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Sadi wartete im Rauchsalon auf Hamon und war so in Gedanken vertieft, daß er ihn erst hörte, als er angerufen wurde.
»Allah! Sie haben mir aber einen Schrecken eingejagt!« fuhr er auf. »O ja, das ist eine sehr schöne Frau – wenn auch nicht gerade das, was wir Mauren lieben, etwas zu dünn für meinen Geschmack.«
Hamon ließ sich nicht täuschen. Joan hatte großen Eindruck auf Sadi gemacht.
»Gehen Sie morgen nach Tanger zurück?« fragte Hamon und kniff die Augenlider zusammen, als Sadi den Kopf schüttelte.
»Nein, ich habe mich entschlossen, noch ein wenig hierzubleiben. Ich habe auch einmal einen kleinen Luftwechsel nötig – die letzte Zeit war sehr anstrengend für mich.«
»Aber Sie versprachen doch, Bannockwaite herzubringen?«
»Ich habe einem meiner Leute den Auftrag gegeben, ihn herzuschaffen. Ihr englischer Vertreter hätte das übrigens auch besorgen können! Dieser Bannockwaite kommt unter allen Umständen, wenn Sie ihn dafür bezahlen!«
»Kennen Sie ihn eigentlich genauer?«
»Ich habe ihn schon gesehen – er ist eine charakteristische Gestalt in Tanger geworden«, entgegnete Sadi Hafis. »Er kam während des Krieges zu uns. Ich habe gehört, daß er sich am Abend der großen Schlacht an der Somme betrank und dann desertierte. Aber Sie haben mir doch erzählt, daß er kein Geistlicher mehr ist und aus Ihrer Kirche ausgestoßen wurde.«
»Sein Name stand im Verzeichnis der Geistlichen, bis er nach der Schlacht an der Somme als vermißt gemeldet wurde. Ich glaube, daß er noch eingetragen ist, aber selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, würde das der Eheschließung nicht schaden, die er vorgenommen hat.«
»Aber – warum wollen Sie denn überhaupt heiraten? Sie hängen noch zu sehr an den alten Gebräuchen, mein Freund.«
Ralph lächelte.
»Das ist nicht so schlimm, wie Sie denken. Ich habe aber meine Gründe dafür. Der Titel der Familie Creith wird durch meine Frau auch auf deren Kinder vererbt.«
»Verrückter Gedanke! All diese unmöglichen Dinge sind ja an Ihrem Zusammenbruch schuld, Hamon.«
»Was reden Sie da von Zusammenbruch?« fragte Hamon.
»Wenn es noch nicht soweit ist, wird es sicher nicht mehr lange dauern. Es sei denn, Sie ziehen es vor, hier in Marokko zu bleiben, jenseits der Grenze, wo europäische Gesetze gelten.« Er streckte die Arme aus und gähnte. »Ich gehe zu Bett. Und es wird Sie vielleicht freuen, daß ich mich jetzt doch entschieden habe, morgen früh nach Tanger zurückzureiten.«
Sadi sah die Genugtuung in Hamons Blick und freute sich.
»Ich werde Ihnen Bannockwaite unter Bedeckung herschicken.«
Als Hamon am nächsten Morgen erwachte, erfuhr er, daß der Scherif tatsächlich aufgebrochen war. Er ließ Joan allein, obgleich er sah, daß sie im Garten spazierenging.
Am Abend berichtete ihm ein Diener, daß sich eine Reisegesellschaft dem Haus näherte. Hamon nahm seinen Feldstecher und beobachtete die drei Männer, die quer durch das Land dahergaloppierten. Zwei waren Mauren, und den dritten, der im Sattel hin und her taumelte, als ob er betrunken sei, erkannte er sogleich wieder.
Hastig eilte er aus dem Haus und wartete an der offenen Tür, bis Reverend Aylmer Bannockwaite ankam.
Der Mann wäre beinahe vom Pferd gefallen, aber seine Begleiter sprangen ab und eilten an seine Seite.
Bannockwaite wandte sein blutunterlaufenes Gesicht Hamon zu, übersah dessen ausgestreckte Hand, zog ein Monokel aus seiner Westentasche und klemmte es ins Auge.
»Wer sind Sie und was wollen Sie?« fragte er gereizt. »Sie haben mich quer durch dieses verfluchte Land schleppen lassen und mich in meiner Ruhe gestört – zum Teufel, was wollen Sie von mir?«
»Es tut mir sehr leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe, Mr. Bannockwaite«, erklärte Ralph höflich.
»Sehr nett gesagt.«
Eine große fleischige Hand drückte schwach Hamons Rechte.
»Sehr schön gesagt, mein Junge. Also, wenn Sie mich jetzt ein wenig ausruhen lassen und ich später eine Pfeife Hanf rauchen kann, um meine Nerven zu beruhigen, bin ich Ihr Freund. Und wenn Sie mir dann noch etwas von dem köstlichen Marsala zu trinken geben und mir eine blumige Zigarre anbieten, bin ich Ihr Sklave mit Leib und Seele!«
Joan hatte von ihrem Fenster aus die heruntergekommene Gestalt beobachtet und vermutete sofort, wer es war. Was war aus diesem schlanken, großen Mann mit dem asketischen Gesicht geworden! Sie hatte ihn nur zweimal gesehen, aber sie wußte bestimmt, daß er es war. Etwas an seinem Gang, an seinen Bewegungen erinnerte sie an früher. Sie starrte ihm nach, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. Dann setzte sie sich hin, hielt den Kopf in den Händen und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
Dann war er also nicht gestorben! Der wählerische, halbverrückte Pastor, der Abgott der Schule von Hulston, der Gründer dieser absurden Geheimgesellschaften kam nun in Schmutz und Lumpen daher.
Wie mochte Ralph Hamon ihn gefunden haben? Bannockwaite würde sie trauen, das wußte sie. Diese merkwürdige Situation mußte ihn so fesseln, daß er keinen Augenblick zögern würde, Hamons Auftrag auszuführen.
Ralph erschien auch am Abend nicht bei ihr, obgleich sie erwartet hatte, daß er den heruntergekommenen Geistlichen zu ihr bringen würde. Ihr Schlafzimmer stieß an den großen Wohnsalon und war geräumig und luftig. Gegen Mitternacht kleidete sie sich aus und hüllte sich in den langen Mantel aus weicher Seide, den ihr die junge Araberin gebracht hatte. Sie zog einen Stuhl ans Fenster, löschte das Licht und schob die Vorhänge zurück. Aber plötzlich schrie sie laut auf und wäre beinahe vor Schreck zusammengebrochen, denn durch die Eisengitter starrte ein Gesicht mit langem Bart, einer großen Hakennase und rot unterlaufenen Augen zu ihr herein. Es war der Bettler. Das lange Messer, das er in den Händen hielt, blitzte im Mondlicht auf.