Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

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56. Von der Weiber Lieb' und Treu'. Ein Schwank.

Wenn die Weiber sich ihrer Lieb' und Treue gegen ihre Männer gar zu sehr überheben wollen, so erzählt man ihnen wol auch folgenden guten, alten Schwank: Eine Frau verlor ihren Mann durch frühen Tod. Sie hatten in großem Frieden mit einander gelebt, und nun, da er gestorben, schien ihres Jammerns und Klagens kein Maß und Ende zu sein. Sie wich nicht von dem Grabe weder bei Tag noch bei Nacht, und selbst der Pfarrherr konnte sie nicht ihres Leides getrösten. Nun stand nicht fern von dem Friedhof der Galgen. Daran hatten sie jüngst einen gehenkt, und aus Furcht, es möchte der Leichnam von dessen Verwandten gestohlen werden, hatten sie zu Nacht einen Schergenknecht hingestellt, daß er den Leichnam in Hut hielte. Als dieser nun des Weibes Weinen und Wimmern vernahm, wollte er zusehen, was das wäre; und da er die Ursache ihrer Trauer vernommen, so sprach er ihr freundlichen Trost zu, und gemahnte sie, des Todes zu vergessen und das Leben wieder lieb zu gewinnen. Das wiederholte er so oft und trieb es so lange, bis sie des Handels eins wurden. Inzwischen ward ihm der Dieb vom Galgen gestohlen. Darüber hatte er großen Schrecken, denn es stund ihm sein Leben darauf. Er kam eilends zur Frau, und klagte ihr sein Leid, und bat sie um einen treuen Rath. Die Frau sprach: Spare deinen Kummer; ich habe einen Einfall, wie dir geholfen werden könne. Sie hieß ihn drauf den Strick vom Galgen holen; sie selbst inzwischen grub ihren Mann aus dem Grabe, und übergab ihn dem Schergenknecht, daß er ihn an den Galgen henken sollte an des Diebes Statt. Der Knecht sprach: O liebe Frau! es ist umsonst; denn der Dieb hatte einen kahlen Kopf. Dem ist leicht abzuhelfen, sagte die Frau; und sie rupfte ihrem Mann eilends alle Haare aus, und half also dem Schergen ihn an den Galgen henken. Drauf nahm sie der Knecht zur Ehe, und ließ sie der Lieb' und Treu genießen, die sie an ihrem Herrn begangen hatte. – Diese Geschichte steht in alten Büchern geschrieben; und darum muß sie wol wahr sein, ihr lieben, treuen Weiber.


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