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Drittes Kapitel.

Draußen verbreitet der Mond sein kaltes Licht über den kalten Schnee, und die weißbärtigen Föhren um Camp Villa werfen einen bläulichen Schatten quer über den weißen Grund, während der Rev. Amos Barton und seine Gattin mit hörbarem Knirschen den gefrornen Schnee unter ihren Füßen zusammenpressen, als sie, gegen 7 Uhr am Freitag Abend, der Thüre des obengenannten angenehmen Landsitzes sich nähern, der Diner-, Frühstücks- und Empfangssäle &c. enthält und nur eine Viertelstunde von dem Marktflecken Milby entfernt liegt.

Drinnen brennt im Empfangssalon ein helles Feuer, das ein angenehmes, aber ungewisses Licht auf das zarte Seidengewand einer Dame wirft, die hinter einem Vorhang in der Sophaecke lehnt, und uns erkennen läßt, daß das Haar des Gentleman's, der im Lehnstuhl gegenüber sitzt, mit einer Zeitung über den Knieen, entschieden grau zu werden beginnt. Ein kleiner King Charles, mit einem karmoisinfarbenen Band um den Hals, der bisher zusammengerollt mitten auf dem Kaminteppich gelegen, hat gerade entdeckt, daß jene Zone für ihn zu heiß ist, springt jetzt auf's Sopha, offenbar in der Absicht, auf dem Seidenkleid sich's bequem zu machen. Auf dem Tische stehen zwei Wachskerzen, zum Anzünden bereit, sobald das erwartete Klopfen an der Thüre sich hören läßt.

Man vernimmt das Klopfen, die Kerzen werden angezündet und gleich darauf Mr. und Mrs. Barton eingeführt – Mr. Barton aufrecht und priestermäßig, in tadelloser Halsbinde und glänzendem Schädel; Mrs. Barton voll Grazie in einem frisch gewendeten schwarzen Seidenkleid.

»Nun, das ist reizend von Ihnen«, sagte die Gräfin Czerlaski, ihnen entgegengehend und Milly mit zärtlicher Eleganz umarmend. »Ich schäme mich wirklich über meine Selbstsucht, daß ich meine Freunde einlade, mich bei diesem gräßlichen Wetter zu besuchen.« Dann, Amos die Hand reichend: »Und Sie, Mr. Barton, dessen Zeit so kostbar ist. Aber ich thue ein gutes Werk, wenn ich Sie von Ihren Arbeiten abziehe. Ich habe einen Plan, um Sie zu hindern, daß Sie sich selbst zum Märtyrer machen.«

Während diese Begrüßung vor sich ging, sahen Mr. Bridmain und Jet, das Wachtelhündchen, drein wie Schauspieler, die keine Idee vom Zwischenspiel haben. Mr. Bridmain, ein steifer und ziemlich vierschrötiger Mann, bot sein Willkommen mit erzwungener Herzlichkeit. Es war erstaunlich, wie sehr wenig er seiner schönen Schwester glich.

Denn die Gräfin Czerlaski war unleugbar schön. Wie sie sich neben Mrs. Barton auf's Sopha setzte, hafteten zwar Milly's Augen – muß es verrathen werden? – hauptsächlich auf den Details des geschmackvollen Anzugs, dem reichen Seidenkleid von blaßröthlich angehauchtem Lila (die Gräfin trug Abends stets zarte Farben), der schwarzen Spitzenpelerine und dem schwarzen Spitzenschleier, der über die dichtgeflochtenen Haare auf den zierlichen Hals herabfiel. Denn Milly hatte eine Schwäche – man liebe sie deshalb nicht weniger, es ist das eine Schwäche aller schönen Frauen – sie liebte den Putz; und oft, wenn sie ihren eigenen spärlichen Putz zurechtmachte, hatte sie romantische Träume, wie hübsch es doch wäre, wirklich nette, moderne Sachen zu tragen – zum Beispiel, sehr steife, ballonförmige Ärmel zu haben, ohne die in jenen Tagen ein Frauenanzug nichts war. Auch wir, lieber Leser, Du und ich, haben unsre Schwächen, nicht wahr? die uns hie und da Thörichtes denken lassen. Vielleicht mögen diese in einer übertriebenen Bewunderung für kleine Hände und Füße, eine hohe geschmeidige Gestalt, große dunkle Augen und schwarze seidene Haarflechten liegen. All' das besaß die Gräfin und dazu noch eine zartgeformte Nase, ein klein wenig gekrümmt, und eine reine brünette Gesichtsfarbe. Ihr Mund, das muß zugestanden werden, stand zu weit zurück von Nase und Kinn und ließ für ein prophetisches Auge in vorgerücktem Alter Nußknackerähnlichkeit befürchten. Aber bei dem Schein des Kaminfeuers und der Kerzen schien jenes Alter wirklich noch sehr fern zu sein, und man würde die Gräfin auf nicht mehr als Dreißig geschätzt haben.

