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Odin führt uns in die höchsten und tiefsten, die feinsten und meist durchgeistigten Elemente des germanischen Wesens. Thor-Donar ist der Gott der Bauern, Odin-Wotan, der Siegeskönig, ist der Gott der völkerleitenden Fürsten und HeldenEs besteht daher ein grosser Gegensatz zwischen beiden; der Schützer des Ackerbaues, der Bauern, kann keine Freude haben an den von Odin unablässig geschürten Kriegen, welche Saat und Gehöft verderben; doch geht auch der Bauer oder Knecht, der im Gefolge seines Herrn fiel, in Walhall ein. Im Harbardslied verspottet Odin als Gott des wilden, abenteuernden, fahrenden Heldenlebens ziemlich übermütig den plumpen, aber fleissigen Bauern (d. h. den als solchen verkleideten Thor).; zugleich aber (und das ist das Wunderbare, in dieser Vereinung so ganz für die germanische Volkseigenart Bezeichnende) ist er der Gott der Weltweisheit und der Dichtung; die grossen Könige der Völkerwanderung und die Kaiser des Mittelalters wie anderseits der ewig suchende Faust der deutschen Weltweisheit: Kant, Fichte, Hegel, Schelling, aber ebenso die grössten germanischen Dichter: Shakespeare, Goethe und der Dichterphilosoph Schiller; – alle diese Männer hätten unter dem Asenglauben Odin als ihren besondern Schutzgott betrachtet; alle diese unter sich so grundverschiedenen und doch gleichmässig für germanisches Eigenwesen so scharf bezeichnenden Gestalten, – sie sind Erscheinungen dessen, was die heidnische Vorzeit unsres Volks in ihren obersten Gott gelegt hat; ahnungsvoll hat das Germanentum in die eigne Brust gegriffen und seine höchste Herrlichkeit in Staats- und Siegeskunst, seine Heldenschaft, seine tiefste Tiefe in grübelnder Forschung, seine sehnsuchtsvollste dichterische Begeisterung verkörpert in seinem geheimnisvollen Götterkönig; es weht uns an wie Schauer aus den Urtiefen unsres Volks, gehen wir daran, Odins Runen zu deuten und die Falten zu lüften seines dunkelblauen Mantels. –
Woher rührt jene Verbindung scheinbar unvereinbarer Elemente in einer Göttergestalt?
Die Ursache liegt zum Teil in der Naturgrundlage, zum Teil in der Stellung Odins als obersten Königs und Leiters der Walhallgötter.
Seine Naturgrundlage ist die Luft, – die alldurchdringende; von diesem Alldurchdringen führt er ja auch den Namen; wir Neuhochdeutschen freilich brauchen "waten", "durchwaten" nur mehr von dem Durchschreiten des Wassers, höchstens etwa noch einer dichten Wiese oder einer Sandfläche; aber althochdeutsch watan, altnordisch vadha, bedeutete jedes Durchschreiten und DurchdringenVon dem Präteritum wuot, altnordisch ôdh (daher Odhinn, der durchdrungen hat), hat sich dann "Wuoth", "Wut" und "Wüten" gebildet; althochdeutsch Wotan, altniederdeutsch Wodan.; die Luft aber, in allen ihren Formen und Erscheinungen gedacht, welche Fülle von Gegensätzen schliesst sie ein! Von dem lautlosen und regungslosen blauen Äther, von dem gelinden, geheimnisvollen Säuseln der Frühlingsnacht, das kaum das junge Blatt der Birke zittern macht, bis zum furchtbar brausenden Sturmwind, der im Walde die stärksten Eichenstämme knickt; – alle diese Erscheinungen nun sind Erscheinungen Wotans; – er ist im gelinden Säuseln und nicht minder im tosenden Sturm. Aber durch diese seine Luftnatur wurde Wotan noch mehr; – er wurde zum Gott des Geistes überhaupt. In mehreren Sprachen ist das Wort für den leisen, unsichtbaren, doch geheimnisvoll allüberall fühlbaren Hauch der Luft eins mit dem Wort für GeistLateinisch spiritus ist Lufthauch und Geist, griechisch anemos, Wind, ist lat. animus, Mut, Geist. Und in der Tat; welch treffenderes Bild gäbe es für den unsichtbaren Lebenshauch, den wir Geist nennen, als eben den unsichtbaren Lebenshauch der Luft? Daher gibt Odin den Menschen bei deren Schöpfung önd, d. h. Lebensatem. Hönir, unerklärten Namens und Wesens, gibt ihnen Geistbewegung, Loki Blut und gute Farbe, diese beiden zugleich gefährliche Eigenschaften. Der Ursprung von "Seele" und "Geist" im Germanischen ist nicht ganz sicher; doch spricht manches dafür, dass Seele (gotisch saiwala) verwandt mit See, die bewegliche, leise flutende, wogende Kraft sei; "Geist" scheint verwandt mit altnordisch geisa, wüten (von Feuer oder Leidenschaft), gotisch ut-gaisjan, ausser sich bringen; andre vergleichen litauisch gaistas, Schein, altnordisch geisti, Strahl; s. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Strassburg 1883..
Wotan, der Gott des Lufthauchs, ist also auch der Gott des Geisteshauchs; und zwar des Geistes in seinem geheimnisvollen Grübeln, in seiner tiefsten Versenkung in die Rätselrunen des eignen Wesens, der Welt und des Schicksals; wer der Natur und der Geschichte ihre Rätsel abfragen, wer die Ursprünge und die Ausgänge aller Dinge ergründen, wer Gott und die Welt im tiefsten Wesenskern erforschen, d. h. wer philosophieren will, der tut wie Odin; Odin, der "grübelnde Ase", wie ihn bezeichnend die Edda nennt. Ahnungsvoll hat der deutsche Geist den ihm eignen philosophischen Sinn und Drang, der ihn vor allen Nationen kennzeichnet, seinen Faustischen Zug, in das Bild seines obersten Gottes gelegt. Wie der Wahrheit suchende Grübler Faust nicht harmlos der frohen Gegenwart geniessen mag und sich des Augenblicks und der hellen Oberfläche der Dinge erfreuen, wie es ihn unablässig drängt, den dunkeln Grund der Erscheinungen zu erforschen, die Anfänge, die Gesetze, die Ziele und Ausgänge der Welt; – so der "grübelnde Ase". Während die andern Götter sich den Freuden Walhalls hingeben oder in Abenteuer, in Kampf und Liebe der Gegenwart leben, uneingedenk der Vergangenheit und um die Zukunft unbesorgt, kann Odin nun und nimmer rasten im Suchen nach geheimer Weisheit, im Erforschen des Werdens und des Endschicksals der Götter und aller Wesen. Die Riesen oder einzelne unter ihnen gelten als im Besitz uralter Weisheit stehend; Odin ermüdet nicht, solche weisen Meister aufzusuchen und auszuforschenAls "Gangrad" geht er so zu dem Riesen Vafthrudnir, als Vegtam bringt er nach Hel, über Baldurs drohendes Beschick zu forschen; dagegen verkündet er Geirröd die Herrlichkeit Asgards und der Asen.; hat er doch sein eines Auge selbst als Pfand dahingegeben, um von dem kundigen Riesen Mimir Weisheitslehren zu empfangen; denn im Wasser, in "Mimirs Brunnen", liegen die Urbilder aller Dinge verborgen; er versenkt deshalb sein Auge in