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Fünftes Kapitel.

Das unerbittliche Ticken der Uhr wirkt wie der schmerzhafte Herzschlag bei krankhaft ängstlicher Stimmung. Und so ist es auch mit dem großen Uhrwerk der Natur. Maßliebchen und Butterblumen machen den wogenden, mit warmrothen Sauerampfer untermischten Gräsern Platz; die wogenden Gräser sind weggerafft, und die Mahden liegen wie smaragdene Reihen zwischen den buschigen Hecken; das gelbbraun gespitzte Korn beginnt sich zu beugen unter dem Gewicht der vollen Ähre; die Schnitter beugen sich darüber, und bald steht es in Garben, und bald darauf liegen die gelben Stoppelflächen Seite an Seite mit Strichen dunkelrother Erde, die der Pflug stürzt zur Vorbereitung auf die frischgedroschene Saat. Und dieses Übergehen von Schönheit zu Schönheit, das dem Glücklichen vorkommt wie der Fluß einer Melodie, birgt für manches menschliche Herz das Herannahen vorhergesehenen Schmerzes – scheint den Augenblick heranzujagen, wo auf den Schatten der Furcht die Wirklichkeit der Verzweiflung folgen wird.

Wie grausam hastig schien Caterina jener Sommer des Jahres 1788! Gewiß, die Rosen verblühten früher, und die Beeren der Eberesche waren ungeduldiger sich zu röthen und den Herbst herbeizubringen, wo sie ihrem Elend Aug' in Auge gegenüberstehen und mit ansehen würde, wie Anthony all seine süßen Töne, zärtlichen Worte und freundlichen Blicke an eine Andere verschwendet.

Vor Ende Juli hatte Capitän Wybrow Nachricht gegeben, daß Lady Asher und ihre Tochter im Begriff wären, vor der Hitze und Lebhaftigkeit Bath's in die schattige Ruhe ihres Wohnsitzes zu Farleigh zu fliehen, und daß er eingeladen wäre, die Damen dorthin zu begleiten. Seine Briefe deuteten an, daß er mit beiden Damen auf ausgezeichnet gutem Fuße stehe, und enthielten keine Anspielung auf einen Nebenbuhler, so daß Sir Christopher noch munterer und vergnügter als gewöhnlich war, nachdem er sie gelesen hatte. Endlich, gegen Ende des August, kam die Ankündigung, daß Capitän Wybrow angenommener Bewerber sei, und nach vielem complimentären und beglückwünschendem Briefwechsel zwischen den beiden Familien erfuhr man, daß im September Lady Asher und ihre Tochter Cheverel Manor einen Besuch abstatten würden, wobei dann Beatrice die Bekanntschaft ihrer künftigen Verwandten machen und alle nöthigen Arrangements getroffen werden könnten. Capitän Wybrow würde bis dahin in Farleigh bleiben und die Damen auf ihrer Reise begleiten.

In der Zwischenzeit hatte auf Cheverel Manor Jedes zur Vorbereitung auf die Besucher etwas zu thun. Sir Christopher war beschäftigt durch Berathungen mit seinem Rentmeister und Anwalt, mit dem Ertheilen von Befehlen an alle andern, besonders aber damit, daß er Francesco antrieb, den Saal zu vollenden. Mr. Gilfil hatte die Aufgabe, ein Damenreitpferd beizuschaffen, da Miß Asher eine gute Reiterin war. Lady Cheverel hatte ungewohnte Besuche zu machen und Einladungen auszugeben. Mr. Bates' Rasen und Kieswege und Beete waren stets in einem solchen Zustand der Nettigkeit und Vollkommenheit, daß nichts Außergewöhnliches im Garten gethan werden konnte, ausgenommen ein wenig außerordentliches Ausschelten des Untergärtners, und an diesem Zuschuß ließ es Mr. Bates nicht fehlen.

Glücklicherweise für Caterina hatte auch sie ihre Aufgabe, um die lange, traurige Tageszeit auszufüllen; sie hatte ein Sesselkissen zu fertigen, das die Garnitur gestickter Kissen für das Gesellschaftszimmer vervollständigen sollte, Lady Cheverels jahrelange Arbeit und das einzige bemerkenswerthe Meublement auf dem Manor. Über dieser Stickerei saß sie mit kalten Lippen und klopfendem Herzen, dankbar, daß dies Gefühl des Elends während der ganzen Tageszeit der Neigung zu Thränen, die mit der Nacht und Einsamkeit zurückkehrte, entgegenzuwirken schien. Sie war äußerst erschrocken, als Sir Christopher sich ihr näherte. Des Baronets Auge war heller und sein Schritt elastischer als je, und es schien ihm, als ob nur die bleiernsten und rohesten Seelen anders als lebhaft und frohlockend sein konnten in einer Welt, wo alles so gut ging. Der liebe alte Herr! Er war ein wenig stolz auf seine Willenskraft, durch's Leben gegangen und jetzt glückte ihm auch sein letzter Plan, und Cheverel Manor würde von einem Großneffen geerbt werden, den er vielleicht noch als hübschen jungen Burschen mit wenigstens dem Flaum am Kinn sehen konnte. Warum nicht? Man ist noch jung mit sechzig Jahren.