Betrachten wir die beiden Frauen dort auf dem Sopha beisammen! Die große, schöne, sanftäugige Milly ist schüchtern selbst in der Freundschaft; es fällt ihr schwer, die Zärtlichkeit auszudrücken, deren ihr Herz voll ist. Die geschmeidige, brünette, dünnlippige Gräfin zermartert ihr kleines Gehirn nach liebkosenden Worten und einschmeichelnden Übertreibungen.

»Und wie geht es all den kleinen Cherubim zu Hause?« sagte die Gräfin, indem sie sich bückte, um Jet aufzuheben und dann, ohne auf Antwort zu warten, fortfuhr. »Ich war seit Sonntag durch einen Schnupfen beständig an's Zimmer gefesselt, oder ich würde nicht geruht haben, ohne Sie zu besuchen. Was haben Sie denn mit jenen unglücklichen Sängern gemacht?«

»O, wir haben einen neuen Chor zusammengebracht, mit dem es bei einiger Uebung ganz gut gehen wird. Ich war fest entschlossen, daß die alte Sängergesellschaft entlassen werden sollte. Ich hatte Befehl gegeben, daß sie den sog. Hochzeitspsalm nicht wieder singen sollten, um ein neuverehelichtes Paar zum Lachen zu bringen, und sie sangen ihn trotzdem. Ich könnte sie vor den kirchlichen Gerichtshof bringen, wenn ich es thun wollte, weil sie in der Kirche ihre Stimme erhoben gegen den Willen des Geistlichen.«

»Und eine höchst heilsame Kirchenzucht würde das sein«, sagte die Gräfin; »wirklich, Sie sind zu geduldig und langmüthig, Mr. Barton. Ich meinerseits verliere meine gute Laune, wenn ich sehe, wie weit Sie davon entfernt sind, in Shepperton nach Gebühr gewürdigt zu werden.«

Wenn, wie es wahrscheinlich, Mr. Barton zweifelhaft war, was er auf das schmeichelhafte Compliment antworten sollte, so war es eine Erleichterung, daß gerade jetzt das Diner angekündigt ward und er der Gräfin den Arm zu bieten hatte.

Während Mr. Bridmain Mrs. Barton in den Speisesaal führte, bemerkte er: »Das Wetter ist sehr kalt.»

»Sehr kalt, wirklich«, sagte Milly.

Mr. Bridmain's einstudirte Conversation war eine Kunst. Mit Damen sprach er vom Wetter und war gewöhnt, es unter drei Gesichtspunkten zu betrachten; als eine klimatische Frage im Allgemeinen, indem er England mit andern Ländern in dieser Hinsicht verglich; als eine persönliche Frage, indem er forschte, wie es die angesprochene Dame im besondern afficire; und als eine Frage der Vermuthungen, indem er erörterte, ob eine Fortdauer oder ein Wechsel in den gegenwärtigen atmosphärischen Verhältnissen eintreten werde. Mit Herren sprach er über Politik, und er las zwei Tagblätter, ausdrücklich um sich für diese Funktion zu qualificiren. Mr. Barton hielt ihn für einen Mann von beträchtlichem politischen Wissen, aber ohne lebhafte Parteinahme.

