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Von zahlreichen andern Göttern und Göttinnen sind uns Spuren erhalten, kaum hinreichend, lebendige Anschauung von ihren Gestalten zu gewähren, aber genügend, unsre Klage zu verstärken, dass uns von all dem Grossartigen und Heldenhaften, Tiefsinnigen und Feinsinnigen, Ahnungsvollen und fröhlich Schalkhaften, was die Seele unsres Volkes in diesen Gebilden geschaffen hatte, nur so dürftige Trümmer und Andeutungen geblieben sind.
Unzweifelhaft ist von Heimdall, dem Sohne Odins, und von neun (riesischen) Schwertern (welche ihn aufgenährt haben mit der Kraft der Erde, mit kühler Flut und mit dem Strom des Sonnenlichtes), nur bezeugt, dass er der treue WächterDie Edda rühmt von ihm; weniger Schlaf als ein Vogel braucht er; bei Nacht wie bei Tag sieht er hundert Rasten weit; er hört das Gras wachsen in der Erde und auf den Schafen die Wolle; – also erst recht jeden stärkeren Laut. der Regenbogenbrücke Bif-röst ist; er trägt das gellende Wächterhorn, Giallarhorn, in das er stösst, wann die Riesen heranreiten zum letzten Sturm auf Asgards goldene HöhenDies Horn soll, wie man eine Stelle deuten will, unter dem Weltenbaum geborgen und erst, um zu jenem letzten Kampfe zu rufen, hervorgeholt werden.. Man hat ihn unter anderm Namen wiedergefunden als Rigr; als solcher wandert er über die Erde hin und wird der Vater der verschiedenen StändeDer Jarle (Adel), Karle (Gemein-freien), Thräle (Knechte), die er aber freilich in Halle, Haus, Hütte schon vorfindet..
Auch Iring soll er heissen und nach ihm die Milchstrasse "IringstrasseDen Strassen am Himmel entsprechen Strassen auf Erden; mit Iring wird in der Heldensage stets Irmin zugleich genannt; auf Irmin hat man die Irmensäule zurückgeführt, von der vier Strassen nach den vier Winden liefen; England ward von Mitternacht nach Mittag durchschnitten von Erminge-strete; Iringstrassen hat man, wie am Himmel, auch auf Erden vermutet; der Himmelswagen heisst auch Irminswagen; hieraus hat man Iring (Heimdall) und Irmin als Brüder und als Wegegötter der Himmels- und Erdenstrassen gefolgert mit sehr zweifelhaftem Recht. – Ohne Zweifel aber hängt der Name der Hermionen und der der Hermunduren (der späteren Thüringe), bei denen Irming, Irminfrid und Iring begegnen, mit der Irminsul und dem Irminwagen, mit einem Gott oder Halbgott Irmin zusammen." benannt sein. Er ist also ein Gott des Himmels, der Luftregion, als solcher eine Seite (ein Sohn) Odins; als seine Mutter wird anderwärts die Erde bezeichnet. Auch der "Schwert-As" heisst er und mit dem Schwertgott Eru wird er zusammengehalten. Seinen Namen hat man gedeutet als "Dolde (d. h. Spitze) des Heims", d. h. der Erde, des Weltbaumes; daher heisst seine Wohnung Himinbiörg, Himmelsburg; daher, als ein Gott des lichten Äthers, mag er der "weisse" heissen; daher führt er, hoch da oben wachend, das krumme Horn, d. h. die Mondsichel. Sein Ross heisst Gulltopr (Goldwipfel) und er hat goldene Zähne, also ein Gott des himmlischen Sonnenlichts. Daher heisst er auch "der sich Neigende", da ihm der Monat, in dem die Sonne sich neigt, vom einundzwanzigsten Juni bis einundzwanzigsten Juli, geweiht war. Jedoch auch (wohltätigen) Regen spendet dieser Himmelsgott; als Loki, der heisse, sengende Sommergluthauch, Freyas (der jungen Erde) Halsgeschmeide Brisingamen (das frische Grün des Rasens) geraubt (d. h. versengt) hatte, da brachte es ihr Heimdall nach siegreichem Kampfe mit Loki wieder zurück; der erfrischende Regen belebt das versengte Grün aufs neue.
Hödur, der schuldlose Töter Baldurs, und Odins wie Baldurs Rächer; Hermôdr, Widar und Wali, sind uns fast nur aus der Geschichte von des Lichtgottes Ermordung und der Erneuerung der Welt bekannt; ihre Hauptbedeutung liegt auf den Gebieten jener beiden grossen Sagen und ist dort zu würdigen. Aber einiges ist doch auch hier schon hervorzuheben.
Wali ist das wiederkehrende Licht, welches zur Zeit der Wintersonnenwende die Tötung Baldurs, der in der Sommersonnenwende stirbt, an dem blinden Hödur rächt; er ist der Sohn Odins und der Rinda (d. h. der winterlichen Erdrinde). Sie war die Tochter eines Ruthenen-(Russen-)Königs. Odin war nach Baldurs Tod geweissagt, nur diese könne ihm einen Sohn gebären, der Baldur rächen werde. Odin naht nun in seiner Wandergestalt mit Schlapphut und Mantel jenem König, gewinnt dessen Gunst, schlägt als dessen Feldherr die Feinde und verlangt als Lohn der Tochter Hand. Der König will sie ihm geben, aber die spröde, herbe, stolze Jungfrau gibt ihm statt des Brautkusses – eine Ohrfeige. (Die Erzählung stammt aus Saxos Bericht, mit zahlreichen Vergröberungen der Götter, welche wir fast sämtlich übergehen.)
