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Es ist immer noch lebhaft bestritten, wie viel von der Wölsungen- (s. oben) beziehungsweise Nibelungensage nordgermanischen, wie viel deutschen Ursprungs sei; auch über den Ort der frühesten Aufzeichnung ist man nicht einig. Fest steht aber, dass Sigurd (Siegfried), seine Vermählung mit Krimhild (der Gudrun der Wölsungensage), seine Ermordung durch Hagen (in der Wölsungensage durch Guthorm), dann der grosse Kampf in der Halle des Heunenkönigs Etzel (Attila) und der Untergang der Burgunden in diesem Kampf ursprünglich deutsche Sagen waren, welche aus Deutschland nach Skandinavien getragen und dort erst umgestaltet wurden.
Es ist hier nicht der Ort, darauf einzugehen, in welcher Weise dies, namentlich durch Anknüpfung von Sigmund an die älteren Wölsungen-Ahnen, geschah. Die mythologische Grundlage der deutschen Siegfriedsage ist die Gestalt eines Baldur gleichen Frühlingsgottes, der den Drachen, den Winterriesen, tötet, aber selbst in der Blüte der Jahre getötet wird. Geschichtliche Züge traten hinzu: der Untergang des Burgundenkönigs Gundikar zu Worms, der zwar durch Hunnen, aber nicht durch Attila, und nicht in dessen Reich, sondern am Rheine geschahDahn, Deutsche Geschichte, I. 1 (vorletztes Kapitel). Dies wurde später auf Attila übertragen, der ursprünglich mit dem Atli der Wölsungen so wenig identisch ist wie die Hunnen mit den "Hunen". Auch Theoderich der Grosse ward jetzt als Dietrich von Bern in diesen Sagenkreis gezogen, als Zeitgenosse Attilas und Überwinder wie Siegfrieds so Hagens, obwohl er erst mehrere Jahre nach Attilas Tod geboren ist.
Das uns erhaltene mittelhochdeutsche Nibelungenlied nun unterscheidet sich in sehr wesentlichen Dingen sowohl von der nordischen Wölsungensage, wie von der ursprünglichen althochdeutschen Fassung der Siegfriedsage.
Die ganze Vorgeschichte, welche zwischen Siegfried und Brunhild spielt, ist der mittelhochdeutschen Dichtung fremd; also der erste Ritt Siegfrieds durch die Waberlohe, Brunhilds Erweckung, die Verlobung der beiden. Daher bedarf es nun freilich keines Zauber- und Vergessenheitstrankes, um Siegfried zu Worms mit Krimhild (der Gudrun der Wölsungen) zu verloben; allein es fehlt nun durchaus an jedem ausreichenden Beweggrund für Brunhildens Hass gegen Siegfried und ihr Begehren nach seinem Tod. Daher lebt auch diese "Brünhild" nach Siegfrieds Ermordung ganz ruhig fort. Ganz anders endlich ist hier die Stellung von Siegfrieds Witwe; sie vermählt sich Attila (Etzel), um den Mord des Gemahls an den Brüdern zu rächen, während die Gudrun der Wölsungen umgekehrt die Brüder vor Atlis Ränken warnt und zuletzt deren Tod an dem Gemahl und den gemeinsamen Kindern rächt; ganz wie schon in der früheren Generation der Wölsungen; auch findet die Krimhild der Nibelungen nach deren Untergang sofort ebenfalls den Tod, und wird nicht noch eines dritten Gemahlin; von allen andern Unterschieden, welche z. B. durch das Hereinziehen Dietrichs herbeigeführt werden, zu schweigen. Diese Bemerkungen werden genügen, Verwirrung und Unklarheit auszuschliessen. Wir beschränken uns darauf, von der späten und ohnehin am meisten bekannten mittelhochdeutschen Fassung bloss dasjenige ausführlicher zu erzählen, was an die Dietrichsage knüpft, während wir von den Begebenheiten vor der Fahrt der Nibelungen in Etzels Land nur kurz das Unerlässliche mitteilen.
Siegfried war der Sohn des Königs Siegmund "in Niederlanden" am Rhein, in der Burg Xanten, und der Siegelind; er war der herrlichste Held"Noch bevor er ganz zum Mann erwachsen, hatte er schon gar viele Wunder mit seiner Hand getan, von denen wir heute schweigen"; Anspielungen auf die halb vergessenen ersten Taten, den Ritt durch die Waberlohe usw..
So hatte er den unermesslichen Hort der Nibelunge gewonnen; Schilbung und Nibelung, die Söhne des (ursprünglich elbisch gedachten) Königs Nibelung konnten sich nicht in das Erbe ihres Vaters teilen. Von ungefähr kam Siegfried an ihre Burg; sie baten ihn, das Gut ihnen zu teilen und gaben ihm im voraus zum Lohne ihres Vaters Schwert Balmung. Da er bei bestem Willen den unermesslichen Hort zu teilen nicht vermochte, griffen sie ihn zornmütig mit ihren zwölf Riesen und andern Mannen an; aber Siegfried schwang Balmung und erschlug beide Könige und die Riesen und viele Mannen; er bezwang auch den wilden Zwerg Alberich, dem er die Tarnkappe abgewann und dann auftrug, als sein Kämmerer des Hortes zu warten in dem tiefen Berge. Bei dem Zwerge Mime (s. Wieland der Schmied), dem Regin der Wölsungen, hatte er schon als Knabe die Schmiedekunst lernen sollen, bald aber ein viel besseres Schwert geschmiedet als dieser, mit dem er Mimes Ambos auseinanderschlug. Auch erlegte er einen Lindwurm (d. h. Glanzwurm, Goldglanz hütender Wurm) und badete in dessen Blut; da ward seine Haut hörnern ("hürnen"), keine Waffe durchdrang sie.
Da er vernimmt, dass die allerschönste Jungfrau Krimhild sei, die Tochter des (verstorbenen) Burgundenkönigs Dankrat und der Frau Ute zu Worms, Schwester des jetzt dort herrschenden Königs Gunther, zieht er aus, sie zur Gattin zu gewinnen; anfangs will er mit jenen Helden kämpfen, wer obsiegt, soll beide Reiche – Burgund und Niederland – beherrschen. Doch wird das klug abgewendet, Siegfried wird gut aufgenommen und bleibt lange zu Worms am Hofe der Burgunden, wo ausser dem König dessen beide Brüder Gernot und der junge Giselher (das Kind), Hagen, der gewaltige Held, dessen Bruder Dankwart, beider Neffe Ortwein von Metz und der frohe und tapfere Sänger Volker von Alzei ihn in hohen Ehren halten. Krimhild hat er noch nicht gesehen; aber sie hat ihn heimlich gar oft im Hofe beim Waffenspiel betrachtet und seitdem wohl nicht mehr Mannesliebe und Ehe verschworen wie vordem; sie hatte einmal im Traum einen edeln Falken, den sie manchen Tag gezogen, von zwei Aaren zerkrallt gesehen, was ihr Frau Ute auf einen geliebten Gatten gedeutet hatte. Nachdem Siegfried einen Sachsen- und einen Dänenkönig, welche das Burgundenreich bedroht, besiegt und gefangen, wird ihm bei dem Siegesfeste zuerst der schönen Krimhild Anblick gewährt, der ihn sofort mit tiefster Liebe erfüllt. Da begehrte Gunther die gewaltige Jungfrau Brünhild, die jenseits der See auf dem Eisenstein auf Island gebot, zum Weibe; die hielt mit jedem Freier drei Kampfspiele, und wer in einem unterlag, verlor das Haupt; noch nie war sie besiegt worden. Siegfried erbot sich, mitzuziehen und die Unbezwungene zu bezwingen, wenn er Krimhilds Hand zum Lohn erhalte. Diese ward ihm zugesagt, und nun bezwang Siegfried, in der Tarnkappe unsichtbar hinter Gunther stehend und schwebend, die getäuschte Jungfrau, welche nun König Gunther als Braut folgen musste. Alsbald wurden die beiden Paare zu Worms mit grosser Pracht getraut; aber noch einmal musste Siegfried an Gunthers Stelle in dunklem Gemach Brünhilds Widerstand brechen, bevor sie des Königs Kuss und Umarmung sich fügte. Dabei streifte Siegfried ihr einen Ring vom Finger und nahm ihren Gürtel mit; beide schenkte er Krimhild, ihr das Geheimnis jener Nacht anvertrauend. Siegfried und Krimhild ziehen darauf nach Niederland, wo sie zehn Jahre herrlich herrschen; ihr Söhnlein heisst Gunther. Gunthers und Brünhilds Knabe wird Siegfried genannt. Brünhild grollt nun – sehr wenig motiviert! – darüber, dass Siegfried, der sich auf Island bei ihr als Gunthers Dienstmann ausgegeben, so herrlich über Niederland und das Nibelungenreich herrsche, und setzt es