»Und so werden Sie also stets Ihre Versammlungen bei Mr. Ely halten?« fragte die Gräfin während der Suppe. (Die Suppe war ein wenig versalzen. Mrs. Short von Camp Villa, die ihre besten Gemächer gewerbsmäßig vermiethete, gab ihrer Köchin nur einen sehr mäßigen Lohn.)

»Ja«, sagte Mr. Barton, »Milby ist ein Centralpunkt und es hat sein Bequemes, nur einen Zusammenkunftsort zu haben.«

»Nun«, fuhr die Gräfin fort, »man scheint allerseits übereinkommend Mr. Ely den Vortritt einzuräumen. Ich meinestheils kann ihn nicht bewundern. Seine Predigten sind mir zu kalt. Er hat kein Feuer – kein Herz. Ich sage oft zu meinem Bruder, es ist ein großer Trost für mich, daß die Sheppertoner Kirche nicht zu weit weg ist, um hineinzugehen; nicht wahr, Edmund?«

»Ja«, antwortete Mr. Bridmain, »sie weisen uns in Milby einen so schlechten Kirchenstuhl an, gerade wo es von der Thüre her zieht. Ich bekam einen steifen Nacken, als ich das erste Mal hinging.«

»O, die Kälte von der Kanzel greift mich an, nicht die im Kirchenstuhl. Ich schrieb diesen Morgen an meine Freundin Lady Porter und schilderte ihr alle meine Gefühle. Sie und ich denken ganz gleich über solche Dinge. Sie ist äußerst besorgt, daß, wenn Sir William eine günstige Gelegenheit zur Vergebung der Pfründe ihres Wohnorts Dippley hat, sie einen durchaus eifrigen, tüchtigen Mann dorthin bekommen. Ich habe ihr einen gewissen Freund von mir beschrieben, der, denk' ich, ganz nach ihrem Sinn sein würde. Und es ist ein so hübsches Pfarrhaus; sollte ich Sie nicht gern als dessen Herrin sehen?«

Milly lächelte und erröthete leicht. Der Rev. Amos Barton aber wurde feuerroth und lachte etwas verlegen – er konnte seine Muskeln selten innerhalb der Grenzen eines Lächelns halten.

In diesem Augenblick näherte sich John, der Bediente, Mrs. Barton mit einer Saucière und auch mit einem leichten Stallgeruch, der ihm gewöhnlich während seiner Zimmerverrichtungen anhaftete. John war ziemlich nervös; und als die Gräfin ihn zufällig in diesem Augenblick anredete, glitt ihm die Saucière aus und entleerte sich auf Mrs. Barton's neugewendetem schwarzen Seidenkleid.

»O Grausen! Sag' Alice, sie soll sogleich kommen und Mrs. Barton's Gewand abwischen«, sagte die Gräfin zu dem zitternden John, indem sie es sorgfältig vermied, dem saucebespritzten Fleck auf dem Fußboden sich zu nähern. Aber Mr. Bridmain, der ein streng privates Interesse an Seidenstoffen hatte, sprang gutmüthig auf und bearbeitete sofort Mrs. Barton's Kleid mit seiner Serviette.

Milly war innerlich etwas ärgerlich, aber nicht übellaunig und versuchte, sowohl John's als der Andern wegen, die Sache leicht zu nehmen. Die Gräfin war innerlich dankbar, daß ihr eignes zartes Seidengewand heil davongekommen war, stieß aber verschwenderisch Ausdrücke des höchsten Bedauerns und Unwillens hervor.

»Liebe Heilige, die Sie sind«, sagte sie, als Milly lachte und die Vermuthung äußerte, daß, da ihr Seidenkleid nicht sehr glänzend sei, der trübe Fleck wohl wenig sichtbar sein würde; »ich weiß, Sie bekümmern sich nicht um derartige Dinge. Gerade dasselbe passirte mir einmal bei der Fürstin Wengstein mit einem nelkenfarbigen Atlaskleid. Ich war halbtodt vor Schreck, Aber Sie sind so gleichgiltig gegen den Putz, und Sie dürfen es auch sein. Denn Sie machen den Anzug hübsch, und nicht der Anzug Sie.«

Alice, die schelmische Zofe, die viel besser gekleidet war als Mrs. Barton, erschien jetzt, um Mr. Bridmain's Stelle beim Wiedergutmachen des Unheils einzunehmen und nach langem nachträglichen Reiben war endlich die Seelenruhe wieder hergestellt, und das Geschäft des Speisens wurde fortgesetzt.