Nun erscheint Odin als Goldschmied verkleidet und wirbt um die Maid mit künstlichen Spangen. Abermals mit einem Schlag abgewiesen, naht er als junger, blühender Krieger zu Ross und zeigt ihr seine Reiterkünste. Aber sie stösst den Werbenden so rauh zurück, dass er strauchelt und sein Knie die Erde rührt. Da berührt er sie zornig mit seinem Zauberstabe (gambantein, den Skirnir gegen Gerda brauchte) und beraubt sie so des Verstandes. Aber die Werbung gibt er nicht auf; kann doch nur Rinda Baldurs Rächer gebären. Er verkleidet sich in Frauengewand, nimmt unter dem Namen Wecha Dienst bei dem Mädchen und wäscht ihr die weissen Füsse. Da sie immer schwerer erkrankt, verheisst er, sie zu heilen, aber mit so harter Kur, dass die Kranke sie nur gezwungen ertragen werde. So wird ihm von dem Vater das Mädchen gebunden übergeben; er führt sie fort, vermählt sich nun mit der Widerstrebenden, und sie wird die Mutter Walis. Während seiner Abwesenheit und wegen des verübten BetrugesEine ganz späte, unpassende Zutat Saxos, der alles auf geschichtlich-menschliche Zustände und auf die Moral seiner Zeit zurückführt. Für eine zur Wiederbelebung der Erde sieghaft durchgeführte Arglist strafen die Götter ihren König gewiss nicht! Wir werden sehen, aus welchem Naturgrund in der alten Göttersage Ullr an Odins Stelle tritt. entsetzt aber ein Teil der Götter Odin der obersten Gewalt; ein andrer, Ullr, erhält Odins Thron und Namen; aber bald gewinnt Odin die Götter wieder für sich; Ullr muss flüchten und wird im fernen Norden erschlagen.
Die Deutung ist nicht schwer. Rinda ist die winterliche Erdrinde; nach des Lichtgottes Baldur Tod ist die Erde dem wohltätigen Himmelsgott Odin entrückt. Vergebens bemüht dieser sich, sie für sich zu gewinnen; vergeblich bekämpft er tapfer die Winterriesen; vergeblich wirbt er um sie mit den goldenen Gaben des Sommers; vergebens zeigt er ihr die Lust kriegerischer Spiele, der schönsten Gabe der Sommerzeit; die Erde, die dem Liebesleben abgesagt, weist dreimal heftig den Freier zurück; die Versuche, des Winters Herrschaft zu brechen, scheitern. Da verflucht sie der Lebensgott für immer, dem Wintertode verfallen zu sein, falls sie ihn nicht erhöre; er wirbt um die erstarrte, indem er ihr die Füsse bespült (es ist wohl allzu kühn, hier an den Tauwind zu denken, der die Erdrinde in Tauwasser schmelzt; aber irgend ein ähnlicher Vorgang in täuschender Hülle und scheinbar ungefährlicher Gestalt liegt hier zu Grunde) und zwingt die immer noch Widerstrebende zuletzt mit Gewalt, sich dem Sieger zu ergeben und die Mutter zu werden des neuen Frühlings, der den im Vorjahr getöteten an dem Winter- und Nachtgott Hödur rächt. Ursprünglich bezog sich Baldurs Tod nur auf den jährlichen Untergang des Lichtes; erst später ward dies auf die Götterdämmerung bezogen, und nun konnte nicht mehr Baldur selbst jeden Frühling wiederkehren, – vielmehr erst in der erneuten Welt – sondern statt seiner ein Bruder, ein andrer Sohn OdinsZu künstlich und zugleich recht geschmacklos scheint die Erklärung von Odins angeblicher Vertreibung aus dem Himmel nach Walis Geburt aus der Erfahrung, dass, "wenn die Tage langen, der Winter erst kommt gegangen", auch fällt ja Wali, nur eine Nacht alt, den dunkeln Wintergott Hödur. Vielmehr ist diese "Vertreibung" Odins späte Zutat Saxos und hat Ullrs Eintreten für Odin nach der echten Sage mit Rinda und Wali gar keinen Zusammenhang..
Wali war der Monat Liosberi (Lichtbringer; vom neunzehnten Januar bis achtzehnten Februar) geweiht, was die Grundauffassung voll bekräftigt. In diese Zeit fällt nicht nur Mariä Lichtmess (zweiter Februar), auch der Valentinstag (vierter Februar), der in England (Ophelia in Shakespeares Hamlet führt ein Volkslied darüber an), Nordfrankreich, Brabant ein Fest der Liebenden ist. An diesem Tage paaren sich nach dem Volksglauben die Vögelein, und auch die jungen Leute wählten oder erlosten für das kommende Jahr, halb im Scherz, halb im Ernst, ihren Schatz. Man hat nun Sankt Valentin als an Walis Stelle getreten gedacht, auch dieses Heiligen Namen auf einen zweiten Namen desselben Gottes: Ali, der Nährer, und einen dritten: Bui, der Bebauer, d. h. Erdbebauer, Ackerbebauer, auf Welo, Wolo (unsern neuhochdeutschen "Wohl") zurückgeführt, d. h. einen Gott des Wohlergehens, Glückes, eines Liebesfrühlings. – Auch als guter Schütze wird Wali gerühmt; der Frühlingssonnengott entsendet die fernhintreffenden Pfeile wie Phöbus Apollon.
