Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
"Tot liegen all’ unsre Freunde, erschlagen sind unsre Gefolgen," sprach König Dietrich zu Hildebrand, "allzu lange weilten wir fern der Heimat, was tun wir noch länger hier im Heunenland? Lieber will ich kämpfend für mein Reich fallen, als hier vor Alter sterben. Wir wollen heimfahren."
"Wir wollen heimfahren! Herr, du hast Recht. Ich habe Botschaft erhalten, über Bern herrsche Herzog Hadubrand; und das soll mein Sohn sein, den ich niemals gesehen habe; denn er ward geboren, nachdem wir Bern verlassen mussten."
Sie berieten nun, wie sie ihre Fahrt ausführen wollten; allein mussten sie ziehen; denn im Heunenland waren so viele Männer gefallen, dass Etzel ihnen kein Heer hätte geben können.
"Mag es Etzel wohl oder übel dünken, wir fahren," schloss Dietrich, "und niemand soll darum wissen." Dann ging er zu Herrad und fragte sie: "Ich will heimziehen nach Amalungenland und mein Reich wiedergewinnen oder den Tod. Willst du mir dazu folgen, Herrad?"
"Wohin es auch sei, ich folge dir," antwortete sie.
"Habe Dank für deine Treue, du vielliebe Frau! Und rüste dich eilig, wir reiten noch heut’ Abend."
Frau Herrad nahm da alles, was Helche ihr geschenkt hatte; und musste sie gleich vieles zurücklassen, so führte sie doch Kleinodien mit, an achttausend Mark Goldes wert. Weinend sagten die Dienerinnen ihr Lebewohl und niemals ward zwischen Frauen so kurzer Abschied genommen.
Am Abend hatte Hildebrand ihr drei Rosse gesattelt und gerüstet und ein viertes mit Gold und Schätzen beladen. Dietrich hob Herrad aufs Ross und sprach zu Hildebrand: "Reitet voraus an das Burgtor; ich will von König Etzel Abschied nehmen."
Er ging in den Königsbau und trat in Etzels Schlafhalle; ungefragt liessen die Wächter ihn ein, obwohl er in Waffen ging, denn sie wussten, dass er ein treuer Freund ihres Herrn war. Dietrich schritt an des Königs Lager und weckte ihn.
"Willkommen, Freund," sprach der Erwachte, "weshalb kommst du in Waffen?"
"Ich will heimfahren nach Amalungenland und mein Reich wiedergewinnen, oder den Tod."
"Wie willst du ein Reich erobern ohne Kriegsleute? Bleibe lieber noch einige Zeit bei mir; dann will ich dir wieder ein Heer rüsten; ziehe nicht so von mir!"
"Habe Dank, König, für deine Freundschaft; allzu viel deiner Heunen liegen schon erschlagen; ich will die Übriggebliebenen nicht auch in den Tod führen. Ich zieh’ allein; nur Hildebrand und Herrad, meine Frau, begleiten mich." Da härmte es Etzel sehr, dass Dietrich so von ihm ging; er stand auf und geleitete ihn bis an das Burgtor, dort küssten sie sich und schieden voneinander.
Dietrich schwang sich auf Falkas Rücken, Meister Hildebrand ritt voran mit dem Saumross, Dietrich und Frau Herrad hinterher. Sie wandten sich westwärts auf die Strasse und ritten neun Tage und neun Nächte, ohne Menschen zu begegnen. In einer Nacht kamen sie an Bechelaren vorüber; da gedachte Dietrich mit vielem Gram des Markgrafen, des mildesten aller Männer, des tapfersten Helden.
"Als ich aus meinem Reich fliehen musste, da kam Rüdiger uns hier entgegen, mit Gotelind, seiner Frau; die gab mir ein grünes Kriegsbanner, das führte seitdem manchen Heunen in den Tod."
"Ja, ein tapferer Held war der Markgraf," stimmte Hildebrand ein. "Wär’ er nicht gewesen, so hätt’ ich im Russenland mein Leben lassen müssen; das dank’ ich ihm stets."
Sie mieden Burgen und Dörfer und ruhten am Tag in Wäldern, aber ritten bei Nacht. Und dennoch blieb ihre Fahrt nicht geheim; Graf Else, der junge, war auf einer Reise über den Rhein geritten und bekam Kunde davon. Da kam ihm in den Sinn, dass er Blutrache zu fordern hätte an Dietrich, für Elsung den langbärtigen von Bern, den Dietrichs Gesippen erschlagen hatten. Und er ritt mit seinen Gefährten auf Waldwegen und spürte den Heimkehrenden nach, bis er auf ihre Fährte kam.
Dietrich hatte im Walde geruht, die Sonne war gesunken; sie rüsteten zum Aufbruch und ritten hinaus auf die Heerstrasse, diesmal der König voran mit Herrad, Hildebrand folgte mit dem Saumross. Da gewahrte er, umblickend, Staub aufwirbeln und Helme blitzen und, schärfer hinspähend, rief er Dietrich an: "Herr, ich sehe dicken Staub fliegen und dahinter Schilde und Brünnen blinken; und scharf reitet man uns nach."
Dietrich wandte Falka und lüftete, zurückschauend, den Helm: "Das sind wahrlich gewappnete Männer; wer mag so gewaltig reiten?"
"Ich weiss hier im Lande niemand ausser Graf Else, den jungen; ist er’s, so kommt er mit feindlichem Herzen."
"Sollen wir in den Wald weichen und fliehen, Meister Hildebrand, oder wollen wir von den Hengsten steigen und streiten?"
"Steigen wir ab, Herr, und rüsten wir uns! Etwa dreissig mögen ihrer sein; etliche erschlagen wir, die andern fliehen."