diesen BrunnenMan deutet dies, mit zweifeligem Recht, der Naturgrundlage nach, auf die Sonne als Odins Auge (?); im Wasser abgespiegelt, ruht das andre Auge, das verpfändete, versenkte.. Zauberinnen, weissagende Frauen, lebende und tote, forscht er aus; ja er hat die "Runen", den Inbegriff aller geheimen Weisheit, selbst erfundenVgl. über die verschiedenen Runen-Alphabete Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, I, Berlin 1881, S. 122. Die Runen sind die lateinischen Buchstaben der Kaiserzeit, durch Vermittlung der Kelten den Germanen zugekommen. Man bediente sich derselben nicht zur Schrift in unserm Sinn, sondern zu Zauber (Zauber von zepar; opferbare Tiere, im Gegensatz zu Unziefer, Ungeziefer, welches die Götter verschmähen), Weissagung, Zukunftsforschung, Losung. Man ritzte in Stäbchen von Buchenrinde Zeichen, warf sie (etwa aus einem Helm) zur Erde und las sie einzeln auf (daher "lesen"); jede Rune bedeutet ein Wort, welches mit dem fraglichen Buchstaben begann (z. B. Th einen Riesen, weil Thurs mit Th beginnt), was mit dem "Stabreim" der germanischen Dichtung zusammenhängt. Man schnitt oder ritzte zu Zauberzwecken Runen; so drohte man, einem Weib einen Thurs (Riesen) zu ritzen, dem sie dann verfallen wäre, "einen Thurs ritze ich dir und drei Stäbe" (altnordisch; thurs rist ek ther ok thria stafi); erst durch das Aussprechen der drei Stäbe des Stabreimes tritt der Zauber in Kraft; es gab Sieg-Runen, Liebes-Runen, Bier-Runen, Speer-Runen, Pfeil-Runen, Haus- und Herd-Runen (die "Hausmarke" war sehr oft eine Rune, etwa mit leiser Änderung), Schiffs-Runen, Toten-Runen, d. h. durch welche man Tote auferwecken und zum Sprechen bringen kann; achtzehn Zauberzwecke werden aufgezählt.. Auch mit kundigen Menschen hält er Wettgespräche der Weisheit, in welchen der Götter und aller Wesen Entstehung, Wohnung, Sprache, Schicksal und Ende erörtert wird. So hat er denn auch die Geheimkunde von der unabwendbar drohenden Götterdämmerung ergrübelt; – aber zugleich auch das trostreiche Hoffnungswort von der Erneuerung, von dem Auftauchen einer neuen, schönen, schuldlosen Welt; und er vermag dies Trostwort als letztes Geheimnis seiner Weisheit dem toten Lieblingssohne Baldur noch in das Ohr zu raunen.
Es sind zunächst äussere Gründe, welche den Leiter der Walhall-Götter zu solcher Forschung führen; – das Bedürfnis, die den Göttern von den Riesen drohende Gefahr der Zukunft zu erkunden –; aber ebenso unverkennbar hat die Edda, hierauf weiterbauend, dem "grübelnden Asen" den tief germanischen Drang nach Weltweisheit eingehaucht. Unablässig forscht der Gott, der nicht allwissendEin Riese, den er im Wettkampf von Fragen und Antworten besiegt, ruft am Schluss ehrfurchtsvoll sich beugend; "Du wirst immer der Weiseste sein!" ist, aber es sein möchte; täglich sendet er seine beiden Raben aus, die Welt und den Lauf der Zeiten zu erkunden; zurückgekehrt sitzen sie dann auf seinen beiden Schultern den flüstern ihm geheim ins Ohr; sie heissen aber – denn nicht könnten die Namen bezeichnender sein – sie heissen "Hugin" und "Mugin": "Gedanke" und "Erinnerung".
Vom Geist untrennbar ist die Durchdringung mit Geist, die Begeisterung; und wie der philosophische, findet der dichterische Drang germanischen Volkstums, der Geist, der, vom Trank der Schönheit trunken, selbst das Schöne zeugt, in Odin seinen Ausdruck. Zwar hat die nordische Mythologie einen besondern Gott des Gesanges aufgestellt, Bragi (Odins Sohn), "der die Skalden ihre Kunst gelehrt" (s. unten); aber er ist nur eine Wiederholung, eine einzelne Seite Odins; Odin ist der Gott höchster dichterischer Begeisterung, jener Entzückung künstlerischen Schaffens, welche, -auch nach Sokrates-Platon, mit der wärmsten Liebesbegeisterung für das Schöne verwandt, auch von andern Völkern als ein Rausch, als eine Art göttlichen Wahnsinns gefasst und gefeiert wird. Tief hat es das germanische Bewusstsein erfasst, dass nur aus der Liebe höchsten Wonnen und Qualen der Trank geschöpft wird unsterblicher Dichtung.
Der Trank oder Met der Dichtung war entstanden aus dem Blut eines Zwergen Kwâsir, "der war so weise, niemand mochte ihn um ein Ding fragen – er wusste Antwort". Den Trank hatte in Verwahrung des Riesen Suttung schöne Tochter Gunnlöd; unter falschem Namen, durch List und in Verkleidung gelangt Odin zu ihr; er gewinnt die Liebe der Jungfrau; drei Tage und drei Nächte erfreut er sich ihrer vollen Gunst und die Liebende gestattet ihm, drei Züge von dem Trank zu schlürfen; aber in diesen drei Zügen trinkt der Gott die drei Gefässe leer, nimmt Adlersgestalt an und entflieht nach Walhall, indem er für sich und seine Lieblinge, denen er davon verleihen mag, die Gabe der Dichtung unentreissbar gewonnen hat; sie heisst daher "Odins Fang", "Odins Trank", "Odins Gabe".
Nach echt germanischer Auffassung ist die Dichtung zugleich die höchste Weisheit; sie gewährt Antwort auf alle Fragen; es ist jene tiefsinnige Wahrheit, dass der Dichter, der echte, dass ein Shakespeare, Goethe, Schiller die letzten Geheimnisse der Menschenbrust ausspricht und in schöner Ahnung die Rätsel der Natur und Geschichte löst; die goldene Frucht der Wahrheit in den silbernen Schalen der Schönheit. – Das ist die germanische Auffassung von der Aufgabe der Dichtkunst, wie sie unsre grössten Meister erkannt und gelöst haben. Denn wahre Schönheit ist schöne Wahrheit. Das Wesen dieser Dichtkunst aber ist trunkene, entzückte Begeisterung. Ein prachtvolles Bild der Edda schildert den Rausch (zunächst allerdings für den Rausch des Trinkers): "der Reiher der Vergessenheit rauscht über die Gelage hin und stiehlt die Besinnung"; "dieses Vogels Gefieder," fährt Odin fort, "befing auch mich in Gunnlöds Haus und Gehege, trunken ward ich und übertrunken, als ich Odrörir erwarb". Es wird also der Rausch dichterischer Begeisterung eingekleidet in den Rausch des Trankes des heiligen Mets; auch die Namen sprechen etymologisch die gleiche Lehre aus: Kwâsir bedeutet "die schäumende Gärung", und Odrörir ist der "Geistrührer"; – der Trank, der den Geist in Bewegung setzt. Aber nur durch die Liebe gelangt der Gott zu dem selig berauschenden Trank: "nur sie, nur Gunnlöd schenkte mir, auf goldenem Lager, einen Trank des teuren Mets"; nie wär’ ihm die Entführung des Trankes geglückt, "wenn Gunnlöd mir nicht half, die gunstgebende Maid, die den Arm um mich schlang".