Als John sein Malheur in der Küche der Köchin erzählte, meinte er: »Mrs. Barton ist eine liebe Frau. Ich hätte viel lieber die Sauce über der Gräfin schönes Kleid geschüttet. Aber ach! wie würde sie wieder aufgebracht sein, wenn die Besucher fort wären.«

»Sie hätten sie viel lieber gar nicht verschütten sollen, sollt' ich meinen,« antwortete die nicht mitfühlende Köchin, der John nicht den Hof machte. »Wer glauben Sie denn kann Sauce genug machen, wenn Sie den Leuten die Kleider damit ruiniren?«

»Ei«, rieth John demüthig an, »Sie sollten die Sassiär ein wenig anfeuchten, daß sie nicht mehr ausglitscht.«

»Feuchten Sie ihre Gurgel an!« erwiederte die Köchin; eine Entgegnung, die sie wahrscheinlich im Licht einer reductio ad absurdum betrachtete und die in Wirklichkeit John zum Schweigen brachte.

Später am Abend, während John das Theegeschirr abräumte und die Krumen vom Tafeltuch mit einem begleitenden »Hiß« fegte, wie er es stets that, wenn er Mr. Bridmain's Pferd striegelte, zog der Rev. Amos Barton eine dünne Flugschrift mit grünem Umschlag hervor und sagte, sie der Gräfin darreichend: –

»Sie waren, glaub' ich, befriedigt von meiner Predigt am Weihnachtstag. Sie wurde in der ›Kanzel‹ abgedruckt und ich dachte, Sie hätten vielleicht gern ein Exemplar davon.«

»O, ganz gewiß. Ich werde die Gelegenheit, jene Predigt zu lesen, in ihrem ganzen Werth zu schätzen wissen. Welche Tiefe der Auffassung! – welche überzeugende Beweisführung! Es war keine Predigt, die man nur einmal hören will. Ich bin sehr erfreut, daß sie allgemein bekannt werden wird, wie es wohl jetzt da sie in der ›Kanzel‹ abgedruckt, der Fall sein wird.«

»Ja«, sagte Milly unschuldig. »Ich war so erfreut über den Brief des Herausgebers. Und sie zog ihr kleines Notizbuch hervor, worin sie das herausgeberliche Autograph sorgfältig aufbewahrte, während Mr. Barton lachte und erröthete, und sagte: »Unsinn, Milly!«

»Sie sehen«, sagte sie, der Gräfin den Brief übergebend, »ich bin sehr stolz auf das Lob, das mein Mann erntet.«

Die in Rede stehende Predigt war, nebenbei gesagt, ein sehr beweiskräftiger Sermon über die Menschwerdung Christi, welcher, da er an eine Gemeinde gerichtet wurde, in der Niemand irgend einen Zweifel über jene Lehre hegte und der die darin widerlegten Socinianer Socinianer, nach ihren Stiftern Lälius und Faustus Socius († 1604), verwarfen die Gottheit Christi und die Dreieinigkeitslehre; betrachteten die Einheit Gottes (Unitas) als Grundlehre und heißen daher auch Unitarier (Gemeinden in Siebenbürgen Polen &c.). ebenso unbekannt waren wie die Arimaspen Arimaspen, bei Herodot ein einäugiges im NO Rußlands (Altaigebirge) wohnendes Scythenvolk, die den goldhütenden Greifen mit großer Gefahr dies edle Metall raubten., ausnehmend geeignet war, die Gemüther der Sheppertoner zu erregen und zu verwirren.

