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Wir sahen bereits wiederholt, die Götter sind durch eine Reihe von Treubrüchen schuldig geworden, bevor sie Einbussen erleiden in dem Kampfe gegen die Riesen.
Abgesehen von ihrer dunkeln, schwer deutbaren Verschuldung, die sich an die Zauberin Gullveig knüpft, brechen sie die Treue in folgender Geschichte. Nachdem die Asen Midgard gebildet und Walhall gebaut, kam zu ihnen ein unbekannter Baumeister, vermutlich in Menschengestalt und versprach, ihnen eine von den Riesen nie zu erstürmende Burg zu bauen, wenn sie ihm zum Lohne Freya, dazu Sonne und Mond, versprächen. Törichterweise gingen die Götter, von dem Begehren nach einer solchen Burg verlockt, auf den Vorschlag ein. Nur ward verabredet, dass der Bau in einem Winter vollendet sein müsse; fehle am ersten Sommertag auch nur das Geringste daran, solle der Meister gar nichts erhalten. Ferner solle niemand ihm helfen dürfen bei der Arbeit ausser sein Ross Swadilfari, welcher Wunsch des Meisters auf Lokis Rat, der vielleicht schon damals hieran arglistige Gedanken knüpfte, bewilligt ward.
Die Götter hatten gehofft, die gute Burg zu erhalten, ohne den Lohn leisten zu müssen, weil der Meister die Frist unmöglich werde einhalten können. Aber wie erschraken sie, als sie nun den Fremden mit seinem gewaltigen Rosse so furchtbar stark und rasch bauen sahen, gleich vom ersten Wintertag an! Sie wagten doch den mit schweren Eiden gefesteten Vertrag nicht zu brechen; der fremde, unerkannt gebliebene Baumeister war ein Riese; und ohne die heiligsten Eide hätte sich ja kein Jötun unter die Götter gewagt, zumal aus Furcht vor Thor, falls dieser heimkäme von seiner Fahrt in den fernen Osten, wo er eben wieder Riesen erschlug.
Als nun nur noch drei Tage bis zu Sommersanfang fehlten, war die Burg fertig bis auf das Tor. Voller Schrecken setzten sich die Götter auf ihre (zwölf) Richter- oder Beratungsstühle und pflogen Rates und forschten untereinander, wer den verderblichen Rat gegeben, Freya, Sonne und Mond aufs Spiel zu setzen?
Da fanden sie, er, der von je zu allem Bösen rate, Loki, habe auch diesen Rat gegeben. Und sie bedrohten ihn mit dem Tode, wenn er nicht Auskunft finde, den Baumeister um seinen Lohn zu bringen; – offenbar: indem sie auch mit arglistigen Mitteln sich im voraus einverstanden erklärten. Erschrocken schwur Loki, er werde das fertig bringen.
Als nun der Baumeister abends mit seinem Hengst ausfuhr, Steine zu holen, lief eine Stute aus dem Wald wiehernd auf ihn zu. Swadilfari ward wild, zerriss die Stränge und lief mit dem andern Pferde in den Wald.
Die ganze Nacht mühte sich der Meister, sein Ross wieder einzufangen; wie die Nacht völlig, ging auch – wegen grosser Ermüdung – der folgende Tag fast ganz für die Arbeit verloren. Der Meister merkte, dass er die Frist nicht werde einhalten können und geriet in "Riesen-Zorn".
Da erkannten die Götter, dass der Baumeister ein Bergriese war, vergassen ihre Eide, riefen Thor zu Hilfe, der denn auch, nach seiner Art, flugs da war und dem Baumeister, statt mit Wonne und Mond, mit dem Hammer den Baulohn zahlte, auf den ersten Streich ihm den Schädel in kleine Stücke zerschmetternd. Loki selbst war in der Pferdegestalt Swadilfari begegnet; er gebar später ein Füllen, grau, mit acht Füssen; das ward Odins Ross Sleipnir, der Pferde bestes bei Göttern und Menschen.
Nachdem nun noch mancherlei andre Verschuldung der Götter hinzugekommen, manche Einbusse nur durch bedenkliche Mittel abgewendet oder wieder eingebracht worden, nahet die Zeit heran, da die Götter und alles Leben von der ersten Vorstufe und Vorbedeutung der endgültigen "Dämmerung" betroffen werden durch Baldurs Tod.