Sie sassen ab, und hoben auch Herrad vom Ross herunter; dann banden sie ihre Helme fester und zogen die Schwerter.
"Meister Hildebrand," lachte Dietrich, "du bist noch ein ebenso guter Held wie früher; der ist glücklich daran, der dich im Streit an der Seite hat," und zu Frau Herrad, die voll Sorge weinte, sprach er tröstend: "Sei munter, Herrad, und weine nicht früher, bis dass du uns fallen siehst; aber es wird uns nicht so schlimm ergehen."
Nun kam auch Else mit seinen Gewaffneten heran, und Amalung, sein Neffe, rief voranreitend: "Lasst uns die Frau dort, dann mögt ihr euer Leben behalten."
"Sie folgte wahrlich nicht König Dietrich aus Etzels Reich, um mit euch heimzufahren," antwortete Hildebrand drohend.
"Nie hört’ ich einen alten Mann kecker und hoffärtiger reden!" rief einer zurück.
"Dann musst du weit dümmer sein, als du alt bist, obwohl die Zahl deiner Winter keine geringe ist," zürnte Dietrich. "Er ist in Ehren ein Greis geworden, hüte dich, sein Alter zu verspotten."
"Übergebt sogleich eure Waffen und euch selbst," rief ungeduldig Amalung, "willst du das nicht, Alter, so greif’ ich dich an deinem Bart."
"Kommt deine Hand an meinen Bart, so hau’ ich sie ab, oder mein Arm zerbricht. Doch wer ist euer Anführer?"
Da antwortete ein andrer: "Du bist lang von Bart, aber kurz von Witz! Kennst du nicht Graf Else dort, unsern Herrn? Wie kannst du überhaupt so keck sein, danach zu fragen? Wir sind Narren, lange vor zwei Männern zu stehen, die uns mit Worten aufhalten." Und er hieb mit seinem Schwert nach Hildebrand auf dessen Helmhut, aber der Alte trug Hildegrim. Hildebrand blieb unverletzt, und er spaltete mit einem Hieb dem vorlauten Angreifer Helm und Haupt, Brünne und Bauch, dass er tot aus dem Sattel fiel. Nun schwang auch Dietrich Eckesax und schlug dem vordersten Reiter auf die Achsel; Arm und Schulter flogen ab, der Mann sank tot auf die Erde. Den zweiten Schlag gab er Else selbst unter den rechten Arm und hieb, die Achsel hinauf, den Arm ab, die Kinnbacke entzwei und Else stürzte tot zur linken Seite vom Ross. Dennoch flohen die andern noch nicht, sondern es hob sich harter Kampf; bald hatte Dietrich sieben erschlagen und Hildebrand neun. Da griff Amalung den Alten an, aber der versetzte ihm einen solchen Streich, dass er zu Boden fiel und Hildebrand auf ihn.
"Gib dich", rief er grimmig, "wenn du dein Leben behalten willst."
"Es ist zwar wenig Ehre dabei, von so altem Mann besiegt zu sein, aber für diesmal will ich die Waffen strecken." Die andern waren vor Dietrich geflohen.
Hildebrand fragte nun Amalung, weshalb Else sie angegriffen hätte; und war da, wie er vorhergesagt, Blutrache für Elsung den Langbärtigen die Ursache. Auch sagte Amalung, dass er Dietrich verwandt sei.
"Höre, Amalung," sprach der König, "sage mir, was weisst du von den Reichen südlich vom GebirgeDen Alpen. Ein andrer als der im vierten Buch I. 3 genannte; die Gegend ist Langobardenland.? Dann sollst du dein Leben, deine Waffen und auch die deiner Genossen behalten. Und diese Verschonung soll die Busse für Graf Elsung sein."
"Guter König Dietrich, ich weiss dir eine grosse Märe zu sagen; Ermenrich ist siech; seine Eingeweide waren zerrissen, und das Fett beschwerte ihn. Sibich riet ihm; er solle sich den Bauch aufschneiden und das Fett herausnehmen lassen. Und so ward getan; aber ich weiss nicht, ob ihm wohler danach ward, oder ob er darüber gestorben ist."
Hellauf lachte der alte Hildebrand und auch der König; sie dankten Amalung für seine grosse Märe, wünschten ihm recht glückliche Reise und zogen ihres Weges.
Sie zogen über das grosse Gebirg, und als sie südlich herabkamen, fanden sie vor sich einen grossen Wald, in welchen sie einritten. Dietrich und Herrad blieben im Forst, Hildebrand ritt aber heraus und einer ragenden Burg zu. Er traf unterwegs einen Mann, der dieser Feste angehörte und im Walde Holz spaltete. Hildebrand sprach ihn an und erfuhr, dass Herzog Ludwig und sein Sohn Konrad die Burgherren seien.
"Und wer herrscht über Bern?"
"Hadubrand, der Sohn des alten Hildebrand."
"Ist er ein tapferer Degen? Und wie ist er geartet?" fragte der Meister weiter.
"Der ist ein grosser Held! Dabei mild und herablassend, aber grimmig gegen seine Feinde."
"Weisst du sonst noch Neues?"
"Ja, man sagt hier bei uns, Ermenrich in Romaburg soll tot sein."
Nun waren sie an die Burg gekommen, die an einem Berghang lehnte. Hildebrand gab dem Mann einen Goldring und bat ihn um Botendienst.
"Geh’ hinein und bitte deinen Jungherrn, zu mir herauszukommen; er wird leichter zu Fuss sein als sein Vater."
Eilig lief der Mann zu Konrad mit dem Auftrag:
"Draussen vor der Burg steht ein grosser gewaffneter Mann mit einem weissen Bart, der ihm bis auf die Brust reicht, und bittet, dass du zu ihm hinausgehst; und als Botenlohn gab er mir seinen goldnen Fingerring."
