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» Bitte, welches wird wohl die nächste Scene sein in dem Drama zwischen Ihnen und Miß Sarti?« sagte Miß Asher zu Capitän Wybrow, sobald sie draußen auf dem Kiesweg waren. »Es wäre angenehm, eine Idee des Kommenden zu haben«,
Capitän Wybrow schwieg. Er war übler Laune, müde, gelangweilt. Es kommen Augenblicke, wo man entschlossen ist, einem zornigen Weibe nie wieder etwas anderes als absolutes Stillschweigen entgegenzusetzen. »Verflucht«, sagte er bei sich, »jetzt werde ich auf der andern Flanke angegriffen werden.« Er blickte entschlossen nach dem Horizont, auf der Stirn ein Runzeln, wie es Beatrice noch nicht an ihm bemerkt hatte.
Nach einer Pause von zwei oder drei Minuten fuhr sie in noch trotzigerem Tone fort: »Ich denke, Sie werden fühlen, Capitän Wybrow, daß ich eine Erklärung dessen, was ich eben gesehen, von Ihnen erwarte.«
»Ich habe keine Erklärung, meine liebe Beatrice«, antwortete er endlich, sich bezwingend, »ausgenommen die, welche ich bereits gegeben. Ich hoffte, Sie würden nicht wieder auf den Gegenstand zurückkommen.«
»Ihre Erklärung ist aber weit davon entfernt, befriedigend zu sein. Ich kann nur sagen, daß die Haltung, die Miß Sarti Ihnen gegenüber anzunehmen sich berechtigt glaubt, ganz unvereinbar ist mit Ihrer Stellung mir gegenüber. Und ihr Benehmen gegen mich ist höchst beleidigend. Ich werde unter solchen Umständen gewiß nicht im Hause bleiben, und Mama muß Sir Christopher die Gründe dafür angeben.«
»Beatrice«, sagte Capitän Wybrow, dessen Erregung der Bestürzung Platz machte, »ich ersuche Sie, geduldig zu sein und in dieser Sache Ihre besseren Gefühle walten zu lassen. Sie ist sehr peinlich, ich weiß es, aber gewiß würde es Sie schmerzen, die arme Caterina zu kränken – ihr meines Onkels Zorn zuzuziehen. Bedenken Sie, welch ein armes, kleines, abhängiges Ding sie ist.«
»Es ist sehr geschickt von Ihnen, diese Ausflüchte zu machen; aber glauben Sie nicht, daß Sie mich damit täuschen. Miß Sarti würde sich nie so gegen Sie zu benehmen wagen, wenn Sie nicht mit ihr geliebäugelt oder ihr die Cour gemacht hätten. Ich glaube, Sie betrachtet Ihr Verlöbniß mit mir als einen Treubruch gegen sie. Ich bin Ihnen wirklich sehr verpflichtet, daß Sie mich zu Miß Sarti's Nebenbuhlerin machen. Sie haben mir eine Unwahrheit gesagt, Capitän Wybrow.«
»Beatrice, ich erkläre Ihnen feierlich, daß Caterina mir nichts weiter ist als ein Mädchen, dem ich von Natur geneigt bin – als einem Liebling meines Onkels und einem ganz netten, kleinen Ding. Ich würde es sehr gern sehen, wenn sie Gilfil morgen heirathete; das ist, sollt' ich meinen, ein genügender Beweis, daß ich nicht in sie verliebt bin. Und was das Vergangene betrifft, so habe ich ihr vielleicht kleine Aufmerksamkeiten erwiesen, die sie überschätzt und falsch ausgelegt hat. Welcher Mann ist dem nicht ausgesetzt?«
»Aber worauf kann sie ihr Benehmen gründen? Was sagte sie diesen Morgen zu Ihnen, das sie so zittern und erbleichen machte?«
»Ich weiß wirklich nicht. Ich sagte gerade etwas darüber, daß sie sich läppisch benehme. Bei ihrem italienischen Blut kann man nie wissen, wie sie wohl aufnimmt, was man ihr sagt. Sie ist ein heftiges kleines Ding, obgleich sie gewöhnlich so ruhig scheint.«
»Aber man sollte ihr zu erkennen geben, wie ungeziemend und taktlos ihr Betragen ist. Ich meinestheils wundere mich, daß Lady Cheverel ihre schnippischen Antworten und die Haltung, die sie annimmt, noch nicht bemerkte.«
»Lassen Sie mich Sie bitten, Beatrice, Lady Cheverel nichts Derartiges anzudeuten. Sie müssen bemerkt haben, wie streng meine Tante ist. Es kommt ihr nie in den Sinn, daß ein Mädchen in einen Mann verliebt sein kann, der ihm keinen Antrag gemacht hat«
»Nun, dann werde ich es Miß Sarti selbst sagen, daß ich ihr Betragen bemerkt habe. Es wird nur ein gutes Werk für sie sein.«
»Nein, Liebste, das würde nur Unheil anstiften. Caterina's Temperament ist eigen. Das Beste, was Sie thun können, wird sein, sie soviel als möglich allein zu lassen. Es wird sich alles geben. Ich zweifle nicht, daß sie in kurzem Gilfil heirathen wird. Mädchenneigungen wenden sich leicht von einem Gegenstand zu einem andern. Beim Zeus, wie mein Puls darauf los galloppirt! Dieses verfluchte Herzklopfen wird stets schlimmer als besser.«
So endete diese Unterredung, soweit sie Caterina betraf, nicht ohne einen bestimmten Entschluß in Capitän Wybrow's Seele zurückzulassen – einen Entschluß, den er am nächsten Tage zur Ausführung brachte, als er bei Sir Christopher in der Bibliothek war, um einige Anordnungen betreffs der nahen Heirath zu besprechen.