Baldur hatte schwere Träume; ihm ahnte, er werde bald sterben.
Jene Träume und Ahnungen sind einerseits der Ausdruck für die Sorge um die Abnahme von Licht und Wärme, welche Jahr um Jahr die Menschen ergreift, solange Baldurs Tod und Auferstehen sich auf den jährlichen Lichtwechsel allein bezog.
Seit aber später dieser Tod auf das grosse Weltenschicksal bezogen ward, so dass Baldur nicht mehr schon im nächsten Frühjahr wiederkehrt, sondern erst in der erneuten Welt, – seitdem drückt solche Sorge wohl auch die schwermütige, tragische Ahnung aus von der Vergänglichkeit, von dem unvermeidlichen Untergang alles Schönen, Edeln, Erfreulichen, welches bange Gefühl – tragisch, aber nicht pessimistisch! – tief in germanischer Eigenart wurzelt. – Endlich liegt nun wohl auch das Schuldbewusstsein der Götter solcher Ahnung zu Grunde, wiewohl gerade von dem lichten und reinen Baldur selbst keinerlei Schuld bekannt ist.
Vergeblich sandte Odin seinen Raben Hugin aus, von zwei weisen Zwergen Rates zu holen; der Zwerge Aussprüche glichen selbst dunkeln, nicht zu deutenden Träumen.
Da hielten die Asen Ratsversammlung und beschlossen, Baldur Sicherung gegen jede mögliche Gefahr zu schaffen, indem Frigg von allen Dingen, welche das Leben bedrohen mögen, Eide nehmen sollte, Baldur nicht zu schaden. So tat Frigg und nahm Eide von Feuer und Waffen, von Eisen und allen Erzen, von Stein und Erde, von Seuchen und Giften, von allem vierfüssigen Getier, von Vögeln, Würmern und BäumenMenschen, Elben und Riesen darf man wohl hinzudenken; sogar die letzteren, denn alle Lebenden müssen Baldurs Leben wünschen, auch werden wir Riesen friedlich zu Baldurs Leichenbrand kommen sehen. Ich folge von hier ab meist wörtlich der Edda, dann, in den Deutungen, J. Grimm, Uhland und Simrock..
Als das geschehen war, kurzweilten die Asen mit Baldur; er stellte sich mitten in ihren Kreis, wo dann einige nach ihm schossen, andre nach ihm hieben und noch andre mit Steinen warfen. Und was sie auch taten; – es schadete ihm nicht. Das deuchte sie alle ein grosser Vorteil.
Als aber Loki das sah, gefiel es ihm übel, dass Baldur nichts verletzen sollte. Da ging er zu Frigg in Gestalt eines alten Weibes. Frigg fragte die Frau, ob sie wisse, was die Asen in ihrer Versammlung vornähmen? Die Frau antwortete, sie schössen alle nach Baldur, ihm aber schade nichts. Da sprach Frigg: "Jawohl! Weder Waffen noch Bäume mögen Baldur schaden, ich habe von allen Eide genommen." Da fragte das Weib: "Haben wirklich alle Dinge Eide geschworen, Baldur zu schonen?" Frigg antwortete: "Östlich von Walhall wächst eine Staude Mistiltein (Mistelzweig) genannt; die schien mir zu jung, sie in Eid zu nehmen." Darauf ging die Frau fort; Loki ergriff den Mistiltein, riss ihn aus und ging zur Versammlung. Hödur ("Kampf") stand zu äusserst im Kreise der Männer, denn er war blind. Da sprach Loki zu ihm: "Warum schiessest du nicht nach Baldur?" Er antwortete: "Weil ich nicht sehe, wo Baldur steht; zum andern hab’ ich auch keine Waffe." Da sprach Loki: "Tu doch wie andre Männer und biete Baldur Ehre, wie alle tun. Ich will dich dahin weisen, wo er steht; so schiesse nach ihm mit diesem Reis." Hödur nahm den Mistelzweig und schoss auf Baldur nach Lokis Anweisung. Der Schuss flog und durchbohrte ihn, dass er tot zur Erde fiel; und das war das grösste Unglück, das Menschen und Götter betraf.