Sir Christopher hatte Caterina stets etwas Scherzhaftes zu sagen.

»Nun, kleiner Affe, Du mußt ausgezeichnet bei Stimme sein; Du bist die Minnesängerin des Manor, weißt Du, und sieh' zu, daß Du ein hübsches Kleid und ein neues Band hast. Du darfst nicht in Rostfarbe gekleidet sein, wenn Du auch ein Singvögelchen bist.« Oder vielleicht: »Jetzt kommst Du an die Reihe, umworben zu werden, Tina. Aber lerne mir ja keine nichtsnutzigen, stolzen Airs. Maynard soll gut davonkommen.«

Caterinas Liebe zu dem alten Baronet half ihr, ein Lächeln heraufzurufen, als er ihr die Wange streichelte und sie freundlich anblickte, aber dies war der Augenblick, wo es ihr am schwersten wurde, nicht in Thränen auszubrechen. Lady Cheverels Conversation und Gegenwart waren weniger peinigend; denn Mylady fühlte nicht mehr als ruhige Genugthuung bei diesem Familienereigniß; und außerdem wurde sie ernüchtert durch ein wenig Eifersucht wegen Sir Christophers Vorempfindung des Vergnügens, Lady Asher zu sehen, die seinem Gedächtniß als eine sanftäugige Schönheit von sechzehn Jahren eingeprägt war, mit der er Haarlocken ausgetauscht hatte, bevor er seine ersten Reisen antrat. Lady Cheverel würde eher gestorben sein, als es zugestanden haben – aber sie konnte die Hoffnung nicht unterdrücken, er möge sich in Lady Asher täuschen und sich ein wenig schämen, daß er sie so reizend genannt hatte.

Mr. Gilfil beobachtete Caterina während dieser Tage mit gemischten Gefühlen. Ihr Leiden ging ihm zu Herzen; aber er freute sich, selbst um ihretwillen, daß eine Liebe, die nie zu etwas Gutem führen konnte, nicht länger mit falschen Hoffnungen genährt würde: und wie konnte er umhin, bei sich selbst zu sagen: »Vielleicht wird Caterina nach einer Weile es müde werden, sich über jenen kaltherzigen Laffen zu grämen, und dann …«

Endlich kam der langersehnte Tag heran, und die hellste der Septembersonnen erleuchtete die gelb werdenden Lindenbäume, als um fünf Uhr Lady Ashers Wagen unter den Portikus fuhr. Caterina, die in ihrem Zimmer bei der Arbeit saß, hörte das Rollen der Räder, dem gleich darauf das Öffnen und Schließen von Thüren und der Schall von Stimmen im Corridor folgte. Da sie sich erinnerte, daß sechs Uhr die Dinerstunde war und daß Lady Cheverel gewünscht hatte, sie möge bei Zeiten im Gesellschaftszimmer sein, so sprang sie rasch auf, um sich anzukleiden und freute sich, daß sie sich plötzlich so muthig und stark fühlte. Neugier, Miß Asher zu sehen – der Gedanke, daß Anthony im Hause war – der Wunsch, nicht reizlos auszusehen, das waren Gefühle, die etwas Farbe auf ihre Lippen brachten und ihr das Toilettemachen leicht erscheinen ließen. Man würde sie diesen Abend bitten, zu singen, und sie wollte gut singen. Miß Asher sollte sie nicht für gänzlich unbedeutend halten. So zog sie ihr graues Seidenkleid und ihr kirschfarbenes Band mit soviel Sorgfalt an, als wäre sie selbst die Verlobte gewesen; auch die runden Perlenohrringe vergaß sie nicht, die ihr Lady Cheverel auf Sir Christophers Wunsch gegeben hatte, weil Tinas kleine Ohren so hübsch wären.