Der Jüngling ging sogleich vors Burgtor hinaus. Hildebrand begrüsste ihn und fragte nach seinem Namen.
"Ich heisse Konrad, mein Vater ist Herzog Ludwig, und wer bist du?"
"Hildebrand, der Wölfinge Meister, wenn du den Mann hast nennen hören."
"Meister Hildebrand!" rief Konrad und küsste ihn, "du glücklichster und seligster aller Helden! Ich bin auch vom Wölfingengeschlecht; geh mit mir zu meinem Vater und sei uns hoch willkommen!"
"Das kann ich jetzt nicht; was weisst du Neues aus Romaburg?"
"König Ermenrich ist tot."
"Und wer trägt seine Krone?"
"Der böse Hund, der falsche Verräter Sibich. Aber sage, woher kommst du? Und welche Märe bringst du?"
"Vielleicht hast du sie schon gehört: Graf Else, der junge, ist erschlagen, und König Dietrich ist ins Amalungenland gekommen."
"JariaEin Ausruf der Freude.!" rief Konrad. "Hadubrand hat Boten nordwärts entsendet zu König Dietrich, dass er in sein Reich zurückkehren solle. Er will Bern nicht an Sibich übergeben, noch sonst eine Amalungenstadt; lieber wollen alle Amalungen sterben, ehe dass Sibich über Bern herrsche. Komme nun in die Burg und bleibe bei uns."
"Ich muss zuerst in den Wald zurückreiten; denn dort wartet meiner König Dietrich," und der Alte wandte sich.
"Meister Hildebrand, warte noch, bis ich die Nachricht meinem Vater gebracht habe." Hurtig sprang Konrad ins Burgtor und lief zu Herzog Ludwig.
"Vater, König Dietrich von Bern ist gekommen und Meister Hildebrand mit ihm; er steht draussen vor der Burg und wartet meiner."
Als der Herzog das hörte, stand er sogleich auf und ging vor die Burg hinaus zu Hildebrand. Er küsste ihn und sprach: "Sei mir willkommen, Meister, kehr ein und empfang’ alle Ehre, die wir dir erweisen können; aber wo ist König Dietrich?"
"Im Walde," antwortete Hildebrand; und nun rief der Herzog nach seinem Ross, weil er sofort zu Dietrich reiten wollte. Da kamen gerade sieben Burgmänner eingefahren mit einem Wagen voll Wein und Honig. Diesen Wagen liess der Herzog mit den besten Speisen beladen und in den Wald hinausfahren; dann ritt er mit Hildebrand und seinem Sohn hinein, bis dass sie Dietrich fanden. Auf zerbröckeltem Stein sass der König an einem grossen Feuer, das er entzündet hatte; er hielt die Hände über die flackernde Flamme. Ludwig und Konrad stiegen von den Hengsten, knieten nieder und küssten Dietrichs Hand.
"Willkommen, teurer Herr, König Dietrich von Bern! Nimm uns und all unsre Mannen zu deinem Dienst; was immer du getan haben willst, – wir sind bereit."
Der König stand auf, fasste ihre Hände und bat sie, sich zu ihm zu setzen. Das taten sie; und nun musste der Berner erzählen von seinen Kriegsfahrten, seinen Kämpfen und all den Geschehnissen im Heunenland, die er erlebt hatte. Dann berichtete Herzog Ludwig, was er vom Amalungenreich zu sagen wusste und bat den König, nun in die Burg Einkehr zu halten.
"Im Walde muss ich hausen, vorerst," sprach Dietrich, "denn ich habe gelobt; in keines Menschen Haus will ich ruhen, bevor ich wieder eintrat in meine gute Burg Bern."
Meister Hildebrand wollte seinen Sohn Hadubrand aufsuchen und ritt fort. König Dietrich aber blieb im Walde zurück und bei ihm der Herzog und sein Sohn.
Hildebrand zog gen Bern. Und als er der Stadt so nahe gekommen war, dass er ihre Türme erkennen konnte, ritt ihm ein Mann entgegen auf einem weissen Ross; an dessen Schuhen blinkten goldne Nägel, hell leuchtete die Rüstung und in dem weissen Schild waren goldne Türme gezeichnet. Hadubrand war’s; da er einen ihm unbekannten Mann in Waffen reiten sah, senkte er den Speer und rief ihn an: "Weshalb reitest du in Helm und Brünne, alter Graubart, was suchst du in meines Vaters Land?"
"Sage mir," entgegnete Hildebrand, "wer dein Vater ist, oder welchem Geschlecht du angehörst? Wenn du mir einen nennst, so weiss ich die andern alle; denn mir sind bekannt aller Völker Geschlechter."
"Mit arglistigen Worten willst du mich locken, alter Heune! Mit dem Speer will ich dich werfen; du wärest nun besser daheim geblieben."
"Töricht sprichst du da; mir ist bestimmt, in den Kampf zu reiten bis zu meiner Heimfahrt."
"Ein alter Späher bist du, voll Arglist; gib deine Waffen her! Und du selbst musst mein Gefangner werden, wenn du dein Leben behalten willst."
"Dreissig Winter lebt’ ich fern der Heimat; stets stand ich im Vorderkampf und niemals trug ich Fesseln; ich werde mich auch deiner erwehren. Ein Feigling, der dir nun den Kampf weigerte, dessen dich so sehr gelüstet. Speerwurf entscheide, wer des andern Brünne gewinnt."