Auch das ist tief ergreifend in dieser wunderbaren Sage vom Werden der deutschen Dichtung, dass, wie die Wonne, so das Weh der Liebe als unentbehrlicher Tropfe in diesen Becher der Poesie geschüttet wird; nicht ohne höchste Liebeslust, nicht ohne tiefstes Liebesleid zu geben und zu empfangen wird Odin zum ersten germanischen Dichter; nach den drei seligen Nächten folgen für Gunnlöd die langen, bangen Tage des sehnsuchtvollen Grämens, das ihr Leben verzehrt; und auch durch Glanz und Glorie des göttlichen Dichterkönigs klingt die Erinnerung an die gute Maid, "die alles dahingab" und die er verlassen, leis elegisch zitternd nach: "Übel vergolten hab’ ich," fährt Odin fort in seiner Selbstschilderung: "Übel vergolten hab’ ich der Holden heiligem Herzen und ihrer glühenden Gunst; den Riesen beraubt’ ich des köstlichen Tranks und liess Gunnlöd sich grämen".
Rührender und tiefer und einfacher kann man die alte Geschichte nicht erzählen, "wie Liebe doch mit Leide stets endlich lohnen muss".
Odin ist aber auch das Urbild des völkerleitenden, völkerbezwingenden, Völker zu Krieg und Sieg antreibenden, fortreissenden Staatsmannes.
Zwei Gründe sind es, welche in ihm den unablässigen Drang lebendig erhalten, die Völker und Könige gegeneinander zu hetzen, sie stets listig untereinander zu verfeinden, dem Frieden zu wehren, "Zanksamen, Zwist-Runen unter ihnen auszustreuen", bis sie sich in blutigen Schlachten morden, bis Tausende auf ihren Schilden liegen; indes der Gott, der Siegeskönig, der all das angerichtet, seine hohen, geheimen, von den geleiteten Fürsten und Völkern gar nicht geahnten Zwecke dadurch erreicht.
Einmal ist "Wuotan", der Wütende, die kriegerische Kampflust selbst; er ist der Gott jeder höchsten geistigen Erregung, jeder Begeisterung; nicht minder als die dichterische ist es die kriegerische Begeisterung des Helden, welche er darstellt; jener germanische Heldengeist, welcher, aus den Urwäldern Deutschlands hervorbrechend, in der Völkerwanderung das römische Westreich niederwarf, bis nach Apulien und Afrika, bis nach Spanien und Irland unwiderstehlich vorwärts drang, jener ‘furor teutonicus, den die Römer seit dem "kimbrischen Schrecken" kannten, jene Freude am Kampf um des Kampfes willen; der Drang also, der von der Urzeit bis auf die Gegenwart die deutschen Männer in die Feldschlacht treibt; – es ist der Geist Wotans, der sie beseelt.
Dazu aber kommt ein zweiter, in dem Grundbau der germanischen Götterlehre wurzelnder Antrieb; Odin muss als Anführer der Asen und all ihres Heers im Kampfe gegen die Riesen dringend wünschen, dass Krieg und männermordende Schlachten kein Ende nehmen auf Erden; denn nur die Seelen jener Männer, welche nicht den "Strohtod" des Siechtums oder Alters in ihren Betten, sondern den freudigen Schlachtentod gestorben sind auf blutiger Wal, nur diese werden von den Walküren nach Walhall getragen und nur diese, die Einheriar, kämpfen an der Seite der Götter gegen die Riesen; jedes Schlachtfeld liefert also dem König der Götter eine Verstärkung seiner Heerscharen.
Auch dieser Zug Wotans hat in der deutschen Geschichte, im deutschen Volkswesen seine Spiegelung gefunden.
Denn jene friedfertige Gutmütigkeit der Kraft, welche Donar und Dietrich von Bern eignet, ist doch keineswegs ausschliessend und zu allen Zeiten, wie in den tieferen Schichten des Volks, auch in seinen Leitern und Führern massgebend gewesen. Sie konnte es nicht sein in dem harten Kampf ums das Dasein, den seit bald zwei Jahrtausenden das Germanentum gegen Kelten und Romanen, Slaven und Mongolen, Türken und Tataren zu führen hatte. Mit solch treuherziger Friedfertigkeit allein hätten die Germanenvölker trotz Donars Hammer und seiner Kraft vor den bald an Bildung, bald an Zahl unermesslich überlegenen Feinden nicht bestehen können und wären nicht im Lauf der Jahrhunderte siegreich von Asien quer durch ganz Europa nach Spanien, Süditalien und Afrika und in die neuentdeckten Erdteile vorgedrungen, hätten Rom, Byzanz und Paris überwunden und den ehernen Fuss auf den Nacken des Slaventums gesetzt. Da hat es denn von Anbeginn – danken wir Wotan dafür! – dem germanischen Stamm auch nicht an grossen, kühnen und listigen Staatsmännern und Fürsten gefehlt, welche mit überlegener Staatskunst die Geschicke der Völker in Frieden und Krieg zu ihren geheimen und rettenden Zielen gesteuert. Schon jener Cheruskerfürst Armin, dessen dämonische Gestalt im Eingangstor unsrer Geschichte steht, war in staatskluger Arglist kaum minder gross als an Tapferkeit. Die Not der Völkerwanderung hat dann manchen ränkekundigen Fürsten erzogen, welcher byzantinischer Schlauheit mehr als gewachsen war; und bei dem Bild eines unter ihnen, des gefürchteten Meerkönigs Geiserich, des Vandalen, der aus seinem Hafen zu Karthago sein Raubschiff vom Ungefähr, vom Winde, treiben lässt gegen die Völker, "welchen der Himmel zürnt", scheint die Heldensage geradezu Züge aus dem Wesen Wotans entlehnt zu haben; wie er verschlossen, wortkarg, höchst geschickt gewesen, unter die Fürsten und Völker den "Samen der Zwietracht zu streuen", er, der arglistigste aller MenschenSiehe Dahn, Könige der Germanen, I, München 1861, S. 151.. Geschweigen wir Theoderichs und Karls, der Grossen, und gedenken sofort jener gewaltigen staufischen Kaiser, Heinrich VI. und Friedrich II., welche über Päpste, Könige und Völker hinweg ihre grossartige, oft vielfach verschlungene Staatskunst mit den Zielen: Rom, Byzanz, Jerusalem verfolgten; erinnern wir uns jenes preussischen Friedrich, von dessen Staatskunst man das über Geiserich gesprochene Lob wiederholen mag: – "er war früher mit der Tat fertig als seine Feinde mit dem Entschluss" – und erwägen wir die Werke überlegener Staats- und Siegeskunst, welche wir, von göttergesendetem, durch den "Wunschgott" geschenktem Glück getragen, im letzten Kriege mit Frankreich (1870) mit staunenden Augen die deutsche Volkskraft leiten sahen; – gedenken wir Bismarcks – und es überschauert uns ein Ahnen von dem aus der Grundtiefe germanischer Art geschöpften Wesen Odins, des staatsklugen, völkerleitenden Meisters des Sieges.
Nachdem aus der Naturgrundlage und aus der Geistesart Odins im bisherigen die wichtigsten Folgerungen abgeleitet sind in grossen allgemeinen Zügen, haben wir darzustellen, was im übrigen und im einzelnen zu seinem Bilde gehörtOdin sind Adler und Wolf geweiht und seinen Namen tragen ein kleiner Wasservogel (tringa minima, inquieta, palustris et natans, Odins-hane, Odens-Fugl; auch an der menschlichen Hand der Raum zwischen dem (vielfach heiligen, im "Däumling" personifizierten) Daumen und dem Zeigefinger war ihm als "Wodens-Spanne", "Woen-let" geweiht. Zahlreiche Ortsnamen, dann Namen von Burgen, Quellen, Wäldern, Inseln sind mit Odin-Wotan zusammengesetzt, Wotans-Weg, -Holz, -Hausen, Wedans-burg, -haus, -field, Odins-ey, -källa, -fala usw..
