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Der lange Aufenthalt der Gräfin Czerlaski im Pfarrhause zu Shepperton wird Dir, lieber Leser, wol ebensogut Kopfzerbrechen verursachen, wie Mr. Bartons geistlichen Amtsbrüdern; um somehr, als ich hoffe, du bist nicht im geringsten geneigt, demselben jene sehr üble Deutung zu geben, welche augenscheinlich Annahme fand bei dem bleichen und magenschwachen Mr. Duke und bei dem blühenden und höchst magenkräftigen Mr. Fellowes. Du hast, wie ich hoffe, genug erfahren über den Rev. Amos Barton, um überzeugt zu sein, daß er eher fähig war, betrogen zu werden, als sich der Nothwendigkeit auszusetzen, betrügerisch zu sein; und wenn Du ein scharfes Auge für Physiognomik hast, wirst Du entdeckt haben, daß die Gräfin Czerlaski sich selbst viel zu sehr liebte, um sich in ein nicht gewinnbringendes Laster zu verstricken.
Wie konnte es denn, sagst Du, dieser feinen Dame belieben, sich in der Behausung eines armen Vikars einzuquartieren, wo die Teppiche wahrscheinlich in Löchern verschwanden, wo die Dienerschaft auf ein »Mädchen für Alles« beschränkt war, und wo sechs Kinder frei herumliefen von 8 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends? Du mußt gewiß die Thatsachen entstellen.
Behüte der Himmel! Denn da ich keine fruchtbare Phantasie besitze, wie Du siehst, und unfähig bin, erschütternde Vorfälle zu Deiner Unterhaltung zu erfinden, so muß mein einziges Verdienst in der Treue liegen, mit welcher ich Dir die einfachen Erfahrungen eines gewöhnlichen sterblichen Mitmenschen vor Augen führe. Ich wünsche Dein Mitgefühl für alltägliche Beschwerden zu erregen – Deine Thränen für wirklichen Kummer zu gewinnen: Kummer, wie er vielleicht im Hause Deines nächsten Nachbars wohnt – wie er weder in Lumpen noch in Sammt einhergeht, sondern in sehr gewöhnlichem, bescheidenem Kleide.
Und deshalb – damit Du Deinen Argwohn gegen meine Wahrheitsliebe fallen lassen kannst – bitte ich Dich zu erwägen, daß zur Zeit, als die Gräfin Czerlaski Camp Villa im Groll verließ, sie nur 20 £ in ihrer Tasche hatte, etwa ein Drittel des Einkommens, das sie unabhängig von ihrem Bruder besaß. Du wirst dann gewahren, daß sie in der äußerst unbequemen Lage war, sich überworfen zu haben zwar nicht mit ihrem Brod und Käse, In England sprüchwörtliche Redensart. aber doch sicher mit ihren Hühnchen und Torten – eine Lage, die ihr um so unbequemer war, weil der gewohnte Müßiggang sie unfähig gemacht hatte, jene nothwendigen Überflüssigkeiten zu verdienen, und weil sie, bei all' ihrem Zauber, sich keine enthusiastischen Freunde gewonnen hatte, deren Häuser ihr offen waren und die sehnlichst ihren Besuch wünschten. So hatte sie sich selbst vollständig schachmatt gesetzt, wenn sie sich nicht zu einem unangenehmen Zug entschließen wollte – nämlich, sich vor ihrem Bruder zu demüthigen und dessen Gattin anzuerkennen. Dies schien ihr ganz unmöglich, so lange sie die Hoffnung nährte, er würde die ersten Schritte thun; und in dieser schmeichelnden Hoffnung blieb sie Monat auf Monat im Pfarrhaus zu Shepperton, die Mängel an Bequemlichkeit gnädig übersehend und in dem Gefühl, daß sie sich wirklich bezaubernd benehme. »Wer könnte auch anders sein«, sagte sie für sich, »gegen ein liebliches, sanftes Wesen, wie Milly? Es wird mir wirklich schwer fallen, das arme Ding zu verlassen.«
Und so stimmte sie denn – obschon sie bis zehn Uhr im Bette lag und um elf Uhr allein frühstückte –freundlich bei, schon um fünf Uhr zu diniren; sie hinderte Milly absichtlich, sich allzusehr den Kindern zu widmen, indem sie darauf bestand, daß sie mit ihr las, plauderte und spazieren ging; und sie begann sogar, ein Häubchen für das nächste Kleine zu sticken, das gewiß ein Mädchen sein und Caroline getauft werden müsse.