Ullr ist nach der echten alten Sage durchaus nicht ein von den empörten Göttern eingesetzter Gegenkönig Odins, sondern lediglich Odin selbst; nur ein winterlicher, statt des sommerlichen Odins. Nur der Sommer ist die Zeit für die Kriegsfahrten des Siegesgottes – ist er doch zugleich der allbelebende Allvater der sommerlichen Lebensfreude; im Winter ruhen wie der Krieg, so jenes warme Freudeleben; Odin ist fern, so scheint es. Aber er ist doch da; nur unter dem Namen "Ullr" und in winterlicher Vermummung. Jetzt gewährt der Schnee die Fährte des Wildes dem Weidmann; nun beginnt die Jagd; Ullr führt sie an, zum Schutz gegen die Kälte in Tierfelle gehüllt, seines Birschgangs Beute liefert ihm ja reichlich Pelzwerk, – mit BogenSeine Wohnung Y-dalir, Eiben-täler, weil von Eibenholz die besten Bogen gefertigt werden? Oder von yda, Flut, Fluten- (d. h. Regen??) Tal? und Pfeil, Schrittschuhe unter den Sohlen; – so verfolgt er behend über Schnee und Eis des Wildes Spur, ein Gott der Jagd; hierin ist ihm Sankt Hubert (Hukbert, der Geistglänzende) nachgefolgt. Er ist ein Sohn der Erdgöttin Sif, aber nicht von Thor; denn er wird geboren, wann die Gewitter noch ferne sind; sein Vater konnte füglich ungenannt bleiben, wenn Ullr = Odin ist. Sich selber meint daher Odin, wenn er, in König Geirröds Saal zur Folter zwischen zwei Feuer gesetzt, ausruft: "Wer die Lohe löscht, gewinnt Ullrs Gunst und aller Götter." Im Sommer weilt dagegen Ullr in der Unterwelt, Odin auf Erden und in Asgard. Als winterlicher Gott hat Ullr auch die Schrittschuhe, vielleicht auch die Schneeschuhe erfunden; er besprach durch Zauber"Wie trefflich er verstand", – wenn er Odin selber war, vgl. den Merseburger Spruch. einen Knochen so, dass er darauf über das gefrorene Meer fahren konnte; die Schrittschuhe wurden aus Knochen gefertigt; vielleicht aber liess ihn die Sage auf solchen breiten, schildähnlichen Zauberschuhen auch über flüssig Wasser schreiten. Dass er aber deshalb (warum? ein Schrittschuh ist doch kein Schild!) der "Schild-As" heisst (vergl. "der Schwert-As"), ist ebenso unwahrscheinlich, wie dass er deshalb im Zweikampf angerufen wurde, weil hier der Schild so wichtig gewesen sei! Vielleicht war als sein Schild die Eisdecke des winterlichen Meeres gedacht, und vielleicht heisst deshalb der (Eis-) Schild "Ullrs Schiff", weil der Wintergott, statt auf einem Schiff, auf dem Schilde des Eises das Meer überschreitet. Allein das sind lauter allzu kühne, wenig befriedigende Vermutungen.
Widar heisst "der schweigsame As"; nur allzu sehr verdient er diesen Namen; denn er schweigt auch uns gegenüber; die Forschung müht sich fast ganz vergeblich, ihn zu erklären. Doch wird man "Widar" als den "Wiederer"Nach andern ist Widar (von vidr, Wald) der "schweigende Urwald"; niemand wagt ihm zu nahen; sogar Loki weiss nichts gegen ihn zu lästern., d. h. den Wiederbringer und Erneuerer fassen dürfen; er ist es, der seines Vaters Odin Fall an dem Fenriswolfe rächt, und er ist es, der neben Wali, dem Rächer Baldurs, vor allen andern als in der erneuten Welt fortlebend ausdrücklich genannt wird; er rächt den Allerhalter an dem Allverderber; er erneut die Welt. Vielleicht war seine Naturgrundlage die jährliche Wiedererneuerung des Lebens der Natur im Frühling, bevor noch die Weltvernichtung und Welterneuerung ausgebildet war; als diese Lehren aufkamen, ward aus dem jährlichen Erneuerer der endgültige Wiederbringer. Weil er auch das Grün der Erde wiederbringt, – alljährlich und in der grossen Erneuerung – mag es von ihm heissen: "Gesträuch grünt und hohes Gras in Eidars Landwidi" (Landweite, Gebiet), was auf beide Arten von Erneuerung passt. Dass er dereinst den Fenriswolf erlegen wird (und zwar in welcher Weise), verkündet die Weissagung: er werde "dem Wolf die kalten Kiefer klüften" (s. unten Buch III, II). Und zu dieser Bedeutung Widars als des Rächers und Wiederherstellers der Götter stimmt es auch trefflich, wenn es heisst: "Auf Widar vertrauen die Götter in allen Gefahren." Stumm und abgeschieden wohnt er in der Einöde, bis er hervorschreitet, des hohen Vaters Tod zu rächen.
Wir sahen bereits, dass Odins eine Bedeutung als Gott der Dichtung aus seinem Wesen ausgelöstWie so oft; z. B. Baldur als Rechtsreinheit und Rechtswahrheit in seinem Sohne Forseti. und in seinem Sohne Bragi, als einem besondern Gott der Dichtung, wiederholt, selbständig persönlich gemacht wird. Wir wissen nur sehr wenig von diesem: "Er ist gefeiert wegen Wortgewandtheit und Wohlredenheit und geschickt in der Skaldenkunst, die nach ihm Bragr heisst; auch werden Leute, die redegeschickter als andre, Bragurleute genannt. Seine Gattin Idun bewahrt in einem Gefässe jene Äpfel, welche die Götter geniessen, wann sie altern; denn davon werden sie alle (immer wieder) jung und mag das so dauern bis zur Götterdämmerung".
Es verstösst nun gegen alle Erfahrung über Entstehung von Göttern und Göttersagen, mit der herrschenden Auffassung anzunehmen, in der verjüngenden Kraft dieser Äpfel sei die "verjüngende Kraft der Dichtung" gefeiert! Nein! Solche Gleichnisse einer wissenschaftlichen Kunstlehre, wie sie ein Dichter-Philosoph überfeinerter Bildung anstellt, liegen den unbefangenen Anschauungen der Urzeit fern. Vielmehr verrät eine Stelle, welche Idun mit Gerda für eins erklärt, dass diese verjüngenden Äpfel die in jedem Frühjahr sich verjüngende Lebenskraft der Erde sind; jeden Herbst dämmern die Lichtgötter, jedes Frühjahr verjüngen sie sich wieder durch die verjüngte Lebenskraft der Erde; daher währt diese verjüngende Wirkung auch nur bis zur Götterdämmerung, vor deren Vollendung bereits das Wiederkehren des Frühlings aufhört. Erst folgeweise und später hat man dann auch die mit dem Frühling wieder beginnende Liebeslust in jenen Äpfeln gefunden und deren EignerinSchon Iduns Name bedeutet (wie der Widars); – "Wieder", "Wiederum", d. h. verjüngende Erneuerung. mit dem Liedgott vermählt.