»Apropos,« sagte er nachlässig, als die Angelegenheit bei einer Pause angelangt war und er mit den Händen in den Rocktaschen im Zimmer umherschlenderte, die Rücktitel der Bücher betrachtend, die die Mauern einsäumten, »wann wird denn die Hochzeit zwischen Gilfil und Caterina stattfinden, Sir? Ich habe Mitgefühl für einen armen Teufel, der so viele Klafter tief in Liebe steht, wie Maynard. Warum sollte ihre Hochzeit nicht ebensobald sein, wie unsere? Ich denke, er ist zu einem Einverständniß mit Caterina gelangt?«
»Nun«, sagte Christopher, »ich wollte die Sache beruhen lassen, bis der alte Crichley stürbe: er kann's nicht lange mehr treiben, der arme Kerl; und dann hätte Maynard in den Ehestand und das Rektorat zugleich eintreten können. Aber Alles in Allem ist das kein guter Grund zum Warten. Sie brauchen ja das Manor nicht zu verlassen, wenn sie verheirathet sind. Der kleine Affe ist vollkommen alt genug. Es wäre hübsch, sie als Hausmütterchen zu sehen mit einem Kleinen etwa von der Größe eines Küchleins im Arm.«
»Ich glaube, dieses Wartesystem taugt nie etwas. Und wenn ich irgend ein Vermächtniß, das Sie Caterina machen wollen, befördern kann, werde ich sehr erfreut sein, Ihre Wünsche auszuführen!
»Mein lieber Junge, das ist sehr hübsch von Dir: aber Maynard wird genug haben: und nach dem, was ich von ihm weiß – und ich kenne ihn gut – wird er, glaub' ich, lieber selbst für Caterina sorgen. Indessen, jetzt da Du die Sache einmal angeregt hast, beginne ich mich selbst zu tadeln, daß ich nicht früher daran gedacht habe. Ich war so ausschließlich beschäftigt mit Beatricen und Dir, Du Schlingel, daß ich den armen Maynard, wirklich vergessen habe. Und er ist älter als Du – es ist hohe Zeit, daß er als Familienvater für's Leben versorgt wird.«
Sir Christopher pausirte, nahm nachdenklich eine Prise und sagte gleich darauf, mehr zu sich selbst als zu Anthony, der am äußersten Ende des Zimmers eine Melodie summte: »Ja, ja. Das ist ein kapitaler Plan, um alle unsere Familienangelegenheiten auf einmal abzumachen.«
Als er am selbigen Morgen mit Miß Asher ausritt, erwähnte Capitän Wybrow gelegentlich, daß er sich eifrig bestrebe, die Hochzeit zwischen Gilfil und Caterina sobald als möglich zu Stande zu bringen, und daß er seinerseits alles, was er könne, thun werde, diese Angelegenheit zu fördern. Es würde das Beste von der Welt für Tina sein, für deren Wohlfahrt er sich wirklich interessire.
Bei Sir Christopher lag nie ein langer Zeitraum zwischen Vorsatz und Ausführung. Er entschloß sich rasch und handelte rasch. Als er am Frühstückstische aufstand, sagte er zu Mr. Gilfil: »Komm' mit mir in die Bibliothek, Maynard. Ich muß ein Wort mit Dir reden.«
»Maynard, mein Junge«, begann er, sobald sie saßen, indem er auf seine Dose klopfte und vergnügt dreinsah bei dem Gedanken an das unerwartete Vergnügen, das er Gilfil bereiten wollte, »warum sollten wir nicht zwei glückliche Paare haben statt eines, bevor der Herbst vorüber ist, he?«
»He?« wiederholte er nach einer sekundenlangen Pause, indem er diese Sylbe lang dehnte, eine kleine Prise nahm und mit listigem Lächeln auf Maynard blickte.