Da liessen sie scharfe Eschenspeere fliegen, dass sie in den Schilden stecken blieben. Dann stiegen sie ab und sprangen zusammen; "harmvoll" (grimmig) hieben sie mit schneidenden Schwertern auf die weissen Lindenschilde, die krachend barsten; beider Blut spritzte auf; aber Hildebrand tat einen gewaltigen Schlag gegen Hadubrands Schenkel; die Brünne zersprang und eine tiefe Wunde klaffte ihm am Bein. Kampfmüde sprach Hadubrand: "Nimm mein Schwert. Ich kann dir nicht länger widerstehn. Wotan steckt in deinem Arm."
Hildebrand wandte den Schild zur Seite und streckte die Hand vor, das dargebotene Schwert zu ergreifen; da hieb Hadubrand verstohlen nach der Hand, sie abzuhauen, doch Hildebrand schwang rasch den Schild vor.
"Den Hieb lehrte dich ein Weib," rief er zürnend, drang ungestüm gegen den Besiegten und warf ihn zu Boden. Er setzte ihm die Schwertspitze vor die Brust und sprach; "Sage mir schnell deinen Namen! Bist du vom Geschlecht der Wölfinge, dann sollst du dein Leben behalten."
"Hadubrand heiss’ ich; Frau Ute ist meine Mutter und Hildebrand heisst mein Vater."
"Dann bin ich, Hildebrand, dein Vater," rief der Waffenmeister, schloss dem Jüngling den Helm auf und küsste ihn. Aufsprang Hadubrand voll Freude zugleich und voll Grames.
"Weh’, Vater, lieber Vater! Die Wunden, die ich dir geschlagen habe, wollt’ ich lieber dreimal an meinem Kopf haben."
"Die Wunden werden bald heilen, lieber Sohn. Wohl uns, dass wir hier zusammengekommen sind."
Sie stiegen nun auf die Hengste – es war noch früh am Tag – und ritten zu Frau Ute, die in der Burg HerNach andern Garten. nahe bei Bern wohnte. Hadubrand führte den Vater in die Halle und setzte ihn auf den Ehrensitz. Da kam Frau Ute gegangen und fragte staunend: "Sohn, wer schlug dir die Wunde? Und wer ist dein Fahrtgenosse? oder dein Gefangener?"
"Er hätte mich schier zu Tode geschlagen, aber er ist kein Gefangener; freue dich, liebe Mutter, Hildebrand, der Wölfinge Meister ist’s, biet’ ihm den Willkomm."
Freudig erschreckt füllte Frau Ute einen Becher voll Weins und brachte ihn Hildebrand; – hatte sie ihn doch seit zweiunddreissig Jahren nicht mehr gesehen. – Der trank den Becher leer, zog ein Fingerringlein ab, liess es hineinfallen und reichte ihr den Becher zurück. Sie kannte das Ringlein gut und schlug ihre beiden Arme um Hildebrands Hals und küsste ihn unter Lachen und Weinen.
Nun verband sie Vater und Sohn die Wunden; und sie blieben den Tag über bis zur Nacht beisammen. Dann brachen die beiden Männer auf und ritten in die Burg nach Bern.
Hadubrand sandte sofort durch die Stadt und liess noch in derselben Nacht die Vornehmsten Berns in die Königshalle rufen. Dort sprach er zu ihnen: "Ich kann euch gute Botschaft melden; König Dietrich, Dietmars Sohn, ist ins Amalungenland gekommen und will sein Reich wieder fordern. Wollt ihr nun dem König dienen oder Sibich, dem Verräter?"
Darauf antwortete einer: "Das weiss ich, dass alle Männer hier und im ganzen Amalungenland des Königs harren; lieber werden sie sterben als Sibich dienen."
Alle stimmten ihm zu mit lautem Beifallsruf, der weit durch die Nacht schallte.
"Aber ist’s auch wahr, dass er zurückgekehrt?" fragte zweifelnd ein andrer.
"Das ist wahrlich wahr!" antwortete Hadubrand, "und ihm ist gefolgt Hildebrand, der Wölfinge Meister, mein lieber Vater. Seht ihn hier." Und er zog den Alten, der im Dunkel der Halle gewartet hatte, an seine Seite.
"Willkommen, Hildebrand, du tapferster Held und treuester Mann!" riefen alle zugleich dem Graubart entgegen.
"So nehmt nun eure Waffen und eure besten Gefolgen und lasst uns reiten, unserm Herrn und König entgegen," sprach Hadubrand und gab das Zeichen, auseinander zu gehen.
Alle eilten, sich zu rüsten. Am Morgen ritten Hildebrand und Hadubrand mit siebenhundert Mann aus Bern und in den Wald zu König Dietrich. Sie stiegen von den Rossen, knieten vor dem König und huldigten ihm. Der dankte für ihre Treue und küsste Hadubrand; dann ward sein Hengst vorgeführt und er ritt mit ihnen nach Bern. Als der Torwart den Zug kommen sah, stiess er ins Horn und alles Volk der Stadt zog hinaus mit fliegenden Bannern und mit klingendem Spiel, König Dietrich entgegen. Hildebrand mit dem Banner ritt ihm zur rechten, Hadubrand an der andern Seite. Am Tor angekommen, legte Hadubrand seine Hand in die des Königs und reichte ihm einen goldenen Fingerring.
"Mächtiger König Dietrich," sprach er, "seit Ermenrich mich über Bern und Amalungenland setzte, habe ich das Reich vor Sibich gehütet; nimm diesen Ring, und mit ihm Bern, ganz Amalungenreich und mich selbst und alle meine Mannen als deine Gefolgen."