durch, – denn sie will Siegfried "dienen" sehen – dass er und Krimhild nach Worms geladen werden. Bei diesem Besuche rühmt nun – wieder sehr ungenügend begründet! – Krimhild, ihr Mann sei der herrlichste Held. Brünhild stellt Gunther höher, da Siegfried nur dessen Dienstmann sei, und wie sie darauf nach heftigem Streit beide zum Münster gehn, verlangt sie vor allem Volk offen als Königin den Vortritt vor Krimhild, des Dienstmanns Weib. Krimhild antwortet, Brünhild sei ja nicht durch Gunther, sondern durch Siegfried zur Frau gemacht worden in jenem nächtlichen Ringen, und zum Beweise weist sie Brünhilds eignen Gürtel dar. Darauf schwört zwar Siegfried, dass er in jener Nacht nur für Gunther Brünhild bezwungen habe. Aber diese versinkt – man weiss wieder nicht, weshalb; da sie Siegfried nie geliebt hat! – trotzdem in tiefste Trauer. Hagen von Tronje gelobt ihr, sie durch Siegfrieds Tod zu rächen und reizt auch Gunther zu dem Mord, indem er ihn auf den Hort und die Reiche Siegfrieds verweist, die dann den Burgunden untertan würden. Gunther willigt endlich ein; es wird ein neuer Angriff der Dänen und Sachsen vorgegeben; Siegfried erbietet sich sofort, wider sie zu ziehen. Krimhild bittet Hagen, über sein Leben zu wachen und verrät die eine Stelle, wo die "hörnerne Haut" nicht schirmt, weil während des Badens im Drachenblut ein Lindenblatt darauf gefallen war, und sie näht mit Seide fein ein Kreuzlein auf die Stelle im Nacken, zwischen den Schultern. Alsbald wirft Hagen Siegfried, als dieser auf der Jagd im Odenwald niederkniet, aus einem Quell zu trinken, den Speer in den Nacken und tötet ihn. Zwar will Gunther die Tat leugnen und auf Schächer im Walde schieben; aber Krimhild verlangt das Gottesurteil des Bahrgerichts, d. h. sie fordert, die von ihr Beschuldigten sollen an die Leiche treten; als Hagen herantritt, bricht die Wunde wieder auf und blutet aufs neue, die Schuld des Mörders erwahrend. Brünhild triumphiert. Hagen beredet Gunther, Krimhilds Verzeihung zu gewinnen, um durch sie den Nibelungenhort in das Land zu schaffen. Krimhild lässt sich auch wirklich mit Gunther versöhnen, nur nicht mit Hagen, und schafft den Nibelungenhort, den ihr Siegfried zur Morgengabe geschenkt, nach Worms. Dadurch gewinnt sie so viele Freunde und Dienstmannen, dass Hagen Gunther beredet, um ihrer Rache vorzubeugen, ihr den Hort zu rauben. Das geschieht mit abermaliger Täuschung; aber alsbald bemächtigt sich Hagen allein des Hortes und senkt ihn zu Lochheim in den Rhein, auf dass er allein die Stelle wisse, wo er von dem unerschöpflichen stets, soviel er wolle, heben könne. Seit die Burgunden so das Nibelungengold gewonnen hatten, wurden sie selbst "die Nibelungen" genannt. Dreizehn Jahre lebte nun Krimhild, des Gatten und der Rache beraubt, an dem Hofe zu WormsDie "Vorbemerkung" ist von Felix Dahn verfasst..
Da wollte König Etzel im Heunenland um Krimhild werben. Er entsandte den Markgrafen Rüdiger mit fünfhundert Mannen; in zwölf Tagen erreichte er Worms, wo er freudig empfangen wurde.
"Königin Helche ist tot," sprach er zu Gunther, "Etzel voll Grams und das Volk ohne Freude; darum soll Krimhild Etzels Krone tragen."
Die Burgunden nahmen die Werbung an, wenn Krimhild einwillige; nur Hagen riet dagegen. "Nimmt sie den mächtigen Heunen, so schafft sie uns Leid, wie sie’s kann," sprach er zu den drei Königsbrüdern.
Zürnend antwortete Giselher: "Ihre Ehre ist unsre Freude." Sie trugen ihrer Schwester die Werbung vor und baten sie, ja zu sagen; auch Ute redete ihr zu, doch vergebens. Da hiessen sie Rüdiger zu ihr gehen: "Nach Herzleid, Frau," sprach er gütig, "ist freundliche Liebe wohltuend. Über zwölf Kronen und dreissig Fürstenlande wirst du Gewalt haben, und Helches Gesinde, Mannen und Frauen, werden dir dienen." Bis zum andern Morgen versprach sie ihm den Bescheid.
Und abermals drang Giselher in sie, ihrem Witwenleid zu entsagen und der neuen Freude und Ehre zu leben. Aber als der Markgraf wieder vor ihr stand, sagte sie nein, wie er auch bat, bis er ihr heimlich zusagte, er wolle an ihr vergüten, was man zu Worms an ihr verbrochen habe.
Mit allen seinen Mannen schwur er ihr Treue, und dass er ihr keinen Dienst versagen werde, den sie fordre; solchen Eid hatte sie gefordert.
Vier und einen halben Tag bereitete Krimhild sich mit ihrem Gesinde, Rüdiger zu folgen. Was sie vom Nibelungengold noch hatte, davon wollte sie an des Markgrafen Mannen spenden, – aber Hagen, der das erfuhr, litt es nicht. Rüdiger tröstete sie, Etzel werde ihr mehr schenken, als sie je werde verbrauchen können, und selbst als Gernot auf Gunthers Befehl ihr das Spenden freigab, lehnte der Markgraf alle Gaben ab.
Nur zwölf Schreine, gefüllt mit Gold und vielem Schmuck, nahm Krimhild mit. Ihr folgten hundert reich geschmückte Mägde und der Markgraf Eckewart mit fünfhundert Mannen, ihr für immer zu dienen. Giselher und Gernot geleiteten die Schwester bis zur Donau. "Wenn dich je etwas gefährdet," sprach Giselher beim Scheiden, "so sende nach mir, und ich reite zu deinem Dienst in Etzels Land."
Boten eilten voraus, dem Heunenkönig Krimhildens Kommen zu verkünden, indessen sie in Rüdigers starkem Schutz folgte. Es war ein stattlicher Zug: "Genug aus Bayerland hätten gern genommen den Raub auf der Strasse, so tun sie jederzeit"; denen wehrte Rüdigers Hand. Es war zu Anfang der Sommerzeit. – Rüdiger hatte Gotelind, seinem Gemahl, Botschaft nach Bechelaren an der Donau gesandt, und sie entboten, Frau Krimhild entgegenzureiten mit würdigem Geleit. Bei Ens auf dem Felde begrüssten die Frauen einander. Dort waren Zelte zum Nachtlager aufgeschlagen, und am andern Morgen zogen sie nach Rüdigers Burg; die gute Bechelaren ward aufgetan; sie ritten ein. Rüdigers Tochter, Dietlind, ging Krimhild grüssend entgegen, und empfing zwölf Armringe von der Königin geschenkt. Dann zogen sie ins Heunenland; bei der Trasem lag eine Feste Etzels, Zeissenmauer, dort ruhten sie wieder drei Tage. Auf der Reise nach Tuln staubte die Strasse, als ob es brenne; denn Etzel nahte. Vor ihm her zogen Scharen aus allerlei Völkern, Christen und Heiden; Griechen, Russen, Polen, Wlachen, Petschenegen.
Vierundzwanzig Fürsten ritten vor Etzel; Krimhild nur zu schauen, dünkte ihnen schon grosse Freude und Ehre.
Vor den Toren begrüssten die Königin ehrerbietig die Scharen; Herzog Ramund aus Wlachenland mit siebenhundert Mann zu Ross, Fürst Gibeke mit seiner Schar, Hornboge mit tausend Degen. Dann kam der kühne Hawart von Dänemark, der "falschlose" Iring und Irnfried von Thüringen, die führten zwölfhundert Krieger. Herr Blödel, Etzels Bruder, begrüsste sie mit dreitausend Heunen. Zuletzt kam Etzel und Dietrich von Bern mit seinen Speerbrüdern. Sie stiegen ab; der König ging Krimhild entgegen, und sie küsste ihn. Auch Blödel küsste sie und König Gibeke, und noch neun der vornehmsten Fürsten.
Ein herrlich Gezelt war aufgeschlagen, darin sass Etzel mit Krimhild; ihre weisse Hand lag in seiner Rechten. Auf dem Felde turnierten und tjostierten die Helden; Schäfte flogen splitternd, Schilde barsten, und die raschen Rosse stampften im Wettlauf über die Heide, bis der Abend dem Kampfspiel ein Ende machte. Am andern Morgen ritten sie nach Wiene (Wien) und dort war Hochzeit, die währte siebzehn Tage. Da ward nichts gespart, und niemand litt eines Dinges Not; was aber jemand auch vertat in Gaben, das war nichts gegen des Berners Spenden. Zwei Spielleute Etzels, Werbel und Swemmelin, gewannen jeder wohl an tausend Mark.