»Ich verstehe Sie nicht ganz, Sir,« antwortete Mr. Gilfil, der verdrießlich war in dem Bewußtsein, daß er erblaßte.
»Verstehst mich nicht, Du Spitzbube? Du weißt wohl, wessen Glück nach dem Anthonys meinem Herzen am nächsten liegt. Du weißt, daß ich schon lange in Deine Geheimnisse eingeweiht bin, es ist also kein Geständniß abzulegen. Tina ist vollkommen alt genug, um ein gesetztes Weibchen zu werden; und wenn auch die Rektorei noch nicht für Dich bereit steht, so hat das nichts zu bedeuten. Mylady und ich, wir werden uns um so behaglicher fühlen, wenn wir euch bei uns haben. Wir würden unsern kleinen Singvogel vermissen, wenn wir ihn ganz plötzlich verlieren würden.«
Mr. Gilfil fühlte sich in einer peinlich-schwierigen Lage. Er fürchtete, Sir Christopher würde Caterinas wahren Gefühlszustand vermuthen oder entdecken und doch war er gezwungen, jene Gefühle zur Grundlage seiner Antwort zu machen.
»Mein werther Sir«, sagte er endlich mit einiger Anstrengung, »Sie werden nicht glauben, daß ich Ihre Güte verkenne – daß ich Ihnen nicht dankbar bin für ihr väterliches Interesse an meinem Glück; aber ich fürchte, daß Caterinas Gefühle mir gegenüber nicht derart sind, um die Hoffnung zu gewähren, daß sie einen Heirathsantrag von mir annehmen würde.«
»Hast Du sie schon gefragt?«
»Nein, Sir. Aber wir wissen diese Dinge oft nur zu gut, ohne zu fragen.«
»Pah, pah! Der kleine Affe muß Dich lieben. Du warst ihr erster Spielgenosse; und ich erinnere mich, daß sie stets weinte, wenn Du Dich in den Finger schnittst. Und dann hat sie immer stillschweigend zugestanden, daß Du Ihr Liebster seist. Du weißt, ich habe stets mit ihr in diesem Sinne gesprochen. Ich hielt es für ausgemacht, daß ihr die Sache unter euch abgemacht hättet; und Anthony glaubt es auch. Anthony meint, sie ist in Dich verliebt, und er hat junge Augen, die in diesen Dingen klar genug sehen. Er sprach diesen Morgen mit mir darüber und erfreute mich sehr durch das freundliche Interesse, das er für Dich und Tina an den Tag legte.«
Das Blut – mehr als nöthig – strömte in Mr. Gilfils Gesicht zurück; er biß die Zähne zusammen und ballte die Fäuste, bemüht, einen Ausbruch der Entrüstung zu unterdrücken. Sir Christopher bemerkte das Erröthen, dachte aber, es zeige das Hin- und Herschwanken zwischen Hoffen und Fürchten in Betreff Caterinas an. Er fuhr fort: –
»Du bist viel zu bescheiden, Maynard. Ein Bursche, der ein Scheunenthor ausheben kann wie Du, sollte nicht so verzagt sein. Wenn Du Dir's selbst nicht getraust, so laß mich mit ihr reden.«
»Sir Christopher«, sagte der arme Maynard ernsthaft, »ich würde es gewiß als die größtmöglichste Freundlichkeit empfinden, die Sie mir erzeigen können, wenn Sie diesen Gegenstand Caterina gegenüber jetzt nicht erwähnen würden. Ich denke, daß ein solcher Vorschlag, vor der Zeit gemacht, sie mir nur entfremden würde.«
Sir Christopher kränkte dieser Widerspruch ein wenig. Der Ton seiner Stimme wurde etwas schärfer als er sagte: »Hast Du Gründe für diese Meinung anzuführen, außer Deiner allgemeinen Bemerkung, daß Tina Dich nicht genug liebe?«
»Ich kann keine anführen außer meiner sehr starken Überzeugung, daß sie mich nicht genug liebt, um mich zu heirathen.«
»Dann denke ich, daß dieser Grund gar keinen Werth hat. Ich besitze eine ziemlich genaue Menschenkenntniß; und wenn ich mich in Tina nicht sehr täusche, erwartet sie nichts Anderes, als daß Du einmal ihr Gatte wirst. Laß mich die Sache ordnen, wie ich's für das beste halte. Du kannst darauf zählen, daß ich wenigstens Deiner Sache nicht schaden werde, Maynard.«