Nun boten die Mächtigsten und Vornehmsten dem König und der Königin Geschenke; etliche Höfe und Rosse, andre Schwerter, Brünnen und allerlei Heergerät, wieder andre Gold und Silber und kostbare Kleider. Der König dankte allen und ritt ein an ihrer Spitze in seinen Hof und seine Halle. Hildebrand und Hadubrand führten ihn und Frau Herrad auf den Hochsitz und da kamen Vornehme und Edle, leisteten den Treueid und gaben sich in des Berners Dienst. Zehntausend Gäste sassen an diesem Tag an seinem Tisch. Dietrich schickte Boten über sein ganzes Reich und liess alle Freien nach Bern entbieten. Und sie kamen gezogen Tag auf Tag, übergaben dem König Burgen und Herrschaften und stellten sich zu seinem Dienst.
So sammelte sich in wenigen Tagen ein grosses Heer in Bern und der König zog an der Spitze desselben nach Raben. Hier berief er ein Ting, liess sich von den versammelten Ravennaten huldigen und Streitkräfte stellen. Mit siebentausend Kriegern brach er auf und rückte gegen Süden nach Romaburg, von wo Sibich ihm mit einem Heer entgegenkam; bald stiessen sie aufeinander und eine harte Schlacht begann.
Mitten im Kämpfen traf eine frische Schar von siebentausend Römern auf dem Walfeld ein und fiel den Amalungen in den Rücken. Da wandte sich Dietrich gegen diese und Hadubrand mit seiner Schar gegen Sibich. Voll stolzen Heldenmutes ritt Dietrich in den Feind, Hildebrand trug ihm das Löwenbanner voran; Männer wie Rosse fielen vor ihnen, nichts konnte ihnen standhalten. Hadubrand sprengte indessen in kampffreudigem Ungestüm gegen Sibich; mit dem ersten Schlag hieb er dem Bannerträger die Hand ab und das Banner entzwei. Nun rannte Sibich ihn an zu grimmem Zweikampf; lange hielt einer dem andern stand; zuletzt sank Sibich tot aus dem Sattel.
Als er fiel, erhoben die Amalungen brausenden Siegesruf, die führerlosen Römer streckten die Waffen. Sie waren nicht sehr betrübt über Sibichs Verlust; das ganze Heer ergab sich in Dietrichs Gewalt. Der König ritt über das Walfeld zu Hadubrand und dankte ihm für seine tapfere Tat. Dann zog er mit den vereinten Heeren nach Romaburg. Wohin er kam, da wurden ihm Burgen und Städte ausgeliefert. In Romaburg ritt er geradewegs in die Königshalle; als er den Hochsitz Ermenrichs bestiegen hatte, setzte Hildebrand ihm die Krone aufs Haupt, und alle Untertanen Ermenrichs huldigten ihm als ihrem König; die einen aus Liebe, die andern aus Furcht.
König Dietrich führte nun gar wunderbare Friedenswerke aus; er legte in Romaburg ein Bad an und liess sein Bildnis von Metall anfertigen; wie er, auf Falkas Rücken, in der Linken den Schild trägt, in der Rechten den Königsspeer schwingt. Und die Bild ward in Romaburg auf die Mauer gestellt. Ein andres Erzbild von sich liess er zu Bern fertigen; dort stand er auf einem Mauerturm, das Schwert Eckesax gegen die Steinbrücke der Etsch schwingend.
Bis über die fernsten Reiche drang der Ruhm seiner Macht und milden Weisheit.
Herzog Hadubrand empfing Bern und ein weites Land von ihm zu Lehen. Meister Hildebrand wich nicht von des Königs Seite. Aber es kam die Zeit, da ergriff den Alten ein Siechtum, schnell und heftig. Der König sass an seinem Lager, sorgend über ihm, Tag und Nacht.
"Herr," sprach Hildebrand, "nun kommt der Tod; lass Hadubrand deiner Freundschaft geniessen und gib ihm meine Waffen; die soll er vor dir tragen, wo du sie bedarfst." Darauf starb er; sehr beweinte ihn der König und klagte laut, weil der tapferste Held, der treueste Mann gestorben war. In Liedern wird gesungen, dass er zweihundert Winter gesehen habe.
Hadubrand nahm seitdem des Vaters Amt und trug König Dietrich das Schwert vor. Bald nach Hildebrands Tod ergriff auch Frau Herrad, die Königin, ein Siechtum, an dem sie starb. Sie war von grosser Herzensgüte, eine milde und freigiebige Herrin gewesen.
Seit Dietrichs Flucht hatte Heime in öden unwegsamen Wäldern gelebt, mit seinen Speergenossen. Stets nur bedacht, Sibich Schaden zu tun, ritt er oft in dessen Land, verbrannte die Höfe, erschlug die Dienstleute und raubte, was des Mitnehmens wert war. Als er Dietrichs Heimkehr und Sibichs Fall vernahm, bekümmerten ihn seine bösen Werke und er beschloss, Mönch zu werden. Gewaffnet ritt er auf seinem Hengst Rispa in ein Kloster; im Hofe stieg er ab und bat die Mönche, sie möchten den Abt rufen. Der kam und fragte nach seinem Begehr. "Ich heisse Ludwig," sagte Heime, "bin aus Amalungenland und diente vornehmen Herren." Dann tat er seine Waffen ab und legte sie vor des Abtes Füsse.
"Herr Abt, diese Waffen, diesen Hengst, mich selbst und meine fahrende Habe, nicht weniger als zehn Pfund Goldes, – das will ich dieser frommen Stätte schenken –; nun nehmt mich in die Ordensregel auf; denn ich muss meine Übeltaten büssen."
"Das hat ihm der Herr ins Herz gegeben," sprachen die Mönche. "An den Waffen sieht man, dass er ein vornehmer Mann ist," und das beste deuchten ihnen die zehn Pfund Goldes für die fromme Stätte. "Nimm ihn nur auf, Herr Abt, er wird unser Kloster zieren."
