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I.
Die traurigen Schicksale des Rev. Amos Barton.


Erstes Kapitel.

Die Sheppertonkirche sah vor fünfundzwanzig Jahren ganz anders aus. Zwar ihr solider Steinthurm blickt durch sein intelligentes Auge, die Glocke, mit dem freundlichen Ausdruck früherer Tage auf uns herab; aber welche Veränderungen! Ein weitgespanntes Schieferdach flankirt jetzt den alten Glockenthurm; die Fenster sind hoch und symmetrisch; die äußeren Thüren von schimmerndem gebeiztem Eichenholz; die inneren Thüren andächtig geräuschlos gemacht durch eine Verkleidung von rothem Flanell; und die Mauern – man ist überzeugt, daß nie wieder eine Flechte ihre Niederlassung darauf begründen wird – sie sind glatt und ohne Nahrung wie der Gipfel von Rev. Amos Barton's Haupt nach zehnjähriger Kahlheit und zehnjährigem verschwenderischem Seifenverbrauch. Indem wir die flanellverkleideten Thüren passiren, sehen wir das Schiff angefüllt mit wohlgeordneten Bänken, freien Sitzen wohlverstanden, während in gewissen ausgewählten Ecken, weniger direkt unterm Feuer von des Predigers Auge Kirchenstühle sich befinden für die Honoratioren Shepperton's. Geräumige Emporen stützen sich auf eiserne Pfeiler, und auf einer von ihnen steht die Hauptzier, die wahre Spange oder das Juwel von Shepperton's Kirchenschmuck – nämlich eine Orgel, auf welcher ein kleiner Rentenbesitzer, durch die Macht der Umstände zum Organisten degradirt, euren raschen Weggang mit einer Kirchenmenuet oder einem gefälligen Glorie zu begleiten pflegt.

Ungeheurer Fortschritt! sagt der wohlgeordnete Sinn, der sich beständig erfreut an der neuen Polizei, dem Zehntenablösungsgesetz, der Pennypost und allen Garantien menschlichen Fortschritts und keine Augenblicke hat, wo der conservativ reformirende Verstand ein kleines Schläfchen macht, während die Phantasie insgeheim ein wenig Toryismus treibt und in Bedauern schwelgt darüber, daß die liebe, alte, braune, zerbröckelnde, malerische Wirkungslosigkeit überall einer funkelnagelneu gemalten und gefirnißten Wirkung Platz macht, die endlose Figuren, Pläne, Grund- und Aufrisse, aber leider! keine Bilder darbietet. Der meinige ist, fürchte ich, kein wohlgeordneter Sinn: er hat eine gelegentliche Zärtlichkeit für alte Mißbräuche; er verweilt mit einer gewissen Vorliebe bei den Tagen der näselnden Küster und der Pastoren in Stulpenstiefeln und hat einen Seufzer für die vergangenen Schatten gewöhnlicher Irrthümer. So ist es nicht überraschend, daß ich mit liebender Zärtlichkeit der Kirche zu Shepperton mich erinnere, wie sie in den alten Tagen war, mit ihrem äußeren Rock von roher Stuckarbeit, ihrem rothen Ziegeldach, ihren ungleichartigen, aus unzusammenhängenden Stückchen gemalten Glases zusammengestoppelten Fenstern und ihrer kleinen Stiege mit dem hölzernen Geländer, die um die Außenmauer läuft und zur Empore der Schulkinder führt.

