ich wollte, Sie gingen weg.«
Dies geschah direkt vor Miß Ashers Augen, die Caterinas sich röthende Wangen sah und bemerkte, daß Jene ungeduldig etwas sagte und daß Capitän Wybrow in Folge dessen wegging. Noch eine andere Person war da, die diesen Vorfall mit regem Interesse verfolgt hatte und ferner bemerkte, daß Miß Asher nicht nur sah, sondern scharf beobachtete, was vor sich ging. Jene andre Person war Mr. Gilfil; er zog einige schmerzliche Schlüsse, die seine Besorgniß für Caterina erhöhten.
Am nächsten Morgen lehnte Miß Asher, trotz des schönen Wetters einen Spazierritt ab, und Lady Cheverel, die bemerkte, daß zwischen dem Liebespaar etwas nicht in Ordnung war, trug Sorge, daß man dasselbe im Besuchszimmer allein ließ. Miß Asher war mit einer Handarbeit beschäftigt, die an diesem Morgen dem Anschein nach bedeutend gefördert werden sollte. Capitän Wybrow saß gegenüber, ein Zeitungsblatt in der Hand, aus dem er zuvorkommend einige Stellen vorlas, absichtlich das verächtliche Schweigen ignorirend, womit sie ihre Filigranarbeit fortsetzte. Endlich, als er nicht mehr länger vorgeben konnte, daß das Blatt noch nicht ausgelesen sei, legte er dasselbe weg, und Miß Asher sagte dann:
»Sie scheinen mit Miß Sarti auf sehr vertrautem Fuße zu stehen.«
»Mit Tina? o ja; sie war stets der Liebling des Hauses, wie Sie wissen. Wir waren ganz wie Bruder und Schwester mit einander.«
»Schwestern erröthen gewöhnlich nicht so tief, wenn ihre Brüder sich nähern.«
»Erröthet sie? Ich bemerkte es noch nie. Aber sie ist ein schüchternes kleines Ding.«
»Es wäre besser, wenn Sie nicht so heuchlerisch wären, Kapitän Wybrow. Ich bin überzeugt, es hat zwischen Ihnen eine Liebelei gegeben. Miß Sarti würde in ihrer Stellung nie mit solcher Heftigkeit zu Ihnen sprechen, wie sie es gestern Abend that, wenn Sie ihr nicht irgend welchen Anspruch eingeräumt hätten.«
»Meine liebe Beatrice, seien Sie doch vernünftig: fragen Sie sich selbst, ob auf Erden irgend eine Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß ich mit der armen, kleinen Tina liebeln sollte. Hat sie denn irgend etwas an sich, was eine solche Art von Aufmerksamkeit anziehen konnte? Sie ist mehr Kind als Jungfrau. Man denkt an sie als ein kleines Mädchen, mit dem man spielt und scherzt.«
»Bitte, welches Spiel spielten Sie denn gestern Morgen mit ihr, als ich unerwartet eintrat und sah, daß ihre Wangen geröthet waren und ihre Hände zitterten?«
»Gestern früh? – Oh, ich erinnere mich. Sie wissen, daß ich sie immer mit Gilfil necke, der bis über die Ohren in sie verliebt ist: und sie ist zornig darüber – vielleicht weil sie ihn gern hat. Sie waren alte Spielgenossen Jahre lang, als ich herkam, und Sir Christopher hat sein Herz daran gehängt, daß sie sich heirathen sollen.«
»Capitän Wybrow, Sie sind falsch. Es hatte nichts mit Mr. Gilfil zu schaffen, daß sie erröthete, als Sie sich letzte Nacht über sie beugten. Es wäre besser, Sie wären aufrichtig. Wenn Sie sich noch nicht entschlossen haben, bitte, thun Sie sich keinen Zwang an. Ich bin sehr bereit, Miß Sartis überlegener Anziehungskraft Platz zu machen. Wissen Sie, daß, so weit es mich angeht, Sie vollkommen Freiheit haben. Ich verzichte auf jeden Antheil an der Neigung eines Mannes, der meine Achtung durch Zweideutigkeit verwirkt.«
Indem sie dies sagte, stand Miß Asher auf und wollte hochmüthig aus dem Zimmer rauschen, als Capitän Wybrow ihr den Weg vertrat und ihre Hand ergriff.
»Theure, theure Beatrice, seien Sie geduldig; verurtheilen Sie mich nicht so rasch. Setzen Sie sich nieder, Süßeste«, fügte er in entschuldigendem Tone bei, indem er ihre beiden Hände faßte und sie zum Sopha zurückführte, wo er sich neben ihr niederließ. Miß Asher war gar nicht abgeneigt, zurückgeführt zu werden und zuzuhören, aber sie behielt den kalten, hochmüthigen Ausdruck ihres Gesichts bei.