Der Abt aber überlegte zögernd, ob ein Mann von so gewaltiger Leibeskraft ihm wohl Gehorsam leisten werde? Er fürchtete sich ein wenig; aber das Gold gefiel ihm, so fasste er "Ludwig" bei der Hand, führte ihn in die Kirche und reichte ihm die schwarze Mönchskutte. Hätten sie gewusst, dass er Heime war, so würden sie ihn nicht um alle Schätze Ermenrichs aufgenommen haben. Nun geschah es, dass AspilianEin andrer als der im vierten Buch I. 3 genannte; die Gegend ist Langobardenland., ein übler Riese, der in der Gegend hauste, in seiner gierigen Art den Mönchen einen reichen, grossen Hof fortnahm. Dem Abt missfiel dies sehr und er schickte seine Mönche zu dem Riesen; der sagte, er habe mehr Recht an dem Hof als das Kloster: "Doch will ich mich mit euch nach Landesrecht vertragen. Stellt einen Mann, der mit mir um den Besitz kämpfen soll; unterliege ich, so gehöre euch der Hof, siege ich, so offenbart euer Gott selbst, dass ich ihn behalten soll; – das ist hier Landrechts; wenn zwei um ein Ding streiten, entscheidet der Zweikampf."
Die Mönche wussten wenig zu erwidern und brachten dem Abt die Antwort. Der berief die Mönche ins Kapitel, und sie beschlossen, den Zweikampf zu wagen. Aber nah und fern fanden sie niemand, der mit dem Riesen streiten wollte. Das bekümmerte die Mönche viel, bis Ludwig von der Sache erfuhr, und sich erbot, mit Aspilian zu kämpfen.
"Wo ist mein Schwert? Wo sind meine Heerkleider?" fragte er. Da ahnte der Abt, dass der neue Bruder ein gar gewaltiger Kämpe gewesen war und antwortete: "Dein Schwert ist zerhauen und aus den Stücken sind Türbeschläge an der Kirche gemacht. Deine Heerkleider sind auf dem Markte zu Nutzen der frommen Stätte verkauft."
"Ihr bücherweisen Mönche!" rief Ludwig, "von Heldenschaft versteht ihr nichts." Zornig ging er auf den Abt zu, fasste ihn an seiner Kapuze und schüttelte seinen Kopf so heftig, dass ihm vier Zähne ausbrachen.
"Du Tor! Hattest du kein ander Eisen, deine Kirchentüren zu beschlagen, als mein gutes Schwert Nagelring, das manchen Helden-Helm zerhauen, manchen Riesen zu Fall gebracht hat?"
Nun merkten die Mönche, dass sie den gefürchteten Heime in ihr Kloster aufgenommen hatten; sie liefen in die Rüstkammer und holten all sein sorglich aufbewahrtes Heergerät heraus. Als Heime Nagelring in die Hand nahm, ward er bleich und rot vor Heldenfreude und fragte nach Rispa, seinem Hengst.
"Dein Hengst," antwortete der Abt, "zog Steine zum Kirchenbau; nun ist er wohl tot. Aber wir haben viele gute Gäule; du magst dir selbst einen auswählen." Sie liessen die besten Rosse von ihren Höfen holen und in den Klosterhof treiben. Heime stiess einem die Hand in die Seite; da fiel es um; einem andern, das ihm das beste dünkte, stemmte er die Faust auf den Rücken, dass ihm das Rückgrat brach.
"Die Mähren taugen nicht," sagte er. "Bringt mir eine bessre Zucht."
Nun führten sie einen alten, magern, aber grossen Hengst vor; Heime erkannte Rispa; er ging hin zu ihm und zog mit aller Kraft an Mähne und Schweif, aber der Hengst stand unbeweglich; da sagte Heime:
"Mein guter Rispa, so alt und mager du bist, wir reiten in den Kampf. Nehmt ihn," befahl er den Mönchen, "gebt ihm reichlich Korn und pflegt ihn mir sorgfältig."
Sechs Wochen stand Rispa im Stall; dann war er schön und fett wie in seiner Jugend.
Der Abt sandte Aspilian Botschaft und bestimmte ein Eiland zum Kampfplatz. Die Mönche rüsteten ein Schiff und ruderten Heime und Rispa dorthin; sie empfahlen ihn dem Schutze Gottes und liessen ihn allein auf die Insel reiten. Aspilian kam ihm auf einem Elefanten entgegen.
"Was," rief er, "du kleiner Mensch willst mit mir kämpfen? Kehr’ lieber um."
"Höre, Riese," antwortete Heime zornig, "so gross du bist, bevor wir scheiden, sollst du zu mir emporschauen."
Er gab Rispa die Sporen und rannte Aspilian mit dem Speer unter den Arm; der Schaft brach, der Riese aber war unverletzt und schoss seine Stange nach Heime; doch der bückte sich vor, die Riesenstange flog über ihn hinweg und so tief in das Erdreich, dass sie niemals wieder gefunden ward. Heime sprang ab und zog sein Schwert; auch Aspilian stieg von dem Elefanten und schlug mit dem Schwert nach Heime; der sprang zur Seite und die Klinge fuhr wieder in das Gras, aber hurtig hieb Heime dem Riesen die Hand ab, oberhalb des Schwertgriffes, und mit dem zweiten Schlag schnitt er ihm die Hüfte weg. Nun wollte der Wehrlose sich auf Heime fallen lassen, ihn zu erdrücken. Der Held mochte nicht fliehen, sondern sprang auf den Ungefügen zu, und als der plumpe Leib zur Erde kam, stand Heime unverletzt zwischen des Riesen beiden Beinen. Er wandte sich und tat einen Schlag nach dem andern auf die langen Glieder, bis sie zerhauen waren.