Am achtzehnten Tage brach Etzel auf nach seiner Königsburg. Sieben Königstöchter fand Krimhild dort unter Helches Frauen, die nun ihr dienten. Herrat, des Berners Gemahl, lehrte sie des Landes Brauch.
Silber, Gold und Gestein, soviel sie mit über den Rhein gebracht hatte, verschenkte Krimhild an die Heunen. Etzels Gesippen und Lehnsmänner wurden ihr untertänig, und nie hatte Helche so gewaltig geboten, wie nun Krimhild bei den Heunen tat. Bis ans siebente Jahr lebten sie miteinander und hatten einen Sohn, der hiess Ortlieb. Alle sagten, keine Frau habe je besser und milder als Königin geherrscht. Das Lob trug sie bis ins dreizehnte Jahr. Zwölf Könige sah sie stets vor sich, und niemand trat ihrem Sinn entgegen.
Da gedachte sie des Leides, das ihr zu Worms geschehen war, und ob es Hagen je vergolten würde? "Das geschähe, könnt’ ich ihn in dies Land bringen." Und von Giselher träumte sie oft, wie sie ihn freundlich küsste; und erwacht musste sie dann gedenken, wie sie in Freundschaft von Gunther Abschied genommen und ihn zur Versöhnung geküsst hatte; – dann ward sie traurig, und Rache für Siegfrieds Ermordung begann sie zu begehren. Sie sprach zu Etzel: "Zeige mir, dass du meinen Gesippen hold bist; sende Boten über den Rhein; ich will sie hierher zu Gast laden."
"Es geschehe, wie du wünschest, ich sehe deine Freunde ebenso gern wie du. Ich sende ihnen meine Fiedelleute." Und zu den Herbeigerufenen sprach er: "Sagt Krimhilds Gesippen, dass wir sie zur Sonnenwend bei meinem Feste sehen wollen."
Heimlich redete Krimhild noch mit den Boten: "Ich mach’ euch reich, wenn ihr recht meinen Willen tut; sagt niemand, dass ich hier je trüben Mutes war; sprecht, die Heunen wähnten, ich hätte keine Freunde am Rhein, darum sollen sie der Ladung folgen. Sagt Gernot, dass ich ihm hold sei, er möge unsre besten Freunde herführen; und mahnet Giselher, zu gedenken, dass mir durch ihn nie ein Leid geschah, darum sehnt’ ich mich nach ihm. Und von Tronje Hagen, der mag den Weg weisen; er ist ihm ja seit seinen Kindertagen bekannt."
Mit würdigem Geleite zogen die Spielleute fort; in Bechelaren kehrten sie ein und nahmen Rüdigers und der Seinen Grüsse mit nach Worms. In zwölf Tagen langten sie dort an. "Etzels Fiedelleute kommen," rief Hagen, ging ihnen entgegen und fragte, wie’s im Heunenreich stehe. "Das Reich stand nie so stolz, nie waren die Heunen froher," antwortete Werbel und überbrachte König Gunther das Gastgebot. In sieben Tagen sollten sie Antwort erhalten. Die Boten begrüssten noch Frau Ute und gingen in ihre Herbergen. Gunther aber befragte seine Freunde; alle rieten zu, nur Hagen riet dawider. "Du sagst dir selber Feindschaft an," sprach er heimlich zu Gunther: "Gedenke, was wir taten!"
"Sie liess von ihrem Zorn; mit Küssen schied sie von mir, sie vergab; – etwa dir allein, Hagen, mag sie grollen.
"Folgst du der Ladung, so musst du Leben und Ehre wagen, Krimhild trägt Rache im Herzen."
"Weil du, Hagen, den Tod im Heunenreiche fürchten musst," sprach Gernot nun, "sollen wir abstehen, unsre Schwester zu besuchen?"
Und Giselher sprach: "Fühlst du dich schuldig, Hagen, so bleibe hier und behüte dich; aber lass die, welche sich getrauen, mit uns ziehn."
"Ihr könntet keinen mit euch führen," zürnte der Tronjer, "der sich’s eher getraute als ich."
"Wollt ihr Hagen nicht folgen," begann Rumolt, der Küchenmeister, "so hört auf mich, der euch stets treu diente, und lasst Etzel und Krimhild unbesucht, wo sie sind. Euer Land ist reich; geniesset des und bleibet hier."
"Ich riet euch aus Treue," schloss Hagen; "wollt ihr doch fahren; so fahrt mit Wehr! Sendet nach euren Recken. Tausend der Besten wähl’ ich selber aus, dann mag uns Krimhild nicht gefährden."
"So sei’s," sprach Gunther und so geschah’s. Dreitausend Mannen kamen. Dankwart, Hagens Bruder, kam mit achtzig Degen, Volker, der stolze Spielmann, mit dreissig Gefolgen, Hagen mit tausend, die er erprobt hatte.
Die Heunenboten wollten heim; Hagen hielt sie hin aus List, dass sie nicht zu früh vor ihnen in Etzels Burg kommen sollten; dann konnte Krimhild mit ihren Kriegsmannen sich nicht auf die Gäste bereiten. Als Hagen gerüstet hatte, liessen die Könige die Boten kommen und sagten die Fahrt zu; dann verhiessen sie ihnen, den nächsten Tag sollten sie Brünhild begrüssen, und gaben ihnen viel des Goldes. "Der König verbot uns, Gaben zu nehmen," sprach Swemmelin, "auch haben wir dessen nicht not." Das verdross Gunther und sie mussten nehmen. Dann schieden sie von allen, auch von Frau Ute, und zogen ihres Weges. In Gran trafen sie ihren Herrn und brachten ihm vom Rhein Grüsse über Grüsse. "Welche meiner Gesippen kommen?" fragte Krimhild, "und was sagte Hagen?"
"Wenig gute Sprüche, Frau Königin! Die Fahrt in den Tod nannte er die Reise. Er kommt mit euren drei Brüdern; wer sonst noch, weiss ich nicht, doch Volker ist auch dabei."
"Den wollt’ ich gern hier im Land mit seiner Stärke entbehren. Dass Hagen kommt, des bin ich froh!" sprach sie und befahl, Palast und Saal für den Empfang der Burgundengäste zu bereiten.
Eintausendundsechzig Mannen, dazu neuntausend Knechte, zogen über den Rhein mit König Gunther, zu König Etzels Sonnwendfest.
Ute träumte die Nacht vor ihrem Aufbruch, dass alles Gevögel im Rheinland tot lag. "Wer sich an Träume kehrt," antwortete ihr Hagen, "der vergisst, was seine Ehre gebietet; wir wollen bei Krimhilds Fest sein." Rumolt wurden Land und Leute anbefohlen. Dankwart war Reisemarschall; am zwölften Tage kamen sie zur Donau, die war angeschwollen und keine Furt zu finden. Hagen stieg ab und suchte den Fährmann.
Da fand er drei badende Wasserminnen, die bei seinem Anblick entfliehen wollten; aber rasch nahm er ihre Gewande fort.
"Wir sagen dir, Hagen, wie die Fahrt ergeht," sprach Hadburg, die erste, "wenn du uns die Hemden wiedergibst." Er ging darauf ein. Da sagte sie: "Nie zog eine Heldenschar zu so hohen Ehren in ferne Lande."
Das freute Hagen; er gab ihnen die Kleider zurück; als die Nixen sie angelegt hatten, sprach Sieglind, die zweite: "Lass dich warnen, Hagen, Aldrians Sohn; meine Muhme hat dir gelogen um der Gewande willen; kehr’ um, ihr müsst sterben in Etzels Land! Wer hinreitet, sei des Todes gewärtig."
"Ihr betrügt mich ohne Not! Wie sollte sich das fügen, dass unser ganzes Heer dort umkäme."
"Keiner wird leben bleiben als König Gunthers Kaplan, der kommt zurück ins Burgundenland."
Grimmgemut sprach Hagen: "Das wäre übel meinem Herrn zu sagen! Nun zeige uns die Furt durchs Wasser, du so vielweises Weib."
"Willst du dennoch nicht ablassen, – stromaufwärts steht des Fährmanns Hütte."
Da schritt er fort. "Warte noch, Hagen, du bist zu schnell," rief ihm die dritte Wasserelbin nach, "Höre; drüben am Ufer heisst der Herr der Mark Else, sein Bruder Gelfrat ist ein Held im Bayerland; ihm ist der grimmige Fährmann untertan. Seid bescheiden und bietet ihm Sold; findest du ihn nicht in der Hütte, rufe über den Strom und nenne dich Amelrich; – dann kommt er."
