Felix Dahn und Therese Dahn
Walhall
Felix Dahn und Therese Dahn

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III. Die Erneuerung.

Die alte Welt und der alte Himmel sind in Feuer und Rauch untergegangen.

Aber den Gedanken der völligen Vernichtung vermag das religiöse Bewusstsein nicht zu ertragen; es findet darin keine Versöhnung; deshalb hat es – und zwar nicht erst etwa aus christlichem Einfluss! – an den fünften Aufzug des grossen Trauerspiels, an die Weltvernichtung, ein idyllisch-paradiesisches Nachspiel gefügt, von fast lyrisch-musikalisch empfundener, harmonischer Verklärung.

Aus der Asche nämlich, in welche die alte schuldbewusste Welt versunken, hebt sich, verjüngt und makelfrei, eine neue Welt, eine zweite Erde und ein junger Himmel. Die jüngere Edda berichtet: die Erde taucht aus der See auf, grün und schön, und Korn wächst darauf ungesätVöluspá, Str. 43; "Da sieht (die Seherin) auftauchen zum andern Male die Erde aus dem Meere, frisch und grün; Sturzbäche fallen, der Adler fliegt darüber, der auf den Felsen Fische weidet. Ungesäet werden die Äcker tragen, alles Übels Befreiung wird werden.".

Bewohnt wird die Erde von einem Menschengeschlecht ätherischer Natur – "denn Morgentau ist all ihr Mahl". – An einem Ort, in Hodd-MimirsD. h. der Weltesche selbst; Mimir hat unter ihr seinen Brunnen; Hodd = Hort, Schatz von Weisheit (und anderm Gut?). Holz, hatten sich während Surturs Lohe zwei Menschen verborgen, Lif und LifthrasilLeben und Lebensmut; oder, wenn man Leifthrasil liest; "Streit um den Rest" (Müllenhoff).; von ihnen stammt ein neu Geschlecht.

Im Himmel leben nicht mehr die alten Götter, sondern deren Söhne"Es finden sich die Asen (aber, wie es scheint, keineswegs alle, auch nicht alle durch Söhne oder Töchter vertreten; die Göttinnen fehlen unter den ausdrücklich genannten ganz) auf dem Idafeld; und sie reden von dem mächtigen Erdumspanner (der nun erlegten Midgardschlange) und gedenken da der grossen Geschehnisse (der Götterdämmerung) und Fimbultyrs (d. h. Odins) alter Runen.", welche als unbefleckt von SchuldMüllenhoff, S. 28, stellt den Gegensatz nicht auf Schuld und Unschuld, sondern auf Krieg und Frieden; diejenigen Götter verschwinden, welche sich an dem wildbewegten kriegerischen Leben stark beteiligt haben, aufleben die friedlichen, Friede bringenden. – Aber darf man bei den Germanen jener Zeit annehmen, dass ihre Sehnsucht, die ganz auf Kampf und Heldentum gerichtet war, plötzlich nun ihr Ideal geändert und sich in Friedenssehnsucht verwandelt habe? Doch ganz gewiss nicht! – Er meint, in "Gimhle" soll das wilde Kriegerleben Walhalls nicht wiederkehren, muss aber (S. 33) selbst einräumen, dass die hier lebenden Scharen (drottir) Kriegsscharen sind und dass Baldur und Hödur doch auch hier Schlachtgötter (vai-tivar) heissen. – Auch gibt es S. 70 zu, dass für die Südgermanen ein gleicher Friedenshimmel nicht erwiesen sei; er scheint uns eben auch für die Nordgermanen weder bewiesen noch wahrscheinlich! Glaubt doch Müllenhoff selbst, der Hammer Thors möge immerhin noch zur Abwehr von möglichen spätern Feinden dienen. zu denken sind; Widar und Wali, die beiden Rächer Odins und Baldurs, leben noch; weder See noch Surtur hat ihnen geschadet; sie wohnen auf dem Idafeld, wo vorher Asgard war.

Auch stellen sich ein die Söhne Thors: Modi und Magni (Mut und Kraft), sie haben des Vaters Hammer gerettet und geerbt und bringen ihn mit.

Danach kommen die Söhne Odins: Baldur, der Fleckenlose, und dessen Bruder, der blinde Hödur"Baldur wird kommen, Hödur und Baldur bewohnen Hropts (d. h. Odins) siegreiche Gehöfte, herrlich, die Schlachtgötter.", der ihn ohne Verschulden getötet hatte; sie kehren wieder aus dem Reiche Hels; und in seligem Frieden, ohne Schuld und Leidenschaft, leben sie fortan in der erneutenWorauf man auch früher den Namen deutete (die erneute Welt); aber das passt nicht zu dem schon von Anfang so lautenden Ort; "Arbeitsfeld", "Feld der Tätigkeit". Walhall, dem Idafeld.

