Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

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23. Die Uhren.

Zu Basel, der Stadt, sind vor Zeiten alle Uhren um eine Stunde zu früh gegangen, so daß, wenn's z. B. in Liestal eilf Uhr war, die Glocke in Basel bereits alle zwölfe schlug. Diese sonderliche Gewohnheit war zur Zeit großer Noth aufgekommen, wie die Chronik erzählt. Es hatten nämlich die gemeinen Bürger von Basel einst einen Aufruhr vor, und zum Ausbruch desselben war die Stunde der nächsten Mitternacht Schlag zwölf anberaumt worden. Der Rath, hiervon zu noch guter Zeit benachrichtigt, ließ hierauf in der nämlichen Nacht alle Glockenuhren der Stadt die verabredete Stunde überspringen, und statt zwölf ein Uhr schlagen. Hierdurch wurden die Empörer irre gemacht. Jeder bildete sich nämlich ein, daß er die Stunde verfehlt hätte; und weil in der verflossenen Stunde Alles still und ruhig geblieben war, so glaubte auch jeder, daß seine Mitverschwornen eines andern Sinnes geworden wären; er hielt sich also gleichfalls ruhig, und aus dem vorgehabten Aufruhr ist nichts geworden. Zum Andenken aber an diese Begebenheit, und zur Mahnung, daß die Obrigkeit immer wachsam sei, ließen die Herren vom Rath die Uhren fortan gehen, wie sie in jener Nacht gestellt worden waren.

Lange Zeit nachher – die Einwohner hatten sich an die sonderbare Einrichtung schon gewöhnt, als müßte es so sein – da ward von dem Rathe der Beschluß gefaßt, daß, um mit dem Zeitgeist gleichen Schritt zu halten, die Baseler Uhren wieder in Uebereinstimmung gebracht werden sollten mit denen in der übrigen Welt. Also wurden in einer Nacht alle Uhren um eine Stunde zurückgestellt. Da hätte man aber sehen sollen, welche Unordnung hierdurch in der ganzen Stadt entstanden. Gleich des Morgens kamen die Gesellen und andere Arbeiter um eine Stunde zu spät zum Werk, die Käufer und Verkäufer zu spät zum Markt, die Kinder und andere Leute zu spät in die Kirche und zur Schule. Es gab Zank und Streit überall, in allen Familien. Mittags um eilf Uhr waren freilich Alle zur rechten Zeit bei Tische (der Hunger kennt keine Uhr); aber um so träger gingen sie um zwölf Uhr zur Arbeit, die sie erst um Ein Uhr zu beginnen gewohnt waren. Der Nachmittag lief im Allgemeinen ruhig und ordentlich ab, außer daß einige Basen und Gevatterinnen, die auf drei Uhr (alten Styls) geladen waren, genau um drei Uhr (neuen Styls), also nur eine Stunde zu spät kamen, so daß der Kaffee verraucht und die Milch verdorben war, was viel Mißvergnügen machte. Aber Abends ging erst der Spectakel recht los. Es hatten gar viele Landleute, die in der Stadt, und viele Stadtleute, die auf dem Lande waren, die Zeit der Thorsperre verabsäumt, welche früherhin auf sieben Uhr, jetzt auf sechs Uhr festgesetzt war. Da entstand denn großes Gemurre ob den Strafpfennigen, welche die Pförtner einforderten. Zum vollen Ausbruche kam jedoch das Mißvergnügen um zehn Uhr, zur Stunde, wo in den Wirthshäusern ausgeboten wurde. Die Bürger, ohnehin schon erbost über die Neuerung, wie sie's nannten, und vollends erhitzt durch das genossene Getränk, weigerten sich die Trinkstuben zu verlassen. »Es sei Herkommen, sagten sie, daß erst um eilf Uhr die Wirthshäuser geschlossen und die Gäste ausgewiesen werden sollen. Also steh' es geschrieben. Löblicher Rath habe keine Befugniß, nach Willkür neue Ordnungen zu machen und die Bürgerschaft in ihren alten Rechten zu schmälern. Gehorsam sei man von unten herauf nur so lange schuldig, als von oben herab Gerechtigkeit geschehe.« Als die Rathsherren das erfuhren, und später die Kunde erhielten, daß Gefahr sei zu förmlichem Aufruhr gemeiner Bürgerschaft, so versammelten sie sich noch zu derselbigen Stunde auf dem Gemeindhause, und nach kurzer Ueberlegung faßten sie den Beschluß, daß es in Ansehung der Uhren beim Alten bleiben solle. Also zur Zeit, wo es hätte zwölf schlagen sollen, schlug es eins; und die Bürger, als sie das hörten, gingen zufrieden nach Hause. Von der Zeit an war wieder Ruhe zu Basel, der Stadt.

Leser, welche sich aus jeglicher Geschichte eine Lehre absehen wollen, können sich hier diese abnehmen: Erstens, der Zweck aller Einrichtung in Haus und Stadt ist Ordnung und Friede. Zweitens, Sitte, Gewohnheit, eigener Wille ist der Gesellschaft, wie den Einzelnen, ihr Himmel. Drittens und letztens: ob ein Volk ein Jahrhundert zu spät oder ein Jahrhundert zu früh daran sei, ist dann gleichgiltig, – wenn das Volk unter den obwaltenden Umständen das ist, was es sein kann und soll: durch Ordnung gut und durch Frieden glücklich.


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