So rasch sie auch gewesen, fand sie doch im Gesellschaftszimmer schon Sir Christopher und Lady Cheverel, die mit Mr. Gilfil plauderten und ihm berichteten, wie hübsch Miß Asher sei, aber wie ganz unähnlich ihrer Mutter – augenscheinlich nur ihrem Vater gleichend.

»Ah!« sagte Sir Christopher, als er sich umwendete, um Caterina zu betrachten, »was sagst Du dazu, Maynard? Hast Du schon jemals Tina so hübsch gesehen? He, das graue Kleidchen ist aus einem Stückchen von Mylady's Kleid gemacht, nicht wahr? Man braucht kein viel größeres Stück als ein Taschentuch, um den kleinen Affen zu kleiden.«

Auch Lady Cheverel, ruhigheiter strahlend in der Gewißheit, die ihr ein einziger Blick von Lady Ashers Inferiorität verschafft, lächelte beifällig, und Caterina war in einer jener gefaßten und gleichgiltigen Stimmungen, die als Ebbzeit kommen zwischen den Kämpfen der Leidenschaften. Sie zog sich ans Piano zurück und beschäftigte sich mit dem Arrangement ihrer Musikalien, durchaus nicht unempfindlich gegen das Vergnügen, derweilen mit Bewunderung betrachtet zu werden und denkend, wenn die Thüre sich wieder öffnete, würde Capitän Wybrow eintreten und sie wollte ganz munter mit ihm sprechen. Aber als sie ihn hereinkommen hörte und der Rosenduft ihr entgegenfluthete, drohte ihr das Herz zu zerspringen. Sie bemerkte nichts, bis er ihre Hand drückte und in der alten, lässigen Weise sagte: »Nun, Caterina, wie geht es Dir? Du siehst ganz blühend aus.«

Sie fühlte, daß ihre Wangen vor Zorn sich rötheten, daß er mit solch vollkommener Gelassenheit sprechen konnte. Ach! er war zu tief verliebt in eine Andere, als daß er sich noch an etwas erinnerte, was er für sie gefühlt. Aber im nächsten Augenblick war sie sich ihrer Thorheit bewußt; – »als ob er überhaupt Gefühl zeigen könnte!« Dieser Conflikt der Regungen verlängerte die wenigen Augenblicke, die verstrichen, bis die Thüre sich wieder öffnete und ihre Aufmerksamkeit, wie die aller Übrigen, durch den Eintritt der zwei Damen ganz in Anspruch genommen wurde.

Die Tochter war um so auffallender wegen des Gegensatzes, den sie zu ihrer Mutter bot, einer rundschulterigen, mittelgroßen Frau, die einst die vergängliche Milch- und Blut-Schönheit einer Blondine besessen, mit wenig ausgeprägten Zügen und früher Beleibtheit. Miß Asher war hochgewachsen und anmuthig, wenn auch voll gebaut und betrug sich in einer Weise, die aus Anmuth und Selbstvertrauen gemischt war; ihr dunkelbraunes Haar, unberührt von Puder, hing in üppigen Locken um ihr Gesicht und fiel hinten in langen, dicken Ringeln beinahe bis auf die Taille nieder. Die glänzende carminrothe Färbung ihrer wohlgerundeten Wangen und der feingeschnittene Umriß ihrer geraden Nase brachten den Eindruck glänzender Schönheit hervor, trotz gewöhnlicher brauner Augen, einer schmalen Stirn und dünner Lippen. Sie war in Trauerkleidung, und das matte Schwarz ihres Kreppanzugs verlieh ihrem Teint die vollste Wirkung, ebenso der gerundeten Weiße ihrer vom Ellenbogen an bloßen Arme. Der erste coup d'oeil war blendend, und wie sie dastand, mit einem anmuthigen Lächeln auf Caterina herabblickend, welche Lady Cheverel ihr vorstellte, schien das arme kleine Ding zum erstenmale selbst die Thorheit ihres früheren Traumes ganz zu fühlen.

»Wir sind bezaubert von Ihrem Wohnsitz, Sir Christopher«, sagte Lady Asher, mit einer gewissen Feierlichkeit, die sie von jemand Anderem zu borgen schien; »Ihr Neffe muß sicher geglaubt haben, Farleigh sei gräulich in Unordnung. Der gute Sir John war so sehr sorglos, das Haus und die Gründe im Stand zu halten. Ich sprach oft mit ihm darüber, aber er sagte: ›Pah, pah! so lange meine Freunde ein gutes Diner finden und eine gute Flasche Wein, werden sie sich nicht darum bekümmern, daß meine Zimmerdecken ziemlich rauchig sind.‹ Er war so sehr gastfrei, ja das war er.«