Die reiche Fülle seiner Verrichtungen, Aufgaben und Wirkungen fiel schon der Urzeit auf, die ihn verehrte; diese Mannigfaltigkeit drückt sich in der grossen Menge von Namen aus, deren er sich erfreut (gegen zweihundert, in der Edda allein fünfundsiebzig), auch hierin ist ihm kein andrer Gott vergleichbar; ja die Germanen lassen ihn selbst sich dessen berühmen: "Eines Namens genügte mir nie, seit ich unter die Götter fuhr", und er zählt nun zahlreiche Beinamen auf, welche er bei bestimmten Gelegenheiten, Fahrten, Abenteuern führte; leider ist unsre Überlieferung so stückhaft, dass wir von diesen Begebenheiten nirgends sonst etwas erfahren! –
Der Wind beherrscht auch das Wasser; so tritt Odin auch als Wassergott auf, als "Hnikar" (vgl. der Neck, die Nixe); er allein gibt als Windgott günstigen Wind, "Fahrwind", den Schiffern; er wandelt auf den Wellen, beschwichtigt sie, gibt dem Schiff, in das er, verkleidet, sich aufnehmen lässt, glückliche Fahrt; so wird er denn auch, wie der Luftgott Hermes-Merkur (mit welchem ihn die Römer verwechselten), ein Gott der Kaufleute, der Schiffs-Frachten.
Aber nicht nur den Wunsch-Wind spendet Odin, sondern als oberster, als mächtigster Gott kann er mehr als alle andern, überhaupt alle Wünsche der Menschen erfüllen; daher heisst er "Oski", der Wunsch, d. h. der Wunsch-Gott, Wunsch-Erfüller. Und diese Vorstellung war besonders auch südgermanisch, d. h. deutsch; im deutschen Mittelalter wird noch "der Wunsch" personifiziert und vielfach angerufen und gefeiertEr hat Hände, Blick, freut sich, zürnt, neigt sich; meist steht "Wunsch" hier gleichbedeutend mit göttlicher Wunsch-Gewährung. Wie reich ausgebildet diese Auffassung Wotans war, beweisen die Sagen von dem "Wunsch-Hütlein", "Wunsch-Säcklein", "Wunsch-Mantel", der "Wünschel-Rute". Auch Gibich, der Geber (nord. Giuki), der Stammvater des Königsgeschlechts der Gibichunge (Giukunge), war der Geber-Gott Wotan; vgl. unten "Heldensagen".; dass der alte Wotan darin verborgen war, merkte man nicht mehr.
Als Schlachten- und Siegesgott heisst Odin Walvater, Siegvater, Heerschild (Harbard), Hialmberi (Helmträger); dies leitet hinüber auf die Vorstellung des durch den unsichtbar machenden oder doch die Feinde erschreckenden Helm (Tarnkappe) Verhüllten. So heisst er Grimur und GrimnirEigentlich bedeutet es eine Art Helm-gitter, welches das Antlitz verbirgt, und durch welches hindurch er drohend, schreckend blickt.: der Verhüllte. Verhüllt, verkleidet, in unscheinbarer Tracht wandert der Gott unermüdlich (wie der Wind) durch Midgard, Riesen- und Elbenheim, überall nach verborgener Weisheit spürend, seine geheimen Pläne, Bündnisse, Verträge verfolgend, die Wirtlichkeit der Menschen prüfend, seine Lieblinge beschützend, die Feinde der Götter ausforschend, überlistend, unerkannt mit ihnen in Wettgespräche sich einlassend, wobei Frage und Antwort wechseln und derjenige, welcher eine Antwort schuldig bleiben muss, das Haupt verwettet und verwirkt hatOder der Wanderer weiss das Gespräch so lang hinzuziehen, den eiteln und neugierigen Zwerg so lang hinzuhalten, bis die Sonne in den Saal scheint und der Dunkelelbe, der Unterirdische, durch ihren ersten Strahl zersprengt oder in Stein verwandelt wird.; als "ewigen Wanderer" bezeichnen ihn die Namen Gangleri, Gangradr, WegtamrIm Mittelalter wurde dann mancher Zug von dem rastlosen geheimnisvollen Wanderer auf den "ewigen Juden" übertragen; aber keineswegs ist die ganze Sage von diesem aus Wotan hervorgegangen. Die "wabernde" Luft (vgl. Waberlohe) bezeichnet sein Name "Wafudhr", ihr leises Beben "Biflindi", deren Brausen, zugleich aber auch das Tosen der Schlacht "Omi" (angelsächsisch vôma); er heisst ferner Yggr, der Schreckliche (daher Yggdrasil), dann "Bölwerkr" und "Bölwisi" als der Arglistige, der durch Täuschung seine Zwecke erreicht, Fürsten und Versippte durch Zankrunen verfeindet; andre Namen s. oben; der " Mann vom Berge"..
Als geheimnisvoller Wanderer, in unscheinbarem Gewand, tritt der Gott in zahlreichen Sagen und Märchen auf; den grossen breiträndigen SchlapphutDaher heisst er Höttr, Sidhöttr.(Windhut, Wunsch-hut) tief in die Stirn gerückt, seine Einäugigkeit (s. oben) zu verbergen, an der man ihn erkennen möchte, in einen weitfaltigen, dunkelblauen, fleckigen (d. h. wie die Wolken gefleckten) MantelMantel aus Tierfellen; daher heisst er "der manteltragende Gott"; Hakul- (nord. Mantel)berand, woraus der "Hackelberend" geworden, der als wilder Jäger dem wütenden Heer voraus reitet, als Mantel-Reiter wird er zu dem "heiligen Martinus".gehüllt, mit dichtem Haupthaar (manchmal aber auch kahl), meist mit wirr wogendem, grau gesprenkeltem Bart, den Speer in der Hand, den Zauber-Ring Draupnir am Finger, ein hoher Mann von etwa fünfzig Jahren oder auch wohl als Greis, doch gewaltig an ungebrochener KraftIm Märchen ist er oft zum kleinen grauen Männchen zusammengeschrumpft, mit Zwergen verwechselt; der lange Wirrbart verrät auch den König Drosselbart oder Brösel-bart des Märchens deutlich als Wotan..
Aber nicht unscheinbar, sondern furchtbar-prächtig, in kriegerischer Helden-Herrlichkeit, tritt der König und Feldherr der Götter auf, wann er an der Spitze der Asen, Lichtalben und Einheriar ausreitet zum Kampfe gegen die Riesen; dann leuchten weithin sein goldener Helm mit den vorwärts gesträubten und dadurch Schreck einflössenden Schwan- oder Adlerschwingen (der "Schreckenshelm") und die reich geschmückte Brünne; auf Sleipnirs Rücken braust er heran, den Siegesspeer Gungnir schwingt er und schleudert ihn unter der Feinde Volk mit dem Zauberruf: "Odin hat euch alle".