Da verneigte sich der übermütige Hagen vor ihr und schritt das Ufer hinauf. "Hol’ über, Fährmann," rief er, "eine goldne Spange geb’ ich dir zum Lohn." Die Flut toste bei seiner Stimme Schall. "Hole mich, Amelrich, Elsens Lehnsmann." Und auf der Schwertspitze bot er dem Fährmann die Spange. Selten nahm der Sold, nun aber griff er zum Ruder und kam herüber. Da er Amelrich nicht fand, zürnte er: "Du gleichst nicht dem Amelrich, den ich hier vermutete; er war mein Vaters Bruder; du betrogst mich; nun bleib’, wo du bist."
"Ich bin ein fremder Mann und in Not; nimm meinen Lohn und fahr’ mich über." Und Hagen sprang in das Schiff.
"Meine Herren haben Feinde; ich fahre keinen Fremden in ihr Land. Steig’ wieder aus."
"Nimm dies Gold in Freundschaft von mir und fahre uns, tausend Rosse und Mannen."
"Nimmermehr!" rief der Fährmann, hob ein breites Ruder und schlug auf Hagen, dass er strauchelte. Die Stange barst in Splitter; doch Hagen griff sein Schwert, schlug ihm das Haupt ab und warf’s samt dem Rumpf in den Fluss. Das Boot schnellte in die Strömung; Hagen zog mit also starkem Zug das zweite Ruder, dass es brach; schnell band er’s mit seinem Schildriemen und landete nah einem Walde, wo er Gunther traf. Der sah das Blut und fragte: "Wo ist der Fährmann hingekommen?"
"Bei einer wilden Weide fand ich dies Schiff und löste es; einen Fährmann sah ich nicht; ich fahr’ euch hinüber ans andre Ufer; war ich doch der beste Fährmann am Rhein."
Die Rosse schwammen zusammengekoppelt durch. Das Schiff war gross; es trug fünfhundert auf einmal.
Viele Ruder tauchten ein, viele Hände zogen; Schiffsmeister war Hagen. Wie sie zum letzten Mal abfuhren, fiel ihm ein, was die Wasserminne von dem Kaplan gesagt hatte; er stiess ihn aus dem Schiff ins Wasser. "Halt’ ein," zürnte Giselher. "Was nützt dir sein Tod? Was tat er dir?" sprach Gernot.
Der arme Pfaff schwamm kräftig nach, zornig stiess ihn Hagen hinab. Solch Tun gefiel keinem. Nun wandte sich der Schwimmer zurück zum Ufer und kam ans Land und stand, sich schüttelnd, auf dem Sande. Da erkannte Hagen, dass der Wasserfrau Weissagung nicht zu ändern war. "Sicher verlieren wir das Leben," dachte er. Der Kaplan zog wieder nach Worms. Als alle übergesetzt waren, zerschlug Hagen das Schiff. Das wunderte alle. Später sagte er Dankwart, er habe es getan, damit jeder Verzagte, der ihnen in der Not habe entfliehen wollen, an dem Strom schmählichen Tod leiden müsse.
"Nun wahret euch wohl," rief Hagen, "Wir sollen nie zurückkehren ins Burgundenland! Das sagten mir heut früh weise Meerfrauen. Nur dem Kaplan verhiessen sie Heimkehr; gern hätt’ ich ihn darum ertrinken sehn. Immer in Waffen lasst uns fahren!"
Der Abend sank; der starke Volker band den Helm fest und ritt ihnen als Wegweiser voraus; ihm waren Strassen und Wege bekannt. Hagen führte mit Dankwart die Nachhut. Des Fährmanns Tod war schon Else und Gelfrat zu Ohren gekommen; sie ritten dem Zuge nach und griffen an. Dankwart stellte sich zum Kampf.
"Wer jagt uns nach?" fragte Hagen.
"Ich suche den, der unsern Fährmann erschlug," antwortete der Bayer, – "der Ferge war ein starker Held."
"Er wollte uns nicht überfahren; ich erschlug ihn; ich tat’s aus Not."
Da ging’s ans Streiten. Gelfrat und Hagen rannten gegeneinander mit den Speeren. Dankwart bestand Else. Hagen fiel rückwärts vom Ross, sein Gefolge schützte ihn; er erhob sich und rannte den Gegner abermals an, doch musste er Dankwart zu Hilfe rufen. Der schlug Gelfrat mit scharfem Streich zu Tode. Else und sein Gesinde mussten das Feld räumen. Die von Tronje jagten ihnen eine Weile nach, dann wandten sie sich wieder, dem Hauptzug Gunthers zu folgen. Vier hatten sie verloren, hundert aus Bayerland lagen tot.
Sie ritten die ganze Nacht, und erst am lichten Morgen, da Gunther Hagens blutige Brünne sah, erfuhr der König von dem Kampf.
Als sie an Rüdigers Markung kamen, – es war abends, – ruhten die Burgunden aus. Hagen hielt die Wacht und fand einen Mann, der schlafend auf seinem Schwerte lag. Er fasste die Hilze, zog es unter ihm hervor und weckte den Schläfer. Der griff umsonst nach seinem Schwert und rief, aufspringend: "Wehe mir für diesen Schlaf! Fort ist meine Waffe und übel habe ich Rüdigers, meines Herrn, Mark gehütet; ein Heer kam in sein Land; drei Tage und drei Nächte wacht’ ich; – und schlief nun ein."
"Sieh her," sprach Hagen, "ich gebe dir diese Goldspange, und du sollst daran mehr Freude haben als der, dem ich sie zuerst bot. Nimm auch dein Schwert zurück und fürchte nichts für Rüdiger von unsrer Schar. Der Markgraf ist unser Freund, König Gunther gebietet unserm Heer. Nun weise uns eine gute Herberge an für die Nacht und sage, wie hu heissest?"
"Ich heisse Eckewart und wundre mich, dass du kommst, Hagen, Aldrians Sohn, der du Siegfried erschlugst. Hüte dich, solang du im Heunenland bist! Ich nenn’ euch aber einen Wirt, den ziert höchste Güte wie keinen andern Mann. In die gute Bechelaren zu Markgraf Rüdiger führ’ ich euch."
"Eile heim; zu ihm wollten auch wir; melde, dass wir kommen."
Eckewart ritt davon, Hagen aber hiess die Burgunden aufstehn und ihm in die gute Bechelaren folgen. Vor dem Tor kam ihnen der Markgraf entgegengeritten. Saal und Gemächer standen für die Gäste zu frohem Willkomm bereitet. Bis zum zweiten Morgen mussten sie verweilen; da ward Dietlind, Rüdigers Tochter, Giselher verlobt. Gunther und Gernot schenkten ihr Burgen und Land zur Brautgabe; der Markgraf gab ihr Gold und Silber, soviel hundert Saumrosse tragen konnten. Dann reichte er Gunther ein Gastgeschenk; einen goldüberzogenen, mit Edelsteinen gezierten Helm, Gernot ein starkes Schwert. "Und was siehst du, Hagen, in meiner Burg," fragte er, "das du begehrst?"
"Dort hängt ein dunkler Schild, gross und stark; der hält, denk’ ich, einen guten Hieb aus; den will ich mitnehmen in Etzels Land."
"Das ist Herzog Nudungs Schild; er trug ihn, bis Wittig ihn erschlug."
Gotelinde hörte das und weinte, weil sie ihres Bruders Nudung gedenken musste. Sie ging hin, hob den Schild von der Wand und brachte ihn Hagen. Lichte Steine zierten den Schildrand.
Volker nahm seine Fiedel zur Hand und sang der Markgräfin ein süsses Lied zum Abschied. Zwölf Goldspangen reichte sie ihm zum Dank. Und Rüdiger ritt selber mit ihnen zu sicherem Geleit. Er küsste Gotelind beim Scheiden, so tat auch Giselher Dietlind. Sie ritten die Donau zu Tal, ins heunische Land.
Ein Bote brachte Etzel die Nachricht, die Burgunden kämen gezogen. Vor den Toren der Stadt ritt ihnen Dietrich von Bern mit seinen Amalungen entgegen und führte sie in die Königsberg. Krimhild stand auf einem Turm und sah sie einreiten: "In Helm und Brünne, mit lichten Schilden kommen meine Brüder, – und mich grämen Siegfrieds Wunden," sprach sie leise und grüsste die Einziehenden. Die ganze Burg war von Nibelungen und Heunen angefüllt. Etzel empfing seine Schwäher freundlich und geleitete sie in den ihnen bereiteten Saal, wo lodernde Feuer brannten. Die Nibelungen zogen die Brünnen nicht aus und legten die Waffen nicht ab.
Da kam Krimhild in den Saal geschritten; als Hagen sie sah, band er den Helm fester, und ebenso tat Volker.
"Sei dem willkommen, Hagen, der dich gern sieht," sprach sie. "Bringst du mir zur Gabe Siegfrieds Hort?"
"Einen starken Feind bring’ ich dir und meine Brünne lege ich nicht ab."
"Komm hierher, Schwester," rief Gunther, "und setze dich zu uns."
Sie ging zu Giselher, küsste ihn und setzte sich weinend zwischen ihn und Gunther.