Und dann innen, welche lieben, alten Wunderlichkeiten! auf die ich schon mit Entzücken zu schauen begann, als ich noch ein so unreifes Glied der Kirchengemeinde war, daß meine Amme es für nöthig hielt, für die Zügelung meiner andächtigen Ungeduld dadurch zu sorgen, daß sie Butterbrod in das geweihte Haus einschmuggelte. Dort war die Kanzel, bewacht von zwei Cherubim, die ungemächlich eingezwängt zwischen Bogen und Mauer hervorsahen, und geschmückt mit den Wappenschildern der Familie Oldinport, die mir eine unerschöpfliche Menge möglicher Bedeutungen zeigten in ihren blutrothen Händen, ihren Todtenköpfen und Kreuzbeinen, ihren Leopardentatzen und Malteserkreuzen. Da waren Inschriften auf der Vertäfelung der Sängerempore, die von Wohlthaten zum Besten der Sheppertoner Armen erzählten, mit einer vernickelten Eleganz von großen Buchstaben und Schlußschnörkeln, die meine alphabetische Gelehrsamkeit mit immer neuem Ergötzen verfolgte. Keine Bänke in jenen Tagen; nur ungeheuer geräumige Kirchenstühle, um welche während der Bibelstunden andächtige Kirchgänger saßen, die versuchten überall hin, nur nicht ihrem Gegenüber in die Augen zu sehen. Keine niedrigen Scheidewände, die einem, mit einem traurigen Mangel an Contrast und Geheimnißvollem, erlaubten, in jedem Augenblick überall hin zu sehen; sondern hohe, dunkle Vertäfelungen, unter deren Schatten ich während der Litanei in ein Gefühl der Zurückgezogenheit versank, um mit desto größerer Intensität mein Hervortreten in die Offenkundigkeit des öffentlichen Lebens zu fühlen, wenn ich während des Psalms oder während des Gesangs mich von meinem Sitze zu erheben hatte.

Und das Singen war kein mechanisches Geschäft gottesdienstlicher Uebung, es hatte eine Handlung. Sowie der Augenblick der Psalmodie nahte, erschien – infolge eines Vorganges, der für mich ebenso mysteriös und unergründlich war, wie das Aufbrechen der Blüthenknospen oder das Aufflimmern der Sterne – vor der Empore eine Schiefertafel, die in kühnen Ziffern den zu singenden Psalm angab, damit nicht etwa die sonore Ankündigung des Küsters das bukolische Gemüth in Zweifel lasse über jenen Hauptpunkt. Dann folgte die Wanderung des Küsters nach der Empore, wo er mit einem Fagott, zwei Klappenhörnern, einem Zimmermann, der wegen seiner erstaunlichen Begabung zum »Alt«-Singen bekannt war, und zwei geringeren musikalischen Genies die Ergänzung eines Kirchenchors bildete, der in Shepperton als von so starker Anziehungskraft betrachtet wurde, daß er gelegentlich selbst aus dem nächsten Kirchspiel Zuhörer anlocke. An die Einführung neuer Gesangbücher dachte man noch nicht entfernt; selbst die neue Bibelübersetzung wurde mit einer Art melancholischer Toleranz betrachtet, als ein Theil der allgemeinen Entartung in einer Zeit, wo die Werthe sich vermindert hatten und ein baumwollener Rock nicht mehr eine Lebenszeit aushielt; denn der lyrische Geschmack der besten Köpfe in Shepperton hatte sich an Sternhold und Hopkins Thomas Sternhold, John Hopkins und andere hatten 1562 die erste Ausgabe des »Buches der Psalmen‹ in englischen Versen herausgegeben. – Anm.d.Hrsg. gebildet. Aber der größte Triumph des Sheppertoner Chors war für die Sonntage aufgespart, an welchen die Schiefertafel einen »Chorgesang« verkündete, mit einer würdevollen Abstinenz von einer genaueren Angabe, da sowol Text als Musik weit außer dem Bereich selbst der anspruchsvollsten Kenner in der Gemeinde lägen: – einen Chorgesang, bei welchem die Klappenhörner stets in raschem Tempo dahin jagten, während der Fagotist ihnen hie und da einen raschen Schuß nachsandte.