»Ah«, sagte die Gräfin, »er darf wohl sagen, er freue sich auf andere Predigten aus derselben Quelle. Aber es wäre mir lieber, Mr. Barton, wenn Sie Ihre Predigten in einem selbständigen Bande veröffentlichen würden; es wäre so wünschenswerth, sie in dieser Gestalt zu haben. Ich könnte z. B. ein Exemplar an den Dekan von Radborough senden. Und dann ist da Lord Blarney, den ich kannte, noch ehe er Kanzler war. Ich stand immer sehr in Gunst bei ihm, und Sie glauben nicht, was für süße Dinge er mir zu sagen pflegte. Ich werde der Versuchung kaum widerstehen, ihm dieser Tage einmal sans façon zu schreiben und zu sagen, wie er über die nächste Pfründe, die er zu vergeben hat, verfügen soll.«

Ob Jet, der Wachtelhund, ein viel pfiffigeres Vieh als man glaubte, seine Mißbilligung über die letzte Rede der Gräfin, als mit seinen Begriffen von Klugheit und Wahrhaftigkeit unvereinbar, ausdrücken wollte, kann ich nicht sagen; aber er sprang in diesem Augenblick von ihrem Schooß und, ihr den Rücken kehrend, stellte er eine Pfote auf das Kamingitter und hielt die andere empor um sie zu wärmen, als ob er affektire, sich dem Flusse der Conversation zu entziehen.

Aber jetzt brachte Mr. Bridmain das Schachbret hervor und Mr. Barton nahm seine Aufforderung, eine Partie zu spielen, mit ungeheurer Befriedigung an. Der Rev. Amos Barton war ein großer Freund des Schachspiels, wie die meisten Leute, die viele Jahre hindurch fortfahren können interessante Stellungen im Spiel hervorzurufen, indem sie lang überlegte Züge mit ihren Springern machen und in der Folge entdecken, daß sie dadurch ihre Königin entblößt haben.

Das Schach ist ein schweigsames Spiel; und der Gräfin Geplauder mit Milly wird in ganz leisem Flüsterton geführt – es betrifft wol Frauenangelegenheiten, so daß es unartig wäre für uns, zu lauschen; und so wollen wir Camp Villa verlassen und nach dem Pfarrhaus zu Milby wandern, wo Mr. Farquhar länger ausgehalten hat, als zwei andere Gäste, mit denen er bei Mr. Ely dinirte, und jetzt jenen ehrwürdigen Gentleman ziemlich ermüdet mit seinem in die Länge gezogenen Geplauder.

Mr. Ely war ein hochgewachsener, dunkelhaariger, dreiunddreißigjähriger Mann von distinguirtem Aeußern. Bei den Laien von Milby und Umgebung galt er für einen Mann von beträchtlichem Talent und Wissen, der bei seinen gelegentlichen Besuchen in London auf den Kanzeln und in den Empfangssälen bedeutende Sensation erregen mußte; und bei seinen Amtsbrüdern galt er als ein verständiger und angenehmer Kollege. Mr. Ely erhitzte sich nie beim Diskutiren. Er gab zu verstehen, was man denken könnte, sagte aber selten, was er selbst dachte; er ließ weder Mann noch Weib je merken, daß er über sie lachte, und gab nie Jemandem Anlaß, über ihn selbst zu lachen. In einem nur war er unklug. Er scheitelte sein dunkles wogendes Haar in der Mitte; und da sein Kopf eher flach als gerundet war, so kleidete ihn das nicht gut.

Mr. Farquhar, obgleich keines von Mr. Ely's Pfarrkindern, war einer seiner wärmsten Bewunderer und dachte, er würde einen tadellosen Schwiegersohn abgeben, trotzdem er von keiner besondern »Familie« war. Mr. Farquhar war empfindlich im Punkte des »Blutes«, da er sein eignes cirkulirendes Fluidum, das eine kleine und etwas schlappe Person beseelte, als von sehr hervorragender Qualität ansah.