Nach dem ersten oder zweiten Monat ihres Aufenthalts im Pfarrhaus wurde der Rev. Amos Barton – wie es ja unvermeidlich – der starken Mißbilligung gewahr, die derselbe ihm zuzog, und die Veränderung, die er in den Gefühlen seiner freundlichsten Pfarrkinder gegen ihn bewirkte. Aber erstens glaubte er noch an die Gräfin als an eine bezaubernde und einflußreiche Frau, die ihn begünstigen wolle, und dann konnte er kaum selbst einer bei ihm als Gast weilenden Dame das Abreisen nahelegen, die freundlich gegen ihn und die Seinen gewesen und eines Tags von selbst das Ende ihres Besuchs ankündigen konnte: zweitens war er sich seiner eigenen Unschuld bewußt und fühlte verächtliche Entrüstung gegen Leute, die bereit waren, Übles von ihm zu denken; und endlich besaß er, wie ich bereits angedeutet, einen starken Eigenwillen, so daß sich ein gewisser Starrsinn und Trotz mit seinen sonstigen Gefühlen über diesen Gegenstand vermischte.
Die einzige unangenehme Folge, der nicht ausgewichen oder entgegengewirkt werden konnte durch einen bloßen seelischen Zustand, war der sich vergrößernde Abfluß aus seiner magern Börse für Haushaltsausgaben, dem zu begegnen die ihm von der geistlichen Stiftung überwiesene Summe sich als gänzlich unzureichend zu erweisen drohte. Verläumdung kann durch Gleichmuth besiegt werden; aber muthige Gedanken bezahlen keine Bäckerrechnungen, und Tapferkeit wird nirgends als gesetzliches Zahlungsmittel für Rindfleisch betrachtet. Monat auf Monat wurde das finanzielle Aussehen der Angelegenheiten des Rev. Amos bedenklicher für ihn, und dazu nahm Monat auf Monat mehr von jener Rüstung von Unwillen und Trotz hinweg, mit der er sich zuerst gegen die finstern Mienen von Gesichtern, die einst die freundlichsten waren, vertheidigt hatte.
Aber der allerschwerste Druck der Noth fiel auf Milly, – die sanfte, nie klagende Milly – deren zarter Körper täglich weniger tauglich wurde für all die vielen Dinge, die zwischen Aufstehen und Niederlegen zu besorgen waren. Zuerst dachte sie, der Gräfin Besuch würde nicht lange währen und unterzog sich gern einer Extraanstrengung, um es ihrer Freundin behaglich zu machen. Ich kann es kaum ertragen, an all die harte Arbeit zu denken, die sie mit jenen lieblichen Händen verrichtete – ganz insgeheim, ohne ihren Gatten etwas davon merken zu lassen, und Ehemänner sind nicht hellsehend; wie sie Schinken einpökelte, Hemden und Halsbinden bügelte, Lappen auf Lappen flickte, und Strümpfe stopfte und wieder stopfte. Dann hatte sie die Aufgabe, für das bald ankommende Kleine das Leinenzeug herzurichten und täglich bot sich ihr die Aufgabe zur Lösung, wie sie und Hannchen auskommen sollten, wenn das Kleine käme, wie es in wenig Monaten der Fall sein mußte.