Was den Geistlichen, Mr. Gilfil, betrifft, einen alten Herrn, der sehr lange Pfeifen rauchte und sehr kurze Predigten hielt, so darf ich nicht von ihm sprechen; ich möchte sonst versucht sein, seine Lebensgeschichte zu erzählen, die ihren kleinen Roman hat, wie die meisten Lebensgeschichten zwischen anno Dazumal und anno Tuback. Und für jetzt bin ich mit einer ganz andern Art von Geistlichen beschäftigt – mit dem Rev. Amos Barton, der erst nach Shepperton kam, als Mr. Gilfil schon lange aus diesem Leben geschieden war und nach einer Zwischenzeit, in welcher der Evangelismus und die katholische Frage begonnen hatten, die bäuerlichen Gemüther durch Kampfdebatten zu erregen. Ein papistischer Grobschmied hatte eine starke protestantische Reaction dadurch hervorgerufen, daß er, sobald das Emancipationsgesetz Gesetz für die freiere Stellung der Römisch-Katholischen Unterthanen Seiner Majestät vom 13. April 1829. – Anm.d.Hrsg. angenommen war, erklärte, er werde ein größeres Speculationsgeschäft in Bratrosten wagen; und die Abneigung der Sheppertoner Pfarreiangehörigen, den einzig in seiner Art dastehenden Heiligenschein des St. Laurentius zu trüben, machte Kirche und Constitution zu einer Geschäfts- und Herzenssache. Ein eifriger Prediger der Quäker hatte das alte Kanzeldach wiederhallen lassen mit einer Art von Predigt, die von der Mr. Gilfils sehr verschieden war; das Hymnenbuch hatte fast das alte und neue Gesangbuch verdrängt; und die großen viereckigen Kirchenstühle waren voll von neuen Gesichtern aus entfernten Ecken des Kirchspiels – vielleicht von dissentirenden Kapellen.

Der freundliche Leser wird hoffentlich sich nicht einbilden, daß Amos Barton der Inhaber der Sheppertoner Pfründe war. Er war nichts Derartiges. In jenen Tagen konnte ein Mann drei kleine Pfründen inne haben, auf zweien derselben einen Curaten verhungern lassen und selbst von der Dritten nothdürftig sein Leben fristen. So war es bei dem Vikar zu Shepperton; einem Vikar, der seine Funktionen als Vikar versieht, indem er jährlich die Summe von 35½ Pfund dafür in die Tasche steckt, der Nettoüberschuß, der ihm verbleibt von den Erträgnissen jener Pfründe, nach Abzug von 80 Pfund als jährlichen Bezug seines Curaten. Und nun frage ich, ob mir jemand das folgende Problem lösen kann? Man gebe einem Manne eine Frau und sechs Kinder, lasse ihn gezwungen sein, sich außer dem Hause stets in einem Anzug von feinem schwarzen Tuch zu zeigen, der die Grundlage der kirchlichen Einrichtung nicht untergräbt durch armselig plebejischen Glanz oder unziemliche Weiße an den Nähten; in einer schneeigen Halsbinde, die einen beträchtlichen Posten Arbeit bildet im Departement des Säumens, Stärkens und Bügelns; und mit einem Hut, der kein Symptom zeigt von einer Hinneigung zu jener abscheulichen Anpassungsdoktrin und zu einer Gestaltung je nach den Umständen; man lasse ihn eine Pfarrei haben, groß genug sowohl, um eine äußere Nothwendigkeit für vieles Schuhleder zu schaffen und eine innere für vieles Rind- und Hammelfleisch, als auch arm genug, um häufig geistlichen Trost in Gestalt von ganzen und halben Schillingen zu erfordern, und endlich, laßt ihn gezwungen sein durch seinen eigenen Stolz und den Stolz Anderer, Weib und Kinder anständig zu kleiden von der Mützenschnur bis zu den Schuhriemen. Durch welches Theilungsverfahren kann die Summe von 80 Pfund jährlich so getheilt werden, daß sie einen Quotienten liefert, der jenes Mannes wöchentliche Ausgaben deckt? Dies ist das Problem, welches die Lage des Rev. Amos Barton als Curat von Shepperton vor etwa 20 Jahren darbot.