Baldur ist das Licht in seiner Herrschaft, die zu Mittsommer ihre Höhe erreicht hat; sein Tod ist also die Neige des Lichts in der Sonnenwende. Sein Mörder Hödur ist demzufolge der lichtlose, der blinde, weil er das Dunkel des Winters bedeutet, dessen Herrschaft sich nun vorbereitet und zur Julzeit vollendet, wann, nach dem kürzesten Tage, die Sonne wieder geboren wird. Hödur ist sittlich an seines Bruders Mord unschuldig, weil er das unschädliche Dunkel ist, das der Herrschaft des Lichts nach der Ordnung der Natur folgen muss; denn der Wechsel der Jahreszeiten ist ein wohltätiger, der selbst in der verjüngten Welt nicht entbehrt werden kann, wo Baldur und Hödur in des Siegesgottes Himmel wieder friedlich beisammen wohnen werden.
Als Baldur gefallen war, standen die Asen alle wie sprachlos und gedachten nicht einmal, ihn aufzuheben. Einer sah den andern an. Ihr aller Gedanke war wider den gerichtet, der diese Tat vollbracht hatte. Aber sie durften es nicht rächen; denn es war an einer heiligen Freistätte (so konnte Loki entfliehen, muss man wahrscheinlich hinzudenken). Als aber die Götter die Sprache wieder erlangten, da war das erste, dass sie so heftig zu weinen anfingen, dass keiner mit Worten dem andern seinen Harm sagen mochte. Und Odin nahm sich den Schaden um so mehr zu Herzen, als niemand so gut wusste als er, zu wie grossem Verlust und Verfall den Asen Baldurs Ende gereichte.
Als nun die Asen sich erholt hatten, da fragte Frigg, wer unter den Asen ihre Gunst und Huld gewinnen und den Helweg reiten wolle, um zu versuchen, ob er da Baldur fände, und Hel Lösegeld zu bieten, dass sie Baldur heimkehren liesse gen Asgard? Und er hiess Hermodur, der schnelle, Odins Sohn, der diese Fahrt unternahm. Da ward Sleipnir, Odins Hengst, genommen und vorgeführt; Hermodur bestieg ihn und stob davon.
Da nahmen die Asen Baldurs Leiche und brachten sie zur See. Hringhorn hiess Baldurs Schiff; es war aller Schiffe grösstes. Das wollten die Götter vom Strande stossen und Baldurs Leiche darauf verbrennen. Bevor aber Baldur verbrannt wird, raunt dem Sterbenden sein Vater Odin ein Wort in das Ohr; – welches das war, kann freilich (ausser dem nun in Hel wohnenden Toten) nur Odin selbst wissen (daher erkennt den "Wanderer" der Riese Wafthrudnir an dieser Frage als Odin selbst); aber es war wohl das Wort des Trostes, dass Baldur ursprünglich schon im nächsten Frühling, nach der spätern welttragischen Fassung der Sage, in der verjüngten Welt wieder aufleben werdeGewiss nicht, wie man gemeint hat, der Name des obersten neuen Christen-Gottes in der erneuten Welt! – Vgl. Odins Trost, Sämtl. poetische Werke. Zweite Serie Bd. IV. S. 101.. Aber das Schiff ging nicht von der Stelle. Da ward gen Jötunheim nach dem Riesenweibe gesendet, die Hyrrockin hiess. Und als sie kam, ritt sie einen Wolf, der mit einer Schlange gezäumt war. Wie sie von diesem Rosse gesprungen war, rief Odin vier Berserker herbei, es zu halten; aber sie vermochten es nicht anders, als indem sie es niederwarfen. Da trat Hyrrockin an das Vorderteil des Schiffes und stiess es im ersten Anfassen vor, dass Feuer aus den Walzen fuhr und alle Lande zitterten. Da ward Thor zornig und griff nach dem Hammer und würde ihr das Haupt zerschmettert haben, wenn ihr nicht alle Götter Frieden erbeten hätten. Da ward Baldurs Leiche hinaus auf das Schiff getragen. Und als sein Weib, Neps’ (des Blütenknopfs) Tochter, Nanna (also der erschlossenen Knospe Kind; nach andern die wagende, mutig, unablässig Treibende), das sah, da zersprang sie vor Jammer und starb. Da ward sie auf den Scheiterhaufen gebracht und Feuer darunter gezündet. Und Thor trat hinzu und weihte den Scheiterhaufen mit Miölnir, und vor seinen Füssen lief der Zwerg, der Lit (Farbe) hiess, und Thor stiess mit dem Fusse nach ihm und warf ihn ins Feuer, dass er verbrannte. Und diesem Leichenbrande wohnten vielerlei Gäste bei; zuerst ist Odin zu nennen, und mit ihm fuhr Frigg und die Walküren und Odins Raben; und Freyr fuhr im Wagen und hatte den Eber vorgespannt, der Gullinbursti hiess. Heimdall ritt den Hengst, Gulltopp (Goldzopf) genannt, und Freya fuhr mit ihren Katzen. Auch kam eine grosse Menge Hrimthursen und Bergriesen. Odin legte auf den Scheiterhaufen den Ring, der Draupnir hiess und seitdem die Eigenschaft gewann, dass jede neunte Nacht acht gleich schöne Goldringe von ihm tropften. Baldurs Hengst ward mit allem Geschirr zum Scheiterhaufen geführt.