»Nebenbei«, sagte er mit einer gewissen Feierlichkeit, die durch sein Lispeln abgeschwächt war, »wie macht sich Barton selbst zum Narren, wegen jenes Bridmain und der Gräfin, wie sie sich nennt. Nachdem Sie neulich Abends fort waren, sagte ihm Mrs. Farquhar die allgemeine Meinung über sie in der Nachbarschaft, und er wurde ganz roth und zornig. Denken Sie sich, er glaubt die ganze Geschichte von ihrem polnischen Gemahl und seinem wunderbaren Entkommen; und was sie betrifft – er hält sie für die Vollkommenheit selbst, für eine Frau von dem feinsten Zartgefühl, und so fort.«

Mr. Ely lächelte. »Manche Leute würden sagen, unser Freund Barton wäre nicht der beste Richter über Feinheit. Vielleicht schmeichelt ihm die Dame ein wenig, und wir Menschen sind alle empfänglich. Sie geht jeden Sonntag nach Shepperton zur Kirche, – hingezogen, wir wir annehmen wollen, durch Mr. Barton's Beredsamkeit.«

»Pscha!« sagte Mr. Farquhar: »Nun, meiner Meinung nach brauchen sie jenes Weib nur anzublicken, um zu sehen, was sie ist – wie sie die Augen herumwirft, wenn sie in die Kirche kommt, und sich kleidet, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ich möchte sagen, sie sei ihres Bruders Bridmain müde und sehe sich nach einem andern ›Bruder‹ mit größerer Familienähnlichkeit um. Mrs. Farquhar hat Mrs. Barton sehr gern und ist ganz bekümmert, daß sie sich mit einer solchen Frau einläßt, und so setzte sie ihm absichtlich deshalb zu. Barton ist wohlmeinend genug, aber so eingebildet. Ich habe es aufgegeben, ihm Rathschläge zu ertheilen.«

Mr. Ely lächelte innerlich, und dachte bei sich: »Welch' eine Strafe!« Aber zu Mr. Farquhar sagte er: »Barton könnte klüger sein, das muß zugestanden werden.« Er wurde nach und nach müde und wollte den Gegenstand nicht weiter entwickeln.

»Nun, Niemand als die Barton's besuchen sie«, fuhr Mr. Farquhar fort, »und warum sollten solche Leute hierherkommen, wenn Sie nicht besondere Gründe hätten, eine Nachbarschaft vorzuziehen, wo sie nicht bekannt sind? Puh, das sieht schon von weitem schlecht aus. Sie sprachen jetzt bei ihnen vor; wie fanden Sie sie?«

»O! – Mr. Bridmain kommt mir vor wie ein gewöhnlicher Mensch, der sich anstrengt, klug und feingebildet zu scheinen. Er ist äußerst freigebig mit seinen Aufklärungen über Politik und scheint genau unterrichtet über den König von Frankreich. Die Gräfin ist gewiß eine hübsche Frau, aber sie trägt das grand air etwas zu stark zur Schau. Woodcock war ganz entzückt von ihr und bestand darauf, daß seine Frau sie besuchen und zum Diner einladen solle; aber ich glaube, Mrs. Woodcock wurde zurückhaltend nach dem ersten Besuch und wollte sie nicht mehr einladen.«

»Ha, ha! Woodcock hatte immer eine Schwäche für hübsche Gesichter. Es ist seltsam, wie er dazu kam, diese häßliche Frau zu nehmen, die noch dazu kein Vermögen hat.«

»Geheimnisse der zarten Leidenschaft«, sagte Mr. Ely. »Ich bin noch nicht erfahren darin, wie Sie wissen.«

Hier wurde Mr. Farquhar's Wagen gemeldet, und da wir seine Unterhaltung nicht besonders brillant gefunden unter dem Stimulus von Mr. Ely's belebender Gegenwart, wollen wir ihn nicht heimbegleiten zu der weniger anregenden Atmosphäre häuslichen Lebens.

Mr. Ely warf sich mit einem Gefühl der Erleichterung in seinen bequemsten Lehnstuhl, stellte die Füße auf die Kaminplatte und begann in dieser Stellung junggesellenmäßigen Genusses Bischofs Jebb's Memoiren zu lesen.



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