Wie gewisse Einwohner von Shepperton über dies Problem und den Mann, der es zu lösen hatte, dachten, zwei Jahre oder etwas mehr nach Mr. Bartons Ankunft in ihrer Mitte, soll der freundliche Leser sogleich erfahren, wenn er mich nach Croß Farm begleiten will, zum häuslichen Herde der Mrs. Patten, einer kinderlosen alten Dame, die hauptsächlich durch das negative Verfahren, nichts auszugeben, reich geworden war. Mrs. Patten's negative Anhäufung von Reichthümern, durch alle Arten von »schlechten Zeiten«, auf der Farm, deren alleinige Bewohnerin sie seit dem Tode ihres Gatten gewesen war, erklärte ihre epigrammatische Nachbarin, Mrs. Hackit, sarkastisch durch die Annahme, daß »auf den Hügeln von Croß Farm Halbschillingstücke wüchsen«, während Mr. Hackit, seine Ansichten mehr buchstäblich ausdrückend, seiner Frau erinnernd sagte: »Geld brütet Geld.« Mr. und Mrs. Hackit von der benachbarten Farm sind diesen Abend Mrs. Patten's Gäste; ferner Dr. Pilgrim, der Arzt des nächsten Marktfleckens, dem es, obgleich er gelegentlich aristokratische Airs annahm und späte Diners gab mit räthselhaften Zwischengerichten und verderbenbringendem Portwein nie so behaglich zu Muthe ist, als wenn er seine ärztlichen Beine in einem jener exzellenten Farmhäuser ausstrecken kann, wo die Mäuse munter sind und die Herrin kränklich. Und er schwelgt in diesem Augenblick; denn das flackernde Feuer der Mrs. Patten spiegelt sich in ihrem blanken kupfernen Theekessel, die hausgebackenen Muffeln zeigen sich in einladend saftigem Glanz, und Mrs. Patten's Nichte, eine alleinstehende Dame von fünfzig Jahren, welche die auserlesensten Partien aus Ergebenheit gegen ihre bejahrte Tante ausgeschlagen, läßt den fetten Rahm mit verständiger Freigebigkeit in den duftenden Thee strömen.

Hast du, lieber Leser! jemals eine Tasse solchen Thee's gekostet, wie ihn Mrs. Gibbs in diesem Augenblick dem Dr. Pilgrim überreicht, kennst du die kräftige Süßigkeit, die belebende, schmeichelnde Wirkung einer Tasse Thee, die genügend mit echtem Farmhausrahm gemischt ist? Nein – höchst wahrscheinlich bist du ein unglückliches Stadtkind, das an Rahm denkt als eine dünnliche weiße Flüssigkeit, die in winzigen Groschenportionen verabfolgt wird; oder vielleicht schrickst du, in der Vorahnung von Kalbsgehirn, vor jeder milchigen Beifügung zurück und raspelst deine Zunge mit ungemildertem schwarzen Thee. Du hast eine blasse Idee von einer Milchkuh als einem aus Gips geformten Thier, das in des Butterhändlers Ladenfenster steht und weißt nichts von der süßen Geschichte unverfälschter Sahne, wie der der Miß Gibbs; wie sie diesen Morgen in den Eutern der großen glatten Thiere war, als sie, eine geduldige Bitte herausblökend, neben einander unter dem Melkschuppen standen; wie sie in gefälligem Rythmus in Betty's Milcheimer fiel, weihrauchgleiche Dünste in die kalte Luft emporsendend, wie sie in jenen Tempel feuchter Reinlichkeit, den Milchkeller getragen wurde, wo sie sich still von den gemeineren Milchbestandtheilen trennte und dalag in saftigsüßer Weiße, bereit für die Rahmschüssel, welche sie in Miß Gibbs Rahmtopf übertrug. Wenn ich recht habe mit dieser Annahme, so bist du unbekannt mit dem, was auf dem Gebiete des Thee's möglich ist; und Mr. Pilgrim, der jene Tasse in der Hand hält, hat eine der deinigen weit überlegene Idee davon.