Hermodur ritt unterdes neun Nächte durch tiefe, dunkle Täler, so dass er nichts sah, bis er zum Giöllflusse kam und über die Giöllbrücke ritt, die mit glänzendem Golde belegt ist. Modgudr heisst die Jungfrau, welche die Brücke bewacht. Die fragte ihn nach Namen und Geschlecht und sagte, gestern seien fünf Haufen toter Männer über die Brücke geritten, "und nicht donnert sie jetzt minder unter dir allein und nicht hast du die Farbe toter Männer; warum reitest du den Helweg?" Er antwortete: "Ich soll zu Hel reiten, Baldur zu suchen. Hast du vielleicht Baldur auf dem Helwege gesehen?" Da sagte sie; Baldur sei über die Giöllbrücke geritten: "aber nördlich geht der Weg herab zu Hel!"
Da ritt Hermodur dahin, bis er an das Helgitter kam. Da sprang er vom Pferd und gürtete es fester, stieg wieder auf und gab ihm die Sporen. Da setzte der Hengst so mächtig über das Gitter, dass er es nirgends berührte. Da ritt Hermodur auf die Halle zu, stieg vom Pferd und schritt in die Halle. Da sah er seinen Bruder Baldur auf dem Ehrenplatze sitzen. Hermodur blieb dort die Nacht über. Aber am Morgen verlangte Hermodur von Hel, dass Baldur mit ihm reisen solle, und sagte, welche Trauer um ihn bei den Asen sei. Aber Hel sagte, das solle sich nun erproben, ob Baldur so allgemein geliebt werde, als man sage. "Und wenn alle Dinge in der Welt, lebendige sowohl als tote, ihn beweinen, so soll er zurück zu den Asen fahren; aber bei Hel bleiben, wenn eins widerspricht und nicht weinen will."
Da stand Hermodur auf und Baldur begleitete ihn aus der Halle und nahm den Ring Draupnir und sandte ihn Odin zum Andenken, und Nanna sandte Frigg einen Überwurf und noch andre Gaben, und für Fulla einen Goldring. Da ritt Hermodur seines Weges und kam nach Asgard und sagte alle Zeitungen, die er da gehört und gesehen hatte. Danach sandten die Asen in alle Welt und geboten, Baldur aus Hels Gewalt zu weinen. Alle taten das; Menschen und Tiere, Erde, Steine, Bäume und alle Erze: "wie du schon gesehen haben wirst, dass diese Dinge weinen, wann sie aus dem Frost in die Wärme kommen".
Als die Gesandten heimfuhren und ihr Gewerbe wohl vollbracht hatten, fanden sie in einer Höhle ein Riesenweib sitzen, das Thöck genannt war. Die baten sie auch, Baldur aus Hels Gewalt zu weinen; sie antwortete: "Thöck muss weinen mit trockenen Augen über Baldurs Ende! Nicht im Leben noch im Tode hatte ich Nutzen von ihm; behalte Hel, was sie hat!" Man meint, dass dies Loki gewesen sei, der den Asen so viel Leid zugefügt hätte.