»Ich halte die Ansicht des Hauses vom Park aus, gleich nachdem man die Brücke passirt hat, für besonders schön«, sagte Miß Asher, ziemlich eifrig einfallend, als fürchte sie, ihre Mutter könne taktlose Reden führen, »und das Vergnügen des ersten Anblicks war um so größer, weil Anthony uns im Voraus nichts beschreiben wollte. Er wollte uns den ersten Eindruck nicht verderben, indem er falsche Vorstellungen in uns erregte. Ich sehne mich danach, das Haus zu durchwandern, Sir Christopher, und die Geschichte all' Ihrer architektonischen Pläne zu erfahren, die Sie, wie Anthony sagt, so viel Zeit und Studium gekostet.«

»Hüten Sie sich, einen alten Mann dazu zu bringen, von der Vergangenheit zu reden, meine Theure«, sagte der Baronet; »ich hoffe, wir werden etwas Vergnüglicheres für Sie zu thun finden, als das Herumblättern in meinen alten Plänen und Skizzen. Unser Freund Mr. Gilfil hier hat eine hübsche Stute für Sie ausfindig gemacht, und Sie können die Umgegend nach Herzenslust durchstreifen. Anthony hat uns benachrichtigt, welch' eine Reiterin Sie sind.«

Miß Asher wendete sich mit ihrem strahlendsten Lächeln zu Mr. Gilfil und drückte ihm ihren Dank aus mit der künstlichen Anmuth einer Person, die für reizend gehalten werden will und des Erfolges sicher ist.

»Bitte, danken Sie mir nicht«, sagte Mr. Gilfil, »bis Sie die Stute probirt haben. Sie wurde die letzten zwei Jahre von Lady Sarah Linter geritten; aber der Geschmack der Damen ist wohl in Bezug auf Pferde ebensowenig derselbe, als in anderen Dingen.«

Während diese Conversation vor sich ging, lehnte Kapitän Wybrow am Kaminsims und begnügte sich damit, unter seinen trägen Augenlidern hervor die Blicke zu erwiedern, die Miß Asher, während sie sprach, beständig auf ihn richtete. »Sie ist sehr verliebt in ihn«, dachte Caterina. Aber es erleichterte sie, daß Anthony passiv blieb in seinen Aufmerksamkeiten. Sie dachte auch, daß er blasser und müder aussehe, als gewöhnlich. »Wenn er sie nicht sehr liebte – wenn er manchmal an das Vergangene mit Bedauern dächte, ich glaube, ich könnte Alles ertragen und mich freuen, Sir Christopher glücklich zu sehen.«

Während des Diners ereignete sich ein kleiner Zwischenfall, der sie in diesen Gedanken bestärkte. Als das Dessert aufgetragen war, stand eine Schale mit Gelee dem Capitän Wybrow gerade gegenüber, und da er geneigt war, selbst etwas davon zu nehmen, bot er sie zuerst Miß Asher an, die erröthete und in einem schärferen Ton als gewöhnlich sagte: »Haben Sie sich's denn noch nicht gemerkt, daß ich niemals Gelée nehme?«

»Wirklich nicht?« sagte Capitän Wybrow, dessen Auffassungsvermögen nicht scharf genug war, um einen Unterschied von einem halben Ton zu bemerken. »Ich dachte, Sie äßen es gern. Ich glaube, zu Farleigh war immer welches auf dem Tisch.«

»Sie scheinen sich nicht sehr darum zu kümmern, was ich gern und was ich nicht gern habe.«

»Ich bin zu sehr eingenommen von dem beglückenden Gedanken, daß Sie mich gern haben«, war die in silbernen Tönen geflüsterte Antwort ex officio.

Diese kleine Episode wurde von Niemand als Caterina beachtet. Sir Christopher lauschte mit höflicher Aufmerksamkeit der Geschichte Lady Ashers von ihrem letzten Koch, der ausgezeichnet in Saucen war, und deshalb Sir John befriedigt habe – er war so eigen in Betreff der Saucen, ja das war er: und so behielten sie den Mann sechs Jahre lang trotz seiner schlechten Pasteten. Lady Cheverel und Mr. Gilfil lächelten über Rupert, den Bluthund, der seinen großen Kopf unter seines Herrn Arm geschoben hatte und eine Überschau hielt über die Gerichte, nachdem er den Inhalt des Tellers seines Herrn beschnüffelt hatte.

Als die Damen wieder im Gesellschaftszimmer waren, war Lady Asher bald tief versunken in eine Entwicklung ihrer Ansichten über das Begräbniß von Leichnamen in wollener Kleidung.