Mrs. Hackit lehnt die Sahne ab; sie hat sich derselben, mit Rücksicht auf das wöchentliche Buttergeld, so lange enthalten, daß die Enthaltung, mit Gewohnheit gepaart, Abneigung erzeugt hat. Sie ist eine schmächtige Frau mit einem chronischen Leberleiden, das ihr Mr. Pilgrim's volle Rücksicht und rückhaltlose Anerkennung würde gesichert haben, selbst wenn er nicht Respekt gehabt hätte vor ihrer Zunge, die so scharf war wie seine Lanzetten. Sie hat ihr Strickzeug mitgebracht, keine frivole Phantasiestrickerei, sondern ein substanzieller Strickstrumpf; das Klickick ihrer Stricknadeln ist die obligate Begleitung ihrer Conversation und selbst wenn sie das Glück, eines Freundes Selbstzufriedenheit zerstört zu haben, mit vollen Zügen genoß, ließ sie nie eine Masche fallen. Mrs. Patten bewundert diesen übertriebenen Strickeifer nicht. Ruhe in einem Lehnstuhl, im Gefühl der stetig anwachsenden Zinseszinsen, scheint ihr schon lange eine ausreichende Beschäftigung, und sie übt ihre Malice auf freundlichere Weise. Sie ist eine hübsche achtzigjährige Greisin, mit einer engen Haube und spärlichen weißen Löckchen, so schmuck und fleckenlos und unveränderlich wie das wächserne Bildniß einer kleinen alten Dame unter einem Glassturz, einst Kammermädchen und ihrer Schönheit wegen gefreit. Früher betete sie ihren Mann an, jetzt ihren Mammon; sie hegt den stillen Haß eines Blutsverwandten gegen ihre Nichte, Janet Gibbs, die, wie sie weiß, eine große Erbschaft erwartet und in dieser Hoffnung von ihr getäuscht werden soll. Ihr Geld soll alles in einem Haufen an einen entfernten Verwandten ihres Mannes übergehen und ihrer Nichte der Trubel eines erheuchelten Wehgeschrei's erspart bleiben, wenn sie findet, daß sie mit einer winzigen Summe abgespeist wird.

Mrs. Patten hat mehr Respekt vor ihrem Nachbar Mr. Hackit. als vor den meisten Leuten. Mr. Hackits ist ein pfiffiger, wohlhabender Mann, dessen Rath in Betreff der Ernte stets des Anhörens werth und der zu gut daran war, als daß er hätte Geld zu borgen brauchen.

Und nun, da wir warm und behaglich bei dieser kleinen Theegesellschaft sitzen, während draußen bittere Februarkälte herrscht, wollen wir ihrem Geplauder zuhören.

»Ihr hattet also einen Scandal,« sagte Mr. Pilgrim, den Mund noch halb voll Muffel, »letzten Sonntag in der Sheppertoner Kirche. Ich war bei Jem Hood, dem Fagotisten, und er schwört, er wolle sich an dem Pfarrer rächen – ein verflixter, methodistischer, zänkischer Kerl, der seine Finger in jeder Pastete haben muß. Was war denn los?«

»O, ein ganz netter Unsinn,« sagte Mr. Hackit, indem er den rechten Daumen zwischen zwei Knöpfe seiner vielumfassenden Weste steckte und mit der andern Hand eine Prise Schnupftabak hielt – denn er huldigte in mäßiger Weise »den Bechern, die erfreu'n, doch nicht berauschen«, und war mit seinem Thee bereits fertig; »sie begannen den Hochzeitspsalm für ein neuvermähltes Paar zu singen, ein so hübscher Psalm und eine so nette Melodie, als nur im Gebetbuch steht. Er wurde seit meinen Knabenjahren für jedes neuvermählte Paar gesungen. Und was kann besser sein?« Hier streckte Mr. Hackit seinen linken Arm aus, warf den Kopf zurück und brach aus in Melodie –

»Was ist's doch für ein glücklich Ding
Und fröhlich allezeit,
Wenn Brüder wohnen beisammen in
Freundschaft und Einigkeit.«

Aber Mr. Barton ist ganz für die Hymnen, und eine Sorte von Musik, in die ich überhaupt nicht einstimmen kann.«

»Und so,« sagte Mr. Pilgrim, Mr. Hackit aus lyrischen Reminiscenzen zur Erzählung zurückrufend, »rief er aus Silentium! nicht wahr? als er die Kanzel betrat und stimmte selbst eine Hymne an nach irgend einer Wirthshausmelodie?«

»Ja,« sagte Mrs. Hackit, indem sie sich gegen das Licht vorbeugte, um eine Masche aufzunehmen, »und wurde so roth wie ein Truthahn. »Ich sage oft, wenn er über Sanftmuth predigt, er gibt sich selbst einen Schlag ins Gesicht. Er ist wie ich – er hat sein eigenes Temperament.«

»Ein ziemlich ungebildeter Geselle, denk' ich, dieser Barton,« sagte Mr. Pilgrim, der den Rev. Amos aus zwei Gründen haßte, – weil er einen neuen Arzt herangezogen hatte, der sich kürzlich in Shepperton niederließ; und weil er, selbst ein Dilettant in der Heilkunde, den Credit genoß, einen Patienten Mr. Pilgrim's curirt zu haben. »Man sagt, sein Vater war ein dissentirender Schuster, und er selbst ist ein halber Dissenter. Ei, predigt er nicht ex tempore in jener Hütte da oben, an den Sonntagabenden?«