»Können Sie mir nicht vertrauen, Beatrice? Können Sie mir nicht glauben, obgleich Dinge vorhanden sein mögen, die ich Ihnen nicht erklären kann.«
»Warum sollte etwas vorhanden sein, was Sie nicht erklären können? Ein ehrenhafter Mann wird nie in Umstände gerathen, die er der Frau, welche er zu seiner Gattin machen will, nicht erklären kann. Er wird nicht verlangen, daß sie glaube, er handle recht; er wird sie wissen lassen, daß er es thut. Lassen Sie mich gehen, Sir.«
Sie versuchte aufzustehen, aber er legte seinen Arm um ihre Taille und hielt sie zurück.
»Nun, liebste Beatrice«, sagte er flehend, »können Sie nicht begreifen, daß es Dinge gibt, von denen ein Mann nicht gerne spricht – Geheimnisse, die er bewahren muß um Anderer, nicht um seinetwillen? Nach allem, was mich selbst angeht, dürfen Sie mich fragen, aber verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen anderer Leute Geheimnisse erzähle. Verstehen Sie mich nicht?«
»O ja«, sagte Miß Asher verächtlich, »ich verstehe. So oft Sie einer Frau den Hof machen – das ist ein Geheimniß, das zu bewahren Sie verbunden sind. Aber es ist Thorheit, auf diese Weise zu schwätzen, Capitän Wybrow. Es ist ganz klar, daß eine Beziehung zwischen Ihnen und Miß Sarti besteht, die mehr ist als Freundschaft. Da Sie diese Beziehung nicht erklären können, haben wir uns nichts mehr zu sagen.«
»Zum Henker, Beatrice! Sie werden mich noch verrückt machen. Kann ein Mensch verhindern, daß sich ein Mädchen in ihn verliebt? Solche Dinge kommen alle Tage vor, aber die Männer reden nicht davon. Diese Neigungen entstehen gewöhnlich ohne jeden Grund, speciell wenn ein Frauenzimmer wenig unter die Leute kommt; sie sterben wieder ab, wenn es ihnen an Ermuthigung fehlt. Wenn Sie mich leiden können, sollten Sie nicht überrascht sein, daß es auch andere Leute können; Sie sollten nur um so besser von ihnen denken.«
»Sie wollen also sagen, daß Miß Sarti in Sie verliebt ist, ohne daß Sie ihr je den Hof gemacht haben?«
»Zwingen Sie mich nicht, derartiges zu sagen, Liebste. Es ist genug, daß Sie wissen, ich liebe Sie – daß ich Ihnen ergeben bin. Sie böse Herzenskönigin Sie, Sie wissen, daß keine Aussicht für eine Andere vorhanden ist, wo Sie sind. Aber seien Sie nicht zu grausam; denn wie Sie wissen, sagt man, ich habe noch ein Herzleiden außer der Liebe, und diese Scenen verursachen mir schreckliches Herzklopfen.«
»Aber ich muß eine Antwort haben auf diese eine Frage«, sagte Miß Asher, ein wenig besänftigt. »Hegten Sie jemals oder hegen Sie jetzt irgendwie Liebe gegen Miß Sarti? Ich habe nichts zu schaffen mit ihren Gefühlen; aber ich habe ein Recht, die Ihrigen zu kennen.«
»Ich habe Tina sehr gern; wer würde ein so kleines Ding nicht gern haben? Sie wollen doch nicht, daß ich sie nicht gern habe? Aber Liebe – das ist doch eine ganz andere Sache. Man hat eine brüderliche Neigung zu solch einem Frauenzimmer wie Tina; aber es ist eine ganz andere Gattung von Frauen, die man liebt.«
Diese letzten Worte wurden doppelt bedeutsam gemacht durch einen zärtlichen Blick und einen Kuß, den Capitän Wybrow auf die Hand drückte, die er in der seinen hielt. Miß Asher war besiegt. Es war ja so unwahrscheinlich, daß Anthony jenes blasse, unscheinbare kleine Ding lieben sollte – so hochwahrscheinlich, daß er die schöne Miß Asher anbetete. Im ganzen war es ziemlich erfreulich, daß andere Frauen nach ihrem hübschen Liebhaber schmachteten; er war wirklich ein auserlesenes Geschöpf. Arme Miß Sarti! Nun, sie wollte darüber hinwegsehen.
Capitän Wybrow nahm seinen Vortheil wahr. »Kommen Sie, mein holdes Lieb«, fuhr er fort, »lassen Sie uns nicht mehr über unangenehme Dinge reden. Sie werden Tinas Geheimniß bewahren und sehr freundlich gegen sie sein – nicht wahr? – um meinetwillen. Aber jetzt wollen wir ausreiten, he? Sehen Sie nur, welch ein prächtiger Tag zu einem Spazierritt. Lassen Sie mich sorgen, daß die Pferde vorgeführt werden. Es fehlt mir an frischer Luft. Kommen Sie, geben Sie mir einen Versöhnungskuß und sagen Sie, daß Sie mitreiten.«
Miß Asher willfahrte der doppelten Bitte und ging dann, um sich zum Reiten anzukleiden, während ihr Liebhaber sich nach den Ställen verfügte.