Von Idun werden zwei verschiedene Sagen erzählt, deren erste bloss auf den Jahreswechsel sich bezieht, deren zweite, ursprünglich von gleicher Bedeutung, später auf den Untergang der Welt übertragen wurde.
Einmal zogen drei Asen wandernd über Berg und Tal: Odin, Loki und Hönir. Sie kamen in öde Lande, wo sie nur schmale Kost fanden. Da sie ins Tal hinabstiegen, erblickten sie eine Herde weidender Rinder. Eifrig und voll Freude, ihren Hunger zu stillen, ergriffen sie eines der Tiere, schlachteten es, machten Feuer an unter einer hochwipfeligen Eiche und wollten den ganzen Ochsen sieden. Nach geraumer Zeit, da sie füglich glauben durften, der Sud sei vollendet, deckten sie den Kessel auf; – aber siehe, das Fleisch war noch nicht gar. Und da sie nach langer Zeit wieder nachsahen, da war es nicht besser. Erstaunt redeten sie untereinander, woher das wohl rühren könne? Da hörten sie hoch von dem Wipfel der Eiche herab eine Stimme: "Ich, der ich hier oben sitze, wehre dem Sud, zu sieden." Und hinaufschauend erblickten sie da oben einen Adler, der war nicht klein. "Wollt ihr mir Sättigung verstatten an dem Rinde," rief der mächtige Vogel herunter, "so soll der Sud sieden." Da sie nun zustimmten, flog der Aar herab, setzte sich zu dem Kessel und sofort war das Fleisch gar. Der Vogel nahm nun aber gleich vorweg für sich die besten und grössten Stücke; beide Lenden und beide Bugteile. Das erzürnte Loki; er fasste eine Stange und stiess sie mit Macht dem Vogel in den Leib. Der flog auf, die Stangenspitze in dem Rumpf; aber Loki hielt noch das andre Ende in den beiden Händen und sah sich mit emporgerissen; und konnte nicht loslassen, ohne herabzustürzen und zu zerschmettern. Und der Vogel flog sausend über Felsspitzen, Bergsteine und Bäume so niedrig hin, dass Loki heftig daran stiess mit den Beinen; und auch die Arme schmerzten ihn so arg; er meinte, sie würden ihm aus den Achseln gerissen. Flehentlich schreiend bat er den Adler um Frieden. Der aber fuhr immer rascher dahin und sagte, niemals solle Loki davonkommen, wenn er ihm nicht Idun samt ihren Äpfeln aus Asgard herbeischaffe und in seine Gewalt gebe. Loki, in seiner Angst, versprach alles. Da setzte ihn der Vogel ab, dass jener zu seinen Weggefährten zurückgehen konnte. Er schwieg aber von der Lösung, die er versprochen hatte. Als sie nun wieder nach Asgard heimgekehrt waren, sprach Loki zu Idun: "Komm, du Holde, mit mir nach Midgard hinunter. Da hab’ ich in einem Walde einen Baum gefunden mit Äpfeln, die sind noch schöner als die deinen." Idun wollte das nicht glauben. "Wohlan," sprach Loki, "nimm deine Äpfel mit, halte sie daneben und vergleiche." Und Idun tat nach seinem Rate und folgte ihm zu Walde. Da kam sausend der Riese Thiassi in Adlerhaut gefahren, – denn der war es gewesen, der Loki überlistet und entführt hatte – ergriff Idun samt ihren Äpfeln und trug sie durch die Luft davon nach Thrymheim in seine Heimat.
Den Göttern aber ging es nun gar schlecht, seit Idun verschwunden; ihre Haare ergrauten, sie wurden alt. Da traten sie zusammen, hielten Rat und forschten, was man zuletzt von der Verschwundenen gesehen oder gehört. Da ward festgestellt; das letzte, was man von ihr gesehen, war, dass sie mit Loki aus Asgard geschritten. Da ergriffen sie den schon lang Beargwohnten, banden ihn, führten ihn vor ihre Richterstühle und bedrohten ihn mit Peinigung und Tod. Loki erschrak; er gelobte, er wolle nach Idun suchen in Jötunheim, – denn vielleicht sei sie dorthin entführt – wenn ihm Freya zu rascher Reise ihr Falkenhemd leihen wolle. Und nachdem er in dies hineingeschlüpft, flog er gen Norden nach Riesenheim und kam in Thiassis Haus. Der war fort auf den See gerudert; Idun war allein zu Hause. Da verwandelte sie Loki in eine Nuss (nach andrer Lesart in eine Schwalbe), ergriff sie samt ihren Äpfeln mit den Fängen und flog davon, so schnell er konnte. Aber Thiassi, wie er nach Hause kam, vermisste sofort Idun, fuhr in sein Adlerhemd und setzte dem Falken nach – mit Adlerschnelle. Die Götter standen auf Asgards hohen Zinnen und blickten sehnsüchtig und harrend nach Idun und nach Loki gen Norden. Da sahen sie den Falken heraneilen, die Nuss in den Fängen, hart verfolgt von dem durch die Wolken stürmenden Adler. Sie eilten herab von der Mauer, hinaus vor das Tor und häuften trockene Hobelspäne draussen hart an dem Wall. Der Falke kam noch glücklich über die Zinnen und liess sich im Hofe gerade hinter der Mauer nieder. Da warfen die Götter Feuer in die Späne; der Adler aber konnte sich im vollen Schuss des Sturmflugs nicht mehr halten, er sauste heran, das Feuer schlug ihm ins Gefieder; da konnte er nicht mehr fliegen, er stürzte zur Erde, und rasch waren die Asen zur Hand, zerrten ihn durch das Torgatter und töteten ihnZur Sühnung gaben sie Thiassis Tochter Skadi dem wanischen Gott Niörd, Meergott, aus Noatun zur Ehe (beider Kinder sind Freyr und Freya). Aber beide vertrugen sich schlecht, wollten sie in Niörds Heimat, an dem Meeresstrand, oder in Skadis Geburtsland, in den Bergen, hausen; Skadi konnte an der Küste keinen Schlaf finden vor der Möwen widrigem Gekreisch, und Niörd wurden die Berge verleidet, weil ihm der Wölfe Geheul nicht so gut gefiel wie das Singen der wilden Schwäne am Meere. Skadi zog in ihre Berge zurück nach Thrymheim; dort jagt sie auf Schlittschuhen und schiesst Wild mit ihrem Bogen. Man deutet; die Bergquelle Skadi, die sich mit dem Meere vereinigt hatte, sehnt sich zurück in das Hochland ihres Ursprungs. (?).