»Tscha!« – dies war Mr. Hackit's Lieblingsausruf – »jenes Predigen ohne Buch taugt nur, wenn ein Mann Talent dazu hat und die Bibel an den Fingerspitzen ablesen kann. Es war das ganz gut für Parry – er hatte das Talent dazu, und in meiner Jugend hörte ich in Yorkshire die Ranters Ranters, eine Sekte, deren Prediger sich durch polterndes Wesen auszeichneten. im Freien eine oder zwei Stunden in einem Athem fortpredigen, ohne ein einziges Mal anzuhalten oder stecken zu bleiben. Da war ein verschmitzter Bursche, der, wie ich mich erinnere, zu sagen pflegte: ›Ihr seid wie die Holztaube; sie sagt thu', thu', setzt aber nie selbst etwas in's Werk‹. Das heißt's den Leuten einleuchtend vorstellen. Aber unser Pfarrer hat gar kein Talent auf diese Art, er kann eine ganz ordentliche Predigt halten, wie sich's gehört, wenn er sie niederschreibt. Aber wenn er versucht, ohne Buch zu predigen, so schweift er ab und hält sich nicht an seinen Text; und hie und da zappelt er herum, wie ein Schaf, das sich selbst zu Boden geworfen hat und nicht mehr auf die Beine kommen kann. Sie würden das nicht lieben, Mrs. Patten, wenn Sie jetzt zur Kirche gingen?«

»Du lieber Gott,« sagte Mrs. Patten, in ihren Stuhl zurückfallend und ihre kleinen vertrockneten Hände erhebend, »was würde Mr. Gilfil sagen, wenn er auferstünde und die Veränderungen sähe, die in diesen letzten zehn Jahren vor sich gegangen sind? Ich verstehe diese neue Art von Lehren nicht. Wenn Mr. Barton mich zu besuchen kommt, redet er von nichts als von meinen Sünden und meinem Bedürfniß nach Gnade. Nun, Mr. Hackit, bin ich nie eine Sünderin gewesen. Vom ersten Anfang an, als ich in Dienst trat, that ich meine Schuldigkeit bei meinen Dienstherrschaften. Ich war ein gutes Weib, wie nur irgend eines im Lande ist – quälte meinen Mann niemals. Der Käsefaktor sagte stets, auf meinen Käse könne man sich verlassen. Ich habe Weiber gekannt, die ihre Käse aufblühen ließen, daß es eine Schande zum Ansehen war, wenn ihre Männer auf das Käsegeld gerechnet hatten, um ihren Pacht zusammenzubringen; und doch hatten sie immer dreimal soviel Röcke wie ich. Wenn ich nicht selig werde, dann kenne ich viele, die in einer hübschen Patsche sitzen. Aber es ist gut für mich, daß ich nicht mehr in die Kirche gehen kann, denn wenn man mit den alten Sängern aufräumt, wird bald nichts mehr da sein, wie es zu Mr. Patten's Zeit war; und was noch mehr ist, ich habe gehört, ihr hättet ausgemacht, die Kirche niederzureißen und neu aufzubauen?«

Nun war die Sache die, daß der Rev. Amos Barton Mrs. Patten bei seinem letzten Besuch bedrängt hatte, ihre versprochene Subscriptionssumme von zwanzig Pfund Sterling zu erhöhen, indem er ihr vorstellte, sie sei nur Verwalterin ihrer Reichthümer und könne sie nicht besser zur Ehre Gottes verwenden, als indem sie einen bedeutenden Zuschuß zum Wiederaufbau der Sheppertoner Kirche leiste – eine seelsorgerliche Ermahnung, die durchaus nicht dazu angethan war, den Weg zur Annahme seiner theologischen Lehren ihrerseits zu ebnen. Mr. Hackit, der in doctrinärer Hinsicht aufgeklärter war als Mrs. Patten, war durch das Heidnische ihrer Rede etwas unangenehm berührt worden, und nun froh über die neue Wendung, die der Gegenstand durch diese Frage nahm, die an ihn als Kirchenvorstand und Autorität in Pfarreiangelegenheiten gerichtet war.