Jedoch nicht ungerächt musste Baldur nach Hel fahren; Wali, Odins und der Erdgöttin Rindr Sohn, war gerade erst geboren, als der Mord geschah; erst eine Nacht war der Knabe alt, aber auf die Nachricht von der Tat nahm er sich nicht Zeit, die Hand zu waschen oder das Haar zu kämmen, – sofort tötete er Hödur. Zwar war dieser nur das unschuldige Werkzeug Lokis (der, wie wir gleich sehen werden, schwerster Strafe nicht entgeht); aber der Charakter germanischer Blutrache hält sich ganz sachlich daran, dass einer den Tod des Gesippen verursacht hat; wie ja auch Tiere und sogar fallende Bäume, Balken, welche einen Menschen getötet haben, büssen müssen. Dass Hödur auch ein Bruder ist, schützt ihn nicht vor des Bruders Rache für den dritten Bruder; ein freilich seltener Fall! Wie heiss brennend, wie dringend die Pflicht der Blutrache empfunden wird, drückt die Sage darin aus, dass der Rächer, erst eine Nacht alt, ohne jeden Verzug zur Tat eilt. –
Diese Pflicht erträgt keine Frist; sie lässt nicht Zeit, die Hände zu waschen, die Haare zu kämmen, und steht ihrer Erfüllung noch Unmöglichkeit entgegen, so lässt man nach der Sitte germanischer Rachegelübde Haar und Bart und die Nägel an den Fingern wachsen, ja wäscht und kämmt sich nicht, bis der dringendsten, unaufschieblichsten Pflicht genügt istVgl. Dahn, Fehdegang und Rechtsgang der Germanen. Bausteine, II, Berlin 1880, S. 76-128..
Es zeigt sich hier sehr deutlich die Doppelart dieser auf Naturgrundlage ruhenden, aber doch vermenschlichten und als Germanen gedachten Gewalten; der Herbst muss den Sommer töten; er ist blind; aber als germanisch menschlich gedachtet Töter muss er doch die an ihm zu vollstreckende Blutrache erdulden; in der neuen Welt lebt er friedlich und versöhnt neben dem GetötetenSpäter, in christlicher Zeit, wurden von der Sage, wie sie Saxo Grammaticus uns aufgezeichnet, Baldur und sein Bruder Hödur (der ihn in der Sage wider Wissen und Willen tötet) aus Göttern in Helden; Balderus und Hotherus, umgewandelt, welche sich bekämpfen; nur bei Balderus ist noch die Erinnerung an seine göttliche Natur erhalten..
Baldurs Unverletzbarkeit durch Wurf und Schlag bedeutet wohl nicht die "unkörperliche Natur des Lichtes", sondern den Wunsch aller Wesen, dass das Licht lebe. Den Tod Baldurs führte Loki herbei nur durch die Mistel; die einzige Waffe, die an ihm haftet (s. unten), ist ein Symbol des düstern Winters. Die Mistel, die im Winter wächst und reift, die darum (wie Thöck s. unten) auch nicht des Lichtes zu ihrem Gedeihen zu bedürfen scheint, ist allein nicht für Baldur in Pflicht genommen (so Uhland S. 146). Oder auch: bei den Eiden, die allen Dingen abgenommen wurden, ward die Mistel, die als Schmarotzerpflanze kein selbständiges Leben zu haben schien, übersehen. Die Staude schien zu jung, zu unbedeutend, sie in Pflicht zu nehmenÜbrigens wächst die Mistel, bei uns nur eine schwache Staude, im Norden, so auf den Inseln im Mälarsee, bis zu drei Ellen Länge auf; sonst wäre doch ihre Verwendung als tödliche Waffe ungereimt. Ihre Heiligkeit ist germanischen und keltischen Völkern gemein. Das Geheimnisvolle an ihr liegt darin, dass sie nur auf Bäumen wächst und auch hier sich nicht säen lässt; denn zu voller Reife gedeiht ihr Same nur im Magen der Vögel, die ihn dahin tragen, wo er aufgeht; es ist dabei keine Menschenhand im Spiel und die göttliche Fügung offenbar. Bekannt ist die noch in England fortlebende Sitte, die Mistel am Weihnachtsabend über den Türen aufzustecken. In Deutschland hängt man sie, in Silber gefasst, Kindern um den Hals, und wo sie, was selten ist, auf Haseln wächst, ist sicher ein Schatz verborgen..
Thor muss den Scheiterhaufen nach nordischer Sitte mit seinem Hammer weihen. Aber er bedroht auch damit die Riesin Hyrrockin, welche das Schiff in die See stossen soll. Indem er dem Übermut dieser Riesin wehrt, erscheint Thor als Bekämpfer der masslosen Naturgewalt, hier (nach Uhland) des versengenden Sonnenbrandes, der nach der Sommersonnenwende einzutreten pflegt (daher ihr Name Hyrrockin, d. h. Feuerberauchte).