Während so die Zeit verstrich und der Gräfin Besuch nicht endete, war Milly nicht blind für irgend eine Phase ihrer Lage. Sie wußte von der Verleumdung; sie merkte, daß alte Freunde sich fernhielten, aber sie setzte das alles auf ihres Gatten Rechnung. Die Welt einer liebenden Frau liegt innerhalb der vier Wände ihres Hauses; und nur durch ihren Gemahl steht sie in elektrischer Wechselwirkung zu der Welt außerhalb. Mrs. Simpkins mag sie verächtlich angeblickt haben, aber Baby kräht und hält seine kleinen Arme deshalb nicht weniger munter ihr entgegen: Mrs. Tomkins mag aufgehört haben bei ihr vorzusprechen, aber ihr Gatte kommt nichtsdestoweniger heim, ihre Fürsorge und ihre Liebkosungen zu empfangen; es war heute naß und neblig draußen, aber sie hat nach den Hemdknöpfen gesehen, hat für's Baby Lätzchen zugeschnitten und Willys Blouse halb fertig gemacht.
So war's mit Milly. Sie war nur ärgerlich, weil man ihren Gatten ärgerte – nur verwundet, weil er mißverstanden wurde. Aber Schwierigkeiten betreffs der Mittel und Wege fühlte sie in ganz anderer Weise. Ihre Rechtlichkeit war beunruhigt, weil sie nicht wollte, daß die Geschäftsleute auf ihr Geld warten mußten; ihre mütterliche Liebe fürchtete die Verminderung der Lebensgenüsse für ihre Kinder; und das Gefühl, daß ihre eigene Gesundheit nachließ, gab diesen Befürchtungen übertriebene Kraft.
Milly konnte ihre Augen nicht länger der Thatsache verschließen, daß die Gräfin unüberlegt wäre, wenn sie sich nicht ernsteren Gedanken überließ; und sie begann zu fühlen, daß es bald ihre Pflicht sein wurde, ihr offen zu sagen, daß sie nicht die Mittel hätten, die Kosten ihres weiter verlängerten Besuchs zu tragen. Aber auch in zwei anderen Gemüthern ging ein Prozeß vor sich, der schließlich Milly die Erfüllung dieser peinlichen Aufgabe ersparte.
In erster Linie wurde die Gräfin Sheppertons überdrüssig – überdrüssig des Wartens auf ihres Bruders Vorschläge, die nie kamen; so überlegte sie eines schönen Morgens, daß Vergebung eine Christenpflicht sei, daß eine Schwester versöhnlich sein solle, daß Mr. Bridmain das Bedürfniß nach ihrem Rath fühlen müsse, an den er drei Jahre lang gewöhnt war, und daß höchst wahrscheinlich »jenes Weib« den armen Mann nicht glücklich mache. In dieser freundlichen Gemüthsverfassung schrieb sie einen zärtlichen Appell an ihren Bruder, den sie durch dessen Bankier ihm zugehen ließ.
Ein anderes Gemüth, das sich bis auf's Äußerste entflammt hatte, war das Hannchens, des Mädchens für Alles, die ein warmes Herz und ein noch wärmeres Temperament besaß. Hannchen betete ihre Herrin an; man hatte sie sagen hören, daß sie »bereit sei, den Boden zu küssen, den ihre Frau betreten hätte«; und Walter betrachtete sie als ihr Baby, auf das sie so eifersüchtig war, wie eine Geliebte. Aber sie hatte von Anfang an wenig Bewunderung für die Gräfin Czerlaski. Jene Dame war, von Hannchens Gesichtspunkt aus, eine Persönlichkeit, immer »herausgeputzt in schönen Kleidern«, das Hauptresultat von deren Existenz sei, vermehrtes Bettmachen, Zutragen von heißem Wasser, Tafeldecken und Kochen von Diners zu verursachen. Es war für Hannchen ein sich fortwährend steigernder »erschwerender Umstand«, daß sie und ihre Herrin mehr und mehr zu »schanzen« hatten, weil diese feine Dame im Hause war.