»Ja«, antwortete er, »der Pfarrer hat uns endlich dazu überredet, und wir wollen dies Frühjahr mit dem Niederreißen beginnen. Aber wir haben noch nicht Geld genug aufgetrieben. Ich war dafür, zu warten, bis wir die Summe voll hätten und denke für meinen Theil, daß die Gemeinde in letzter Zeit an Zahl abgenommen hat, obgleich Mr. Barton sagt, das sei der Fall, weil kein Raum für die Leute da wäre, wenn sie kämen. Nun war, sehen Sie, die Gemeinde zu Parry's Zeit so groß, daß die Leute in den Seitenschiffen der Kirche standen: aber jetzt gibt es, soviel ich sehen kann, nie ein Gedränge.«

»Nun«, sagte Mrs. Hackit, deren Gutmüthigkeit jetzt, da sie ein wenig in Widerspruch stand mit dem Grundton der Conversation, zu wirken begann, »ich kann Mr. Barton gut leiden und denke, er ist ein herzensguter Mann, wenn er auch nicht überreich ausgestattet ist im Oberstübchen; und seine Frau ist eine so nette und noble Dame, als man nur wünschen kann. Wie nett sie ihre Kinder hält! und mit wie geringen Mitteln; und ein zartes Geschöpf – sechs Kinder und ein weiteres auf dem Weg. Ich weiß wahrhaftig nicht, wie sie's fertig kriegen, jetzt da ihre Tante sie verlassen hat. Aber ich sandte ihnen letzte Woche einen Käse und einen Sack Erdäpfel; das ist etwas, um die kleinen Mäuler zu stopfen.«

»Ja«, sagte Mr. Hackit, »und meine Alte mischt Mr. Barton ein gutes Glas Brandy mit Wasser, wenn er zum Abendessen hereinkommt nach seiner Hüttenpredigt. Der Pfarrer liebt das; es bringt etwas Farbe in sein Gesicht und gibt ihm ein weit hübscheres Ansehen.«

Diese Anspielung auf Brandy mit Wasser bewog Miß Gibbs zum Auftragen der Liqueurcaraffen, nun da der Thee abgetragen war; denn vor 25 Jahren war es in ländlicher Gesellschaft ohne weiteres selbstverständlich, daß das menschliche Wesen männlichen Geschlechts immer Durst hatte, und »Etwas zum Trinken« war eine ebenso nothwendige »Voraussetzung des Denkens« als Zeit und Raum.

»Nun, jene Hüttenpredigt«, sagte Mr. Pilgrim, indem er sich ein starkes Glas »Kalten ohne« mischte; »ich sprach darüber neulich mit unsrem Pfarrer Ely, und er billigt sie durchaus nicht. Er sagte, es stifte ebensoviel Schaden als Nutzen, der religiösen Lehre einen zu familiären Anstrich zu geben. Ja, das war's, was Ely sagte.«

Mr. Pilgrim sprach gewöhnlich mit einer Art von stoßweisem Hervorsprudeln, und einer seiner Patienten hatte die Bemerkung gemacht, es sei schade, daß ein so geschickter Mann »beim Reden einen Hemmschuh anhabe.« Aber wenn er zu dem Punkt gelangte, den er für den Kern seiner Beweisführung oder die Pointe seines Scherzes hielt, schrie er die Worte mit langsamem Nachdruck heraus; wie eine Henne, wenn sie ein gelegtes Ei ankündigt, in unregelmäßigen Zwischenpausen von pianissimo-Sechzehntelnoten zu fortissimo-Viertelsnoten übergeht. Er hielt diese Rede Mr. Ely's für merkwürdig metaphysisch und tiefsinnig und für um so entscheidender in der Frage, weil es ein allgemeiner Satz war, der seinem Geiste keine Besonderheiten darbot.