Und stattlich auch thront er auf Hlidskialf, dem "Hochsitz", in Walhall (aber doch nicht bloss wie auf Erden der König und jeder Hofherr den Hochsitz in seiner Halle einnimmt; es ist eine Spähwarte gemeint), den nur Frigg, seine Gemahlin, mit ihm teilen darf. Hier empfängt er als Hroptr (Rufer zum Kampf) die neu eintretenden Einheriar. Vor seinem goldenen Stuhle steht ein goldener Schemel; nach (Süden oder nach) Westen schaut er; denn von (Norden oder von) Osten sind, wie die Germanen überhaupt, die Asen, von Odin geführt, hergewandert und nach Süden und Westen zielte ihr Trachten. Zu seinen Füssen kauern die beiden Wölfe (erst später Hunde), Geri und Freki, die Tiere der Walstatt, die Walvater heilig; er füttert sie mit dem Fleische des Ebers Sährimnir, – denn er selbst bedarf nicht der Speise, nur des Trankes; und zwar nicht von Äl oder Met, aber an Wein erfreut er sichOffenbar erst spät entstanden, nachdem der Wein bekannt und bevorzugt wurde.. Ein Adler hängt (oder schwebt) über dem Westtor von Odins Saal, wohl scharf ausspähend. Auf des Gottes Schultern aber wiegen sich die beiden Raben und raunen ihm Weisheit in das Ohr. Nachklänge in den Sagen lassen den König Oswald (Aswalt) durch zwölf Goldschmiede (die zwölf Asen) seinem Raben die Flügel mit Gold beschlagen oder zwei weisse Tauben dem Papst ins Ohr flüstern, was er tun soll, oder eine Taube Luther die Bibelübersetzung in das Ohr sagen, wobei die Taube in protestantischen Landen weiss (der heilige Geist), in katholischen aber schwarz ist (der Teufel); kaum ist dabei an den Raben Odins zu denken.
Wir sahen, aus welchen Gründen Odin wünschen muss, dass möglichst viele Männer den Bluttod im Kampfe, nicht den Strohtod, sterben (deshalb ritzten sich Kranke mit dem Speer, um so doch "Odin geweiht"Übrigens wurden auch wohl Söhne schon vor oder gleich nach der Geburt von den Eltern in gleichem Sinn "Odin gegeben", geweiht; man erkaufte dadurch des Gottes Schutz für das Leben des Sohnes, unter der ihm auferlegten Verpflichtung des Bluttodes; hier tritt an Stelle der Selbstweihe die Weihe durch den Vater. – Man "weihte auch sich selbst Odin", d. h. verpflichtete sich, nach bestimmten Jahren (z. B. zehn) in der Schlacht zu fallen.zu sterben und "nach weitherziger Auslegung" die Bedingung erfüllt zu haben; "denn alle mit dem Speer Geritzten", d. h. ursprünglich im Kampfe Gefallenen, nimmt Odin in Anspruch). Deshalb schliesst er Verträge, Bündnisse mit hervorragenden Königen oder andern Helden, in welchen diese sich verpflichten, dereinst in der Schlacht zu fallenDann ist es wohl Odin selbst, der dem bisherigen Schützling in der letzten Schlacht als hoher Greis, das Haupt mit dem breitrandigen Hut verhüllt, im blauen Mantel entgegentritt, an dessen "grauem" Speer das verliehene Siegesschwert zerbricht oder umgekehrt; der verliehene Speer am Schwert, dessen Stücke aber freilich neu geschmiedet werden mögen. Solange das Schutzverhältnis dauert, lehrt der Gott seine Lieblinge siegen; z. B. Feinde, welche Zauber gegen Eisen gefeit hat, mit Steinen zu Tode werfen. Solange mag der Schützling seinen Feinden, statt ihnen die verlangte Busse zu zahlen, siegesgewiss zurufen; "Gewärtigt wilde Wetter, graue Speere und Odins Gram!" Oder; "dem Tode verfallen (feigr, nicht unser neuzeitliches; ‘feige’) ist euer Führer, eure Fahne fällig, gram ist euch Odin". Darauf erscheint ein gewaltiger Mann im Schlapphut, schleudert seinen Speer über die feindliche Schlachtreihe, ruft; "Odin hat euch alle!" und erfüllt diese mit wild entscharendem Entsetzen. Wie Odin überhaupt Menschenopfer dargebracht wurden, weihte wohl ein Heer vor der Schlacht das feindliche Odin, vielleicht unter der symbolischen Form eines Speerwurfes oder Pfeilschusses über die Feinde hin; d. h. im Fall des Sieges wurden dann alle Gefangenen ihm geschlachtet, vielleicht auch die Pferde, und die erbeuteten Waffen zerbrochen. So hatten (im Jahre 58 nach Chr.) die Chatten (Hessen), im Kampfe mit den Hermunduren (Thüringen), um die heiligen Salzquellen (wohl von Kissingen) des Grenzgebietes die Feinde Mars und Merkur (Ziu und Wotan) geweiht; so die Kimbern vor der Schlacht von Arausio (Orange, am 6. Oktober 105 vor Chr.) die Legionen (Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker, II, Berlin 1881, S. 6, 110. – Dahn, Deutsche Geschichte, I, 1. Gotha 1884, S. 324, 407), und man fand auch einmal in der Nordsee ein Schiff, in welchem die Pferde getötet, die Waffen absichtlich zerbrochen schienen., während der Gott diesen seinen Lieblingen und Walsöhnen, solange sie leben (und zwar manchmal für ein übermenschlich langes Leben oder für eine bestimmte Vertragszeit, z. B. zehn Jahre) SiegOdin ist der genialste Feldherr; er hat die Germanen die keilförmige Schlachtordnung, den "Eberrüssel" (swinfylking), gelehrt, mit welcher sie denn auch richtig schliesslich die Legionen Roms zersprengt und den Erdkreis erobert haben. Seine Lieblinge lehrt Odin, ihnen den Sieg zu sichern, diese Schlachtordnung ganz besonders; so den Dänenkönig Harald Hildetand, den er auch unverwundbar gezaubert hatte (dafür hatte der König sich selbst und die Seelen aller Erschlagenen Odin geweiht), der damit den Schwedenkönig Ingo besiegte. Aber als Haralds Stunde gekommen in der Brawallaschlacht gegen König Hring, hatte Odin auch diesen die Keilstellung gelehrt, wie der erblindete Harald zu seinem Schrecken von seinem lachenden Wagenlenker erfährt; dieser Wagenlenker ist der verkleidete Gott selbst, der nun den langjährigen Schützling eigenhändig tötet. Arglist Odins, "Treulosigkeit des Kriegsglückes" liegt aber darin nicht ausgedrückt; der Bluttod ist ja Vertragspflicht und nach andrer Fassung der Sage verlangt Hildetand den Tod., Ruhm, Beute, Reichtum, auch etwa Weisheit, Zauberkunst oder einzelne Zauberkräfte verleiht. – Sehr oft ist diese Verleihung geknüpft an die Verleihung von SchwertS. unten, zweite Abteilung; Wölsungensage., RossGrane, Sigurds Ross, das von Sleipnir stammte, s. unten Wölsungensage., Speer, Brünne, Helm, Hut, Mantel, Stab (als Zauberstab, WünschelruteDie Wünschelrute, mit der man vor allem vergrabene Schätze entdeckt, aber auch andern Zauber üben mag, heisst sogar geradezu selbst "der Wunsch"; so heisst es im Nibelungenlied von dem Hort, "der wunsch lac dar under, von golde ein rütelin"; hier hat sie die Wirkung, den Hort immer wieder zu mehren, wieviel davon entnommen wird, was sonst Odins Ring, Draupnir, von dem andre, "ebenschwere" träufen (in der Edda ebenfalls ein Ring, auch Mimirs Armring) vermag; später treten an die Stelle Brutpfennige, Hecktaler, oder der Wunsch-säckel. Auch begegnen ferner "Wunsch-Würfel", die "Siebenmeilen-stiefel" und andre "Wunschdinge", die alle ursprünglich von dem Wunschgott verliehen werden., im Märchen auch "Knüppel aus dem Sack", was aber auch auf den Speer zurückgeht), Ring des Gottes.