»Und sie zahlt nichts dafür obendrein«, bemerkte Hannchen zu Mr. Jacob Tomms, einem jungen Herrn der Schneiderbranche, der gelegentlich – blos aus Geschmack am Zwiegespräch – Abends in die Pfarrküche blickte. »Ich weiß, der Herr ist knapper mit dem Geld dran wie je und es wird kein End mit der Verlegenheit im Haushalten – ihr Dasein, und dazu müssen wir noch alleweil' eine Scheuerfrau im Haus haben.«
»Feine Geschichten gibt's im Dorf über sie«, sagte Mr. Tomms. »Sie sagen, Mr. Barton ist vernarrt in sie, oder sie thäte nicht so lang dableiben.«
»Dann sagen sie eine elende Lüge, und Du solltest Dich schämen, herzugehen und es nachzusagen. Denkst Du denn, daß der Herr, der eine Frau hat wie unsre, einem aufgetakelten Stück Weibsbild wie die Gräfin nachläuft, die nicht gut genug ist, der Frau ihre Schuhe zu wichsen. Ich bin keine große Freundin vom Herrn, aber da kenn' ich ihn doch besser.«
»Na, ich glaubte es ja nicht«, sagte Mr. Tomms demüthig.
»Glauben? wärest ein Einfaltspinsel, wenn Du's thätest. Und sie ist ein schmutziges, filziges Ding, die Gräfin da. Hat mir noch keinen Groschen gegeben und keinen alten Lumpen, so lang sie da ist. Liegt im Bett und kommt zum Frühstück 'runter, wenn andre Leute ihr Mittagessen wollen!«
Wenn das Hannchens Gemüthszustand Ende August war, als dies Gespräch mit Mr. Tomms stattfand, kann man sich denken, wie er zu Anfang des November war, und daß zu dieser Zeit ein sehr geringer Funke den lange glimmenden Ärger zur offenen Entrüstung entflammen konnte.
Jener Funke fiel zufällig am selben Morgen, als Mr. Hackit ihren Besuch bei Mrs. Patten abstattete, den wir im letzten Kapitel berichteten. Hannchens Mißfallen an der Gräfin erstreckte sich auf den unschuldigen Hund Jet, von welchem es sie ärgerte, daß man mit ihm »ein Gethue habe wie mit ein' Gristenmenschen. Und das kleine Beest muß noch dazu jeden Samstag gewaschen werden, als gäbe es nicht Kinder genug zum Waschen, ohne die Hunde!«
Nun geschah es an diesem besondern Morgen, daß Milly viel zu schwach war zum Aufstehen, und daß Mr. Barton zu Hannchen beim Ausgehen bemerkte, er wolle zu Mr. Brand gehen und ihn hersenden. Diese Umstände waren bereits genügend, um Hannchen ängstlich und empfindlich zu machen. Aber die Gräfin, in glücklicher Unwissenheit hierüber, kam wie gewöhnlich um elf Uhr zu ihrem separaten Frühstück herab, das zu jener Stunde für sie im Sprechzimmer bereit stand; der Kessel sang auf der Kaminplatte, so daß sie ihren Thee bereiten konnte. Dabei stand ein kleines Töpfchen mit Rahm, wie gewöhnlich von der für die letzte Nacht bestimmten Milch genommen und eigens für der Gräfin Frühstück aufgespart. Jet erwartete seine Herrin stets an der Thür ihres Schlafzimmers, und sie hatte die Gewohnheit, ihn die Stiege herabzutragen.
»Nun, mein kleiner Jet«, sagte sie, ihn sanft auf's Kaminsims niedersetzend, »sollst Du ein hübsches Frühstück bekommen.«
Jet deutete an. daß er jene Bemerkung für äußerst passend und wohl an der Zeit halte, indem er sich sogleich auf die Hinterbeine erhob, und die Gräfin entleerte das Rahmtöpfchen in Jet's Schüsselchen. Nun stand gewöhnlich ein kleines Töpfchen Milch auf dem Präsentirteller neben dem Rahm, und bestimmt zu Jet's Frühstück, aber diesen Morgen hatte Hannchen in ihrer Sorge jenen Theil des Arrangements vergessen, so daß die Gräfin, als sie ihren Thee bereitet hatte, bemerkte, daß kein zweites Töpfchen da wäre, und deshalb schellte. Hannchen erschien, sehr roth und erhitzt – sie hatte das Küchenfeuer wieder »angeblasen« und das ist eine Arbeit, die keineswegs zur Beruhigung des Gemüths beiträgt.