Thiassi ist ein Sturmriese; denn als zerstörende Gewalt ist der Wind nicht Odin, sondern riesisch; Stürme, nach Schnelligkeit und Gewalt ihres sausenden Fluges, wurden als Adler gedacht; seine Heimat Thrymheim (wo auch der riesische [im Gegensatz zu Thor] Donnerer Thrym hauset), ist das nördliche unfruchtbare Gebirge, von wannen im Spätherbst die eisigen, tödlichen Stürme kommen; in diese öden Hungermarken waren die drei Asen über Berge und Ödland gewandert, deshalb fanden sie hier karge Kost; als Sturmadler hat Thiassi auch verhindert, dass der Sud gedieh; er blies das Feuer aus; er verweht die Wärme. Vielleicht hatte es auch sinnbildliche Bedeutung, dass gerade Loki (die Sommerwärme?) von dem kalten Herbststurm davongetragen wird durch die Lüfte. Wie Thrym Freya (die schöne Jahreszeit), so will Thiassi die Wiederkehr des Grüns den Göttern entreissen und für sich rauben (Uhland: das frische Sommergrün an Laub und Gras). Wirklich auch gelingt es dem herbstlichen Nordwind, das Grün des Waldes und den goldenen Blumenflor der Wiesen zu entführen; die Götter, d. h. die Natur, werden nun alt und grau. Loki, der SüdwindOder die Wärme überhaupt? Man muss auch hier nicht alles aus dem Kern, aus der Naturgrundlage der Sage erklären wollen; Lokis den Göttern bewusst und unbewusst verderbliche Gesamtbedeutung genügt auch hier, seine Rolle zu erklären. Man braucht also nicht zu deuten; die schmeichelnde, aber verräterische Spätsommerglut ist es gewesen, welche das Grün versengt, verwelkt und so dessen Entführung durch den Herbstwind arglistig vorgearbeitet hat., wird ausgesandt, die Entführte wiederzuholen, muss sich Freyas, der Frühlingsgöttin, Flügel entleihen, nach der Jahreswende, wann der Nordsturm gerade abwesend.
Als Nuss, d. h. als aufspriessender Samenkern, wird die Verjüngung zurückgebracht oder in Gestalt der frühling-verkündenden Schwalbe. Zwar braust der Nordsturm verfolgend hinterdrein; aber in den von den wohltätigen Mächten entzündeten Flammen der beginnenden Sommerglut muss er verenden mit versengtem Gefieder.
Eine andre Sage berichtet: Idun, Iwaldis, des kunstreichen Zwergs jüngste Tochter, war, nachdem schon andre unheilvolle Vorzeichen, schwere Träume und Ahnungen die Götter geängstet hatten, vom Weltenbaum herab zu Boden gesunken. Sie liegt an der Erde, unter des Baumes Stamm gebannt; schwer erträgt sie dies Geschick; so lange an heitere Wohnungen gewöhnt, kann sie es nicht lernen, nun weilen zu sollen bei der Tochter Nörwis, d. h. der Nacht, der Genossin Hels. Die Götter sehen ihre Trübsal um dieses Wohnens in der Tiefe willen und senden ihr ein Wolfsfell, sich zu bedecken; damit verhüllt freut sie sich zwar dieses Mittels, ihre Farbe erneut sich. Aber doch trauert sie noch immer. Da sendet Odin drei Boten an sie aus: Heimdall, Loki und Bragi, die Niedergesunkene auszuforschen, was sie wisse von drohendem Weltgeschick, ob das ihr Widerfahrene auch den Göttern und der Welt Unheil bedeute? Aber erfolglos bleibt die Sendung; wie scheu und betäubt erscheint den Boten die Arme; sie schweigt oder sie weint; die beiden andern kehren nach Asgard zurück; nur Bragi bleibt, sie zu hüten, bei ihr zurück (ihr Gatte oder Bräutigam). "Der verstummte Gesang (auch Vogelgesang?) bei der hingewelkten Sommergrüne" (deutet Uhland schön, aber sehr kühn).