»Gewiß, man muß eine wollene Bekleidung haben, weil es so Gesetz ist, wie Sie wissen; aber das braucht Niemanden zu hindern, Leinen darunter anzuziehen. Ich sagte immer: ›Wenn Sir John morgen stürbe, ich würde ihn in seinem Hemde begraben‹; und ich that's. Und lassen Sie mich ihnen rathen, es bei Sir Christopher ebenso zu machen. Sie haben Sir John nie gesehen, Lady Cheverel. Er war ein großer, schlanker Mann, mit einer Nase gerade wie Beatrice, und so sehr eigen in seinen Hemden.«

Miß Asher hatte sich mittlerweile neben Caterina gesetzt und mit jener lächelnden Zuthulichkeit, die zu sagen scheint: »Ich bin wirklich gar nicht stolz, obgleich Sie es von mir erwarten konnten«, zu ihr gesagt: –

»Anthony sagt mir, daß Sie so wunderschön singen. Ich hoffe, wir werden Sie diesen Abend hören.«

»O ja«, sagte Caterina ruhig ohne Lächeln. »Ich singe immer, wenn man es von mir verlangt.«

»Ich beneide Sie um ein so reizendes Talent. Wissen Sie, ich habe kein Gehör; ich kann nicht die leichteste Melodie summen und habe doch eine so große Freude an der Musik. Ist das nicht unglücklich? Aber ich werde einen wahren Ohrenschmaus haben, solange ich hier bin; Capitän Wybrow sagt, Sie werden uns alle Tage etwas Musik machen.«

»Ich hätte geglaubt, Sie würden sich nichts aus der Musik machen, wenn Sie kein Gehör haben«, sagte Caterina, die aus allzuernster Einfalt epigrammatisch wurde.

»O, ich versichere Sie, ich bin ganz vernarrt darein; und Anthony liebt sie so sehr; es wäre so entzückend, wenn ich ihm vorsingen und vorspielen könnte, obgleich er sagt, er habe es am liebsten, wenn ich nicht singe, weil es nicht zu seiner Vorstellung von mir gehört. Welche Gattung von Musik lieben Sie am meisten?«

»Ich weiß es nicht. Ich liebe alle schöne Musik.«

»Und sind Sie eine ebenso große Freundin vom Reiten wie von der Musik?«

»Nein, ich reite nie. Ich glaube, ich würde mich sehr fürchten.«

»O nein! wirklich nicht, nach einiger Übung. Ich bin nie im geringsten furchtsam gewesen. Ich glaube, Anthony ist mehr um mich besorgt, als ich selbst; und seitdem ich mit ihm ausreite, bin ich gezwungen, vorsichtiger zu sein, da er so besorgt ist um mich.«

Caterina gab keine Antwort, sondern dachte bei sich: »Ich wünschte, sie ginge weg und spräche nicht mit mir. Sie will nur haben, daß ich ihre Gutmüthigkeit bewundere und von Anthony plaudere.«

Miß Asher dachte zur selben Zeit: »Diese Miß Sarti scheint ein albernes kleines Ding zu sein. Jene musikalischen Leute sind das oft. Aber sie ist hübscher als ich erwartete: Anthony sagte, sie wäre nicht hübsch.«

Glücklicherweise lenkte in diesem Augenblick Lady Asher ihrer Tochter Aufmerksamkeit auf die gestickten Kissen, und Miß Asher, sich zu dem gegenüberstehenden Sopha verfügend, war bald im Gespräch mit Lady Cheverel über Tapisserie und Stickerei im allgemeinen, wahrend ihre Mutter, die sich dort bei Seite gesetzt fühlte, herkam und sich neben Caterina niederließ.

»Ich höre, Sie sind die prächtigste Sängerin«, war natürlich die einleitende Bemerkung. »Alle Italienerinnen singen so schön. Ich reiste mit Sir John gleich nach unserer Hochzeit, und wir gingen nach Venedig, wo man in Gondeln fährt, wie Sie wissen. Sie pudern Ihr Haar nicht, sehe ich. Beatrice will es auch nicht thun, obgleich viele Leute meinen, ihre Locken würden gepudert nur um so hübscher aussehen. Sie hat so viel Haar, nicht wahr? Unser letztes Mädchen frisirte es viel besser, als dieses; aber, denken Sie sich, sie trug Beatricens Strümpfe, bevor sie in die Wäsche kamen und daraufhin konnten wir sie nicht länger behalten, nicht wahr?«