»Hannchen, Sie haben Jets Milch vergessen: wollen Sie so gut sein und mir noch etwas Rahm bringen?«
Das war zu viel für Hannchens Langmuth.
»Ja freilich. Da habe ich alle Hände voll mit den Kindern und dem Essen, und Missis krank im Bett, und Mr. Brand kommt: und ich soll durch's Dorf laufen noch Rahm zu holen, weil sie ihn dem nichtsnutzigen kleinen Mohren geben.«
»Ist Mrs. Barton unwohl?«
»Unwohl – ja – ich sollt's meinen – aber Sie kümmern sich viel drum. Sie muß krank werden, wie sie den ganzen Tag gequält ist, mit Leuten, die besser wo anders wären.«
»Was fällt Ihnen ein, daß Sie sich auf diese Art benehmen?«
»Was mir einfällt? Ei, ich meine, Missis arbeitet sich zu Tode mit dem Aufbleiben Nachts, für Leute, die eher sie pflegen könnten, statt im Bett zu liegen und den lieben langen Tag nichts zu thun, als Arbeit machen.«
»Verlassen Sie das Zimmer, und seien Sie nicht unverschämt.«
»Unverschämt! Es ist besser, ich bin unverschämt, als wie gewisse Leute, die von Andern leben und sie in schlechten Ruf bringen obendrein!«
Hier stürzte Hannchen zur Thür hinaus und ließ der Gräfin Zeit, dies unerwartete Frühstück nach Muße zu verdauen.
Die Gräfin war auf einige Augenblicke versteinert, aber als sie sich Hannchens Worte zurückzurufen begann, war keine Möglichkeit vorhanden, sehr unangenehme Schlüsse daraus zu umgehen oder ihre Anwesenheit im Pfarrhaus nicht in einem ganz andern Licht erscheinen zu lassen. Auch die Interpretation von Hannchens Anspielung auf einen »schlechten Ruf« lag nicht außer dem Bereich der Phantasie der Gräfin, und sie sah die Notwendigkeit ein, Shepperton ohne Verzug zu verlassen. Indessen hätte sie gern noch auf ihres Bruders Antwort gewartet – nein, sie wollte Milly bitten, ihr dieselbe nachzusenden – noch besser, sie wollte sogleich nach London gehen, ihres Bruders Adresse bei seinem Bankier erfragen und ihn ohne Weiteres aufsuchen.
Sie ging hinauf in Millys Zimmer und sagte nach vielen Küssen und Fragen – »Ich ersehe, wenn ich's überlege, liebe Milly, aus dem Brief, den ich gestern erhielt, daß ich Ihnen Adieu sagen und sogleich nach London aufbrechen muß. Aber ich darf Sie hier nicht krank zurücklassen, Sie Böse.«
»Oh nein«, sagte Milly, der es vorkam, als wäre eine schwere Last von ihr genommen, »in ein oder zwei Stunden werde ich ganz wohl sein. Ja, es geht mir jetzt schon viel besser. Sie werden mich brauchen, um packen zu helfen. Aber Sie werden nicht vor zwei oder drei Tagen gehen?«
»Doch, ich muß morgen fort. Aber ich dulde es nicht, daß Sie mir beim Packen helfen; also entwerfen Sie keine thörichten Pläne, sondern bleiben Sie ruhig liegen. Mr. Brand kommt, sagt Hannchen.«
Die Neuigkeit war keine unangenehme Überraschung für Mr. Barton, als er nach Hause kam, obwohl er mehr Bedauern auszudrücken im Stande war über den Gedanken ihres Scheidens, als Milly über die Lippen zu bringen vermochte. Er hatte noch mehr von seinem ursprünglichen Gefühl für die Gräfin, als Milly, denn Weiber verrathen sich gegen Männer nie so sehr, als gegen einander; und der Rev. Amos Barton hat kein scharfes Urtheil über Charaktere. Aber er fühlte, daß er von einer Verlegenheit befreit würde, und in der für ihn genehmsten Weise. Weder er noch Milly argwöhnten, daß es Hannchen war, die den Knoten für sie durchhauen hatte, denn die Gräfin nahm sich sehr in Acht, sich etwas davon merken zu lassen. Und was Hannchen betrifft, so merkte sie genau das Verhältniß zwischen Ursache und Wirkung in der Sache und kicherte insgeheim über ihren Ausbruch von »Schärfe« als die beste Morgenarbeit, die sie je vollbracht hatte.