»Nun, davon weiß ich nichts«, sagte Mrs. Hackit, die stets den Muth ihrer Meinung hatte, »aber ich weiß, daß manche von unsern Feldarbeitern und Strumpfwirkern, die sonst nie zur Kirche gingen, zu der Hütte kommen, und das ist besser als gar nichts Gutes zu hören vom Ende der einen bis zu der der andern Woche. Und dann ist da die Traktätchengesellschaft, die Mr. Barton begonnen hat – ich habe mehr von den armen Leuten Traktätchen vertheilen sehen, als während der ganzen vorhergehenden Zeit, die ich in dem Kirchspiel verlebte. Und es muß hierin wirklich etwas geschehen; denn das Trinken bei diesen Wohlthätigkeitsgesellschaften ist schändlich. Es gibt kaum einen ordentlichen Mann oder ein ordentliches Weib, die nicht Dissenter wären.«

Während dieser Rede der Mrs. Hackit hatte Mr. Pilgrim eine Folge von leisen Schnarchtönen ausgestoßen, die dem durchdringenden Grunzen eines Meerschweinchens glichen und bei ihm stets das Zeichen unterdrückter Mißbilligung waren. Aber er widersprach Mrs. Hackit nie – einer Frau, auf deren »Topfglück« man sich stets verlassen konnte, und die ihrerseits unbegrenztes Vertrauen in Aderlaß, Blasenziehen und Zugpflaster setzte.

Mrs. Patten indeß fühlte gleiche Mißbilligung und hatte keine Gründe, sie zu unterdrücken.

»Nun«, bemerkte sie, »ich habe noch nie gehört, daß es gut sei, sich in anderer Leute – reicher oder armer – Angelegenheiten zu mischen. Und ich hasse den Anblick von Weibern, die bei jedem Wetter von Haus zu Haus schlumpen, es sei naß oder trocken, und hereinkommen mit nassen Unterröcken, die Schuhe über und über voll Schmutz. Janet wollte sich der Geschichte auch anschließen, aber ich sagte ihr, ich wollte keine solchen Leute in meinem Hause haben; wenn ich nicht mehr da bin, mag sie thun, was ihr beliebt. Ich habe nie im Leben meine Unterröcke naß gemacht und halte gar nichts auf diese Sorte Religion.«

»Nein«, sagte Mr. Hackit, der gern die Herbheiten des weiblichen Gemüts mit einem scherzenden Compliment besänftigte, »Sie hielten Ihre Unterröcke so hoch, daß man Ihre drallen Waden sah; nicht Jedermann liebt es, seine Waden zu zeigen.«

Dieser Spaß erntete allgemeinen Beifall, selbst von der verschnupften Janet, deren Waden nur in dem Sinne drall waren, daß sie aussahen, als wären sie von ihren Schuhen übermäßig zusammengezwängt. Aber Janet schien sich stets mit der Person ihrer Tante zu identificiren, indem sie ihre Person in den Hintergrund treten ließ.

Unter dem Schutze des allgemeinen Gelächters füllten die Herren von neuem ihre Gläser, wobei Mr. Pilgrim versuchte, dem seinen den Charakter eines Abschiedstrunks zu geben, indem er bemerkte, daß er jetzt gehen müsse. Miß Gibbs benutzte diese Gelegenheit zu der Bemerkung, daß sie Betty, die Milchmagd, im Verdacht habe, dieselbe habe dem Schäfer den besten Speck zubereitet, als er ihr nachts beim Brauen half; worauf Mrs. Hackit erwiederte, sie habe Betty stets für unredlich gehalten; und Mrs. Patten sagte, es wäre keine Speckseite gestohlen worden, so lange sie den Haushalt zu führen im Stande war. Mr. Hackit, der oft klagte, »er hatte nie etwas Aehnliches gesehen als die Weiber mit ihren Mägden – er hätte nie Streit mit seinen Knechten«, vermied es, diese Discussion zu beachten, indem er die Wickenfrage bei Mr. Pilgrim anregte. Der Strom der Conversation hatte so seine Richtung geändert; und man sprach nicht weiter von Amos Barton, der für uns gerade jetzt der Hauptgegenstand des Interesses ist. Wir können Croß Farm verlassen, ohne zu warten, bis Mrs. Hackit, indem sie entschieden ihre Ueberschuhe und Umhüllungen verlangt, Mr. Pilgrim zwingt seine häufigen Drohungen, zu gehen, wahr zu machen.



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