"Was weinst du, Schwester?" fragte Giselher.
"Ich weine um Siegfrieds Wunde, nun und immerdar."
"Lassen wir Siegfried und seine Wunde nun ruhn," sprach Hagen. "König Etzel ist uns ebenso lieb, wie dir ehedem Siegfried war."
Da stand Krimhild auf und ging hinaus. König Dietrich aber trat ein und rief die Nibelungen; sie sollten ihm zum Mahl in Etzels Saal folgen. Hagen und Dietrich schlangen die Arme einer um des andern Schulter und schritten so voran. In jeder Halle und jedem Hof und auf den Burgmauern standen Frauen und Männer, und alle wollten Hagen schaun.
"Wer ist jener Recke, den Dietrich so freundlich umschlungen hält?" fragte Etzel, als er sie kommen sah. Ein Gefolgsmann Krimhildens antwortete: "Von Tronje Hagen; wie freundlich er auch tut, er ist ein grimmer Mann." "Ja Hagen, von ihm ist mir genug bekannt! Einst war er mir vergeiselt; von Helche und mir empfing er das Schwert; er leistete mir manchen Dienst in seiner Jugend."
Etzel thronte auf dem Hochsitz, ihm zur Rechten sass Gunther, dann folgten Giselher und Gernot, Hagen und Volker; an des Könige linker Seite waren die Sitze bereitet für Dietrich von Bern, Rüdiger und Hildebrand; und sie sassen in fröhlicher Laune bei Wein und Speisen. Friedlich verschliefen sie die Nacht; Hagen und Volker hielten Wacht an der Saaltür. Des Spielmanns Fiedel schallte durch die Stille.
Am Morgen aber kamen Dietrich und Hildebrand zu den Nibelungen: "Freund Hagen," sprach der Berner, "hüte dich hier im Heunenland; denn Krimhild beweint jeden Tag Jung-Siegfried."
In des Berners und seines Waffenmeisters Geleite schritt Gunther durch Burg und Stadt. Hagen und Volker folgten ihnen mit verschränkten Armen, in tiefen Helmen; wo artige Frauen standen, nahmen sie die Eisenhüte ab und liessen sich sehen. Schmal um die Mitte, breit in den Schultern war Hagen, sein Antlitz lang und aschfahl, von dunklen Locken umrahmt, aber sein Auge scharfblickend. Alles Volk wollte ihn sehen, der den starken Siegfried von Niederland, Krimhildens Gemahl, erschlagen hatte, und von dem die Sage ging, er sei ein Elbensohn.
"Tragt statt der Rosen Waffen in der Hand und statt der Hüte und seidnen Hemden Brünnen und Helme, statt der Mäntel breite Schilde, dass ihr wehrhaft seid, wenn jemand mit euch zürnt. Trennet euch nicht, und schnöden Gruss beantwortet mit Todeswunden; so geziemt’s uns," befahl Hagen den Burgunden.
Inzwischen war Krimhild zu Dietrich in dessen Halle geeilt und sprach: "Fürst von Bern, ich suche Rat und Hilfe bei dir; leiste mir Beistand; Siegfrieds Mord will ich rächen an Hagen und Gunther. Ich biete dir Gold und Silber, soviel du heischest."
"Das tu’ ich nicht, Königin; deine Bitte ehrt dich wenig. Auf gute Treue kamen sie her in dies Land!"
Weinend ging sie fort und in Herzog Blödels Saal: "Siegfried will ich nun an den Nibelungen rächen und du sollst mir helfen."
"Etzel ist Euren Gesippen hold, ich wag’ es nicht."
Sie wies auf seinen Schild: "Ich fülle dir den Schild mit Gold, Herzog Nudungs Mark und schöne Witwe werden dein; und immer werd’ ich dir eine huldreiche Königin bleiben." Da reizte es Blödel, den reichen Lohn zu gewinnen: "Geht Ihr in den Saal zum Fest, Königin. Ich beginne den Kampf, bevor einer der Fürsten dort es gewahrt; gebunden liefr’ ich Euch Hagen." Krimhild ging in den Königssaal, wo das Mahl bereit stand. Etzel sass auf dem Hochsitz, seiner Gäste wartend. Die kamen in Waffen geschritten; das sei ihre Landessitte, die drei ersten Tage bei einem Königsfeste gewaffnet zu gehen, – hatte Hagen gesagt. – Aber burgundische Sitte kannte Krimhilde. Sie ging den Nibelungen entgegen und sprach: "Nun gebet mir eure Waffen zur Aufbewahrung; seht, waffenlos sitzen hier auch alle Heunen."
"Du bist eine Königin," antwortete Hagen. "Wie dürftest du Männern die Waffen abnehmen? Ich will mein eigner Kämmrer sein. Mich lehrte mein Vater, auf Weibestreue hin niemals Waffen abzulegen, und so will ich tun, solang ich im Heunenlande bin." Er setzte seinen Helm auf und band ihn fest. Da sahen alle, dass Hagen zornig war. Gernot argwöhnte Verrat und band seinen Helm auf.
Der König grüsste nun die Gäste und wies ihnen Sitz an; Gunther zu seiner Rechten, Giselher zur Linken; Krimhild liess ihren Stuhl Etzel grad gegenüberstellen. Während des Mahles ward der junge Königssohn von seinem Pfleger hereingeführt. "Seht den jungen Ortlieb," sprach Etzel, "ich will ihn euch mitgeben an den Rhein; ihr sollt ihn erziehen. Einst wird er ein reicher Mann und ein König über zwölf Lande sein; dann dankte er euch die Pflege."
"Schon dem Tode verfallen, mein’ ich, ist der Knabe anzusehn," rief Hagen. Etzel schaute schweigend auf den Tronjer; das Herz war ihm beschwert. Hagen war wenig aufgelegt zu Kurzweil.
Währenddessen hatte Blödel tausend Mannen gerüstet und eilte mit ihnen in die Hallen, wo Dankwart als Marschalk das Mahl der Knechte überwachte.
"Willkommen, Blödel," rief er, "was sollen deine Krieger?"
"Behalte deinen Gruss, mein Kommen ist dein Ende; weil Hagen Siegfried erschlug, entgeltet ihr’s nun alle."
"Ich war ja ein Knabe, als das geschah; ich habe nichts mit dem Mord zu tun!"
"Doch dein Bruder tat’s – das ist all eins; wehrt euch, keiner entrinnt meinem Schwert."
Schnell sprang Dankwart auf, zog sein Schwert und mit jähem Hieb schlug er Blödel das Haupt ab. – Da liefen die Heunen ihre Gäste mit gezückten Schwertern an, die stiessen die Tische fort. Die kein Schwert zur Hand hatten, schwangen die Schemel; grimmig Werten sie sich und trieben die Schar aus dem Hause.
Als die Heunen Blödels Fall vernahmen, rüsteten sich – noch ehe Etzel es gewahrte – zweitausend Heunen.
Den eingesperrten Knechten half ihre Tapferkeit nichts; sie wurden alle erschlagen, dazu zwölf Edle. Dankwart allein stand noch: "Nun weicht mir, ihr Heunen," rief er, "und lasst mich sturmmüden Mann hinaus." Er sprang ins Freie und schritt, wie ein Eber um sich hauend, zu dem Königssaal. In seinen Schild flogen zu viel Speere, er musste ihn fallen lassen; er schritt die Stufen vor dem Saal empor und trat unter die Tür; blutüberflossen war sein Gewand, das blosse Schwert hielt er in der Faust: "Bruder Hagen," rief er laut, "zu lange schon sitzt ihr hier beim Mahle; tot liegen unsre Knechte in den Herbergen. Das hat Herr Blödel mit seinen Heunen getan; ihm hab’ ich das Haupt abgeschlagen."
"Um ihn ist’s wenig schade," sprach Hagen, "aber sag’ geschwind, Bruder, bist du von deiner Wunden Blut so rot?"
"Heil kam ich davon."
"Dann hüte mir die Tür, und lass nicht einen hinaus. Ich hörte, Krimhild könne ihr altes Herzleid nicht verwinden; nun trinken wir Freundschaft und zahlen des Königs Wein; der junge Ortlieb muss der allererste sein." Drohend rief’s Hagen, fasste den Schwertgriff und schlug dem Knaben das Haupt ab; es flog Krimhild in den Schoss, und mit dem zweiten Hieb schlug er dem Pfleger das Haupt, mit dem dritten Werbel die Rechte auf der Fiedel ab. Da sprang Etzel empor und befahl: "Auf, alle meine Mannen, schlagt die Nibelungen tot," und das Morden hob an im Saal.
Die Burgundenkönige traten zwischen die Kämpfenden und suchten noch zu schlichten; – aber Hagen begann zu wüten, – Da schlugen auch sie tiefe Wunden in Heunenleiber. Dankwart, unter der Tür, wurde von aussen und innen angegriffen: "Volker, rette mir den Bruder," rief Hagen dem Spielmann zu. Volker brach sich Bahn zu ihm: "Steh du aussen, Dankwart, ich hüte die Tür von innen."