Und so sah man am Freitag Morgen einen leichten Wagen vor dem Pfarrhaus stehen, mit der Gräfin Koffern darauf gepackt, und bald sah man die Gräfin selbst in das Gefährt steigen. Nach einem letzten Händeschütteln mit Mr. Barton und Abschiedsküssen an Milly und die Kinder, wurde der Schlag zugemacht; und als der Wagen fortrollte, sah die Gesellschaft am Pfarrhausthor zum letzten Male die schöne Gräfin, wie sie sich aus dem Wagenfenster lehnte und ihnen Abschiedsgrüße zuwinkte. Auch Jet ließ seine kleine, schwarze Schnauze sehen, und zweifellos hatte er bei dieser Gelegenheit seine Gedanken und Gefühle, aber er verschloß sie streng in seinem Busen.
Die Schullehrerin gegenüber war Zeugin dieser Abreise und verlor keine Zeit, es dem Schullehrer zu sagen, der die Neuigkeit wieder dem Wirth »zum lustigen Köhler« mittheilte, nach dem Beschluß der morgendlichen Schulstunden. Hannchen flüsterte Mr. Farquhars Bedientem die angenehme Neuigkeit in's Ohr, der zufällig mit einem Briefe kam, und Mr. Brand trug sie zu allen Patienten, die er an jenem Morgen besuchte, nachdem er bei Mrs. Barton gewesen war. Und so war es noch vor dem Sonntag im ganzen Sprengel von Shepperton allgemein bekannt, daß die Gräfin Czerlaski das Pfarrhaus verlassen hatte.
Die Gräfin war fort, aber ach! die Rechnungen, zu deren Anschwellen sie beigetragen hatte, waren geblieben: und so auch die Dürftigkeit im Anzug der Kinder, die auch zum Theil eine indirekte Folge ihrer Anwesenheit war, und endlich die Kühle und Entfremdung seiner Pfarrkinder, die nicht vor der Thatsache ihrer Abreise auf einmal verschwinden konnte. Der Rev. Amos Barton war nicht gerechtfertigt – das Vergangene war nicht ausgelöscht. Aber was noch schlimmer war als Alles, Millys Gesundheitszustand gab häufig Anlaß zur Unruhe, und die Aussicht auf die bevorstehende Entbindung wurde durch mehr als die gewöhnlichen Befürchtungen überschattet. Die Entbindung erfolgte vorzeitig, etwa sechs Wochen nach der Gräfin Abreise, aber Mr. Brand gab am folgenden Tag, einem Samstag, allen Fragenden günstigen Bericht. Am Sonntag nach dem Frühgottesdienst sprach Mrs. Hackit im Pfarrhause vor, um nachzufragen, wie es Mrs. Barton gehe, und wurde eingeladen, hinaufzugehen und sie zu besuchen. Milly lag ruhig und lieblich da in ihrer Schwäche und streckte Mrs. Hackit mit strahlendem Lächeln ihre Hand entgegen. Es freute sie sehr, ihre alte Freundin wieder offen und herzlich zu sehen. Das Siebenmonatkind war sehr schmächtig und sehr roth, aber »hübsch ist, wer sich hübsch beträgt« – und Mrs. Hackit ging heim, froh im Herzen, daß die gefährliche Stunde vorüber war.