Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

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Fünftes Kapitel.

Endlich war Doctor Faustus dieses Lebens und Lärmens ganz müde und satt. Seine Seele glich schier einer wild-schauerlichen Höhle, die, während sie einen frischen, für Nahes und Fernes erquicklichen Quell ergießt, selbst öde und dumpf bleibt, ohne befruchtenden Keim und ohne belebendes Licht. Er entschloß sich daher, der Menschen Gesellschaft zu fliehen, und er verließ plötzlich und in aller Stille Wittenberg, nachdem er seine Behausung und Alles, was sie beschloß, seinem Famulus Wagner zur Obhut übergeben hatte. Von nun an durchstreifte er die Länder, auf Wegen, die fernab führten von Städten und Dörfern. Am liebsten hielt er sich in Wäldern und Wildnissen auf, wo er keine Stimme vernahm, als die Stimme der zürnenden Natur in den Wasserfällen und im herabstürzenden Gerölle und in dem Gebrause des Sturms und im Aechzen brechender Bäume und im Verblühen und Modern und Verwittern der Pflanzen und der Gesteine. Solche Umgebung stimmte zu seinem Innern. Was er gelebt, geliebt und genossen, es däuchte ihm nur ein Gaukelspiel äffender Freuden, ein Traum, aus dem ihn das tiefere Bewußtsein aufgeschreckt, ein Rausch, dessen bittere Folgen der Nüchterne nun schmecken sollte. – Eines Tages gelangte er auf einen Vorhügel, von welchem aus ein weites Steppen- und Dünen-Land sich ausdehnte, bis zum Meere hin, das den tiefen Hintergrund begrenzte. Er lagerte sich, müde von rastlosem Wandern, unter den Schatten einer mächtigen Linde, und sah mit düsterm Blick in die Ferne hinaus. »Das ist so recht das Bild unseres Lebens, sagte er mit Bitterkeit; hier ein kleines Plätzchen für kurze Ruhe nach langen und bangen Mühen; vor uns eine freud- und trostlose Zukunft, und am Ende der Abgrund, der uns alle verschlingt, und den sie Ewigkeit nennen.« Er saß so einige Zeit da, vertieft in schwermüthige Gedanken; die alte Lust der Selbstvernichtung erwachte in ihm wiederum. – Da gewahrte er erst, daß ein Mann neben ihm stand, und eine Frau, die ein Kindlein auf den Armen wiegte. Sein Ekel an Menschen wollte ihn anfangs weiter treiben, doch der treuherzige Gruß der beiden Leute und die engelgleiche Gestalt des schlummernden Knaben hielten ihn noch zurück. Er ließ sich in ein Gespräch ein; er erfuhr ihre Herkunft, ihre Armuth, ihre Hilflosigkeit. »Und in diesem Elend könnt und wollt ihr noch leben?« fragte Doctor Faustus. Der Mann stutzte ob dieser Rede; sie erschien ihm wie eine Gotteslästerung; er schwieg, aber aus seinem Stillschweigen sprach Trauer und Vorwurf. Faustus verstand die Meinung, und, seine Rede verbessernd, sprach er: »Ich wollte damit nur fragen, ob ihr zufrieden seid, zufrieden sein könnt in diesem eurem Elend?« Des Mannes Blick erheiterte sich wieder, und er antwortete: »Zufrieden auf Erden kann doch wol jeder sein, der ein gutes Gewissen hat. Elend aber bin ich nicht, denn ich bin gesund und kann arbeiten.« Der Doctor stand vor dem Manne, wie ein Bettler, welcher einen Reichen um Almosen anfleht. »Aber, fragte er weiter, habt ihr denn gar nichts zu wünschen mehr auf Erden?« Der Mann antwortete lächelnd: »Der Mensch wünscht ja freilich gern, und darf und soll es wol, wenn er sein Fortkommen haben will; es sei denn, daß seine Wünsche gerecht und mäßig seien. Und so laßt mich Euch nur gleich gestehen, daß ich seit der Zeit, als mir dieser Knabe geboren worden, wol auch einen Wunsch im Herzen trage, einen großen. Ich habe gedacht: baut sich ja doch jeder Vogel sein Nest, und das Thier im Walde sein Lager, darin die säugende Mutter ruhig und sicher seine Jungen hegt! Und so möchte denn auch ich gar zu gerne ein Plätzchen mein eigen nennen, auf dem ich mir meine Hütte bauen und meinen Kohl pflanzen könnte mit eigenen Händen. Hier, zum Beispiel, unter dieser schönen Linde, ei! wie stände ein Haus so sicher gegen den Sturmwind, und wie bald würde der öde Boden umher Früchte tragen zu meiner und der Meinigen Nahrung und Unterhalt! Ich wäre, traun! der glücklichste Mensch auf Erden.« Indessen war das Kind erwacht; die Mutter reichte ihm die Brust, der Vater sah dem Werke der Liebe mit stiller, froher Theilnahme zu. – Doctor Faustus hatte sich nie unglücklicher gefühlt, als beim Anblick dieser Glücklichen. Es däuchte ihn, als trete eine Thräne in sein Auge. Er wendete sich ab, stand auf, und im Weggehen warf er einen Säckel voll Geld hin, und sagte: »Kauft euch dieses Plätzchen, bauet euch eine Hütte, und lebt wohl, mit Weib und Kind.« Der Mann rief ihm Gottes Dank nach; aber ein Sturmwind, der plötzlich durch die Linde fuhr, verwehte die Worte, daß sie unverständlich verhallten.


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