Caterina, welche diese Frage nur als einen rhetorischen Effekt aufnahm, hielt eine Antwort für überflüssig, bis Lady Asher wiederholte: »Nicht wahr«, als ob Tina's Sanction für ihre Seelenruhe wesentlich sei. Nach einem schwachen »Nein« fuhr sie fort:

»Mädchen sind so überaus lästig, und Beatrice ist so eigen, Sie können sich's gar nicht vorstellen. Ich sage oft zu ihr: Meine Liebe, Du darfst nichts Vollkommenes verlangen. Das nämliche Kleid, das sie anhat – gewiß, es paßt ihr ganz schön jetzt – aber es wurde zweimal aufgetrennt und wieder genäht. Aber sie ist wie der gute Sir John – er war so sehr eigen in seinen Sachen, ja, das war er. Ist Lady Cheverel eigen?«

»Ziemlich. Aber Mrs. Sharp ist seit zwanzig Jahren ihre Kammerfrau.«

»Ich wünschte, es wäre Aussicht vorhanden, daß wir unsere Griffin zwanzig Jahre behalten könnten. Aber ich fürchte, wir werden uns von ihr trennen müssen, weil ihre Gesundheit so zart ist; und sie ist so eigensinnig, sie will durchaus kein Bittersalz nehmen, wie ich's verlange. Sie sehen auch sehr kränklich aus. Lassen Sie mich Ihnen rathen, Morgens nüchtern Kamillenthee zu trinken. Beatrice ist so gesund und kräftig, sie nimmt niemals Medicin; aber wenn ich zwanzig Mädchen gehabt hätte und sie wären schwach gewesen, ich würde ihnen Allen Kamillenthee gegeben haben. Es stärkt die Konstitution über alles. Nun, wollen Sie mir versprechen, Kamillenthee zu nehmen?«

»Ich danke Ihnen; ich bin gar nicht krank. Ich bin immer bleich und schmächtig gewesen.«

Lady Asher war überzeugt, Kamillenthee würde alle Differenzen in der Welt ausgleichen – Caterina müsse es nur probiren – und fuhr dann fort wie ein leckes Sturzbad, bis der bald darauffolgende Eintritt der Herren eine Ablenkung bewirkte und sie auf Sir Christopher zueilte, der wahrscheinlich zu denken begann, daß es um der Poesie willen besser sein würde, wenn man seiner ersten Liebe nicht wieder nach Verlauf von vierzig Jahren begegne.

Capitän Wybrow schloß sich natürlich seiner Tante und auch Miß Asher an, und Mr. Gilfil versuchte Caterina ihre ungünstige Lage – abseits und stumm dazusitzen – zu erleichtern, indem er ihr erzählte, wie ein Freund von ihm den Arm gebrochen und sein Pferd gepfählt habe diesen Morgen, scheinbar gar nicht beachtend, daß sie ihm kaum zuhörte und nach der andern Seite des Zimmers sah. Eine von den Qualen der Eifersucht ist, daß sie nie ihre Augen von dem abwenden kann, was sie peinigt.

Nach und nach fühlte Jedermann die Nothwendigkeit einer Würze des Geplauders – Sir Christopher vielleicht am meisten von allen – und dieser war es, der den annehmbaren Vorschlag machte –

»Komm, Tina, gibt es denn heute keine Musik, ehe wir uns zum Kartenspiel niedersetzen? Mylady spielt doch, hoffe ich?« fügte er bei, sich an Lady Asher wendend.

»O ja! Der gute arme Sir John wollte jeden Abend seine Whistpartie haben.«

Caterina setzte sich sogleich an's Clavier und hatte kaum zu singen begonnen, als sie gewahrte, daß Capitän Wybrow auf das Klavier zuglitt und bald an seinem alten Platze stand. Dieses Bewußtsein gab ihrer Stimme frische Kraft; und als sie bemerkte, daß Miß Asher ihm sogleich mit jener ostentativen Bewunderung folgte, die der Abwesenheit wirklichen Genusses eigen ist, war ihre Schlußkoloratur deshalb nicht schlechter, weil sie von etwas triumphirender Verachtung beseelt war.