Die Mönche im Schiff hörten zitternd das Dröhnen; als sie aber den Riesen fallen sahen, stimmten sie ein Tedeum an und gingen auf das Eiland, Heime entgegen. Am Klostertor empfing ihn der Abt und führte ihn in feierlichem Zug in die Kirche auf seinen Sitz. Grosse Ehre ward ihm erwiesen und er lebte wieder als Mönch wie zuvor.
Seit König Dietrich aus Heunenland fortgezogen war, waltete Etzel seines Reiches bis zu seinem Ende. Die einen sagen, er sei erschlagen worden, die andern, er sei verschwunden. Dietrich aber nahm sein Reich in Besitz, und kein König wagte, sich gegen ihn zu erheben, noch ihn anzugreifen, wenn er dem Berner auf dessen einsamen Ritten begegnete.
Als König Dietrich sagen hörte, ein Mönch habe Aspilian, den Riesen, erschlagen, wunderte ihn das sehr; und es kam ihm in den Sinn, dass solche Hiebe einst Heime zu hauen pflegte. Vergeblich fragte er nach dessen Verbleib, niemand wusste von ihm. Da ritt der König mit seinem Gefolge nach jenem Kloster, dessen Mönch den Riesen sollte gefällt haben.
Als er vor dem Tore hielt, ging der Abt hinaus, verneigte sich vor dem König und fragte nach seinem Begehr.
"Ist hier ein Mönch, der Heime heisst?" fragte Dietrich.
"Ich kenne die Namen aller Brüder; Heime heisst keiner."
"Dann musst du mich ins Kapitel führen und alle Mönche zusammenrufen," befahl Dietrich. Aber da kam gerade ein Bruder aus dem Kloster geschritten, klein von Wuchs, mit breiten Schultern, er trug einen breitkrempigen Hut und hatte einen langen grauen Bart. Dietrich glaubte, den Gesuchten zu erkennen.
"Bruder," sprach er ihn an, "wir haben manchen Schnee gesehn, seit wir schieden; du bist Heime, mein Speerbruder."
"Ich kenne Heime nicht," antwortete der Mönch, "und war niemals dein Genosse."
"Erinnre dich, wie unsre Hengste tranken in Friesland, dass das Wasser zwei Fuss abnahm, so gross es auch war."
"Ich erinnere mich dessen nicht, da ich dich nie gesehen habe, soviel ich weiss."
"So denkst du doch noch des Tages, da ich von Bern floh und Ermenrich dich in Verbannung trieb?"
"Ich habe wohl Dietrich und Ermenrich nennen hören; doch ich weiss nichts Näheres von ihnen."
"Du musst dich erinnern, Heime, wie wir nach Romaburg zu Ermenrichs Gastmahl kamen! Laut wieherten unsre Hengste, schöne Frauen standen und grüssten uns! Da hatte ich goldige und du braune Haare, und purpurne Kleider trugen wir; – nun sind unsre Haare weiss und die Farbe deiner Kutte gleich der meiner Gewandes. Gedenke des, Freund, und lass mich nicht länger vor dir stehen."
Da lachte Heime freudig auf: "Guter Herr Dietrich! Ich gedenke all unsrer Heldentaten, und ich will wieder mit dir ziehen."
Die Kutte warf er ab, rüstete sich mit seinen Waffen, zog seinen Hengst aus dem Klosterstall und ritt mit dem König nach Romaburg, wo er in hohen Ehren lebte.
Einst sprach er zum König: "Du nimmst Schatzung von allen Untertanen; weshalb forderst du keine von dem Kloster, in welchem ich lebte?"
"Die Mönche müssen sehr reich sein, und ich forderte noch niemals Zins von ihnen," antwortete der König; "dünkt dich das aber billig, so sollst du ihn eintreiben."
Dazu war Heime gleich bereit; in seinen Waffen ritt er allein nach dem Kloster. Die Mönche empfingen ihn übel, weil er fortgezogen war, ohne den Abt um Erlaubnis zu fragen; anderseits waren sie froh gewesen, dass sie ihn los geworden waren; denn sie fürchteten sich vor ihm. Eine Nachtherberge ward ihm jedoch bewilligt. Am andern Morgen berief er Abt und Brüder ins Kapitel und sprach zu ihnen: "Gold und Schätze liegen hier gehäuft, viel mehr, als euch zum Unterhalt der frommen Stätte vonnöten ist; darum sollt ihr von nun an König Dietrich Schatzung zahlen."
Der Abt antwortete: "Das Gold und Silber, das wir hier verwahren, gehört dem Himmelsherrn, und wir brauchen keinem Erdenkönig zu zinsen."
"Schatzt ihr nicht dem König, so werdet ihr euch seinen Zorn aufladen. Auch ist es höchste Ungebühr, dass ihr hier unmässige Schätze anhäuft, die keinem Menschen etwas nützen und von denen ihr nicht einmal dem König Zins zahlen wollt."
"Heime," antwortete der Abt, "du bist fürwahr ein böser Mensch! Erst läufst du aus dem Kloster fort in des Königs Hof und nun kommst du wieder und willst das Kloster berauben? Fahr’ heim zu deinem Herrn und sei ein Unhold, wie er einer ist, dein König."