Nun warf Hagen den Schild auf den Rücken und begann erst recht zu rächen die treulos erschlagenen Knechte.
Krimhild bat Dietrich: "Hilf mir hinaus, Berner; erreicht mich Hagen, so hab’ ich den Tod an der Hand."
"Ich will’s versuchen," antwortete er und rief so gewaltig in den Kampf, dass die Burg von seiner Stimme widerhallte. "Haltet ein mit dem Streiten," gebot Gunther. "Was ist dir geschehen, Herr Dietrich, edler Fürst? Ich bin dir zu jeder Busse erbötig."
"Mir ist nichts geschehen; doch lasst mich mit meinen Mannen und Freunden aus diesem Saale gehn."
"Führe fort, wen du willst, nur nicht meine Feinde; die bleiben hier."
Da umschloss Dietrich Krimhild mit dem einen Arm, mit dem andern Etzel, und schritt hinaus; ihm folgten alle Amalungen.
"Wollt ihr auch mir und den Meinen Frieden geben?" fragte Markgraf Rüdiger.
"Geht," antwortete Giselher, "eure Treu ist fest." Fünfhundert räumten mit Rüdiger den Saal. Dietrich und der Markgraf gingen in ihre Hallen.
Dann brach der Kampf wieder aus.
"Hörst du, Hagen," sprach Gunther, "die Töne, die Volker den Heunen fiedelt? Er hat seinem Fiedelbogen ‘nen roten Anstrich gegeben! Nie sah ich einen Spielmann so herrlich streiten; seine Weisen klingen durch Helm und Schild."
Von allen Heunen im Saal blieb nicht einer am Leben. Die Burgunden legten die Schwerter aus den Händen.
Sie trugen die Toten vor die Tür und warfen sie die Stiege hinab; wehklagend und drohend standen die Heunen vor der Halle. Volker schoss einen Speer unter sie, furchtsam wichen sie zurück. Hagen trat an Volkers Seite und höhnte König Etzel, weil er nicht an der Spitze seiner Mannen kämpfte, wie’s Fürsten geziemend. Zürnend rief Krimhild: "Wer mir Hagen erschlägt, dem füll’ ich den Königsschild mit rotem Gold und geb ihm Land und Burgen." "Wie sie zaudern, die verzagten Helden!" lachte Volker. "Die des Königs Brot essen, weichen nun von ihm, da er in Not ist. Kühn wollen sie sein; ich heisse sie schmachbeladen."
"Bringt mir meine Gewaffen!" rief Iring, Hawarts Mann, "ich will mit Hagen kämpfen."
Er waffnete sich. Irnfried von Thüringen und Hawart von Dänemark mit ihren Leuten gesellten sich ihm.
Unwillig sprach Volker: "Iring wollte dich allein bestehn; sieh, nun geht eine Schar mit ihm."
"Heisse mich keinen Lügner," entgegnete Iring, "ich will ihn allein bestehn"; er bat seine Freunde so lange, bis sie ihn nachgaben.
Er zückte den Speer, deckte sich mit dem Schild, lief in den Saal und auf Hagen los; sie schossen scharfe Speere durch die Schildränder; die Schäfte splitterten. Dann griffen sie zu den Schwertern; Palast und Burg widerhallten von ihren Hieben, doch Hagen blieb unverwundet. Da liess Iring ihn stehn und rannte den Fiedler an; Volker schlug ihm einen starken Schlag zur Abwehr; da liess Iring auch ihn stehn und wandte sich gegen Gunther. Sie waren gleich stark; keiner verwundete den andern. Auch Gunther kehrte er den Rücken und rannte Gernot an. Da hätte ihn schier der Burgunde erschlagen, ein schneller Sprung rettete Iring, der nun vier der edelsten Gefolgen erschlug. "Die sollst du mir büssen," rief zürnend Giselher und hieb so scharf auf den Dänen, dass er für tot niederfiel. Aber die Sinne kehrten ihm bald zurück, er war unverwundet; behende sprang er auf und zur Tür hinaus, wo er Hagen fand; mit jähen Schlägen hieb er auf den Tronjer und verwundete ihn durch den Helm. Da sauste Hagens Schwert auf des Dänen Haupt nieder. Der schwang den Schild über den Helm und rannte die Stufen hinunter, zu den Seinen zurück. "Rotes Blut quillt aus Hagens Helm, sei bedankt, ruhmvoller Iring," sprach Krimhild.
"Danke ihm mässig!" rief Hagen. "Will er’s noch einmal gegen mich versuchen, – dann nenn’ ich ihn einen kühnen Mann."
Der Däne nahm einen neuen Schild, einen starken Speer und schritt abermals gegen Hagen. Der konnte ihn nicht erwarten, die Stiege hinunter lief er ihm entgegen. Sie stritten, dass die Funken flogen, und Iring erhielt eine Schwertwunde durch Schild und Helm; er rückte den Schild höher vor das Gesicht, da fasste Hagen einen Speer, der ihm vor den Füssen lag und schoss ihn auf Iring; er blieb in dessen Haupt stecken. Ehe seine Freunde ihm den Helm abbanden, brachen sie den Speer ab, – da starb Iring. Bitter klagte Krimhild um ihn.
Irnfried und Hawart schritten nun mit ihrer Schar zum Saal hin; da ward unbändig gefochten.
Irnfried lief Volker an; sie verwundeten sich gegenseitig, doch der Thüring erlag vor dem Spielmann. Hawart war mit Hagen zusammengekommen; er starb von des Burgunden Hand. Da die Dänen und Thüringe vor dem Saal ihre Herren tot sahen, erkämpften sie mit wilder Wut die Tür. "Lasst sie herein," sprach Volker, "der Tod wartet ihrer." Sie drangen ein und alle wurden erschlagen. Es ward stille; das Blut quoll allenthalben aus dem Saal. Die Burgunden setzten sich, zu ruhn; Volker stand vor der Tür, ob noch jemand sie mit Streit angehen wolle?
König Etzel und Krimhilde wehklagten laut. Allenthalben sassen Frauen und Mägde und litten Herzensqual.
"Nun bindet die Helme ab," sprach Hagen. "Wagen Etzels Mannen sich wieder heran, dann warn’ ich euch." Viele entwaffneten sich und pflegten der Verwundeten.
Und noch einmal, ehe der Tag sank, schickten Etzel und Krimhild ein Heunenheer, das bewaffnet in der Burg harrte, zum Kampf gegen die Burgunden.
Dankwart sprang der erste hinaus, den Feinden entgegen. Bis zu nacht erwehrten sich die Burgunden der Heunen.
Da begehrten die Nibelungen Frieden; aber Etzel antwortete: "Niemals gewähr’ ich euch Frieden, weil ihr mir den Sohn und Gesippen erschlagen habt."
"Dazu zwang uns die Not," sprach Gunther, "ihr mordetet zuerst meine Knechte. Auf Treue kam ich her zu dir. Willst du unsre Feindschaft beilegen, so ist’s wohl für beide Teile gut."
"Ungleich steht mein und euer Verlust," zürnte Etzel, "Schmach und Schande hab’ ich gewonnen; keiner von euch soll lebend davon kommen."
"Dann lass uns," rief Gernot, "ins Freie zum Kampfe mit deinen Heunen."
Das wollten Etzels Recken zugestehen, aber Krimhild wehrte ihnen: "Kommen sie heraus, und wären es nur Utes Söhne, dann seid ihr alle des Todes."
"Vielschöne Schwester," sprach Giselher, "das erwartete ich nicht, dass du mich über den Rhein hierher in den Tod geladen hättest. Gedenke unser in Gnaden."
"Ungnade allein hab’ ich für euch; ihr alle müsst nun Hagens Mordtat entgelten, Brüder. Doch, wollt ihr mir Hagen ausliefern, so lass’ ich euch das Leben und versöhne euch mit Etzel."
"Das verhüte der reiche Gott," rief Gernot, "wenn unser tausend wären, wir lägen lieber alle tot, als dass wir den einen Hagen liessen."
"Uns Nibelungen scheidet niemand," schloss Giselher, "wer mit uns fechten will, der komme."
Aber Dankwart rief mahnend hinunter: "Sei gewarnt, Königin, es wird dir wohl noch leid, dass du nun den Frieden weigerst." –
"Lasst keinen herauskommen," befahl Krimhild den Heunen, "dringt an, näher und näher, und legt Feuer an den Saal, an allen vier Ecken."
Das Feuer schwelte an dem Holzgefüge des Baues; vor dem Wind schoss die Lohe sausend auf, und bald stand der Saal in hellem Brand. Schwer litten die Burgunden von Rauch und Hitze; brennender Durst quälte sie.