»Ei, Du bist besser bei Stimme als je, Caterina«, sagte Capitän Wybrow, als sie geendigt hatte. »Das ist etwas Anderes, als Miß Gibberts Gequieke, woran wir uns zu Farleigh immer erfreuten, nicht wahr, Beatrice?«

»Das will ich meinen. Sie sind ein beneidenswerthes Geschöpf, Miß Sarti – Caterina – darf ich Sie nicht Caterina nennen? denn ich habe Anthony so oft von Ihnen sprechen hören, daß es mir vorkommt, als kenne ich Sie ganz genau. Darf ich Sie Caterina nennen?«

»O ja, Jedermann nennt mich Caterina, wenn nicht Tina.«

»Komm, komm, noch mehr Gesang, kleiner Affe«, rief Sir Christopher vom andern Ende des Zimmers her, »Wir haben noch nicht halb genug davon gehabt.«

Caterina war sehr bereit zu gehorchen, denn solange sie sang, war sie die Königin des Zimmers und Miß Asher zu knirschender Bewunderung verurtheilt. Ach! man sieht, was die Eifersucht in dieser armen jungen Seele anrichtete. Caterina, die ihr ganzes Leben als ein kleiner, unschädlicher Singvogel verbracht hatte, die so zärtlich sich einnistete unter den Schwingen, die für sie ausgebreitet waren, deren Herz nur nach dem friedlichen Rythmus der Liebe schlug oder beunruhigt war von irgend einer leicht unterdrückten Befürchtung, hatte jetzt begonnen, die heftigen Zuckungen des Triumphs und Hasses kennen zu lernen.

Als das Singen vorüber war, setzten sich Sir Christopher und Lady Cheverel mit Lady Asher und Mr. Gilfil zum Whist nieder, und Caterina setzte sich an die Seite des Barons, als wolle sie dem Spiel zusehen, damit es nicht scheine, als wolle sie sich dem Liebespaar aufdrängen. Zuerst glühte sie vor Triumph und fühlte die Kraft des Stolzes; aber ihr Auge stahl sich öfters nach der entgegengesetzten Seite des Kamins, wo Capitän Wybrow sich dicht neben Miß Asher gesetzt hatte und seinen Arm über die Lehne ihres Stuhls – in der richtigen Liebhaberlage – gelegt hatte. Caterina begann ein würgendes Gefühl zu verspüren. Sie konnte sehen – fast ohne aufzublicken – daß er ihren Arm ergriff, um ihr Armband zu betrachten; ihre Köpfe beugten sich dicht zusammen, ihre Locken berührten seine Wange – jetzt drückte er seine Lippen auf ihre Hand. Caterina fühlte ihre Wangen brennen – sie konnte nicht länger sitzen bleiben. Sie stand auf, glitt umher, als ob sie etwas suche und schlich sich endlich aus dem Zimmer.

Draußen nahm sie ein Licht, eilte durch die Gänge hin und die Treppen hinauf nach ihrem Zimmer und schloß ihre Thür.

»O, ich kann's nicht ertragen, ich kann's nicht ertragen!« brach das arme Ding laut weinend aus indem sie ihre kleinen Finger in einander verschlang und sie gegen die Stirn drückte. Dann schritt sie hastig im Zimmer auf und ab.

»Und das muß sich Tage lang wiederholen, und ich muß zusehen.«

Sie sah sich aufgeregt nach irgend etwas um, das sie ergreifen könne. Da lag ein Musselinhalstuch auf dem Tisch; sie hob es auf und riß es in Fetzen, während sie auf- und abging, und drückte es dann in ihrer Hand zu einem harten Knäuel zusammen.

»Und Anthony«, dachte sie, »er kann das thun, ohne sich zu bekümmern um das, was ich fühle. O, er kann Alles vergessen: wie er sagte, er liebe mich – wie er meine Hand in seine nahm, wenn wir miteinander gingen – wie er Abends neben mir stand, um mir in die Augen zu blicken.«

»Ach, es ist grausam, grausam!« brach sie wieder laut aus, als alle jene Liebesmomente in der Vergangenheit ihr wieder in's Gedächtniß kamen. Dann stürzten die Thränen hervor, sie warf sich neben dem Bett auf die Kniee und schluchzte bitterlich.

Sie wußte nicht, wie lange sie da gewesen, bis sie durch das Gebetläuten unterbrochen wurde, worauf sie – da sie glaubte, Lady Cheverel möchte vielleicht durch Jemand nachfragen lassen, – aufstand und sich hastig zu entkleiden begann, damit es ihr nicht mehr möglich wäre, nochmals hinabzugehen. – Sie hatte kaum ihr Haar aufgebunden und ein weites Gewand umgeworfen, als es an der Thür klopfte, und Mrs. Sharps Stimme sprach: »Miß Tina, Mylady möchte wissen, ob Sie unwohl sind.«

Caterina öffnete die Thür und sagte, »Danke Ihnen, liebe Mrs. Sharp: ich habe schreckliches Kopfweh; bitte, sagen Sie Mylady, ich fühlte es nach dem Singen kommen.«