Idun ist auch hier die Sommergrüne; sie heisst die jüngste Tochter I-waldis, des "Innen-Waltenden"; denn innen im Schosse der Erde walten die Zwerge, als deren kunstvolles Gebilde der Schmuck der Oberfläche mit Blumen, Gras, Kräutern und Saaten gilt; haben sie doch auch Sifs goldenes Haar – den Goldschmuck des reifen Getreides – gestaltet. Idun ist im Herbst vom Weltenbaume sterbend herabgesunken; nahe Hels Reich liegt der Blattschmuck des jüngsten Jahres, gewöhnt, in heiteren Höhen zu wohnen, jetzt trauernd am Boden. Die Götter senden ihr zwar den Winterschnee, die Wolfsdecke, sie zu schützen. Aber auch Heimdall, der Himmelsregen, und Loki, die Wärme, vermögen sie nicht wieder zu beleben; der verstummte Gesang bleibt bei ihr zurück bis zur Wiederkehr des Frühlings (muss man im Sinne der ursprünglichen Sage beifügen), wann beide wiederkehren nach oben. Später aber ward Iduns, der Verjüngerin, Herabsinken auf die drohende Götterdämmerung bezogen; sie galt nun, wie bald auch Baldur, dessen bevorstehenden Tod ihr Herabsinken nun vorbedeutet, als unwiederbringbar den Göttern verloren bis zur Erneuerung der untergegangenen Welt. Daher die tiefernste Wendung in dem die vergebliche Botschaft schildernden Eddaliede: "Odins Rabenzauber". Odin fordert die Götter auf, "nun andern Rat zu suchen während der Nacht"; sie finden keinen; weitere böse Ahnungen drücken sie. Er selbst aber, der Unerschrockene, sattelt sein Ross und reitet nach Hel, eine tote Wala durch Zauber zu wecken und von ihr Auskunft zu erzwingen über das nahende Geschick.
Sehr wenig ist es, was wir von einigen andern Göttinnen und Göttern wissen; fast nur, dass ihnen gewisse Monate oder andre Jahresabschnitte geweiht waren. So einer Göttin Spurke der Februar, der nach ihr "Sporkel" hiess; vielleicht war ihr der gleichnamige Wacholderstrauch heilig: "Spörkels Kathrin (oder "Spörkels Elsken") schüttelt ihre neunundneunzig Röcke" sagt ein Sprichwort am Rhein oder in Westfalen; vielleicht die häufigen Regenschauer und Schneefälle dieses Monats?
Den Nordgermanen aber heisst der Februar Gôi und von dem Weibe, das ihm diesen Namen gab, geht folgende auf Landnahme, Ackerbau und Frühlingsanfang bezügliche Sage. Der alte Riese Fornjotr hatte einen Sohn Kari, dieser einen Sohn Frosti (Frost), dieser einen Sohn Snar (Schnee), dieser einen Sohn Thorri, dem (vielleicht) um Mitt-Winter das Opfer Thorri-blôt gebracht wurde. Sein Sohn Gor gab dem "Schlacht-Monat" den Namen (im November), der andre Sohn hiess Nor; während des Thorri-Festes ward deren Schwester Gôi geraubt. Der Vater entsandte beide Söhne, die Verlorene zu suchen; vier Wochen später brachte er ein Opfer; ("Gôi-blott" –) vermutlich, auf dass die Götter die Wiedergewinnung begünstigen möchten. Gor forschte zur See, Nor zu Lande; Gor fuhr an Schweden vorbei nach Dänemark, besuchte hier seine Gesippen, die von dem Meergott Hlêr (Ögir) stammten, und segelte dann weiter gen Norden. Nor aber wanderte aus Kwenland durch Lappland nach Throndheim. Beide Brüder waren mit Gefolgschaften ausgezogen und hatten sich auf ihrer Fahrt gar manche Landschaften und Eilande unterworfen. Als sie wieder zusammentrafen, verteilten sie das Gewonnene derart, dass Nor das feste Land behielt; – er nannte es Norwegen, Gor aber die Inseln. Endlich fand Nor auch die Schwester wieder; Hrôlf, ein Enkel Thors, hatte sie geraubt aus Kwenland; zur Aussöhnung empfing Nor Hrôlfs Schwester zur Ehe. Da Goi soviel als Gau, d. h. Land ist, erhellt, dass die ausziehenden Brüder Land suchen; die Namen Frost, Schnee, Nord weisen auf Winter-Riesen hin, denen das Bauland durch den Spross des Ackerbaugottes für immer entzogen wird. Das Einzelne der späten und künstlichen Dichtung bleibt aber unklar; die Zusammenfassung von Ansiedlung, Landnahme, Ackerbau, Frühlingsanfang als Stoffgebiete einer Sage musste verwirren. Es ist sehr willkürlich, Hrôlf als Hrôdolf auf den Monat März (in Skandinavien beginnt aber doch im März weder Lenz noch Ackerbestellung!) zu beziehen, weil dieser Monat bei den Angelsachsen "Rhêdemônadh" heisst; auch alamannisch (in Appenzell) Redi-Monat, was auf eine Göttin Hrêde zurückgeführt wird. Der weibliche Schmuck (angelsächsisch Rhedo) weist auf Freyas Brisingamen, das Halsgeschmeide, das wir als die von Gras und Blumen geschmückte Erdrinde kennen lernten.
Eine Frühlingsgöttin war auch Ostara, welche sogar dem christlichen Osterfeste den Namen gegeben hat; der April heisst nach der Göttin ursprünglich, später nach dem meist in diesen Monat fallenden Auferstehungsfest "Ostarmânoth"; sie brachte von Osten her Frühling und aufnehmendes Licht"Germanisches Osterfest"; I. Es kam der Hirt vom Anger und sprach; "Der Lenz ist da! / Ich sah sie in den Wolken, die Göttin Ostara; / Ich sah das Reh, das falbe, der Göttin rasch Gespann, / Ich hörte, wie die Schwalbe den Botenruf begann. / Es brach das Eis im Strome, es knospt der Schlehdornstrauch; / So grüsst die hohe Göttin, grüsst sie nach altem Brauch." / Da ziehn sie mit den Gaben zum Hain und zum Altar, / Die Mädchen und die Knaben, der Lenz von diesem Jahr; / Das Mädchen, das noch niemals im Reigentanz sich schwang, / Und doch vom Knabenspiele schon fernt ein scheuer Drang. / Der Knabe, der noch niemals den Speer im Kampfe schwang, / Und dem der Glanz der Schönheit doch schon zum Herzen drang. / Sie spenden goldnen Honig und Milch im Weiheguss, / Und fassen und umfangen sich in dem ersten Kuss. / Und durch den Wald, den stillen, frohlockt es; "Sie ist da! / Wir grüssen dich mit Freuden, o Göttin Ostara!"
