Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die meisten Leute hätten mit Mrs. Raynor darin übereinstimmen müssen, daß die Confirmation an diesem Tag ein hübscher Anblick war, zum mindesten, als jene leichten mädchenhaften Gestalten und hübschen jungen Gesichter sich gleich einem weißen Bächlein den Chorgang entlang bewegten, welches in knieende Halbkreise auseinander floß unter dem Lichte des großen Kanzelfensters, das von dunklen, alten gemalten Scheiben gemildert wird; und man sollte denken, daß es jedenfalls das Herz sanft schwellen lassen und die Augen feuchten würde, wenn man zusähe, wie ein paar ehrwürdige Hände auf solche jugendliche Häupter sich legten und ein ehrwürdiges Gesicht nach einem Segen für sie aufwärts blickte. Doch ich erinnere mich, daß die Augen an jenem Tag sehr trocken schienen, trotzdem der Bischof ein alter Mann und wahrscheinlich ehrwürdig war (denn wenn auch kein hervorragender Grieche, war er doch der Bruder eines whiggistischen Lord); und ich glaube, die Augen müssen trocken geblieben sein, weil er kleine, zarte, weibische, mit Manchetten gezierte Hände hatte und diese, statt sie den Mädchen auf die Häupter zu legen, über Alle in rascher Folge hinschweben ließ, als wäre es nicht so Brauch und das Auflegen der Hände nur wie die theatralische Umarmung – ein Theil des Spiels und nicht wirklich zu glauben. Und dann, es war eine große Anzahl Köpfe da, und des Bischofs Zeit war gemessen. Überdies, eine Perrücke kann unter keinen Umständen rührend sein, ausgenommen in seltenen Fällen von Verblendung; und von weiten Linonärmeln kann man nicht erwarten, daß sie außer einer Wäscherin irgend Jemandem zu Herzen gehen.
Ich weiß, und Phipps (der neben mir kniete und mich gewiß zu einem schlimmeren Betragen veranlaßte, als ich ohne ihn an den Tag gelegt haben würde) flüsterte, daß er den Bischof für eine »Blendlaterne« halte, und ich erinnere mich genau, daß ich dachte, Mr. Prendergast sähe viel würdevoller aus mit seinem einfachen weißen Ueberwurf und schlichten schwarzen Haar. Er war ein schlanker, achtunggebietender Mann und las die Liturgie mit einer auffallend sonoren und einförmigen Stimme, die ich am folgenden Sonntag zu Hause nachzuahmen suchte, bis meine kleine Schwester zu weinen begann und sagte, ich »brülle sie an.«
Mr. Tryan saß mit mehreren anderen Geistlichen in einem Kirchenstuhl neben der Kanzel. Er sah blaß aus, und öfter als gewöhnlich strich er mit der Hand über Gesicht und Haar. Dicht neben ihm im Chorgang, die Antworten mit erbaulicher Deutlichkeit wiederholend, stand Mr. Budd, Kirchenvorsteher und Delegat, mit einem weißen Stab in der Hand, Kopf und Gestalt rückwärts gebeugt, so wie er es, wie ich glaube, für einen Freund gesunder Religion passend hielt. Weithin sichtbar auf der Gallerie sah man auch die hohe Gestalt Mr. Dempsters, dessen berufliche Geschäfte ihm selten erlaubten, seinen Platz in der Kirche einzunehmen.
»Dort ist Dempster«, sagte Mrs. Linnet zu ihrer Tochter Mary, »er sieht wirklich viel anständiger aus wie gewöhnlich. Er hat ganz gewiß eine feine Rede auswendig gelernt, die er dem Bischof halten will. Aber er wird gehörig mit Schnupftabak bestreut sein, bevor der Gottesdienst vorüber ist, und dann wird der Bischof vor lauter Niesen ihn nicht anhören können; das ist ein Trost.«
Endlich war der letzte Akt der langen Ceremonie vorüber, die große Versammlung strömte erhitzt und müde in den offenen Nachmittagssonnenschein, und der Bischof begab sich nach dem Pfarrhaus, wo er, nachdem er Mrs. Crewes Collation geehrt, den Delegaten und Mr. Tryan wegen der großen Frage der Abendbetstunde Audienz ertheilen wollte.
Zwischen fünf und sechs Uhr lag das Pfarrhaus wieder so ruhig wie gewöhnlich unter dem Schatten der hohen Ulmen, und die einzigen Zeichen von des Bischofs kürzlicher Anwesenheit dort waren die Räderspuren auf dem Kiesweg, der lange Tisch mit den garnirten, verschobenen Schüsseln, dessen Damastdecke mit Krumen bestreut war; von den Karaffen waren die Stöpsel genommen. Mr. Crewe rauchte bereits im gegenüberliegenden Wohnzimmer seine Pfeife, und Janet stimmte mit Mrs. Crewe darin überein, daß ein wenig von dem blanc manger etwas Gutes für Sally Martin sei, während die kleine alte Dame selbst einen Löffel in der Hand bereit hielt, um damit die Krumen in einem Teller zu sammeln und sie den Vögeln auf den Kirchweg streuen zu können.