Da sitzen sie alle beisammen und besprechen sich und gedenken ihrer Geheimnisse und reden von den Geschichten, die ehedem sich ereignet, von der Midgardschlange und von dem Fenriswolf; da werden sich – und das ist ein reizender Zug – auch jene goldenen Tafeln (Bretter, Scheiben) im Grase wiederfinden, mit welchen dereinst, d. h. vor ihren Schuldigwerden, die Asen heiter gespielt hatten.

Es leuchtet ein, dass sich hier die Sage eines alten Lieblingsbehelfes bedient; die Söhne der Götter sind die Vertreter der Götter, ja gewissermassen diese selbst; deren Wiederholung, nur frei von den Flecken, welche auf die Väter die Sagendichtung allmählich gehäuft hatte; das drückt sich am naivsten – und wahrhaft liebenswürdig naiv! – aus bei der Sonne, von der es heisst: "Und das wird dich wunderbar dünken, dass die Sonne, ehe der Wolf sie würgte, eine Tochter geboren hatte, nicht minder schön als sie selber; diese Maid wird nun glänzend nach der Götter Fall die Bahn der Mutter wandeln."

Rührend ist die Treue, mit welcher der Hammer Thors von der Einbildungskraft der Sage gerettet wird; die geliebte Nationalwaffe mag der Germane auch in dem neuen Paradiesesleben nicht missen, obwohl es keine Riesen mehr zu zerschmettern gibt; so mag der Hammer in den Händen der Erben friedlichen Weihezwecken (Brautweihe, Hausweihe u. a.) dienen.

Ferner heisst es von Hönir, der einst als Geisel den Wanen gegeben war: "Dann kann Hönir den Loszweig kiesen", d. h. wählen, ob er zurückkehren oder bleiben will; Wanen scheinen hiernach nicht mehr zu sein, nur Asen (wenigstens werden Freyr und Freya nie mehr genannt). Man hat dies so erklären wollen; die Wanen seien Götter der Sinnlichkeit (?!) gewesen und erst nach verlorner Unschuld der Götter in Krieg, dann in Bündnis mit diesen in Berührung getreten, also in der geläuterten Welt nicht mehr am Ort; aber eine andre Eddastelle sagt von Niördr: "Am Ende der Zeiten soll er kehren zu den weisen Wanen"; bedeutet dies die Zeit nach der Surturlohe (und nicht, was sehr wohl denkbar wäre, den Zeitpunkt bei Beginn des letzten Kampfes, um bei seinen Wanen zu fechten und zu fallen), so wären hierdurch doch Wanen als fortbestehend anerkannt.

Die Wahrheit aber ist: ein widerspruchfreies Ganzes ist kein Sagenkreis, auch nicht der der Germanen. Dazu kommt, dass gerade über den Zustand nach der Erneuerung nur sehr wenig ausgeführte Vorstellungen umgingen, und endlich, dass uns sogar diese wenigen durchaus nicht vollständig überliefert sind; denn dass vollends nur so viel, als die (von Zusätzen gereinigte) Völuspá in acht kurzen Strophen davon erzählt, überhaupt alles gewesen, was davon gesungen und gesagt ward (wobei nur Baldur, Hödur, Hönir und der neue Götterkönig erwähnt werden), ist doch wahrlich kaum anzunehmenAuch die Söhne des "Tveggi-Odin", Wilis und Wes, welche beide, Zwillingsbrüder (Hönir und Loki) oder Wiederholungen Odins, früher nur bei der Schaffung der Welt vorkommen, treten hier auf als Erneuerungen ihrer Väter; sie bewohnen das weite "Windheim", d. h. das Luftreich, Völuspá, Str. 47; der dritte Bruder, Loki und seine Abkunft, sind untergegangen..

Auch diese Götter können eines Götterkönigs nicht entraten. So heisst es denn, nachdem die neue Welt aufgetaucht ist: "Da kommt der Mächtige, das Recht aufrecht zu haltenAusgezeichnet Müllenhoff, S. 35; "Er kommt, um wie kein andrer mit unvergleichlicher Macht und Autorität Gericht zu halten, aber nicht etwa nur einmal, sondern um als Friedensfürst und Hüter des Rechts dauernd seine Herrschaft auszuüben.", der Starke von oben, der alles beherrscht.

Urteile spricht er, die Streitsachen legt er bei, heilige Ordnungen setzt er, die da bleiben sollen."