Das Schiff Hringhorn ist die Sonne selbst, die in der Zeit der Sommersonnenwende eine Weile stille zu halten scheint, aber nach dem gewaltigen Stoss, mit dem die Riesin es vortreibt, die Wende nimmt und abwärts lenkt. So fährt nun Hringhorn, flammend in Sonnenglut, dahin; aber es trägt nur noch die Leiche seines Gottes! Da bricht auch der Gattin Baldurs, Neps’ Tochter Nanna, das Herz; sie ist die Blüte, die aus der Knospe hervorgeht und darum Neps’ (für hneppr, Knopf) Tochter heisst. Mit der Abnahme des Lichtes geht auch das reichste, duftendste Blumenleben zu Ende; als Baldurs Leiche zum Scheiterhaufen getragen wird, zerspringt Nanna vor Jammer. Die Liebe Baldurs und Nannas, des Lichtes und der Blüte, bildet ein Seitenstück zu der Liebe Bragis und Iduns, des Gesanges und der Sommergrüne. Der Zwerg Lit, der Thor vor die Füsse läuft, und den er, im Unmut über Baldurs Tod, ihnen in das Feuer nachstösst, ist die Farbe (Litr), der reiche frische Schmelz des Frühsommers, der mit hinab muss, wann Baldur und Nanna zu Asche werden.
Die ganze Natur klagt um Baldurs Tod, weil sie des Lichtes bedürftig ist, und seinem Leichenbegängnis wohnten selbst Hrimthursen und Bergriesen bei, sonst ein lichtscheues Geschlecht; auch sie können des allbelebenden Lichtes nicht ganz entraten. Thöck, die ihn nicht aus Hels Gewalt weinen wollte, ist der Eigennutz, die kalte herzlose Selbstsucht, die, aller Wohltaten unerachtet, welche die ganze Welt von dem Heimgegangenen genossen hat, sich in Unempfindlichkeit verstockt, weil nicht gerade sie, das Riesenweib in der finstern Höhle, Vorteil von ihm genossen zu haben sich erinnert; denn in ihren Schlupfwinkel drang das Licht des Tages nie. Ihr Name freilich bezeichnet den Dank, aber ironisch, wie wir sagen: "Das ist der Dank dafür", "Undank ist der Welt Lohn". Die ganze Welt klagte um Baldurs Tod; nur die Eigensucht ward durch seine Verdienste nicht überwunden.
Der Ring Draupnir gewann seitdem die in seinem Namen angedeutete Eigenschaft, dass jede neunte Nacht acht gleiche Goldringe von ihm träufen. Nach andren Überlieferungen besass er sie von Anfang an, da ihn die Zwerge bildeten; er ist auch im Besitz Freyrs (und seines Dieners Skirnir) nebst jenen elf Äpfeln, die uns an die Iduns erinnerten; beide bedeuten Fruchtbarkeit, Vermehrung und Wiedererneuerung. Als grüssendes Wahrzeichen seiner dereinstigen Wiederkunft schickt Baldur den Ring an den Vater auf die Oberwelt, als bejahende zuversichtliche Antwort auf Odins ihm in das Ohr geflüsterten Trost.
Auch Nanna sendet Andenken aus Hels Reich herauf; Frigg einen Schleier (oder Überwurf), Fulla einen Goldring. Es sind Blumen des Spätherbstes (Uhland) oder Boten, Verheissungen des dereinst wiederkehrenden Frühlings.
Loki aber, den eigentlichen Mörder Baldurs, den Anstifter des schuldlosen Hödur, traf schwere Strafe. Die Tötung Baldurs konnte nicht sofort gerächt werden, denn sie war an heiliger Freistätte geschehen; – freilich schützt sonst die Freistätte den nicht, der sie selbst verletzt. Schon vorher hatte er die Götter wiederholt durch seinen Rat in Gefahr gebracht oder nur durch zweideutige oder unzweideutig treulose Mittel sie aus der von ihm herbeigeführten Gefahr gerettet und somit schuldig gemacht. Aber auch noch nach Baldurs Ermordung hatte er alle Götter und Göttinnen, wie sie in Ögirs Halle zu fröhlichem Festmahl versammelt sassen, durch frevle, wahre und wohl meist unwahre, mindestens böslich übertriebene Schmähungen auf das bitterste gekränkt (man hat ihn hierbei als "das böse Gewissen" der Götter auffassen wollen, gewiss nicht mit Recht). Schon um Baldurs willen vor den Göttern flüchtig, wird er nun abermals von ihnen verfolgt.
