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29

Wenn man die enge, hügelige Straße entlanggeht, die von der Moschee zu dem großen Markt in Tanger führt, und sich scharf nach rechts wendet, als ob die Kasbah das Ziel wäre, hat man zur Linken eine hohe, weiße Mauer, in der sich nur ein großes, massives Tor mit grün angelaufenen Bronzebeschlägen befindet.

Hinter dieser Mauer lag ein verwilderter Garten mit einem beschädigten Brunnen. Er war wenigstens wieder so weit repariert worden, daß ein schwacher Wasserstrahl emporstieg. Mit melodischem Rieseln fiel er ins Bassin zurück, wo zwischen vielen Schlinggewächsen Goldfische langsam und träge hin und her schwammen.

Das Haus von Sadi Hafis erhob sich in rechtem Winkel zu dieser Mauer. Es war ein häßliches, weißverputztes Gebäude, das vorn eine Veranda und eine kleine Säulenvorhalle hatte. Dort saß Sadi Hafis bei warmem Wetter in einem verschossenen Armsessel, trank Pfefferminztee und rauchte dazu seine Wasserpfeife. Er war ein schlanker, hellfarbiger Maure mit vortretenden Backenknochen und dünnem, schwarzem Bart. Stets sah er aus, als ob er halb schliefe.

Der Scherif Sadi Hafis war ein Mann, der die verschiedensten Vertrauensstellungen unter den wechselnden Regierungen eingenommen hatte; er war aber jedesmal nicht lange im Amt geblieben. Zwei Sultanen und vier Kronprätendenten hatte er schon gedient, und er war der Geheimagent für ein amerikanisches und sechs europäische Konsulate, die er nacheinander alle bestohlen und betrogen hatte. Außerdem war er ein vorzüglicher Redner und ein Freund der Eingeborenen. Sein Einfluß reichte sehr weit, und er handelte mit Konzessionen wie kein zweiter in diesem Land.

Um die Abendstunde kam ein Europäer von kleiner Gestalt zu ihm. Es war Colport, der Agent der Ralph-Hamon-Gesellschaften in Tanger.

»Guten Abend – trinken Sie eine Tasse Tee mit mir«, brummte der Scherif in englischer Sprache. »Haben Sie eine Antwort auf Ihr Telegramm erhalten?«

»Er telegrafierte, daß die vierteljährliche Rente erst in einem Monat fällig sei.«

Der Maure spuckte verächtlich aus.

»Hat er doch tatsächlich zwanzig Pesetas ausgegeben, um das zu telegrafieren – bei Allah! Und wenn sie erst in zwanzig Monaten fällig ist, ich brauche jetzt Geld, Colport! Kommt er selbst?«

»Ich weiß nicht. Er hat nichts davon erwähnt.«

Sadi Hafis sah ihn unter müden Augenlidern hervor an.

»Bringt er Lydia mit? Natürlich sagt er davon auch nichts. Schon seit fünf Jahren soll sie kommen, aber er behandelt mich schlechter als Israel Hassim. Ich habe ihm Konzessionen gegeben, mit denen er Gesellschaften gründen konnte! Er verdient Millionen, und alles, was ich von ihm zu sehen bekomme, ist diese vierteljährliche Rente! Was habe ich vor Jahren für Hamon alles getan! Fragen Sie ihn danach!«

Colport hörte ruhig zu. Sadi klagte ständig und erzählte immer von geheimnisvollen Diensten, aber nie erwähnte er Genaueres.

»Wenn es nach ihm ginge, könnte ich in der Kasbah in Ketten liegen und nach einem Tropfen Wasser schmachten! Ich habe zwei neue Wunder für ihn – eine Silbermine in den Bergen! Aha, da machen Sie große Augen! Allein an dieser Konzession kann er fünfzig Millionen Pesetas verdienen – wer könnte solche Schönheiten finden außer Sadi Hafis? Ich bin der mächtigste Mann in Marokko – größer als ein Pascha – größer als der Sultan ...«

In diesem Ton redete er weiter, und Colport wartete auf eine günstige Gelegenheit. Schließlich kam sie.

»Mr. Hamon sagt weiter, daß er die vierteljährliche Rente jetzt zahlen will und obendrein fünfhundert Pfund. Aber Sie müssen sofort ... warten Sie einmal ...«

Er nahm ein Telegramm aus der Tasche und glättete es.

»Sagen Sie Sadi, ich muß einen anderen Ali Hassan haben«, las er vor, »Was meint er wohl damit?«

Sadis Augen öffneten sich weit.

»Das bedeutet, daß er in großen Sorgen ist«, erwiderte er langsam. »Ich dachte es mir schon. Aber Ali Hassans wachsen nicht auf jedem Kaktusstrauch, Colport.«

Lange Zeit schwieg er nachdenklich, und seine Gedanken waren nicht die angenehmsten und schönsten.

»Telegrafieren Sie ihm, daß es tausend Pfund kostet«, sagte er schließlich. »Bringen Sie mir das Geld morgen abend. Aber auch dann ... nun ja, ich will sehen.«

Er begleitete Colport an das Tor, was eine ungewöhnliche Ehre war. Dann ging er wieder zu seinem verschossenen Armsessel zurück, stützte die Ellbogen auf die Knie und das Kinn in die Hand, bis die Stunde des Gebets kam und er auf seinem Teppich niederkniete, das Antlitz gegen Osten gewandt. Nachher erhob er sich und rief einen Mann, der sein Schreiber und Diener war.

»Kennst du Ahmet, den Mauleseltreiber?«

»Ja. Er ist der Mann, der den Geldwechsler umbrachte. Man sagt auch, daß er noch einen anderen Mann beraubte und in einen Brunnen warf. Er ist ein schlechter Mensch.«

»Spricht er Englisch?«

»Spanisch und Englisch. Er war Fremdenführer in Casablanca, aber er hat dort eine Frau bestohlen und wurde dafür ausgepeitscht.«

Sadi neigte den Kopf.

»Er muß mein Ali Hassan werden. Geh zu den niedrigen Häusern an der Küste in seine Wohnung. Wenn er betrunken ist, lasse ihn dort, denn die französische Polizei darf ihn nicht sehen. Wenn er aber nüchtern ist, soll er um die zwölfte Stunde zu mir kommen.«

*

Die einzige europäische Uhr in Tanger schlug Mitternacht, als der Diener den Mauleseltreiber in Sadi Hafis' Haus einließ.

»Friede sei mit dir und deinem Hause, möge Gott dir glückliche Träume schenken«, sagte Ahmet, als der weißgekleidete Scherif ihm im Mondlicht entgegenkam.

»Du bist doch in England gewesen?«

Sie standen in der Mitte des Hofes, weit entfernt von den mit Holzgittern verschlossenen Haremsfenstern, hinter denen neugierige Ohren lauschten.

»Ja, Scherif, ich bin mehrere Male dort gewesen – auf den Maultierschiffen während des großen Krieges.«

»Du mußt wieder hin, Ahmet. Dort lebt ein Mann, der dich braucht. Erinnere dich stets daran, daß ich dich zweimal vom Tode errettet habe, als der Strick schon um deinen Hals lag. Zweimal habe ich, der Scherif von Ben-Aza, den Pascha um Gnade für dich gebeten und dich gerettet. Aber in England wird niemand sein, um dich zu retten, wenn du dich töricht benimmst. Komm morgen zu mir, und ich werde dir einen Brief geben.«


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