II. Gute Göttin, du vom Aufgang, / Gabenreiche, du bist da! / Und wir grüssen dich mit Andacht, / Gute Göttin Ostara! / Aus dem fernen Sonnenlande, / Draus der Väter Wandrung brach, / Ziehst du jährlich ihren Enkeln / In des Nordens Wälder nach. / Längst begraben ist der letzte, / Der dort deine Säulen sah, / Doch wir wissen’s noch; – vom Aufgang / Sind auch wir, wie Ostara. / Rüttelt hier die Eichenwälder / Mondenlang der Sturm und Frost, / Klingen an dem Herd uns wieder / Märchen alt aus goldnem Ost. / Und wir haben’s nicht vergessen / Und in Sagen tönt es nach, / Wie der Ahn an blauen Strömen / Wunderschöne Blumen brach.
(Felix Dahn, Gedichte. Sämtl. poetische Werke. Zweite Serie Bd. VI. S. 252.). Die Edda kennt nur den die Himmelsgegend bezeichnenden Zwerg Austri. Aber bei den Südgermanen ward das fröhliche Frühlingsfest in heiteren Spielen gefeiert; die Sonne selber tut vor Lust am Morgen des Ostersonntags drei Sprünge, ursprünglich wohl drei Freuden- (oder Sieges-)sprünge über ihre wiedergewonnene Kraft (oder im Wettkampf mit dem Winterriesen?). "Osterspiel" heisst grösste Freude, daher spricht mittelhochdeutsche Liebesdichtung die Geliebte an: "Du meines Herzens Ostertag". Die Oster-Fladen, Oster-Stollen, Oster-Stufen, Osterküchel, welche zu dieser Zeit gebacken werden, weisen, wie all’ solches Gebildbrot, auf alte Osterschmäuse; zu diesen musste jeder Hof Beiträge in Früchten oder Fleisch liefern; deutlicher noch bezeugt daher den heidnischen Ursprung dieser Festspeisen, dass in manchen Tälern Oberbayerns, z. B. in der Jachenau, die einzelnen Gehöfte in Wechselreihe verpflichtet sind (- oder doch vor wenigen Jahren verpflichtet waren –) zu gemeinschaftlicher Verzehrung einen Widder zu liefern, dessen Hörner mit Bändern geschmückt und mit Rauschgold überzogen waren; wir wissen aber, dass bei Opferfesten horntragenden Tieren die Hörner "vergoldet" wurden. Deshalb wird bei dem Osterschmaus auch der "Oster-sahs" genannt; das Oster-Messer, mit dem das Opfer geschlachtet worden. Ähnliche Verpflichtungen gelten zu Ostern oder Himmelfahrt in andern Landschaften. Dass die Ostereier nicht von einer gewöhnlichen Henne, sondern vom Osterhasen (genauer: von der Frau Häsin) gelegt werden, erklärt sich ebenfalls nur aus der Bedeutung der Göttin Ostara; dieser, als einer Frühlings- und Liebesgöttin, war der Hase wegen seiner Fruchtbarkeit heilig. Dass die Ostereier – die richtigen – rot sein müssen, rührt daher, dass Rot die dem Donnergott geweihte Farbe ist, das erste Gewitter aber galt als Frühlingsanfang, als Tag des Einzugs von Frau Ostara. Die Osterfeuer, welche in norddeutschen Landschaften angezündet werden, sind die Scheiterhaufen des von dem Frühling besiegten und getöteten Winterriesen, welcher nun verbrannt wird nach altgermanischer Bestattungsweise; Judas Ischariot, der manchmal dabei ins Feuer geworfen wird, ist nur der von der Kirche eingeführte Ersatzmann für den Winterriesen, welcher in andern Gegenden heute noch als zottige Pelzpuppe, mit Schneeschaufel und Schlitten ausgestattet, in die Flammen geschleudert wird, in Festhaltung der ursprünglichen BedeutungÜber weitere ursprünglich heidnische Gebräuche, die sich bei der Feier von Ostern, Pfingsten und andern christlichen Festen erhalten haben, s. Dahn, Bausteine, I, Berlin 1879, S. 221.. Noch im späten Mittelalter musste der Pfarrer am Ostersonntag nach der Frühpredigt von der Kanzel herab dem Volk einen Schwank, ein lustig "Ostermärlein" erzählen. Das Volk wollte die Kurzweil nicht missen, welche zu der heidnischen Zeit das Osterspiel gewährt hatte; und so schlugen die Leute denn nun in der Kirche ihr "Ostergelächter" auf.
Dagegen eine Sommer- oder Erntegöttin war Thors Gemahlin SifWas immer ihr Name bedeuten mag (nach J. Grimm; Sippe, weil Thors Hammer die Ehe weiht und damit aller Sippe, d. h. ehelicher Verwandtschaft Grundlage?). Eine mehr sinnliche, auf den Ackerbau oder die Ernte bezügliche Deutung hätte aber mehr für sich..
Loki schor ihr hinterlistig das Haar ab; jedoch Thor zwang ihn, Ersatz zu schaffen. Da liess Loki von den Schwarzelben in der Erde ihr neue Haare von Gold machen, welche wachsen (und geschnitten werden) konnten wie natürliche; das Getreidefeld, dessen golden wallenden Haarschmuck der scheinbar freundliche, in Wahrheit tückisch schädliche Glutsommer versengt, aber von den geheimnisvoll schaffenden Erdkräften für das kommende Jahr erneut wird.