Es liegen hier allerlei Widersprüche in der Überlieferung; fest steht nur, dass er, einmal gebunden, bis zur Götterdämmerung nicht mehr loskommt; daher muss man natürlich und notwendig Baldurs Ermordung vor Lokis Fesselung stellen und die Verhöhnung der Götter möchte man gern vor diese Mordtat setzen, da er sich nach ihr doch schwerlich wieder den Göttern naht! Allein die Edda stellt die Bestrafung mit jener Verhöhnung zusammen, nicht mit der Ermordung Baldurs.
Als Loki nun die Götter so sehr wider sich aufgebracht hatte, entfloh er und barg sich auf einem Berge. Da machte er sich ein Haus mit vier Türen, so dass er aus dem Hause nach allen Seiten sehen konnte. Oft am Tage verwandelte er sich in Lachsgestalt, barg sich in einem Wasserfall und bedachte bei sich, welches Kunststück die Asen wohl erfinden könnten, ihn in dem Wasserfall zu fangen? Und einst, als er daheim sass, nahm er Flachsgarn und flocht es zu Maschen, wie man seitdem Netze macht. So erfand er selbst das erste Netz und das einzige Mittel, damit er gefangen werden konnte. Dabei brannte Feuer vor ihm. Da sah er, dass die Asen nicht weit von ihm waren; denn Odin hatte von Hlidskialfs Höhe des Flüchtlings Aufenthalt erspäht. Da sprang er schnell auf und hinaus ins Wasser, nachdem er das Netz ins Feuer geworfen hatte. Und als die Asen zu dem Hause kamen, da ging der zuerst hinein, der von allen der weiseste war und Kwâsir (Odin?) heisst. Und als er im Feuer die Asche sah, wo das Netz gebrannt hatte, da merkte er, dass dies ein Kunstgriff sein sollte, Fische zu fangen, und sagte das den Asen. Da fingen sie an und machten ein Netz jenem nach, das Loki gemacht hatte, wie sie es in der Asche sahen. Und als das Netz fertig war, gingen sie zu dem Fluss und warfen das Netz in den Wasserfall. Thor hielt das eine Ende, das andre die übrigen Asen, und nun zogen sie das Netz. Aber Loki schwamm voran und legte sich am Boden zwischen zwei Steine, so dass sie das Netz über ihn hinwegzogen; doch merkten sie wohl, dass etwas Lebendiges vorhanden sei. Da gingen sie abermals an den Wasserfall und warfen das Netz aus, nachdem sie etwas so Schweres daran gebunden hatten, dass nichts unten durchschlüpfen mochte. Loki fuhr vor dem Netze her, und als er sah, dass es nicht mehr weit von der See sei, da sprang er über das ausgespannte Netz und lief zurück in den Sturz (hier hält er sich also für sichrer als im Meere; warum?). Nun sahen die Asen, wo er geblieben war; da gingen sie wieder an den Wasserfall und teilten sich in zwei Haufen nach den beiden Ufern des Flusses; Thor aber, mitten im Flusse watend, folgte ihnen bis an die See. Loki hatte nun die Wahl, entweder in die See zu laufen, was lebensgefährlich war (warum?), oder abermals über das Netz zurückzuspringen. Er tat das letzte und sprang schnell über das ausgespannte Netz. Thor griff nach ihm und kriegte ihn in der Mitte zu fassen; aber er glitt ihm in der Hand, so dass er ihn erst am Schwanz wieder festhalten mochte. Darum ist der Lachs hinten spitz. Nun war Loki friedlos gefangen. Sie brachten ihn in eine Höhle und nahmen drei lange Felsenstücke, stellten sie auf die schmale Kante und schlugen ein Loch in jedes. Dann wurden Lokis Söhne, Wali und Nari (oder Narwi) gefangen. Wali verwandelten die Asen in Wolfsgestalt; da zerriss er seinen Bruder Nari. Da nahmen die Asen die Därme; und banden Loki damit über die Felsen; der eine Stein stand ihm unter den Schultern, der andre unter den Lenden, der dritte unter den Kniegelenken, die Bänder aber wurden zu Eisen. Da nahm Skadi, Niördrs Gemahlin, einen Giftwurm und befestigte ihm über Loki, damit das Gift aus dem Wurm ihm ins Antlitz träufelte. Aber Sigyn, sein treues WeibS. die Dichtung Sigyn, Sämtl. poetische Werke. Zweite Serie Bd. VI. S. 551., steht neben ihm und hält ein Becken unter die Gifttropfen. Und wann die Schale voll ist, da geht sie und giesst das Gift aus; derweil aber träuft ihm das Gift ins Angesicht, wogegen er sich so heftig sträubt, dass die ganze Erde schüttert, und das ist’s, was man Erdbeben nennt. Dort liegt er in Banden bis zur Götterdämmerung.