»Du meine Güte! warum sind Sie denn nicht im Bett, anstatt zitternd dazustehen, daß Sie sich den Tod holen können. Kommen Sie, lassen Sie sich das Haar zurecht machen und hübsch warm einwickeln.«

»O nein, ich danke Ihnen; ich werde mich wirklich sogleich zu Bette legen. Gute Nacht, liebe Sharpy; zanken Sie nicht; ich will brav sein und zu Bette gehen.«

Caterina küßte ihre alte Freundin schmeichelnd, aber Mrs. Sharp war nicht auf diese Weise zu »übertölpeln« und bestand darauf, ihre frühere Schutzbefohlene im Bett zu sehen und die Kerze mitzunehmen, welche das arme Kind zur Gefährtin bei sich behalten wollte.

Aber es war unmöglich, mit diesem klopfenden Herzen dazuliegen; und die kleine weiße Gestalt war bald wieder aus dem Bett, gerade in dem Gefühl der Kälte und Unbehaglichkeit Erleichterung suchend. Es war hell genug, daß sie sich in ihrem Zimmer umsehen konnte, denn der Mond, nahezu voll, stand hoch am Himmel unter verstreuten, schnell hinziehenden Wolken. Caterina zog den Fenstervorhang beiseite und blickte, die Stirne gegen die kalte Scheibe gedrückt, hinaus auf die weite Fläche des Parks und Rasens.

Wie traurig das Mondlicht ist all seiner Zartheit und Ruhe von dem scharfwehenden Wind beraubt. Die Bäume werden durch die Stöße aus behaglicher Ruhe geschreckt. Das Zittern des Grases läßt sie selbst mitfühlend erschauern. Niedergebeugt von der unsichtbaren rauhen Gewalt, scheinen die weißschimmernden Weiden am Teich erregt und hilflos wie sie selbst. Aber sie liebt die Scenerie nur um so mehr ihrer Traurigkeit willen; es liegt etwas von Mitleid darin. Sie gleicht nicht jenem harten, fühllosen Glück der Liebenden, das prahlt im Angesicht des Elends.

Sie drückte ihre Zähne dicht gegen den Fensterrahmen, und die Thränen fielen schwer und schnell. Sie war so dankbar, daß sie weinen konnte; denn die wahnsinnige Leidenschaft, die sie gefühlt, als ihre Augen trocken waren, erschreckte sie. Wenn jenes schreckliche Gefühl in Lady Cheverels Gegenwart sie überraschen sollte, sie würde nie fähig sein, ihre Fassung zu bewahren.

Und dann war da Sir Christopher – so gütig gegen sie – so glücklich über Anthonys Heirath; und immerfort hatte sie diese verruchten Gefühle.

»O, ich kann nicht anders, ich kann nicht anders!« sagte sie mit einem lauten Seufzer zwischen ihrem Schluchzen. »O Gott, habe Mitleid mit mir!«

Auf diese Weise verbrachte Tina die langen Stunden der windigen Mondnacht, bis sie sich endlich mit müden, schmerzenden Gliedern wieder zu Bett legte und aus bloßer Erschöpfung einschlief.

Während dies arme kleine Herz fast erdrückt wurde unter einem Gewicht, das ihm zu schwer war, verfolgte die Natur ihren ruhigen, unerbittlichen Weg in unbewegter, schrecklicher Schönheit. Die Sterne flogen dahin in ihren ewigen Bahnen; die Fluten stiegen bis zum Niveau des am wenigsten sie erwartenden Unkrauts; die Sonne brachte geschäftigen Nationen auf der andern Seite der geschwinden Erde glänzenden Tag. Der Strom menschlichen Denkens und Thuns eilte vorwärts und verbreiterte sich. Der Astronom stand an seinem Fernrohr; die großen Schiffe arbeiteten sich durch die Wogen; der unermüdliche Eifer des Handels, der grimmige Geist der Revolution ebbten nur in kurzer Ruhe, und schlaflose Staatsmänner fürchteten die mögliche Krisis des nächsten Morgens. Was war unsere kleine Tina und ihre Unruhe in diesem mächtigen Sturm, der von einem schauerlichen Unbekannten zum andern brauste? Leichter als das kleinste Atom zitternden Lebens im Wassertropfen, verborgen und unbeachtet wie der schmerzlichschlagende Puls in der Brust des kleinsten Vogels, der zu seinem Nest mit dem langgesuchten Futter niederflatterte und das Nest zerrissen und leer fand.



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