Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

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Eilftes Kapitel.

Es wohnte noch zu derselbigen Zeit in Wittenberg ein frommer Prediger, der seine Lust hatte, bei Sündern einzukehren, und seine Freude, ihnen die frohe Botschaft zu verkünden von den Erbarmungen Gottes in seinem Sohne. Als dieser von der Ankunft des berüchtigten Schwarzkünstlers gehört, und von dem damaligen traurigen Zustande und dem baldigen, kläglichen Ende desselben, da begab er sich eines Morgens zu ihm, ungerufen, und trat vor ihn hin mit der Miene und Rede des wohlwollenden Arztes, der dem Kranken Heil zu bringen sich vermißt. Doctor Faustus aber empfing ihn, wie einer, der an seiner Rettung verzweifelt, mit niedergeschlagenem Blicke und in dumpfem Stillschweigen. Nachdem der Prediger eine Zeitlang ihm zugeredet, und ihn ermahnt hatte, daß er den ihm von Gott anvertrauten Schatz, die unsterbliche Seele, retten möge vor der ewigen Verdammniß, da seufzte Faustus tief auf und sprach: »Ach, ich bin ein zu großer Sünder, als daß ich Barmherzigkeit erlangen könnte.« Der Prediger antwortete: »Ja, ein Sünder bist du, ein großer; und darum soll dir auch widerfahren, was Gott dem Sünder zugesagt hat: Gnade und Vergebung.« – »Ich bin verflucht, auf ewig verflucht!« rief Faustus. »Ja, sprach der Prediger, du trägst den Fluch der Sünde auf dir, aber eben darum suche Segen in Christo.« – »Meine Schulden sind zu groß, als daß sie mir vergeben werden könnten,« sagte Faustus. – »Sie sind ja freilich groß, deine Schulden, versetzte der Prediger, aber Gottes Barmherzigkeit ist noch größer. Drum rufe aus mit David dem Sünder: Gott! sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Missethat nach deiner großen Barmherzigkeit.« Diese Worte des frommen Mannes fielen wie milde Sonnenstrahlen in die Seele des Zerknirschten, und schmelzten die Eisrinde, die sich um sein Herz gelegt hatte. Er fing an mit aller Aufrichtigkeit und Reumüthigkeit zu bekennen und zu beichten, wie er im Frevelmuthe Gott und Gottes Geboten Gehorsam aufgesagt, und dem Teufel und dessen Rathschlägen sich ergeben habe; wie er sodann im Dienste des Bösen und in ruchloser Gesellschaft viele Jahre ein wüstes, lasterhaftes Leben geführt und bis auf die letzte Zeit darin verharrt sei; und wie er nun, am Ende seiner Tage und am Vorabend seines Unterganges, seine große Schuld- und Sündhaftigkeit erkenne, aber auch ohne Hoffnung der Verzeihung und der Errettung an seiner Seele und Seligkeit zu verzweifeln versucht werde. Er that dies Bekenntniß mit allen Zeichen eines bußfertigen Herzens, und nachdem er geendet, richtete er auf den Prediger einen Blick, in welchem sich die Erwartung aussprach des letzten Urtheils, der Verdammung oder der Begnadigung. Der fromme Mann nahm das Wort und sagte: »Höre! Mir ist eine ähnliche Geschichte verkündet worden von einem Jüngling, der gleichen Frevel begangen hat. Dieser trat eines Tages vor seinen Vater hin, und sagte: Gib mir mein Erbtheil. Als er das erhalten, zog er in ein fernes Land, und verschwendete dort sein ganzes Vermögen durch ein üppiges Leben. Nun entstand aber in demselben Lande eine große Hungersnoth, und er fing an, Noth zu leiden. Da ging er hin, und verdingte sich an einen Bürger desselben Landes, und dieser sandte ihn auf sein Landgut, die Schweine zu hüten. Gern hätte er da seinen Hunger mit den Trebern gestillt, welche die Schweine fraßen, aber Niemand gab sie ihm. Da ging er in sich, und sprach: wie viele Taglöhner sind im Hause meines Vaters, die alle Brod im Ueberflusse haben; und ich muß hier vor Hunger sterben . . .« Faustus hörte mit steigender Aufmerksamkeit zu; es trat eine Erinnerung hervor aus alten Tagen; es waren Worte, Gefühle, die er in seiner Jugend gehört, empfunden hatte; es erwachte sein Gemüth aus der todtähnlichen Betäubung, und wie mit prophetischem Geiste fiel er jenem in die Rede, und fuhr fort, die Geschichte zu erzählen mit Andacht. Und er sprach: »Ich will mich aufmachen, und zu meinem Vater zurückkehren, und zu ihm sagen: Vater! ich habe gesündigt wider den Himmel und an dir; ich bin nun nicht mehr werth, dein Sohn zu heißen; halte mich nur wie einen Taglöhner.« – In demselben Augenblicke aber, als er dies sprach, durchfuhr ihn ein plötzlicher Schauer; seine Hände, die er gefaltet hatte, zuckten krampfhaft auseinander; sein Auge sah mit starrem Blicke hin in eine Ecke. »Weh mir! rief er aus; er kommt! er droht! er erwürgt mich!« Und schon war es mit seinem Bewußtsein geschehen. Sein Famulus eilte auf den Ruf herbei. Der Prediger selbst wurde von einer Beängstigung ergriffen, wie von einem betäubenden Qualm der Hölle, die ihn nicht mehr verweilen ließ in dem Hause des Entsetzens.


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