Tiefsinnig ist diese Sage.
Er weiss, dass er die Rache der Götter herausgefordert hat; so schweift er unstät umher wie der Verbrecher; sein Haus auf dem Berge hat vier Türen oder Fenster, damit er die hereinbrechende Strafe erspähen, vielleicht ihr entfliehen könne. Er quält sich mit dem Gedanken, auf welche Art die Asen ihn wohl fangen möchten? Und er knüpft sich selber das Netz, das allein ihn fangen kann, wie die Bosheit sich selber Fallstricke legt und Gruben gräbt. So wie er durch seine eignen Fallstricke gefangen wird, so wird er auch durch seine eignen Bande gebunden, d. h. mit den Gedärmen seines Sohnes gefesselt, den Folgen seiner Tat; wie sich seine Söhne auch untereinander selbst zerfleischen. Das Böse wird in Fesseln geschlagen von den sittlichen Mächten, dem Göttern. Würde freilich einst die Herrschaft des Sittlichen und des Rechts völlig gebrochen, träte Verfinsterung dieser Begriffe bei den Göttern selbst ein, dann bräche das Böse sich los von seiner Kette, dann führe der Rachetag, Gerichtstag (stuatago) über die Völker. Schon jetzt rüttelt Loki oft an seinen Ketten und versucht, sie zu zerreissen; dann entsteht das Erdbeben; denn er erschüttert die Grundfesten der Welt und erschreckt die Götter, die selbst als seine Fesseln, die höpt und bönd (Haften und Bande), die Gewähr der sittlichen Weltordnung gedacht sindErdbeben werden auch bei andern Völkern von der Wut gefesselter Unholde und Riesen hergeleitet..
Warum töten die Götter weder den Fenriswolf noch Loki? Weil sie ihre heiligen Freistätten nicht verletzen dürfen, heisst es einmal. Das gilt aber nur etwa vom Wolfe, nicht von dem friedlos gefangenen Mörder. Der wahre Grund ist: weil der Untergang Odins und Heimdalls in dem letzten Kampfe durch beide Gegner feststand; also war die Götterdämmerung auch im einzelnen schon ausgebildet, als die Sagen von der Fesselung beider entstanden.
Wir sahen, ursprünglich bezog sich Baldurs Tod (wie Iduns Niedersinken vom Weltbaum) auf den jährlichen Wechsel der Jahreszeiten; später aber auf die Götterdämmerung. Nun bleibt Baldur in Hel bis zum Ende der Dinge. Nun bedeutet er auch nicht mehr bloss das Licht, sondern die Unschuld, die Reinheit; ist diese durch das furchtbare Verbrechen des Brudermordes, den germanischem Sippegefühl unerträglichsten Frevel vernichtet, durch Loki, der zerstörenden, neidvollen Selbstsucht Vertreter, so liegt darin, wie eine Hauptursache, so die Vorbedeutung, ja schon eine Vorstufe der Götterdämmerung, jenes Tages, da die verderblichen, von den Asen nur auf Zeit gefesselten Gewalten sich losreissen und alle Schuldiggewordenen sich im Kampfe furchtbarer Vergeltung gegenseitig strafen, d. h. vernichten werden.
"Stark bellt Garm vor Gnipa-hellir: – die
Fessel wird zerreissen, aber der Wolf rennen!
Viel weiss ich der Kunden; vorwärts sehe ich
weiter über der Götter Geschick, das Gewal
tige, der Siegmächtigen." –
Völuspá, Strophe 29,
(nach Müllenhoff, S. 81)
noch zweimal wiederholt, je bei einem
bedeutungsvollen Abschnitt.