In unaufzählbar mannigfaltigen Wechslungen wiederholt später die SageOder das Märchen; z. B. vom Gevatter Tod, vom Teufel als Paten, der dann als Patengeschenk ein "Wunsch-ding" schenkt, oder die Heilkunst lehrt, aber sich dafür die Seele ausbedingt, um welche er dann durch eine List geprellt wird; z. B. er ergreift den Schatten statt des Mannes, oder es wird ihm das erste Leben, welches den Kerker verlässt, die Brücke beschreitet, zugesagt, aber listig ein Hund dem so bedrohten Menschen vorausgeschickt, mit dem sich nun der Teufel begnügen muss. Der überlistete geprellte Teufel geht aber nicht auf Odin, sondern auf den von Odin überlisteten Zwerg oder Riesen zurück. – Seltner wählen sich Odin und gleichzeitig etwa auch Frigg (oder Thor) je einen Schützling unter den Menschen oder Völkern ohne solchen Vertrag und ohne Selbstweihung; beide Götter wetteifern dann, ihrem Liebling Meer Glück zuzuwenden als der andre dem seinigen, und es wird dann wohl Odin von Frigg überlistet; so in der Sage von der Namengebung der Langobarden; diese wird von Paulus Diakonus, dem Geschichtschreiber dieses Volks (Zeitgenossen Karls des Grossen), nur unvollständig erzählt; sie muss aus andern Sagen (Märchen) ergänzt werden. Die späteren Langobarden hiessen ursprünglich Winiler; bei ihrer Wanderung von der Elbe gen Südosten gerieten sie in Streit mit den Vandalen; eine Schlacht stand bevor; Odin hatte beschlossen, den Vandalen den Sieg zu schenken; Frigg bat um Sieg für die Winiler. Der listige Gott sprach, er werde demjenigen Heere den Sieg verleihen, welches er bei dem Erwachen am folgenden Morgen zuerst erblicken werde; hier muss nun angenommen werben, er zweifelte nicht, dass dies die Vandalen sein würden, nach deren Land er, gemäss der Stellung seines Bettes, zuerst blicken musste. Aber Frigg kehrte unvermerkt sein Bett um, so dass er beim Erwachen zum entgegengesetzten Himmelsfenster hinausblickte. Ausserdem hatte sie den Winilern geraten, ihre Weiber vor ihrer Schlachtreihe aufzustellen mit gelöstem Haar, das sie wie einen Bart an den Mund drücken sollten. Erwachend rief Odin erstaunt; "Was sind das für Langbärte?" Frigg aber sprach; "Du gabst ihnen den Namen, so gib ihnen als Patengeschenk auch den Sieg." (Nach germanischer Sitte war mit der Namengebung die Verpflichtung zu einem Geschenk verknüpft.) Odin musste das wohl gewähren, da er ja die Winiler zuerst erblickt hatte; diese aber hiessen fortab Lango-barden. – Es sind wohl zwei verschiedene Fassungen der Sage im Schwange gewesen; denn die Siegverleihung wird hier zwiefach begründet. diesen Gedanken des Bündnisses, des Vertrags, der Verleihung und des schliesslichen Eingehens des Schützlings in Walhall; nur dass an Stelle des wohltätigen, herrlichen Gottes der – Teufel tritt, der die arme Seele zu verführen trachtet, um sie schliesslich in der heissen Qualenhölle zu peinigen; an die Stelle tiefgründiger, poesievoller Gedanken des heidnischen Altertums hat das Mittelalter auch hier wieder einmal seine hässlichen Fratzen gestellt.
So ist das Vorbild der Faustsage, welche durch Goethe abermals eine Volksdichtung geworden, das alte Wotans-Bündnis; der Zaubermantel des Doktor Faust ist lediglich der alte Mantel Odins, auf dem er seine Schützlinge entrückt, durch die Luft über Länder und Meere führtBekannt ist auch jene Wendung der Sage, wonach der Mensch durch Vertrag mit dem Teufel die Kunst gewinnt, alle Krankheiten zu heilen, oder doch die tödlichen sofort zu erkennen, indem er den Teufel zu Häupten des Bettes stehen sieht. Aber um die geliebte Königstochter zu retten und zu gewinnen, dreht der Arzt das Bett herum, der Teufel, der geprellte, steht nun am Fussende und die Kranke genest.. Es ist wunderbar, wie zähe die Volksseele festhält die uralten Formen der Sage; nur der Inhalt, d. h. die Menschen und die Verhältnisse, welche hineingegossen werden, wechseln, aber die Form bleibt die gleiche; so sind im 19. Jahrhundert vor unsern Augen zwei Sagen entstanden, die Eisenbahnsage (ungefähr 1855) und die Bismarcksage (1866), welche lediglich die alten Wotans-Bündnisse darstellen, angewandt auf eine neuzeitliche Erfindung und einen noch lebenden Mann.
Von allen neueren Erfindungen hat auf die Sinne unsres Landvolkes (in Bayern z. B. in den Gegenden um Rosenheim) den grössten, aber auch den unheimlichsten Eindruck gemacht das Dampf und Feuer schnaubende, lindwurmähnlich daherbrausende Ungetüm, welches pfeilgeschwind Menschen und hochgetürmte Lasten durch die Lande trägt und welches wir Eisenbahn nennen. Als nun zuerst dies wilde Wunder in die stillen Alpentäler drang, bemächtigte sich seiner sofort die sagenbildende Einbildungskraft; aber sie schuf in der Eisenbahnsage nichts Neues, sondern wandte darauf an die uralte Formel des Wotan-(Teufels-)Bündnisses und lehrte: nicht Menschen vermochten dies Werk zu erfinden, der Teufel (Wotan) hat es dem Ingenieur verkauft, um den Preis seiner Seele – und der Seele des zuletzt einsteigenden FahrgastesDiese Sagen berühren sich mit den "Bausagen", wonach ein Riese (später der Teufel), auch wohl ein Zwerg, ein Werk für die Menschen vollendet, wofür er sich ein Kind (des Könige Tochter) oder Weib versprechen lässt; s. unten die Sage von Swadilfari, Buch III.; darum hütete man sich, dieser letzte zu sein. – Genau dem Wotantypus entspricht ferner die Sage, welche während des österreichischen Kriegs von 1866 niemand geringeren zu ihrem Gegenstand machte als den späteren Kanzler des Deutschen Reiches. Die überraschenden Erfolge der preussischen Waffen wurden ausschliesslich dem Zündnadelgewehr zugeschrieben; diese Siegeswaffe aber hatte nach der Sage der deutsch-österreichischen Bauern nicht der ehrenwerte Herr Dreyse in Sömmerda erfunden, sondern dies Gewehr, das von selbst sich ladet und losgeht, wenn der Preusse darauf klopft, hat der Teufel (d. h. Wotan) "dem Bismarck" verkauft; – natürlich um den Preis, den er von je bei seinen Verträgen sich ausbedingt: – den Preis seiner Seele; der Fürst Bismarck mag es sich schon gefallen lassen, dass er so nachträglich noch als der letzte der Einheriar nach Walhall gelangt, wenn man den Ort auch heutzutage schlimmer nennt. –
Aber schon viel früher wird in den Sagen Odin-Wotans oder des Teufels Mantel (oder Ross) Helden, seinen Lieblingen (oder Männern, welche ihre Seele dem Teufel verkauft), verliehen, um sie aus weitester Ferne über Meer und Land noch rechtzeitig zur Abwendung einer drohenden Gefahr in die Heimat zu schaffen; so z. B. den Kreuzfahrer (Heinrich den Löwen) aus dem Gelobten Land auf seine Burg gerade an dem Tage, an dem seine Gattin, die ihn nach Ablauf beredeter Frist für tot halten muss, zur zweiten Ehe schreiten soll. Das Ross Odins (der schwarze, graue Hengst) kommt freilich auch manchmal ohne Reiter, aber gezäumt und gesattelt, um den Helden, dem Vertrage gemäss, zu mahnen, dass es nun Zeit sei, zu sterben, zu Odin zu fahren; d. h. ursprünglich nach Walhall, dann wohl auch in die Totenwelt. – Und im Mittelalter ist es das Ross des Teufels, welches den Unseligen in die Hölle abholt, der unweigerlich folgen muss; so Dietrich von Bern (s. unten Heldensagen, Buch VI, VII).