Mr. Gilfil, der sich fürchtete, mehr zu sagen, und doch unglücklich war in der Voraussicht dessen, was aus Sir Christopher's Entschluß hervorgehen konnte, verließ die Bibliothek in einem Zustand, der gemischt war aus Entrüstung gegen Capitän Wybrow und Furcht für Caterina und sich selbst. Was würde sie von ihm denken? Sie konnte vielleicht glauben, daß er Sir Christophers Vorgehen veranlaßt oder gebilligt habe. Er würde vielleicht keine Gelegenheit haben, mit ihr bei Zeiten über den Gegenstand zu sprechen; er wollte ihr eine Notiz schreiben und diese in ihr Zimmer hinauftragen, nachdem die Glocke das Zeichen zur Toilette für's Diner gegeben hätte. Nein; das würde sie aufregen und außer Stand setzen, beim Diner zu erscheinen und den Abend ruhig zu verbringen. Er wollte es bis zur Zeit des Schlafengehens verschieben. Nach dem Gebet richtete er es so ein, daß er sie in das Gesellschaftszimmer zurückgeleitete, und übergab ihr unterwegs den Brief. Sie nahm ihn verwundert mit auf ihr Zimmer und las dort: –
»Theure Caterina! Glauben Sie ja nicht, daß irgend etwas, das Ihnen Sir Christopher über unsere Heirath sagen mag, von mir veranlaßt wurde. Ich habe Alles gethan, was ich durfte, um ihn davon abzubringen, den Gegenstand zu betreiben, und wurde nur gehindert, mehr zu sagen, durch die Furcht, Fragen hervorzurufen, die ich nicht hätte beantworten können, ohne Ihnen neue Qualen zu bereiten. Ich schreibe dies, um Sie auf Alles vorzubereiten, was Sir Christopher sagen könnte, und um Sie zu versichern – aber ich hoffe, Sie glauben es bereits – daß Ihre Gefühle mir heilig sind. Ich würde lieber von der liebsten Hoffnung meines Lebens scheiden, als eine Vermehrung Ihres Leides verursachen.
Capitän Wybrow ist es, der Sir Christopher veranlaßt hat, den Gegenstand in diesem Augenblick aufzunehmen. Ich sage Ihnen das, damit Sie es nicht unvorbereitet hören, wenn Sie bei Sir Christopher sind. Sie sehen jetzt, aus welchem Stoff jenes Feiglings Herz gemacht ist. Vertrauen Sie mir stets, theuerste Caterina – was auch kommen möge – als Ihrem treuen Freund und Bruder
Maynard Gilfil.«
Caterina war zuerst zu tief verwundet durch die Worte über Capitän Wybrow, um an die Schwierigkeit zu denken, die ihr drohte – um an das zu denken, was Sir Christopher ihr sagen, oder was sie ihm antworten könnte. Bitteres Gefühl erlittenen Unrechts, heftiger Groll ließen der Furcht keinen Raum. Mit dem vergifteten Gewand auf dem Leibe windet sich das Opfer unter der Tortur – es hat keinen Gedanken an den nahenden Tod.
Anthony konnte das thun! – Dafür gab es keine Erklärung als die schnödeste Verachtung ihrer Gefühle, die niedrigste Aufopferung aller Rücksicht und Zärtlichkeit, die er ihr schuldete, zur Erleichterung seines Verhältnisses mit Miß Asher. Nein, es war schlimmer als das; es war überlegte, nutzlose Grausamkeit. Er wollte ihr zeigen, wie er sie verachtete; er wollte sie die Thorheit fühlen lassen, daß sie stets geglaubt hatte, er liebe sie.
Die letzten Krystalltropfen des Vertrauens und der Zärtlichkeit, dachte sie, waren vertrocknet; alles war glühender, wüthender Haß. Nun brauchte sie ihren Groll nicht länger zu ersticken in der Furcht, ihm Unrecht zu thun; er hatte mit ihr sein Spiel getrieben, wie Maynard ihr gesagt; er war rücksichtslos gegen sie gewesen; und jetzt war er niedrig und grausam. Sie hatte Grund genug zu Bitterkeit und Zorn; diese waren nicht so schlecht, als sie ihr erschienen waren.