Dieser ungenannte oberste Gott ist nun aber durchaus nicht, wie man wohl meint, der (aus christlichem Einfluss herübergenommene) neue ChristengottDiese Annahme, welche ich stets bekämpft, hat Müllenhoff überzeugend zurückgewiesen; gewiss ist die Erneuerung an sich noch heidnischen Ursprungs. Nachdem aber der erneute Himmel einmal im heidnischen Bewusstsein feststand, wäre die Herübernahme einzelner christlicher Züge aus Schilderungen des christlichen Himmels, des "neuen Jerusalems usw." aus der Apokalypse und ähnlichen christlichen Schriften nicht ganz undenkbar; schon das dabei verwendete, entliehene Fremdwort gemma (in "Gimhle") zeigt Einwirkung oder doch Kenntnis lateinischer Literatur oder doch Sprache. In der jüngeren Edda ist wenigstens christlicher Einfluss auf Ausmalung des neuen Himmels sehr wahrscheinlich., sondern nur der von dem religiösen Gefühl dringend, ja unerlässlich geforderte oberste Heiden-Gott; ein Name, eine bestimmtere Zeichnung desselben fehlte gewiss der diese Sage bildenden religiösen Anschauung. Man muss doch wohl den erneuten Odin in ihm finden, dabei jedoch dem alten Odin nicht nur seine mannigfaltige Schuld, auch die Leidenschaften, Eigenschaften, ja sogar Vorzüge, d. h. die Kriegsfreude, abstreifen, aus welchen jene Verschuldung mit (dichterischer) Notwendigkeit hervorgewachsen war. Ein solcher Odin aber, ohne Kriegsbegeisterung, ohne überlegen planende List, ist eben gar nicht mehr das Vorbild, das wir als Odin, trotz seiner Fehler, lieben gelernt hatten. Es ist ein ziemlich farb- und inhaltloser "oberster, weiser, gerechter, starker Gott," ohne besondere Bezeichnung (abgesehen von diesen Eigenschaften), ohne weitere Ausmalung seiner Züge, und so ist es fast gleichgültig, ob man in demselben einen neuen, erst jetzt gewordenen Gott, oder einen erneuten Odin annimmt, der mit dem wirklichen so gut wie nichts mehr gemein hat. Aber immerhin wird man doch den erneuten Odin, nicht etwa Baldur, der schon vorher erledigt ist, in dem neuen Welt- und Himmelsherrscher erblicken müssen; die Sagenbildung über die neue Welt geschah doch in Anknüpfung an die alten Gestalten, und es widerstreitet dem Wesensgesetz ihres Schaffens, völlig abstrakt einen neuen Obergott "im allgemeinen" aufzustellenWenn eine Stelle der Edda von Thor sagt; "Einst kommt ein andrer, mächtiger als er; doch noch ihn zu nennen, wag’ ich nicht, wenige werden weiter blicken, als bis Odin den Wolf angreift," so weist der Vergleich mit Thor allerdings auf Odin, aber Odins Nennung, während "der andre" noch nicht genannt werden soll, lässt einen dritten als gemeint annehmen. Die Runen Odins, über welche geredet wird, sind seine Geheimnisse, d. h. selbstverständlich nur, soweit sie den andern Göttern bekannt geworden, auch eben durch die Götterdämmerung nun erst enträtselt wurden..

Eine Stelle der jüngeren Edda fasst den neuen Götterkönig unzweifelhaft als Odin, den sie "Allvater" nennt, aber zugleich mit feststehenden Beinamen Odins bezeichnet und schmückt. "Er lebt durch alle Zeiten, beherrscht sein ganzes Reich, und waltet aller Dinge, grosser und kleiner. Er schuf Himmel und Erde und die Luft und alles, was darinnen ist; und das ist das Wichtigste, dass er den Menschen schuf und ihm den Geist gab, der leben soll und nie vergehen, wenn auch der Leib in der Erde fault oder zu Asche verbrannt wird. Auch sollen alle Menschen, die gut geartet sind, leben und mit ihm sein an dem Ort, der Gimhle"Einen Saal sieht sie strahlen, schöner als die Sonne, mit Golde gedeckt, auf Gimhle; da sollen treue Scharen hausen und in Ewigkeit Behagen finden." "Gim-hle" zusammengesetzt aus dem Fremdwort gemma, Edelstein, und hle, Dach (Müllenhoff). heisst; aber böse Menschen fahren zu Hel und danach gen Niflhel; das ist unten in der neunten Welt."