Hieran reihen sich die Sagen von den Entrückungen der in Berge, Höhlen, in die Unterwelt entführten Könige und Helden; ursprünglich ist der Berg Walhall und die Helden werden, dem Vertrage gemäss, ihnen zu hoher Ehre, in Odins Saal entrückt, wo sie mit andern Einheriarn seine Tafel teilen, schmausen, zechen, Waffenspiele treiben; der Saal im Berge strahlt daher von Gold und Waffen; und der König im weissen Bart ist Odin selbst; erst später ist Karl der Grosse im Untersberg oder Friedrich I. im Kyffhäuser an des Gottes Stelle getreten. Früh ist aber die Totenwelt als Ort der Entrückung gedacht; Dietrich von Bern, Karl oder Friedrich gelten dann selbst als entrückte Helden, als Gäste oder Gefangene der Totenwelt und schlafen hier den Todesschlaf, bis eine weit ausstehende Bedingung erfüllt wird, sie nun auf die Oberwelt zurückkehren und ihrem von Feinden hart bedrängten Volke Hilfe bringen dürfenDiese Vorstellung einer erst in unabsehbar später Zeit, unter höchst erschwerenden Voraussetzungen, sich erfüllenden Bedingung äusserster Gefahr und schliesslicher Errettung durch den entrückt, verzaubert, in Todesschlaf versenkt gewesenen Helden und sein Heer hängt, wie wir sehen werden, mit der Götterdämmerung wenigstens sofern zusammen, als auch diese erst eintritt, wann Naglfar, das Schiff, fertig ist (s. unten), was in unabsehbarer Zukunft erst zu fürchten steht; vielleicht ist hier ein Bindeglied der Sage verloren, wonach Odin, die Asen und die Einheriar den von den Riesen schon lange hart bedrängten Menschen erst im äussersten Drange der Gefahr zu Hilfe eilen konnten..
Vor allem als Herr und König von Walhall wird Odin-Wotan verehrt: "Wal" ist der Inbegriff der in der Schlacht nach Wahl der Wal-Küren, die darin Odins Weisungen zu folgen haben, Gefallenen; diese alle sind Wal-vaters Wal-Söhne und gehen ein in Wal-Hall.
Odin erfüllt daselbst in vollendetster Weise alle Pflichten des gastfreien Wirtes, des "milden" d. h. freigiebigen Königs, der die Einheriar (Schreckenskämpfer) mit allem ehrt und erfreut, was das Herz eines germanischen Gefolgsmannes in der Halle des Gefolgherren von diesem nur irgend begehren mag. Ist eine grosse Schlacht zu gewärtigen, aus welcher viele Helden aufsteigen werden in Walvaters Saal, lässt dieser sorglich schon vorher das Mahl rüsten. Ehrerweisend geht er den Ankömmlingen bis an die Schwelle entgegen; seinem Liebling Helgi bot er sogar an, zur Entschädigung, weil gar so früh diesem Helden das Schutzverhältnis gelöst ward (s. unten Heldensagen), die Herrschaft in Walhall mit ihm zu teilen.
Jeden Morgen wappnen sie sich, gehen in den Hof, fällen einander im Kampfspiel mit Wunden, die sofort wieder heilen. Kam der Mittag, so reiten sie heim und setzen sich mit Odin an den Trinktisch. Sie trinken Äl oder Met oder Milch aus dem Euter der Ziege Heidrun, und schmausen von Sährimnirs Fleisch.
So leben sie sonder Sorge Tag um Tag für unabsehbare Zeiten (d. h. bis zur Götterdämmerung) in den Freuden des Kampfes, des Schmausens und Zechens, bedient von den schönen weissarmigen Schildmädchen, Wunschmädchen, den Walküren (s. unten), welche die geleerten Hörner sofort wieder füllen; man sieht, die Germanen haben ihren Lieblingswunsch irdischen Lebens einfach nach Walhall übertragen, und man begreift es, dass diese Helden lachend starben in der Schlacht, "freudig sprangen in die Speere und den Tod", gewiss, zu Walhalls Freuden einzugehen. Wenn aber nun eine plumpe und rohe Auffassung das Heldentum der Germanen auf diesen Wunsch, nach Walhall zu gelangen, zurückführt, erkennt tiefere Forschung in der Seele des Volks, dass umgekehrt der kriegsfreudige Heldengeist unsrer Ahnen jenes Walhall-Bild geschaffen hat, in welchem nicht "Bier und Schweinefleisch", sondern die Kampfesfreude, der Siegesruhm, die Ehre, mit Odin den Tisch zu teilen, die höchste Wonne gewährten.
Als Gott der kriegerischen Begeisterung und des Sieges sowie der geheimen Zauberkünste erfüllt er seine Krieger mit Berserkerwut; nackt, ohne Panzer und Schild, springen sie, stärker als Bären und Stiere, gegen die Feinde, welche Odin durch Schreck blendet oder betäubt, während jenen weder Feuer noch Eisen schadet. In den Schlachten seiner Lieblinge kämpft er mit, auf weissem Ross, mit weissem Schild; oder er bedient sich eines Zauberbogens, der ganz klein aussieht, aber grösser wird beim Spannen; zehn Pfeile zugleich legt er auf die Sehne und zehn Feinde erlegt er auf einen Schuss.
Aber Odin ist auch in dem Sturm, welcher, zumal in den Zeiten der Tag- und Nachtgleiche den bald nahenden Frühling verkündend und Fruchtbarkeit und Wachstum spendend, über die Länder hinbraust; er ist der Anführer des wütenden Heeres (Wuotis-, auch Muotisheer), der wilden Jagd. Jene Naturgrundlage dieser Sagen und Glaubensgebilde ist zweifellos; gerade in den "zwölf Nächten" von Weihnachten bis zum Tage der heiligen drei Könige – also in der Zeit der Winter-Sonnenwende – "jagt Wotan im Walde die Holzweiblein", d. h. der Sturm knickt die von weiblichen Wesen beseelt gedachten Bäume. In dieser Zeit hielten wohltätige Mächte ihren segnenden Umgang durch die Gaue; es sind die Lichtgötter selbst, die Asen, an ihrer Spitze ihr König und die Königin, welche zu der Zeit, da das Licht auf Erden am schwächsten gewesen (also etwa November und in den ersten Wochen des Dezembers), Midgard verlassen und sich nach Asgard zurückgezogen hatten, nun aber bei zunehmendem TageslichtInsofern ist Wotan auch ein Frühlingsgott; er berührt sich hier mit Freyr oder Baldur-Sigurd-Siegfried und tötet, wie dieser, den Winterdrachen durch Speeresstoss von seinem weissen Ross herab; während Sankt Georg oder Sankt Michael an Stelle Freyr-Baldurs getreten, hat Sankt Martinus, ein kriegerischer Heiliger, dessen Mantel (Kappa) den französischen Königen in der Schlacht nachgetragen wurde, eben diesen Mantel, dass Ross und Schwert mit Odin gemein. wieder ihren Einzug halten; im Mittelalter, da die Götter zu Teufeln geworden, glaubte man daher folgerichtig, dass um diese Zeit die bösen Geister volle Freiheit und Macht gewinnen, auf Erden zu schalten und zu walten.