Ein wenig vorher hatte man den Wagen des Bischofs durch die Hochstraße fahren sehen, auf dem Wege zu Lord Trufford, wo er diniren sollte. Die Betstundenfrage war also entschieden? – –
Die Natur der Entscheidung geht aus folgendem Gespräch hervor, das an jenem Abend im Schenkstübchen des »Rothen Löwen« stattfand.
»So sind Sie also unterlegen, he, Dempster?« war Mr. Pilgrims mit einigem Behagen geäußerte Bemerkung. Es freute ihn nicht, daß Mr. Tryan seine Sache gewonnen hatte, aber es betrübte ihn auch nicht, daß Dempster eine Enttäuschung erfahren.
»Unterlegen, Sir? Keineswegs. Ich habe das vorausgesehen. Ich wußte, daß wir nichts Anderes zu erwarten hätten in diesen Tagen, da die Kirche mit einer Sorte von Menschen geplagt ist, die nur fähig sind, Hymnen aus einem leeren Brustkasten vorzusagen und zu Melodien, die von einem handwerksmäßigen Pfuscher gesetzt sind. Aber ich werde mich deshalb in der Sache gesunden Hochkirchenthums nicht weniger um das Wohl der Stadt bemühen. Jeder Feigling kann eine Schlacht schlagen, wenn er des Gewinns sicher ist, ich aber lobe mir den Mann, der Muth hat zum Kampf, wenn er des Verlierens sicher ist. Das ist meine Art, Sir; und es gibt viele Siege, die schlimmer sind als Niederlagen, wie Mr. Tryan auf seine Kosten bald erfahren soll.«
»Er muß ein kläglich abgehauster Bischof sein, meiner Meinung nach«, sagte Mr. Tomlinson, »weil er mit einem schleichenden Methodisten wie Tryan zusammengeht. Und ich denke für meinen Theil, wir würden ohne Bischöfe ebenso gut fahren, wenn sie nicht klüger sind wie der. Wofür bekommen sie jährlich Tausende und leben in Palästen, wenn sie nicht an der Hochkirche festhalten?«
»Nein, da gehen Sie zu weit, Tomlinson«, sagte Mr. Dempster. »Keiner soll von mir ein Wort gegen das Episcopat hören – es ist eine Schutzwache der Hochkirche; wir müssen auch hier, eben so gut wie anderswo, Rangklassen und Würden haben. Nein, Sir, das Episcopat ist ganz gut; aber es kann sich treffen, daß ein Bischof nicht gut ist: gerade so wie Branntwein etwas Gutes ist, wenn auch diese Flasche hier englischer ist und wie gezuckertes Regenwasser schmeckt, das man unterm Kamin aufgefangen. Da, Retcliffe, geben Sie mir etwas zum Trinken, das weniger wie ein Absud von Zucker und Ruß schmeckt.«
»Ich sagte ja nichts gegen das Episcopat«, erwiederte Mr. Tomlinson. »Ich sagte nur, wir würden ohne Bischöfe eben so gut fahren; und das sag' ich nochmal, wenn's sein muß. Die Bischöfe haben mir noch nie Vortheil gebracht.«
»Wissen Sie, wann die Betstunden beginnen werden?« sagte Mr. Pilgrim.
»Sie werden beginnen am nächsten Sonntag«, sagte Mr. Dempster in nachdrücklichem Ton; »aber ich denke, es bedarf keines weitsichtigen Propheten, um ihr Ende vorauszusehen. Es kommt mir so vor, als werde sich Mr. Tryan in kurzem nach einer andern Curatie umsehen.«
»Er wird nach einiger Zeit nicht mehr viele Milbyer zusammenbringen, um ihn anzuhören, darauf will ich wetten«, bemerkte Mr. Budd. »Ich weiß, daß ich keinen Arbeiter auf meinem Grund und Boden behalten werde, der entweder selbst die Betstunde besucht oder von einem seiner Angehörigen besuchen läßt.«
»Und ich auch nicht«, sagte Mr. Tomlinson. »Kein Tryanit soll bei mir einen Sack anrühren oder einen Wagen fahren, darauf können Sie sich verlassen. Und ich kenne noch mehr außer mir, die ebenso gesinnt sind.«
»Tryan hat aber viele Freunde in der Stadt, und zwar Freunde, die ihm jedenfalls beistehen werden«, sagte Mr. Pilgrim. »Ich möchte fast sagen, es wäre besser, man ließe ihn sammt seinen Betstunden in Ruhe. Wenn er so fortpredigt wie jetzt bei seinem Gesundheitszustand, wird er sich bald eine Erschlaffung der Stimmbänder zuziehen, und Sie werden ihn ohne jede Mühe los werden.«
»Wir wollen ihn nicht so sich selbst Schaden zufügen lassen«, sagte Dempster. »Da seine Gesundheit nicht fest ist, wollen wir ihn dazu bewegen, es mit einem Luftwechsel zu versuchen. Verlassen Sie sich darauf, er wird das Klima zu Milby zu heiß für ihn finden.«