"Wen die Not zwingt," sprach Hagen, "der trinke der Erschlagenen Blut." Zögernd befolgte einer den Rat, bald machten ihm’s andre nach." –
Prasselnde Feuerbrände fielen von der hochgewölbten Decke auf die Helden; sie fingen sie mit den Schilden auf. "Steht an der Wand und tretet die Brände mit den Füssen in das Blut hinab," riet Hagen. "Ein Unheilsfest gibt uns hier Frau Krimhild."
So verbrachten sie die Nacht; Volker und Hagen, auf ihre Schilde gelehnt, standen vor der Tür, die Heunen erwartend.
Als es tagte, kehrten sie in den Saal zurück; die noch übrig waren, waffneten sich aufs neue. Da boten ihnen die Heunen mit Speer und Bogen den Morgengruss. Etzels Mannen war der Mut entflammt, Krimhilds Lohn zu gewinnen. Sie liess das Gold in Schilden herbeitragen; wer zum Kampfe ging, empfing davon. Ein Heer von Heunen versuchte, die Nibelungen zu bezwingen; einer nach dem andern erlag vor den Burgunden.
Da kam Rüdiger zu Hofe gegangen und sah das fürchterliche Morden, das geschehen war; er sandte zu Dietrich, ob sie beide nicht bei Etzel dem Rest der Gäste Frieden erbitten könnten?
"Etzel will niemand friedlich den Streit schlichten lassen," antwortete Dietrich.
"Schaut, Frau Königin," rief ein Heune, "wie der Markgraf weinend dasteht. Viel Burgen, reiches Land und Ehren empfing er von Etzel und tat hier noch nicht einen Schlag."
Zürnend ballte Rüdiger die Faust und schlug den Schmäher nieder.
Krimhild sprach: "Markgraf Rüdiger, nun mahn’ ich dich des Eides, den du mir schwurst, da du um mich für Etzel warbst. Wie hiess der Schwur?"
"Dass ich Ehre und Leben für Euch wagen wollte in Eurem Dienst – aber nicht meine Treue. Wie sollt’ ich gegen die Nibelungen kämpfen, die ich in meine Burg geladen, denen ich Freundschaft gelobt und die ich in dies Haus zu friedlichem Fest geleitet habe?"
"Gedenke deines Eides; dass du stets bereit sein wolltest, meinen Schaden und mein Leid zu rächen."
Der Markgraf wandte sich zu Etzel: "Nimm alles, was ich von dir empfangen habe, zurück, ich will mit Weib und Kind aus dem Lande ziehen, – aber erlass mir diesen Kampf."
"Markgraf!" antwortete der König, "was nützt mir dein Land und deine Burg? Dein Schwert heisch’ ich, dass es meine Schmach an den Nibelungen räche; ein König an Etzels Seite sollst du zum Lohne dafür werden."
"Deine Treue heisch’ ich," befahl Krimhild, "mein Dienstmann bist du; nun diene mir! Auf zum Kampf mit den Nibelungen."
"So will ich sterben, – ich befehl’ euch zu Gnaden mein Weib und Kind, und alle landflüchtigen Goten, die in Bechelaren Zuflucht gefunden haben."
"Das sag’ ich freudig zu," antwortete Etzel, "doch vertrau’ ich, dass du lebend aus dem Kampfe wiederkehrst."
Trüben Mutes rüstete sich Rüdiger mit seiner Schar und schritt ihr voran zum Saal. Er setzte den Schild vor den Fuss und sprach: "Wehrt euch, ihr kühnen Nibelungen; einst waren wir Freunde, nun muss ich der Treue ledig sein."
"Das verhüte Gott!" rief Gunther.
"Ich muss mit euch streiten, Krimhild will’s mir nicht erlassen."
"Steh ab," mahnte Gernot, "du milder Wirt."
"Ich wollt’, ihr wär’t am Rhein und ich läge tot."
"Wie, Rüdiger," bat nun auch Giselher, "willst du die eigne Tochter zur Witwe machen?"
"Mögst du entrinnen, Giselher! Nun gnade uns Gott, wir müssen kämpfen."
"Verweile noch, Rüdiger," rief Hagen, "wir wollen noch reden. Sag’, was nützt Etzel unser Tod? Der Schild, den mir Gotelind gegeben, den haben mir die Heunen ganz zerhauen; könnt’ ich noch so guten gewinnen, wie du einen am Arme trägst, so bedürft ich keiner Brünne mehr."
"Nimm ihn, Hagen! Und mögest du den Schild heimtragen an den Rhein." Das war die letzte Gabe, die der gute Markgraf je auf der Welt bot. Manche Augen wurden dabei von Tränen nass. "Gleich dir, Rüdiger, lebt keiner auf der Welt," sprach Hagen und nahm den Schild. "Nun soll dich meine Hand nicht befehden."
"Auch ich sage dir Frieden zu," rief Volker, "das hast du verdient mit deiner Treue."
Darauf schritt Rüdiger hinauf, Volker und Hagen wichen vor ihm zur Seite; er fand noch manchen Kühnen zum Streite bereit. Giselher und Gernot liessen ihn in den Saal, die von Bechelaren sprangen ihm nach. Hagen und Volker fochten grimmig; sie gaben keinem Frieden als dem einen. Der Markgraf mied die Könige und kämpfte wie im Schlachtsturm mit dem Gesinde. "Du willst uns keinen Mann mehr übrig lassen, Rüdiger," rief Gernot, "wende dich mir entgegen und bestehe mich, kühner Mann!" Gernot schwang das Schwert, welches ihm Rüdiger als Gastgeschenk in Bechelaren gereicht hatte; da trafen sie einer den andern; zum Tode verwundet von Rüdigers Hand, gab Gernot ihm einen Hieb durch Schild und Helm; tot sanken beide zu Boden. So fiel der MarkgrafNach andrer Überlieferung fällt Giselher den Markgrafen.
"Ihrer beider Tod ist grosser Schaden!" sprach Hagen und bedrängte gewaltig Rüdigers Gesinde. Hier sanken sie erschlagen zu Boden, dort wurden die Wunden im Gedräng mit den Füssen niedergetreten, dass sie in den Blutlachen erstickten.
Giselher rächte grimmig Gernots Fall. Bald lebte nicht einer mehr derer von Bechelaren.
"Lasst uns ins Freie, unsere Panzer zu kühlen," sprach Giselher, "mich dünkt, es geht zum Ende." Kampfmüde lehnten und sassen umher, die noch lebten. Das Tosen war verschollen.
Krimhild sprach zu Etzel: "Es ward so still. Rüdiger bricht uns dir Treue, er will ihnen davonhelfen."
Das hatte Volker gehört: "Er tat so ernst, was Etzel ihm befahl," sprach er, "dass er nun mit seinen Gefolgen tot liegt." Sie trugen den Markgrafen dahin, wo Etzel ihn fernher sehen konnte. Bei seinem Anblick brachen er und Krimhild in ungestüme Klagen aus.
Der Jammer war so laut, dass Türme, Palast und die ganze Stadt davon erfüllt wurden. "Ich glaube, sie haben Etzel oder Krimhild erschlagen," sprach aufhorchend einer in des Berners Halle. Dietrich entsandte einen Boten, der kam bald zurück mit der Antwort: "Die Burgunden haben den milden Rüdiger erschlagen."
"Wie hätte Rüdiger das um sie verdient!" rief Dietrich.
"So müssen wir ihn rächen," fuhr Wolfhart auf, Hildebrands Schwestersohn. Dietrich befahl Hildebrand, zu erkunden, wie alles geschehen sei.
Waffenlos sollte der Alte gehen, aber Wolfhart mahnte ihn: "Geh in Waffen, dass sie dich fürchten." Da gürtete Hildebrand sein Schwert um, und ehe er es hindern konnte, standen Dietrichs Mannen gerüstet um ihn. "Wir gehen mit, Meister; ob Hagen von Tronje so kecken Sinn hat, dir mit Spott zu antworten?"
Volker sah sie kommen: "Gewaffnet und gehelmt schreiten Dietrichs Gesellen daher, sie wollen uns befehden."
Hildebrand setzte den Schild vor seine Füsse und sprach: "Was hat euch Rüdiger getan? Dietrich, mein Herr, hat mich gesandt; ob ihr den Markgrafen wirklich erschlagen hättet, wie man uns sagte? Das ertrügen wir nicht ruhig."
"Da sagte man euch wahr!" antwortete Hagen. "Ich wünschte um Rüdigers willen, es wäre gelogen."
Laut klagten die Amalungen. "Der Landflüchtigen Wonne habt ihr erschlagen!" sprach einer. "Wer soll Gotelinde trösten?" der andre, und Wolfhart rief zornig: "Wer soll nun die Recken führen, so gut wie Rüdiger es oft getan hat?"
Vor Gram mochte Hildebrand nicht weiter fragen. "Bringt uns nun den Toten aus dem Saal, damit wir ihn ehrenvoll bestatten."
"Ihr lohnt ihm geziemend, was er an euch getan," sprach Gunther.