Vielleicht entsprechen dieser nordischen Erntegöttin unter andern Namen südgermanische: Frau Waud, Frau Wod (d. h. Frau Wodans, = Frigg = Berahta = Holda), Frau Freke (deutlich Frigg), auch wohl Stempe, Trempe (wegen des stampfenden Fusses, reine pédauque). Pflugschar und Egge, auf denen sie gern im Ackerfeld sich niederlässt, sind ihr geweiht; sie ist unverkennbar eine Schützerin des Ackerbaues, Gewährerin des Erntesegens, eins mit Frigg in dieser Bedeutung der hausfräulichen Göttin, oder sie ist diese eine Seite von Frigg, losgelöst und selbständig personifiziert. Auch wohl Erka, Frau Erke, Frau Herke, Frau Harke heisst sie und führt den Rechen, die Harke, womit die geschnittenen Schwaden zusammengeharkt werdenMit Attilas Gemahlin Helke, auch Herkja, hat sie nichts zu schaffen; wenn sie manchmal mit Schwert und Schild dargestellt und als tapfere Verteidigerin der Heimat gefeiert wird (in historischen Sagen), so geht dies wohl auf Freya, die Walküre; ob ebenso Walpurg, die Heilige des ersten Mai, auf eine Walküre hinweist, bleibt zweifelhaft..
Fulla, Friggs Schmuckmädchen (nach dem Merseburger Zauberspruch aber deren Schwester), trägt ein Goldband um die flatternden Locken; sie ist die Göttin der Fülle, der Üppigkeit, des Segens und des Überflusses; romanisch Dame Habonde, Abundia; also auch eine einzelne Seite von Frigg. Sie verwahrt der Herrin Schmuckkästchen und Schuhe und ist ihrer heimlichen Pläne Vertraute.
Auch die Sonne, Frau Sunna, war eine Göttin, welche nicht bloss bei der Lehre von der Entstehung der Welt zur Erklärung des Tagesgestirnes angeführt und damit (für sich allein oder zusammen etwa mit dem Mond) abgefertigt worden wäre, sondern im Volk in allerlei gottesdienstlichen Handlungen verehrt ward und in mancherlei Erzählungen durch die Lande ging.
Während diese Göttinnen unverkennbar in dem Leben des Volks tief wurzelten, machen einige andre Namen, die in der Edda begegnen, mehr oder minder den Eindruck, als seien sie von den Skalden künstlich gestaltet, mit geringem Anhalt an dem Glauben des Volks.
Dies gilt noch am wenigsten von Gnâ, der Botin Friggs, deren Ross Hof-hwarpnir (Huf-werfer) über Wasser und durch Luft wie auf festem Boden zu laufen vermag. Wanen sahen einst sie auf diesem Ross durch die Luft brausen und fragten erstaunt: "Was fliegt da, was fährt da, was lenkt durch die Luft?" Sie aber (Gnâ, die "Hochfliegende"?) antwortete: "Ich fliege nicht, ich fahre nicht, doch lenk’ ich durch die Luft auf Hôf-wharpnir, den Hamskerpir (Schenkel-rasch) mit Gardrofwa (Stark-schweif) zeugte."
Auch Hnoss, die Tochter Freyas und Odrs, hat vielleicht noch mehr Fleisch und Blut, da doch wenigstens ihre Eltern genannt werden; freilich bedeutet sie nur "Schmuck, Geschmeide", und wenn es nun von ihr heisst: "Sie ist so schön, dass alles, was schön und köstlich ist, nach ihr benannt wird" – so ist das eine sehr frostige Personifikation des wesenlosen Namens.
Eine ähnlich nüchterne Verbildlichung ist Gersemi, Kleinod, dann Siöfn, welche die Menschen zur Zärtlichkeit erweicht; nach ihr (die mit neuhochdeutsch "Seufzen" zusammenhängt) sei die Liebe Siafni genannt worden.
Lofn (nach der "Erlaubnis" benannt) hat von Odin und Frigg Erlaubnis empfangen, Paare zu verbinden, trotz der gegenstehenden (Rechts-)Hindernisse.
Wara, die Hüterin der Verträge, hört die Eide, die Versprechungen, straft den Vertragsbruch; sie ist so weise, dass ihrem Forschen nichts verborgen bleibt. Syn versperrt die Türen den rechtlos Andringenden, ist auch Helferin derer, die, ungerecht verklagt, vor Gericht etwas leugnen: "Syn ist vorgeschoben", heisst es daher, bestreitet der Beklagte die Schuld.
Hlîn ist von Frigg (die auch selbst diesen Namen führt; wieder ein Fall von Loslösung und Verselbständigung einer einzelnen Seite in einer Göttergestalt) allen als Helferin bestellt, die in Gefahren Schutz brauchen (das Wort ist unser "Lehnen").
Ebenfalls eine nüchterne Personifikation ist Snotra (die Geschneuzte, d. h. die Kluge) "verständig und artig; und alle Verständigen heissen deshalb nach ihr".
Diese geist-, körper- und poesielosen abgezogenen Begriffe zeigen deutlich, wie in überkünstelter Zeit Skalden gleich ganze Göttergestalten aus Wörtern schaffen, die im Volksleben und Volksglauben keinen Bestand haben; – wie viel häufiger haben sie Götter zwar nicht geschaffen, aber in beliebigen Dichtungen der Einbildungskraft verwertet!
Wir sind damit an die äusserste Mark der Götterwelt gelangt, wo die Grenze zwischen Religion und Kunstdichtung, ja gekünstelter Verbildlichung endet und wendet.
Mittelhochdeutsche Dichter sprechen in fast gleichem Sinne von Frau Sälde, Frau Minne, Frau Ehre, Frau Masse, Frau Stäte, Frau Zucht, ohne an diese Wesen selbst zu glauben oder Glauben an sie von ihren Lesern oder Hörern zu verlangenDie wiederholt versicherte Zwölfzahl der Asen ist sehr schwer festzustellen; etwa; Odin, Thor, Tyr, Baldur, Hödur, Bragi, Forseti, Heimdall, Ullr, Hermodur, Widar und Wali. – Dabei scheiden Freyr und Niördr als Wanen, Hönir als diesen vergeiselt, Loki wegen seines Übertrittes aus..