In mancher dieser Wendungen der jüngeren Edda fühlt man sich stark versucht, christlichen Einfluss zu vermuten; so, wie es hier dargestellt wird, war Odin nicht "Schöpfer" (das war er gar nicht für die alte, und doch ist er es nur sehr uneigentlich für die neue Welt!) und "Alleinherrscher". Dazu kommen folgende doch sehr christlich gefärbte Züge; die besondere Hervorhebung der "Schöpfung des Menschen", die Verleihung des "unsterblichen Geistes", während "das Fleisch" verfault, der Himmel für die Guten, der Strafort (auch nachdem "Gimhle" entstand) für die Bösen; nach Hel fuhren den Heiden auch die Guten, die den Strohtod gestorben, und nach der Völuspá müsste man Hel und die Straforte samt den Bösen untergegangen ansehen, als "Gimhle" erstand.

Desto auffallender und geradezu widersprechend christlichen Anschauungen ist es nun aber, wenn dieser "Allvater" doch einerseits als Odin durch dessen zweifellose Beinamen bezeichnet wird und wenn er auch nach der jüngeren Edda eine Mehrzahl andrer – der alten – GötterSehr richtig Müllenhoff, S. 30; "Wenn diese Wiederkehr der Asen nicht heidnisch gedacht ist, so weiss ich nicht, was heidnisch heissen kann. Die Personen für einen neuen Götterstaat sind da, und ohne Zweifel sind sie bestimmt, einen solchen zu bilden." neben sich hat, was mit christlicher Einzahl Gottes doch wahrlich ganz unvereinbar. Keinesfalls also ist dieser Allvater der Christengott, wenn auch sein Himmel und der Menschen Entstehung, Lohn und Strafe christlich gefärbt sein sollten.

Alles, was den Frieden der neuen Götter stören könnte, und zugleich die Erinnerung an den grauenhaften Vernichtungskampf, schaut die Seherin zusammengefasst in dem Drachen, Nidhöggr versinken.

Nachdem sie die neue Herrlichkeit in Gimhle geschildert, schliesst sie: "Es kommt der düstere Drache geflogen, die Natter von unten, von den Nithafelsen (Finsterfelsen), er, Nidhöggr, trägt in seinen Federn – das Feld überfliegt er – die Leichen; nun wird erDass hier "er" (hann) und nicht "sie" (hon, die Seherin) zu lesen, hat Müllenhoff wahrscheinlich gemacht; allerdings gewähren die Handschriften nur "hon", was schliesslich auch einen Sinn gäbe; die Weissagung ist zu Ende, die Seherin versinkt. versinken."

Die Straforte in Hel wird man als mit Hel und den Gestraften untergegangen annehmen müssen; das Heidentum kannte also ewige Höllenstrafen nicht; nur die erneuten Götter, Lichtelben, Zwerge und gute Menschen, die Seelen der auf Erden gestorbenen Guten, wie die erneuten guten Götter leben in dem neuen Himmel und in der neuen Welt. Der "Starke von oben" führt diesen Zustand nicht herbei, – er ergibt sich aus dem Weltenbrande von selbst; – er hält ihn nur aufrecht für immerdarSo Müllenhoff, S. 36..

Von dem Leben und Walten dieser neuen Götter in dem neuen Himmel erfahren wir nun aber nichts weiter; die Muse der sagenhaften Einbildungskraft erschweiget hier.

Und zwar ganz notwendig.

Denn wollte sie abermals beginnen, zu erzählen, – sie müsste es in der alten Weise; und der Kreislauf, den wir eben abgeschlossen, er müsste von neuem anheben. Abermals würde die vermenschlichende und freie, nur das Schöne suchende Einbildungskraft der Sage die gegebenen, abermals viele Götter lehrenden Vorstellungen zu Gebilden aus- und umgestalten, welche abermals dem Bedürfnis der Religion nach Einheit und Heiligkeit des Göttlichen widerstreiten und zuletzt eine Wiederholung der Götterdämmerung notwendig machen würden.

Damit hängt es zusammen, dass keine einzige Göttin im neuen Himmel genannt wird; der Gegensatz der Geschlechter, der allerlei Verwicklungen im Gefolge hatte und zu dem geläuterten Gottesbegriff wenig taugt, ist nicht mehr vorhanden. Sehr viel mehr als die mitgeteilten Züge waren von dem Bilde der neuen Welt schwerlich ausgeführt.

So begnügt sich die Sage mit dem Ausspruche; neue Götter und Menschen leben schuldlos auf immerdar in einer neuen, verklärten Welt; und es schliesst der Bericht der Edda mit den bedeutsamen Worten: "Wenn du aber noch weiter fragen willst, so weiss ich nicht, woher dir das kommt! Denn niemals hörte ich jemand ein Weiteres von den Schicksalen der Welt berichten. Nimm also hiermit vorlieb."

Und so sprechen auch wir zu dem Leser: "Nimm also hiermit vorlieb."


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