Aber obwohl es nun der Teufel ist, der das wilde Heer durch die Lüfte führt, gilt es doch als Vorzeichen grosser Fruchtbarkeit des Jahres, wenn man in jenen Nächten das "Muotis-Heer" recht laut ertosen hört – eine Erinnerung an die alte wohltätigeDaher auch der Zug, dass, während im allgemeinen die Menschen das wilde Gejaid zu fürchten haben, manchmal der Wildjäger reiche Gaben für geringe Dienste (z. B. für Halten seiner Hunde, Füttern seines Pferdes) spendet; auch dass es Schutz vor ihm gewährt, wenn man sich auf Pflug und Egge setzt, erinnert an die alte, dem Ackerbau freundliche Gesinnung der Umziehenden; der Kreuzweg oder ein Baumstumpf mit einem eingeschnittenen Kreuz gewährt dagegen als Symbol des Christentums Schutz wider die Teufel, d. h. die alten Heidengötter der Luft. Wer freilich frech in ihr Hallo!-rufen einstimmt, der muss zur Strafe mitjagen; er wird emporgewirbelt, mit durch die Luft gerissen, halbtot, wahnsinnig, weit von seinem Weg ab niedergelassen; und wer sich einen Beuteanteil ausbittet, dem fällt wohl eine blutige Menschenlende auf den Kopf; denn die Jäger des Muotisheeres sind Krieger, welche Menschen erjagen. Bedeutung dieser Mitte; deshalb, d. h. wegen der Spendung der Fruchtbarkeit, sind unter der wilden Jagd auch so viele weibliche Gestalten. Im Mittelalter sind im wütenden Heer freilich nicht mehr Götter und Göttinnen, sondern Verbrecher, Selbstmörder, Meineidige, Sonntagschänder, Wildschützen, namentlich auch leidenschaftliche Jäger, welche statt der himmlischen Seligkeit ewige Jagdfreuden sich gewünscht haben.
Es ist auffallend, dass, während doch Jagd neben Krieg eine Hauptbeschäftigung, ja eine Hauptleidenschaft der Germanen war, eine besondere Jagdgottheit, der Artemis-Diana entsprechend, bei ihnen nicht bezeugt ist (abgesehen von Ullr, dem winterlichen Jäger); vielleicht war Wotan als Führer der Jagd durch die Luft auch Gott der Jagd auf Erden.
Aber oft ist es nicht ein Jagdzug, sondern ein Heer von Kriegern, was Wotan durch die Lüfte leitet. Dann führt er die Götter und die Einheriar aus Walhall (oder "aus dem hohlen Berge") zum Kampfe gegen die Riesen, und es berührt sich hier die Sage mit der oben erörterten von dem errettenden Heere, welches von Karl dem Grossen oder von dem Rotbart im Augenblicke grösster Bedrängnis des deutschen Volks aus dem Berge zur Hilfe herausgeführt wird; hört man das wütende Heer, sieht man etwa gar in den Wolken Gewaffnete dahinjagen, so bedeutet dies den baldigen Ausbruch grossen KriegsDie Namen und die Abstufungen der Sage sind landschaftlich sehr verschieden; der Rodensteiner (der Schnellertsgeist), der Dürst, der Hackelbärand (d. h. hökul-barand, der Mantelträger = Odin), der Helljäger, der Wote. Ausser den beiden grossen Kaisern werden wohl auch König Artus, König Waldemar, Roland, der treue Eckart, Dietrich von Bern als Führer des wütenden Heeres genannt, ebenso wie als Führer der errettenden Schar im Letzten Kampfe..
Und nicht nur auf Erden wandert "Wegtamr", auch am Himmel zieht er unter den Sternen hin; er fährt hier die Milchstrasse (auch "Helweg") entlang den "Odins-Weg" oder "Irings-Weg", auf einem himmlischen Wagen – dem bekannten Sternbild – "Wuotanswagen", der auch "Irmins-"Übrigens gebricht es nicht an Spuren, das in "Irmin" nicht Odin, vielmehr Thor oder Tyr zu suchen. oder "Karls-Wagen" heisst (daher ist Wotan "der ewige Fuhrmann").
Den Wegen am Himmel entsprechen Wege auf Erden in den einzelnen Reichen; so durchzog England in der Angelsachsenzeit eine "Irmingstrasse" von Nord nach Süd, und auch die englische "Vaetlinga-straet" findet ihre Wiederholung am Himmel. Die grossen Heer-, Volks-, Königsstrassen standen unter erhöhtem Friedensschutz, waren Wotan geweiht, und der wandernde Gott war auch der Gott der WegeDie wichtigsten Seiten von Odins Wesen und Wirken versucht folgendes Gedicht zusammenzufassen (aus "Odins Trost" von Felix Dahn).
"Aller Asen acht’ ich / Den edelsten Odin! / Weisheit sein Wort, Wunder sein Werk, / Wonnig sein Weh’n. / Wann in weichem Weben / Frühe Frühlings- / Knospen er küsst, / Können die Kleinen die Kelche / Nicht mehr schlummernd verschliessen; / Sie öffnen die Augen / Und hinweg küsst er kosend / Ihren ersten Atem. "Aber Odin auch / Stürzt im Sturm die Stämme / Uralter Eichen! / Sein Hauch hetzt die Helden / In tapfre Taten und tapfern Tod; / Jubelnd und jauchzend jagen sie jäh / In spitzige Speere, in geschwungene Schwerter; / Selig im Siege, getrost auch im Tode. / Denn sie wissen; es werden die weissen Walküren / Zu Walhalls Wonne tragen die Treuen, / Die lachend erlegen, fechtend und fallend / Für die heilige Heimat und des Hauses Herd. / Auf Erden aber ehrt sie unendlich / Der Sänger Gesang; sie leben im Liede! / In den Hallen noch hört man harfen von Helden, / Die hoch der Hügel hat überhöht. "Wer aber wies die Sänger, zu singen? / Wer lehrte das Lied und die hallende Harfe? / Wer anders als abermals Odin der Edle! / Der Schläger der Schlachten ist selber ihr Sänger; / Sangvater ist Siegvater, / Siegvater Sangvater zugleich! "Und wer wies der Weisheit gewundene Wege / Dem begierigen Geist, dem forschenden Frager / Nach Anfang und Ende des unendlichen Alls? "Was da gewonnen an Wissen und Wahrheit / Der mühseligen Menschen grübelnder Geist –; / Alles hat Odin uns offenbart! / Er hat das hohe, das heil’ge Geheimnis geritzter Runen / Seine Lieblinge lösen gelehrt! Stumm, doch verständlich, mit schweigenden Schritten, / Ein heiliger Herold, schreitet die Schrift; / Ein beredter Bote von Volk zu Volk / Trägt sie getreulich köstliche Kunde, / Wachsende Weisheit pflegend und pflanzend / Von Geschlecht zu Geschlecht; / Wie des Feuers Flamme / Selbst nicht versiegt, ob es auch andern oftmals / Segen sprühend gespendet. "Retter und Rater / Der mühvollen Menschheit / ist der Rabenumrauschte / Runen-Vater; / Alles ist Odin, was hoch ist und herrlich, / Was wonnig und weise, was stolz und was stark! / Lobt ihn im Liede, ehrt ihn mit Andacht, solang ihr lebet; / Und fallet einst herrlich, in Helmen, als Helden, / Dass fröhlich ihr fahret nach Asgard zu Odin, / Ewig in Walhalls Wonnen zu wohnen."