Da wurde Heime über die Massen zornig; er zog sein Schwert und schlug dem Abt einfach das Haupt ab, und alle Mönche, die nicht zeitig davonliefen, erschlug er dazu. Dann ging er ins Kloster, trug Gold und Silber und alle Wertsachen hinaus und belud damit die Klosterrosse. Bevor er mit seiner Beute abzog, legte er Feuer an die fromme Stätte und verbrannte die ganze Siedelung. Darauf kehrte er nach Romaburg zurück und erzählte Dietrich, wie er den Zins eingetrieben hatte. –
Nun wurde Heime erzählt von einem starken, alten Riesen, der hoch in den Bergen in einer Höhle hauste und viel Gold eignete, von dem er dem König keinen Zins entrichtete. Weil er gar schwerfällig war, lag er meist auf einer Stelle; daher wussten die Leute weiter nicht viel von ihm. Heime sagte Dietrich, er wolle diesen Riesen aufsuchen und den Königszins von ihm holen. Das schien dem König gut. Heime wollte kein Gefolge mitnehmen; allein ritt er in jenes Gebirg und fand in einem grossen Walde die Höhle. Er stieg ab und ging hinein; da lag schlafend ein so gewaltiger Riese, wie er noch nie einen gesehen. Sein Haar war grau und so lang, dass es sein Gesicht überdeckte.
"Steh’ auf, Riese," sprach Heime, "und wehre dich; hier kommt ein Mann, der mit dir kämpfen will." Der Riese erwachte und gab Antwort: "Dreist bist du, Mensch. Ich will aber nicht aufstehen; meine langen Beine hier behaglich ausstrecken, dünkt mich weit ehrenvoller als dich erschlagen."
"Stehst du nicht auf, du Tölpel, so erschlag’ ich dich, wie du daliegst, mit meinem Schwert."
Da stand der Riese auf und schüttelte sein Haupt; das lange Haar sträubte sich empor, dass es ein Schrecken war, es anzusehen. Er ergriff eine lange, dicke Stange, schwang sie empor und traf mit dem ersten Schlag Heime so grimmig, dass er weithin flog, wie ein Bolzen vom Bogen saust; als er niederfiel, war er tot.
Bald wurde Heimes Tod im Lande bekannt; als König Dietrich die Kunde erhielt, gelobte er zürnend: "Ich räche dich, Heime, oder lasse mein Leben."
Alsogleich ward sein Hengst gesattelt, seine Diener legten ihm die Waffen an, und der König ritt fort, bis er an des Riesen Höhle kam. Er sprang ab und rief hinein: "Riese, steh’ auf und rede mit mir!"
"Wer ruft nach mir?" fragte der Riese.
"Ich, König Dietrich von Bern."
"Was willst du von mir, dass du mich zur Zwiesprach rufst?"
"Hast du Heime, meinen Freund, erschlagen, so bekenne das."
"Ich weiss nicht, ob Heime dein Freund war; aber erschlagen habe ich ihn, weil er sonst mich erschlagen hätte."
"Hast du ihn getötet, so will ich ihn rächen; steh’ auf und kämpfe mit mir."
"Ich dachte nicht, dass ein Menschenmann mir Zweikampf bieten dürfte! Nun du danach begehrst, sollst du ihn wahrlich haben."
Schleunig stand er auf, fasste seine Stange und stapfte dem König entgegen; mit beiden Händen schwang er die Stange empor und schlug nach Dietrich; der unterlief den Riesen, die Stange fuhr über ihn hin, mit dem äussersten Ende in die Erde. Hurtig hieb Dietrich mit Eckesax auf einen Schlag dem Riesen beide Hände ab; da war der Furchtbare sieglos und handlos, fiel um und starb. Das war der letzte Zweikampf, den Dietrich bestanden hat; es fand sich kein Riese noch Kämpe mehr, den er des Kampfes wert hielt.
Nur eines freute ihn noch; mit Hund und Habicht auf die Jagd reiten und wilde Tiere erjagen, an die sich kein andrer wagte. Auf seinem schnellen Ross Blanka, das ihm Herzog Hadubrand geschenkt hatte, und dem kein andres folgen konnte, ritt er allein auf öden Wegen und durch unwegsame Wälder; denn er fürchtete weder Mensch noch Unhold.
Einst, nachdem Dietrich ein Bad genommen hatte und auf dem Marmorsitz, rief einer seiner Diener: "Herr, dort läuft ein Hirsch; einen so grossen und schönen hab’ ich nie gesehen."
Der König sprang auf, hüllte sich in seinen Wollmantel und rief, als er den Hirsch erblickte: "Holt meinen Hengst und meine Hunde!"
Die Knappen liefen danach, so eilig sie konnten, aber das währte dem König zu lange; da sah er ganz in seiner Nähe einen rabenschwarzen aufgesattelten Hengst stehen.
Er lief hin, sprang auf und jagte dem Hirsch nach. Indes kamen die Diener zurück und liessen die Hunde los; die wollten aber dem Rappen nicht nachlaufen. Der rannte schneller als ein Vogel fliegt. der behendeste Diener ritt auf Blanka hinterher; – nun folgten auch die Hunde. Dietrich merkte, dass das kein Ross war, was er ritt; er wollte absteigen; doch er konnte sich nicht rühren auf des Hengstes Rücken.
"Herr," rief der Diener, der immer weiter zurückblieb, "wohin reitest du so schnell? Und wann willst du wiederkommen?"
"Zu Wotan reit’ ich," – rief Dietrich zurück, – "und ich werde wiederkommen, wann es die Waltenden wollenGemeint ist die altheidnische Entrückung und diese ist hier an Stelle des christlich gefärbten Ausdrucks der Aufzeichnung wiedergegeben.."
Bald verschwand der Rappe den Blicken des Dieners, und niemand weiss zu sagen, wohin König Dietrich gekommen ist. Alte Sagen aber gehen um, dass er mit Wotan reitet im "wilden Heere", für und für.