"Wie lang’ sollen wir warten?" rief der ungeduldige Wolfhart.
"Niemand bringt ihn euch entgegen," antwortete Volker. "Holt ihn euch aus dem Saal, dann ist es voller Dienst, den ihr ihm tut."
"Fiedelmann! reiz’ uns nicht!" drohte Wolfhart, "wagt ich’s, käm’t ihr bald in Not; – doch Dietrich hat uns das Streiten verboten."
"Feig’ ist, wer alles lässt, was man ihm verbietet."
"Hüte dich, Volker! Deinen Übermut werd’ ich nicht ertragen."
"Wagst du dich gegen mich, so trüb’ ich deines Helmes Glanz."
Da wollte Wolfhart Volker kampflich angehen, aber Hildebrand hielt ihn fest. "Lass ihn los, Meister" rief der Spielmann, "ich schlag’ ihn, dass er kein Wort zur Widerrede sagt."
Hei, wie ergrimmten die Amalungen! Jäh sprang Wolfhart die Stiege hinan, ihm folgten seine Freunde. Hildebrand wollte seinen Neffen nicht allein in den Kampf lassen, er erreichte ihn vor der Tür und rannte Hagen an. Schwerter klirrten, Funken stoben davon; da schlug Wolfhart Volker einen Hieb auf den Helm, den ihm der Fiedler wacker vergalt. Ein Amalunge, Wolfwein, trennte die zwei. Hildebrand focht, als ob er wüte.
Dietrichs Schwestersohn, Siegstab, zerschrotete Helm nach Helm; das sah Volker, von Zorn entbrannt, schlug er ihn zu Tode.
"Weh um meinen jungen Herrn! Spielmann, nun sollst du sterben," rief Hildebrand, und grimmig war er zu schaun, als er nun mit raschen Schlägen Volker Helm und Schild zerhackte und zerspellte, bis der starke Spielmann sein Ende fand. Hagen sah ihn fallen: "Meinen besten Heergesellen hast du erschlagen!" Und den Schild höher rückend, schritt er fechtend voran. Da ward auch Dankwart erschlagen. Wolfhart schritt zum dritten Mal durch den Saal; da rief ihn Giselher an und sie kämpften miteinander. Zum Tode verwundet, liess Wolfhart den Schild fallen und schnitt Giselher mit dem Schwert durch Helm und Brünne. Tot sanken beide hin. Da war von Gunthers und Dietrichs Mannen keiner mehr am Leben ausser Hagen und Hildebrand.
Der sterbende Wolfhart tröstete seinen Ohm: "Klage nicht um mich! Herrlich bin ich von eines Königs Hand erschlagen. Du aber hüte dich vor Hagen."
Und Hagen war schon bereit; Volker wollte er rächen. Sausend schwang er Balmung auf den Waffenmeister und schnitt ihm durch die Brünne. Als der Alte die Wunde fühlte, warf er den Schild auf den Rücken und entrann Hagen. Blutüberströmt ging er zu König Dietrich.
"Was bist du so rot von Blut?" fragte der König. "Wer tat dir das?"
"Das tat mir Hagen, kaum bin ich ihm mit dem Leben entronnen. Und Rüdiger liegt tot."
"Wer hat ihn erschlagen?"
"Gernot."
"Geh, Hildebrand, bring mir meine Waffen. Gebiete auch meinen Speerbrüdern, sich zu waffnen; ich will die Burgunden um Rüdigers Tod befragen."
"Herr, alle liegen sie erschlagen; ich allein bin übrig."
"Wehe mir armen Dietrich, der ich ein reicher König und allen furchtbar war! Sag’, wer lebt noch von den Gästen?"
"Niemand mehr als Hagen und Gunther."
Da legte König Dietrich seine Waffen an und klagte laut um seine Blutsbrüder; die Halle schütterte von seiner Stimme Schall. Er fasste den Schild und schritt hinaus, von Hildebrand gefolgt. Vor des Saales Tür fand er Gunther und Hagen an die Wand lehnend. "Dort kommt Dietrich," sprach Hagen, "er heischt Rache. Traun, ich getraue mir wohl, ihn zu bestehen."
Der Berner setzte seinen Schildrand nieder: "Warum habt ihr mir landflüchtigem Mann meine treuen Genossen erschlagen? War’s nicht genug an dem guten Rüdiger?"
"Deine Recken kamen gewaffnet heran," antwortete Hagen.
"Sie begehrten, dass ihr den toten Rüdiger herausbrächtet; Spott war eure Antwort."
"Versagten wir’s," sprach Gunther, "so ward’s Etzel zu Leid getan, nicht euch."
"Wohlan, Gunther; zur Sühne für alle mir Erschlagenen, ergib dich mir als Geisel; dich und Hagen. Ich will euch schützen, dass euch hier nichts geschieht."
"Niemals!" rief Hagen. "Wehrhaft und bewaffnet, frei und ledig vor unsern Feinden stehen wir zwei."
"Ihr dürft’s nicht verweigern. Ich biet’ euch meine Treue und geleit’ euch sicher in euer Land zurück, oder mich halte der Tod."
"Lass ab," grollte Hagen, "wir Nibelungen ergeben uns nicht."
"Es kommt wohl noch die Stunde," warnte ihn Hildebrand, "da ihr gern meines Herrn Sühne annähmet."
"Ehe ich vor einem Feind wegliefe, wie du vor mir getan, ja freilich, lieber ging ich in Vergeiselung. Ich wähnte, du stündest fester, Alter."
"Ei, wer war’s, der im Wasgenwald auf einem Steine müssig sass, während ihm Walther so viele Freunde erschlug?"
"Lasst das Schelten," gebot Dietrich. "Hört’ ich recht, Hagen, dass du sagtest; allein wolltest du mich bestehen?"
"So sagt’ ich, und mich ergrimmt sehr, dass du uns als Geiseln begehrst."
Da hob Dietrich den Schild; eilig sprang Hagen ihm entgegen, die Stufen hinab. Gewaltig stritten sie, bis endlich Dietrich Hagen eine breite und tiefe Wunde schlugNach andrer Überlieferung schmilzt Hagens Brünne unter Dietrichs Feuerhauch.. "Ich will ihn nicht erschlagen," dachte Dietrich, "ich will ihn mir zur Geiselhaft zwingen." Er liess den Schild fallen, umschloss Hagen mit seinen starken Armen und band ihn. In Fesseln führte er ihn vor Krimhild.
Da frohlockte sie: "Ich will dir’s danken, Berner."
"Dann sollst du ihm das Leben lassen, Königin," verlangte Dietrich. Sie liess ihn in ein festes Verliess bringen.
"Wohin kam mir der Berner? Hagen will ich an ihm rächen!" rief Gunther und stürmte mit Zornestoben hinaus, gegen Dietrich.
Die Burg widerhallte von ihren Schwertschlägen. Dietrich schlug ihm eine Wunde, wie er Hagen getan hatte, und legte auch ihn in Bande. Dann fasste er ihn an der Hand und führte ihn zu Krimhild.
"Willkommen, Gunther aus Burgund," sprach sie.
"Ich würde dir danken, Schwester, wäre dein Gruss nicht schnöder Spott."
"Königin," sprach Dietrich, "so edle Helden wurden noch nie vergeiselt; du sollst ihnen milde und gnädig sein um meinetwillen." Mit feuchten Augen schritt er hinweg.
Krimhild aber heischte Rache.
Sie ging zu Hagen und sprach: "Willst du mir den Hort Siegfrieds herausgeben, so mögt ihr lebend heimziehen." Er wusste gut, dass sie ihm das Leben nicht liess, – überlisten wollte sie ihn; darum sprach er: "Ihn geb’ ich nicht heraus, solang noch einer meiner Herren lebt."
"Nun mach’ ich ein Ende," zürnte sie und befahl, Gunther das Haupt abzuschlagen; an den Haaren trug sie’s vor Hagen hin.
"Nun hast du’s nach deinem Willen zu Ende gebracht!" rief er stolz; "den Schatz, den weiss nun keiner als ich und Gott allein, er soll dir Valandine immer verhohlen sein."
"So will ich doch Siegfrieds gutes Schwert besitzen; er trug’s, als ich zuletzt ihn sah."
Und sie zog Balmung aus der Scheide, schwang das Schwert und schlug Hagen das Haupt ab.
König Dietrich sah’s von fern; grollend rief er: "Jammer und Wehe! Von eines Weibes Hand erliegt der allerkühnste Mann, der je zum Streite ging und Schild trug."
"Und bracht’ er mich auch in Todesnot," rief Hildebrand, "ich räche Hagen!" Er sprang zu Krimhild und schlug sie mit einem Schwung des Schwertes in Stücke.
Etzel und Dietrich wehklagten um ihre Toten. Frauen und Männer, Mägde und Knechte trauerten um verlorene Freunde.
So endete König Etzels Sonnwendfest – und der Nibelungen Not.