Während diese Gedanken einander jagten wie ebenso viele scharfe Herzschläge fieberhaften Schmerzes, vergoß sie keine Thräne. Sie schritt ruhlos auf und ab, wie ihre Gewohnheit war – die Hände geballt, die Augen zornig blitzend und unruhig umherwandernd, als suche sie etwas, worauf sie sich wie eine Tigerin stürzen könnte.
»Wenn ich mit ihm sprechen könnte,« flüsterte sie, »und ihm sagen, daß ich ihn hasse – verachte – daß er mich anwidert!«
Plötzlich, als wäre ihr ein neuer Gedanke gekommen, zog sie einen Schlüssel aus der Tasche, schloß einen eingelegten Schreibtisch auf und nahm ein kleines Miniaturbild daraus hervor. Es hatte eine schmale goldene Fassung mit einem Ring daran, als wäre es zum Tragen an einer Kette bestimmt, und unter dem Glas hinter dem Bild waren zwei Haarlocken, eine dunkel und eine hellbraun, in einen phantastischen Knoten geknüpft. Anthony hatte es ihr vor einem Jahr insgeheim geschenkt – es war eine Copie, die er eigens für sie hatte anfertigen lassen. Während des letzten Monats hatte sie es nie aus seinem Versteck genommen: es war nicht nöthig, die lebendige Erinnnerung an die Vergangenheit noch aufzufrischen. Aber jetzt packte sie es heftig und warf es quer durch das Zimmer gegen den bloßen Herdstein.
Wird sie es unter die Füße treten und unter den hohen Stöckelschuhen zermalmen, bis jede Spur jener falschen, grausamen Züge verwischt ist?
Ach nein! Sie stürzte durch's Zimmer; aber als sie den kleinen Schatz sah, den sie so zärtlich gehütet, so oft mit Küssen bedeckt, so oft unter ihr Kissen gelegt und woran sie sich sogleich bei der Rückkehr des Bewußtseins am Morgen erinnert hatte – als sie diese einzige sichtbare Reliquie der Vergangenheit mit zerbrochenem Glas daliegen, das Haar herausgefallen und das dünne Elfenbeinplättchen zersprungen sah, trat ein Umschwung in ihren allzusehr angespannten Gefühlen ein: der Rückschlag kam, und sie brach in Thränen aus.
Seht sie an, wie sie sich niederbeugt, um ihren Schatz aufzulesen, wie sie nach dem Haar sucht und es wieder an seinen Platz bringt und dann traurig den Sprung untersucht, der das einst geliebte Bild entstellt. Ach! es ist jetzt kein Glas mehr da, um das Haar oder Porträt zu verwahren; aber seht, wie sorgfältig sie es mit zartem Papier umwickelt und wieder an seinen alten Ort einschließt. Armes Kind! Gott gebe, daß der Rückschlag stets komme vor der schlimmsten, unwiderruflichen That!
Diese Handlung hatte sie beruhigt, und sie setzte sich nieder, Maynard's Brief nochmals zu lesen. Sie las ihn zwei- oder dreimal, ohne scheinbar den Sinn zu erfassen; ihre Furcht war abgestumpft durch die Leidenschaft der letzten Stunde, und es wurde ihr schwer, sich die durch die Worte ausgedrückten Gedanken heraufzurufen. Endlich begann eine bestimmte Vorstellung von der bevorstehenden Unterredung mit Sir Christopher in ihr aufzusteigen. Der Gedanke, den Baronet zu kränken, vor dem Jedermann im Manor Ehrfurcht hatte, erschreckte sie so sehr, daß sie es für unmöglich hielt, seinem Wunsche zu widerstehen. Er glaubte, daß sie Maynard liebe; er hatte immer gesprochen, als wäre er dessen ganz sicher. Wie konnte sie ihm sagen, daß er sich täuschte – und was dann, wenn er sie etwa fragen sollte, ob sie einen Andern liebe? Daß Sir Christopher sie zornig anblicke, war mehr als sie, selbst in Gedanken, ertragen konnte. Er war stets so gütig gegen sie gewesen! Dann begann sie an den Schmerz zu denken, den sie ihm vielleicht bereitete, und die selbstsüchtigere fürchtende Angst machte der liebenden Angst Platz. Selbstlose Thränen begannen zu fließen, und sorgliche Dankbarkeit gegen Sir Christopher trug dazu bei, ihre Empfänglichkeit für Mr. Gilfil's Zärtlichkeit und Edelmuth wach zu rufen.
»Der liebe, gute Maynard! – wie schlecht vergelte ich ihm! O hätte ich doch ihn lieben können anstatt – aber ich kann nie mehr lieben oder mich um etwas kümmern. Mein Herz ist gebrochen.«